Alle 17 Jahre
Zikaden-Invasion bedroht US-OstküsteExplodierende Insekten-Population - wie im Hitchcock-Film
Washington - Sie kommen, und das nicht nur zu Hunderten oder Tausenden. Es sind Milliarden. Die US-Bundeshauptstadt Washington und viele Ostküstenstaaten bereiten sich auf eine Invasion besonderer Art vor, eine Plage mit biblischen Ausmaßen, die nur alle 17 Jahre auftritt. Dann nämlich kriechen die Puppen einer besonderen Art von Zikaden aus dem Boden und beginnen ihr kurzes, aber lautstarkes Erwachsenenleben.
Von etwa Mitte Mai bis Mitte Juni sind die rund 2,5 Zentimeter großen Insekten mit den blauschwärzlichen Körpern und Glasflügeln einfach überall - in den Bäumen, auf der Erde, sie umschwirren die Beine, sitzen auf den Bürgersteigen und setzen sich in die Haare. Bis zu rund eine Million Zikaden, so schätzen Experten, können in dieser Zeitspanne auf einen amerikanischen Acre mit Baumbestand kommen - das sind rund 4000 Quadratmeter.
Viele Bürger, die den Einfall der Zikaden 1987 miterlebten, schütteln sich heute noch. Damals wurden zahlreiche Veranstaltungen im Freien abgesagt, weil die herumschwirrenden Viecher einfach nicht mehr zu ertragen waren. Brautpaare flüchteten in die Säle, Kammermusik in Parks fiel flach, weil sie gegen den Lärm der Insekten einfach nicht ankam, und die sonst so beliebten Barbecue-Partys gerieten in vielen Landstrichen zur Rarität. "Es war wie ein Hitchcock-Film", erinnert sich eine Frau in Washington an 1987. "Es war einfach enorm. Man muss es erlebt haben, um das Ausmaß zu verstehen."
Tennisschläger entwickelten sich zur populären Waffe, um sich die Insekten vom Leibe zu halten. Die Tierchen - vor allem die Männchen - haben nämlich ein Problem: Sie können nicht sehr gut fliegen und neigen daher zu Kollisionen. Ein Mann in Ohio hat mittlerweile ein Spezialracket zur Zikadenabwehr erfunden, das er demnächst für 3,99 Dollar (rund 3,30 Euro) feilbieten wird. Auch Gourmetköche haben sich inspirieren lassen. Rezepte besagen, dass die knackigen Tiere geröstet und in Schokolade getunkt gut schmecken und reich an Proteinen sind.
Dabei beißen sie nicht einmal, und sie stechen auch nicht - die 17-Jahr-Zikaden mit dem wissenschaftlichen Namen Magicicada septendecem, deren periodisches Auftreten Insektenforscher seit langem fasziniert. Wie durch eine innere Uhr gesteuert kommen die Puppen an die Luft, wenn die Erde wärmer wird. Die Haut, die sie im Untergrund geschützt hat, fällt ab, und es entsteht ein geflügelter Erwachsener. Die Männchen suchen sich dann unverzüglich eine Partnerin und signalisieren ihr Interesse durch einen eigentümlichen Gesang, der als Summen, Surren oder Zirpen beschrieben wird.
Solo sind die Stimmen dünn, aber die Männchen singen gern im Chor - zu Abertausenden oder sogar Millionen. Und dann wird es laut, fast unheimlich - wie der Hintergrund-Soundeffekt in einem Science- Fiction-Thriller.
Die Weibchen paaren sich nach dem Motto, wer zuerst kommt malt zuerst. Es gibt aber auch - kaum wissenschaftlich fundierte - romantischere Erklärungen: Danach suchen sie sich jenes Männchen aus, das am schönsten singt. Ist für die Fortpflanzung gesorgt, beginnt das Massensterben. Vorher machen die Weibchen aber noch kleine Einschnitte in Baumzweige und legen darin ihre Eier ab, jeweils bis zu 400 Eier an bis zu 50 verschiedenen Stellen. Die aus den Eiern entstandenen Larven lassen sich dann auf den Boden fallen und graben sich ins Erdreich ein. Auf Wiedersehen - in 17 Jahren.
Quelle:
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/712261?_seite=1