http://www.focus.de/reisen/urlaubstipps/usa_aid_64047.htmlTödlicher Yosemite-Park
Fast 900 Tote in 156 Jahren: Warum im Yosemite-Park, einem der bekanntesten Nationalparks der USA, so viele Männer tödlich verunglücken, darüber hat der Ökologe Michael Ghiglieri ein Buch geschrieben.
Von FOCUS-Online-Redakteurin Tinga Horny
Schroffe Felswände sind ein Markenzeichen vom Yosemite-Park
Der letzte Unfall liegt kaum ein Jahr zurück: Am 23. Oktober 2006 war der bekannte Freeclimber Todd Skinner unterwegs in der Nähe der berühmten Bridalveil Falls. Hunderte Meter stürzt hier das Wasser in die Tiefe – und sieht von der Ferne wie ein Brautschleier aus. Skinner, ein Profi in der Szene mit einem Rekord von 300 Extremklettertouren in 26 Ländern, wollte an diesem Tag die Granitwand des Leaning Tower bezwingen. Skinner fiel in den Tod beim Abstieg, als er nur an einem Sicherheitsseil hing.
Senkrecht in die Höhe ragende Felswände werden in den seltensten Fällen zum Schicksal der Yosemite-Besucher. Bei den meisten tödlichen Unfällen handelt es sich um beinahe alltägliche Vorgänge. So sprang zum Beispiel Rachael Neil aus Arizona von Stein zu Stein. Sie rutschte aus, fiel in den Merced River und wurde von der Unterströmung Richtung Nevada-Wasserfall gezogen. Sie überlebte nicht. Das war am 24. August 2005. Einen Tag davor war bereits Shane Kinsella aus Dublin verunglückt. Auch er war ausgerutscht, diesmal beim Posieren für ein Erinnerungsfoto. Shane stand zu nah am Rand des Yosemite-Wasserfalls, verlor die Balance und stürzte über 400 Meter in die Tiefe.
Entfremdung von der Natur
„Die meisten Leute, die bei solchen Unfällen sterben, sind auch ein wenig selbst an ihrem Tod schuld“, sagt Michael Ghiglieri in einem Bericht der New York Times. Harte Worte, aber der Ökologe weiß, wovon er spricht. Er hat in seinem Buch „Off the Wall: Death in Yosemite“ über 900 Todesfälle in der 156-jährigen Geschichte des kalifornischen Nationalparks untersucht. Vom Ausrutscher am Wasserfall, dem Malheur beim Bergsteigen, dem Angriff eines Tieres über Ertrinken und Mord – Dr. Ghiglieri hat sich alle Todesfälle angesehen. Weniger die Sensationslust lockt ihn dabei, als zu verstehen, wie eine Kette von falschen Entscheidungen und unglücklicher Zufälle zum Desaster führt.
„Der Hauptgrund, sich diesem Thema zu widmen, ist die Frage: Was können wir daraus lernen?“, so der Wissenschaftler. Eine Erkenntnis: Enge Fußgängerbrücken sind ein neuralgischer Punkt. Eine andere: Angesichts der jährlich drei Millionen Yosemite-Besucher ist die Zahl der tödlichen Unfälle sehr gering. Aber auffallend ist, dass es sich bei den Toten meist um junge Männer (82 Prozent!) handelt. Die Erklärung, die Ghiglieri dafür hat, ist verblüffend einfach: Für junge Burschen bieten sich in einem Gelände wie Yosemite viele kleine Herausforderungen, um sich als Mann zu beweisen.
Allerdings haben wir in unserem modernen Leben verlernt, natürliche Gefahren zu erkennen und zu vermeiden. Ghiglieri spricht vom „Homo domesticus“, für den die Natur zum Risiko wird. Denn der Yosemite-Park ist ein Nationalpark der Extreme – mit den höchsten Wasserfällen Nordamerikas, steil aufragenden Granitfelsen, einem sehr launischen Wetter und dem bisweilen reißenden Mercer River. Ghiglieri: „Für einen Park wie Yosemite sind die meisten nicht vorbereitet. Wer weiß schon, wie man auf einem 900 Meter hohen Felsvorsprung sicher sitzt? So etwas erlebt doch keiner im Büro.“