Mega-Ölpest mitten in New York
In einen kleinen Fluss in Brooklyn ist mehr Öl ausgelaufen, als 1989 aus der Exxon Valdez an der Küste von Alaska. Der Schaden geht in die Milliarden. Der Energieriese ExxonMobil gerät unter Druck. Sogar Umweltschutz-Vorreiterin Erin Brockovich mischt sich ein.
Das Ufer des Newtown Creek ist alles andere als idyllisch. Rostige Bauzäune trennen an den meisten Stellen den Zugang zum Ufer ab, dahinter reihen sich Lagerhallen und verfallene Fabriken aneinander. Schon am Nachmittag ist die Gegend unheimlich still und verlassen. Nur von der nahen Autobahn, dem Long Island Expressway, dringt ein stetiges Rauschen hinüber. Auf der Wasseroberfläche des kleinen Flusses schwimmt ein dunkler, stinkender Film.
65 Millionen Liter Öl versickert
Der nur 6,5 Kilometer lange Newton Creek trennt die Stadtteile Brooklyn und Queens voneinander, er liegt mitten in New York. Was selbst viele Bewohner der Stadt nicht wissen: Der Fluss ist Schauplatz einer der schlimmsten Naturkatastrophen in der Geschichte der USA. Mehr als 65 Millionen Liter Öl sickerten im Laufe der vergangenen hundert Jahre in den Grund, das meiste davon nach einer Explosion in einer Fabrik im Jahr 1950. Das Ölleck von Brooklyn war größer als der Teppich, den der Tanker Exxon Valdez im Jahr 1989 vor der Küste Alaskas verursachte. Knapp die Hälfte des Öls und anderer Stoffe verseucht noch heute den Fluss und den Boden in den umliegenden Wohngebieten. Umweltschützer und Anwohner kämpfen seit Jahren für die Reinigung des Flusses. Im Gegensatz zum Exxon Valdez-Unglück hat das New Yorker Leck jedoch bisher wenig öffentliche Beachtung bekommen.
Dies scheint sich jedoch gerade zu ändern. Denn nun gerät der weltgrößte Energiekonzern ExxonMobil wegen des Öllecks unter Druck. Der New Yorker Oberstaatsanwalt Andrew Cuomo erhob Ende Juli Anklage gegen das Unternehmen. ExxonMobil sei der Hauptverantwortliche für das Unglück, sagte Cuomo. Der Konzern habe es seit Jahren verschleppt, das Öl zügig aus Wasser und Boden herauszufiltern: 1978 entdeckte die US-Küstenwache erstmals die Ausmaße des Öllecks, 1990 unterzeichnete ExxonMobil eine Verpflichtungserklärung, den Schaden zu beheben. Trotzdem ist noch immer rund 20 Hektar Land und Wasser verseucht - eine Fläche so groß wie der Kölner Zoo oder der Botanische Garten in München.
Cuomo begründete die Anklage mit harten Worten: "ExxonMobil, der größte, profitabelste Ölkonzern der Welt, hat es wiederholt abgelehnt, die Verantwortung für eine der schlimmsten Umweltkatastrophen in der US-Geschichte zu übernehmen", schrieb er in seiner Pressemitteilung. "Diese Klage sendet das Signal, dass sogar die größten Konzerne der Welt nicht den Konsequenzen ihrer Untaten entgehen können."
Die Geschichte des Öllecks am Newtown Creek begann vor rund 160 Jahren, als das weitgehend wilde Areal als Industriezone urbar gemacht wurde. Bis dahin war der Seitenarm des East River durch Auenland geflossen. "Man kann davon ausgehen, dass es dort die gleichen Tierarten gab wie heute noch in vergleichbaren Landschaften", sagt Alex Matthiessen, Vorsitzender des New Yorker Umweltschutzvereins Riverkeeper, "Das sind rund 200 Fischarten und Dutzende Sorten von Vögeln."
Im 19. Jahrhundert siedelten sich dann Klebstoffmacher an, Düngemittelhersteller eröffneten Fabriken, ebenso auch eine Reihe von Ölraffinerien. Sie stellten Benzin, Kerosin oder Paraffinwachs her. Umweltschutz gab es noch lange nicht. Viele der Öltanks leckten, beim Transport von einer Fabrikhalle in die andere schwappten häufiger schädliche Stoffe über und sickerten in den Boden.
Um das Jahr 1870 gab es rund 50 Raffinerien am Ufer des Flusses. Dort wurde genug Öl produziert, um jeden fünften Haushalt der Neuenglandstaaten zu versorgen. Die meisten der Raffinerien kaufte nach und nach John D. Rockefellers mächtiger Ölkonzern Standard Oil auf, bis dieser 1911 zerschlagen wurde. 1950 erschütterte eine große Explosion das Industriegebiet. Wahrscheinlich entstand damals der größte Teil des Ölteppichs. Ein Teil sickerte in den Boden, der Rest sank auf den Grund des Flusses.
In den folgenden Jahrzehnten schlossen die Raffinerien nach und nach. Die Gelände wurden verkauft oder stehen heute leer. Der größte Rechtsnachfolger Standard Oils ist heute ExxonMobil, das zuletzt einen Jahresumsatz von zuletzt 378 Mrd. Dollar (276 Mrd. Euro) erzielte. Auch die Energiekonzerne Chevron und BP besitzen Grundstücke im Gebiet und sollen für die Ölpfütze mitverantwortlich sein. Im Frühjahr kündigte Cuomo an, die Rolle der beiden Konzerne ebenfalls untersuchen zu wollen.
Heute lebt im Newtown Creek so gut wie nichts mehr. Lediglich eine besonders widerstandsfähige Fischart, die Elritze, könnten er und sein Team noch manchmal bei ihren regelmäßigen Schlauchboot-Touren über den Newtown Creek erspähen, erzählt Umweltschützer Matthiessen. Anderes Leben habe dort keine Chance mehr: "Die Wasseroberfläche ist von einem dicken schwarzen Film überzogen. Es sieht gruselig aus."
160 Jahre Umweltverschmutzung
Zwar arbeitet eine Handvoll Arbeiter im Auftrag von ExxonMobil am Rand des Ufers und pumpt dort das Öl aus dem Wasser. Doch den Umweltschützern und der Staatsanwaltschaft gehen die Arbeiten zu langsam voran. Der Verein Riverkeeper hat deshalb vor drei Jahren Klage gegen den Konzern eingereicht. Das Ziel ist, ihn zu schnelleren Aufräumarbeiten zu zwingen und ihn eine neue Belebung des Flusses zahlen zu lassen. "Jetzt bekommen wir endlich auch Unterstützung von der Stadt New York. Die Behörden haben sich viel zu lange zurückgehalten und gar nichts getan", sagt Matthiessen.
Auch mehrere Anwohner haben bereits gegen ExxonMobil geklagt. Sie befürchten, das Ölleck sei auch für Menschen gefährlich. Im nahe am Newtown Creek gelegenen Greenpoint, einem Teil Brooklyns, stehen ein paar Häuserblocks auf der gigantischen unterirdischen Öllache. Eine wissenschaftliche Untersuchung, die Riverkeeper 2004 anstieß, hat ergeben, dass mit dem Öl auch andere Stoffe in den Boden gelangten. Einer davon ist das krebserregende Benzol, das zum Beispiel in Benzin enthalten ist. Gefährlich sei das Gemisch, weil sich Gase lösen und an die Oberfläche steigen können, sagt Daniel Estrin vom Institut für Umweltrecht der New Yorker Pace Universität. "Benzol ist ein sehr schädlicher Stoff. Atmet man ihn über längere Zeit ein, wirkt er krebserregend."
Wegen der möglichen Gesundheitsrisiken fordern die klagenden Anwohner Schadenersatz in noch unbekannter Höhe. Eine der Gruppen fuhr ein scharfes Geschoss auf. Sie engagierte die Kanzlei Girardi & Keese - die in den USA als König der Sammelklagen gilt. Das in Los Angeles ansässige Anwaltsbüro hat bereits gegen den Rüstungskonzern Lockheed (heute Lockhheed Martin), den Energieriesen Shell und das Filmstudio Warner Bros. geklagt.
Der Anwalt von Erin Brockovich
Bekannt ist sie aber vor allem durch den Fall Erin Brockovich. Die Anwaltsgehilfin deckte 1993 einen Fall von Trinkwasserverschmutzung mit krebserregenden Stoffen in der südkalifornischen Kleinstadt Hinkley auf. Drei Jahre später zahlte der verantwortliche Konzern Pacific Gas and Electric Company (PG&E) den Bewohnern 333 Mio. Dollar (244 Mio. Euro) Schadensersatz. Im Jahr 2000 erschien der Kinofilm über den Fall. Hauptdarstellerin Julia Roberts erhielt für die Rolle den Oscar.
Die echte Erin Brockovich ist heute 47 Jahre alt und betreibt eine Beratungsfirma für Kläger gegen Umweltschäden. Ende 2005 flog die Kanzlei Girardi & Keese sie nach New York ein. Im Seniorenzentrum von Greenpoint hielt sie vor rund 60 Bewohnern eine flammende Rede. "Ich bin hier, um euch zu motivieren. Diese Klage kann nur Gutes bringen", sagte Brockovich. Noch laufen die Prozesse vor dem Gericht in New York.
ExxonMobil äußert sich nicht zum Ölleck. Auch eine Anfrage, wie viel Geld die Reinigungsarbeiten in den vergangenen Jahren bereits gekostet haben und wann diese abgeschlossen sein könnten, beantwortete der Konzern nicht. Dabei hat der Konzern mit Katastrophen und ihrem Preis schon seine Erfahrungen: Das Unglück des Tankers Exxon Valdez vor der Küste Alaskas kostete den Konzern bisher drei Milliarden Dollar. Ein Prozess über weitere mögliche Strafzahlungen läuft noch immer.
Im Fall Newtown Creek müssten die Buß- und Schadenersatzzahlungen mindestens ebenso hoch ausfallen, argumentiert Riverkeeper. "Es ist mehr Öl ausgelaufen als im Fall Exxon Valdez, außerdem hat das Unglück in einem Wohngebiet stattgefunden und ist damit noch gefährlicher für Menschen", sagt Matthiessen. Nun hoffen sein Verein und die Anwohner allerdings erst einmal darauf, dass ExxonMobil das Ölleck überhaupt unter Kontrolle bekommt. Denn noch immer sickere aus der unterirdischen Pfütze in Greenpoint stetig Öl in den Fluss, sagt Matthiessen. "Es ist wirklich höchste Zeit, dass sich etwas tut."
Artikel vom 7. August 2007
Quelle: Weltonline