Erlkönige im Tal des Todes
Die Temperaturen sind alles andere als gemütlich. Flora und Fauna haben wenig Reiz. Doch dafür lockt die Straße durch das Death Valley im kalifornischen Hinterland mit atemberaubenden Ausblicken auf eine faszinierende Steinwüste im Glutofen der USA. Und mit geheimen Erlkönigen.
Es soll nachher niemand sagen, er sei nicht gewarnt worden. Nicht umsonst haben sie in Baker statt hübscher Häuser oder anderer Sehenswürdigkeiten zwischen Tankstelle und Kneipe ein turmhohes Thermometer gesetzt. Dort kann jeder ablesen, was ihn ein paar Kilometer weiter die Straße Nummer 127 hinunter erwartet - ein Glutofen, aus dem es für rund 200 Kilometer kaum ein Entrinnen gibt. Schließlich ist das verschlafenen Nest im Nirgendwo des kalifornischen Hinterlandes das Tor zum "Death Valley" und damit der letzte Vorposten auf dem Weg in eine der unwirtlichsten und gerade deshalb faszinierendsten Gegenden des amerikanischen Westens. Mittendurch führt eine einzige schmale Straße, die bei Touristen ebenso beliebt ist wie bei der Automobilindustrie. Schließlich können Mercedes, Porsche, Ford & Co dort ihre künftigen Autos unter Bedingungen testen, die im Alltag härter nie sein werden.
Der karge Graben ist eine eigenwillige Laune der Natur und ein geografisches Phänomen. Eingebettet zwischen zwei hohe Bergketten hat sich der Boden dort in einer 6 bis 26 Kilometer breiten und mehr als 200 Kilometer langen Zone gesenkt und liegt jetzt an vielen Stellen deutlich unter dem Meeresspiegel. Weil der Wind kaum einen Weg in das Tal findet und die hohen Berge die Sonne wie Spiegel auf den Grund werfen, staut sich unten eine mörderische Hitze, die dem Tal seinen Namen gegeben hat. Den Rekord hält der 10. Juli 1913 mit 56,6 Grad Celsius im Schatten, den man aber kaum irgendwo findet. Auch andere Landmarken wie "Hells Gate", "Suicide Pass" oder "Devil's Golf Course" machen deutlich, dass das "Tal des Todes" keine liebliche Gegend ist.
Es ist noch nicht einmal 7 Uhr, und das Thermometer zeigt schon mehr als 30 Grad Celsius. Zwei Stunden später ist das Quecksilber weit über 50 Grad gestiegen, und über dem Asphalt zeichnet die flirrende Hitze die ersten Trugbilder eines langen Tages. Die Fahrt durch das Death Valley beginnt etwa 40 Kilometer nördlich von Baker in Shoshone, wo kurz hinter der letzen Tankstelle die Park Ranger an der Straße 178 den Eintritt kassieren. Von dort geht es auf einer schmalen aber gut ausgebauten Piste in weiten Kurven stetig bergab - hinunter in die Gluthitze, die viele Goldsucher früher als den Vorhof zur Hölle bezeichnet haben.
Zwar flimmert der Talgrund unter dem stahlblauen Himmel und zwischen den aschgrauem Felsen wie ein großer See. Doch mit jedem Kilometer durch die Wüste wird die Vision auf ein Neues als optische Täuschung entlarvt. Denn der See, der einstmals das Death Valley gefüllt hat, ist vor mehr als 2000 Jahren ausgetrocknet und hat nur noch ein paar versteckte Quellen und Quadratkilometer große Salzkrusten hinterlassen. Nur in der Mitte des Tales, gut 80 Kilometer nach dem Eingang zum Nationalpark, gibt es tatsächlich das ganze Jahr über ein paar Tropfen Nass, die allerdings wenig erfrischend sind. Denn spätestens der fade Geschmack nach der Fingerprobe erklärt, warum die Stelle "Badwater" heißt. Dennoch lohnt es sich hier, den Wagen auf dem Parkplatz abzustellen und den Schritt aus der klimatisierten Kühlzone des Autos zu wagen. Schließlich liegt die hölzerne Strandpromenade entlang von Salzkrusten und modrigen Pfützen 86 Meter unter dem Meeresspiegel und ist damit der tiefste Punkt auf dem nordamerikanischen Kontinent.
Von Badwater aus geht es gen Norden in Richtung Furnace Creek. Vorher jedoch sollte man den Hinweisschildern folgen und rechts von der Straße weg den Bogen durch den etwa zwölf Kilometer langen "Artists Drive" schlagen. Die kleine Einbahnstraße führt in einen Canyon zur "Artists Palette", einem Felshang, auf dem Erosion, Salze und Mineralien wie auf der Palette eines Künstlers ein buntes Farbspektrum gezeichnet haben. Obwohl der Verkehr im Death Valley eher tröpfelt als fließt und man oft meilenweit kein anderes Auto sieht, sollte man sich auf diesen Touren peinlich genau an das Tempolimit halten. Denn schon hinter der nächsten Kuppe könnte irgendwo im Schatten ein Ranger lauern und mit einem gezielten Schuss aus der Radarpistole ein tiefes Loch in die Urlaubskasse reißen.
Natürlich kann man die Tour durch das Death Valley mühelos an einem Tag bewältigen oder als eine Etappe bei der großen Rundfahrt an der Westküste einplanen. Doch eine Übernachtung sollte man sich schon gönnen. Denn die Abenddämmerung und vor allem der Sonnenaufgang in der Wüste sind unbeschreiblich schön. Wer diesem Rat folgt, landet unweigerlich in Furnace Creek, dem kleinen Zentrum des Tales. Dort holt die Zivilisation den Urlauber wieder ein, lockt mit klimatisierten Bungalows, üppigen Palmen und Pools, einem angenehm gekühlten Restaurant und einem kleinen Laden. Außerdem gibt es hier ein nettes Museum, das über die ersten Goldsucher und die kurze aber einträgliche Zeit des Bergbaus im Tal informiert - und es gibt eine Tankstelle, die gelegentlich zum Nabel der automobilen Welt wird.
Denn während der gemeine Tourist die Kühle des Speisesaals sucht, beginnt dort für eine Vielzahl der Hotelgäste die Arbeit. Sie sind Testfahrer und geben hier den sündhaft teuren Prototypen auf dem Weg zur Serienreife den letzten Schliff. Dass die Materialschlacht im Tal des Todes trotz der vielen Zuschauer so beliebt ist, liegt an den weltweit einmaligen Klima- und Straßenverhältnissen: Auf nur 20 Kilometern lassen sich hier Auswirkungen von schnellen Temperaturschwankungen von mehr als 20 Grad untersuchen, es gibt genügend Straßen für einen mehrere hundert Kilometer langen Dauerlauf bei Höchsttemperatur. Und sogar steile und kurvige Passstraßen mit mehr als 1000 Meter Höhenunterschied liegen direkt vor der Haustür. Gegenüber den Touristen sind die Tester erstaunlich offen. Nicht selten ergibt sich deshalb an der Tankstelle oder auf dem Hotelparkplatz ein kurzer Plausch und mitunter sogar die Chance auf ein Erinnerungsfoto. Denn solange die künftigen Supersportwagen, Großraumlimousinen oder Geländeautor nur für das Familienalbum abgelichtet werden, sind die Werksfahrer überraschend zugänglich.
So vorsichtig wie die Testfahrer mit ihren Prototypen umgehen, so behutsam sollten Urlauber mit ihrem Mietwagen sein. Denn der Kühler wird bei den Fahrten durch die Gluthitze bis ans Äußerste gefordert. Wer dabei keine böse Überraschung erleben möchte, prüft deshalb besser gelegentlich seine Vorräte. Nicht umsonst stehen alle paar Kilometer große Tanks mit Kühlwasser am Straßenrand. Große Aktivitäten außerhalb klimatisierter Räume sind tagsüber weder empfehlenswert noch sinnvoll.
Man sollte zum Beispiel warten, bis die Temperatur abends zumindest ein wenig sinkt, bevor man sich am Ende des ersten Tages zur schönsten Tour im Tal aufmacht und mit dem Auto den Aussichtspunkt "Dante's View" erklimmt. Ihn erreicht man von Furnace Creek aus über die Straße 190, die aus dem Tal heraus in Richtung Las Vegas aufsteigt. Nach etwa 16 Kilometern geht es rechts ab auf einen besseren Feldweg, der später so schmal, kurvig und steil wird, dass er für Wohnmobile und Gespanne gesperrt ist. Doch das Panorama ist die Mühe am Lenkrad allemal wert. Denn nach weiteren 20 Kilometern, für die man gut 40 Minuten einplanen sollte, landet man wieder fast genau bei Badwater - nur rund 1800 Meter höher als am Mittag. Und während am Horizont die Sonne versinkt, liegt einem das Tal des Todes zu Füßen. Allzu lange allerdings darf man den Anblick nicht genießen, sonst wird die Fahrt durch die Dunkelheit zurück ins Hotel zu einer echten Herausforderung.
Auch für den Start in den nächsten Tag hat die Natur eine perfekte Bühne gebaut - den Zabriskie Point. Benannt nach dem Gründer einer Borax-Mine im Death Valley, bietet dieser Aussichtspunkt etwa zehn Kilometer östlich des Hotels den täglichen Sonnenaufgang in Cinemascope-Qualität: Während die umgebenden Felsen im Licht der ersten Sonnenstrahlen beinahe minütlich ihre Farben wechseln, gibt die zurückweichende Dunkelheit am Horizont Schritt für Schritt den Blick auf das Tal und die großen Gebirgszüge jenseits der Wüsten frei.
Wer sich von diesem Anblick irgendwann lösen kann, der folgt der 190 weiter aus dem Tal, nimmt Abschied von der Hitze und Kurs auf Las Vegas. Und falls noch immer ein paar Fotos auf Film oder Chip passen, schlägt man noch einen Haken durch den Red Rock Canyon, wo eine halbstündige Rundfahrt durch tiefrote Felsschluchten und üppiges Grün die Begegnung mit der Zivilisation noch einmal hinauszögern.
Quelle:
http://www.spiegel.de/auto/aktuell/0,1518,363088,00.html