Um 7 Uhr verlassen wir St. George bei zapfigen 60 Grad und fahren nach Hurricane. Die gleichnamigen Cliffs bauen sich am Rande der Stadt wie eine undurchdringliche Wand auf. Und doch hat der Mensch auch hier den Durchbruch geschafft. Vorbei an der Smithonian Butte, die zu den Vermilion Cliffs gehört, geht es durch die Big Plain in das wunderschöne Apple Valley. Eine herrliche Bergkulisse erwartet uns bei Colorado City und Hildale. Und hier in diesem Mormonendorf stechen wir über den Short Creek in den Water Canyon ein. Tiefe Furchen in der Dirtroad machen keine großen Probleme. Es ist alles trocken und mit etwas Vorsicht erreichen wir sicher den Trailhead.
Die Felsen ragen steil nach oben. Die ersten Sonnenstrahlen haben sich bereits auf der westlichen Wand festgesetzt und bringen die im Schatten liegende Ostflanke zum glühen. Die Ruhe und Abgeschiedenheit, die zu dieser Tageszeit noch herrscht, wird nur durch das Plätschern des Wassers unterbrochen, das stetig aus dem Water Canyon seinen Weg nach Süden sucht. Die Blicke schweifen bereits hier unruhig umher und die Aufrüstung der Hikerutensilien dauert entsprechend länger. Das Eye of Heaven ist schon zu erkennen.
Sehr sandig beginnt der Weg am Creek entlang und die Hoffnung, dass der Anlauf zur Bergtour gemächlich erfolgt, verfliegt schon bald. Hoch und runter. Teilweise steiles Terrain und der tiefe Sand sorgen bereits zu Beginn für ein paar extra Diastolen und Systolen des vor Freude pumpernden Zentralorgans. Der erste Fotostopp lässt nicht lange auf sich warten. Das Auge des Himmels klebt an der Ostwand und nur ein paar Meter lassen eine Perspektive zu, von der man durch ein Tor auf den strahlend blauen Kosmos blicken kann. Das südwest-geübte Hikerauge erkennt schon nach wenigen Metern, dass diese Gegend hier ein Traum ist.
Nach einer Meile verengt sich der Canyon und subway-ähnlich hat sich der Bach durch die Felsen gefressen. Im Hintergrund spitzen die roten Butten und bringen ein wenig Licht in den noch dunklen und dadurch etwas mystisch wirkenden Canyon. Der Blick zurück zu den Feuerbergen, die Kontraste und die Tiefe der Formen entschädigen für das frühe Aufstehen. Aber ab hier wird es ernst, denn wenn sich das Auge gen Westen wendet, baut sich eine fast senkrechte Wand unmittelbar vor einem auf. Und dort muss man hinauf. Von hier unten ist das kaum vorstellbar. Nur Mut!
Wir hieven unsere Körper über einen Absatz auf den hier zirka 30 bis 50 cm breiten Trail. Es geht nach oben und der Boden verliert sich. Ich zwinge mich objektiv zu bleiben, denn auf diesem Band könnte man problemlos auf einem Bein hüpfen. Subjektiv geht das aber nur in der Ebene. Aber so obsiegt die Objektivität und der stetig an die Wand gerichtete Blick meine Höhenangst. Es ist wirklich entgegen aller Befürchtungen nicht so schlimm und so kommen wir Schritt für Schritt nach oben. Die Stellen, die ausgesetzt sind, sind wenige. Meistens hat die Natur mit Sträuchern dafür gesorgt, dass man sich trotz allem Gefälle sehr sicher fühlt. Nach knapp 0,5 Meilen sind wir oben und erblicken die Wave und die White Pocket komprimiert. Rechts gegenüber Butten, Hoodoos und Felsstrukturen in leuchtendem Orange, nur unterbrochen durch weiße Streifen. Etwas weiter links blitzen die schneeweißen Hügel der White Domes. Der hier wie aufgestellt wirkende Brotzeitfelsen bietet die Bequemlichkeit, die der nicht unanstrengende Aufstieg bisher vermissen ließ. Man könnte hier Stunden verweilen, aber wir wollen zumindest ein Highlight auch aus der Nähe betrachten. Also weiter!
Gemächlich geht es jetzt wieder hinunter in den Water Canyon. Hier wird erneut deutlich, was Wasser mit hartem Felsen alles anrichten kann. Ausgeschabte Gumpen, die teilweise noch mit Wasser gefüllt sind, vertiefen unvermittelt die Landschaft. Dort, wo der Wind den Stein vom Sand befreit hat, leuchtet der Fels. Oben der Canaan Mountain, der nun querfeldein - der Trail hat sich inzwischen im Nichts aufgelöst - zu erklimmen ist. Angenehmer Untergrund, denn nun verliert sich auch der Sand. Allerdings geht es auch wieder steil nach oben. Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug kommen wir den White Domes näher. Unter das Orange mischt sich nun zeitweise auch gelbes Gestein. Links und rechts stehen die Butten und sind Zeitzeugen für zwei verschwitzte, einsame Wanderer, die aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.
Der Fels wandelt sich relativ abrupt von farbig in weiß. Hügel markieren den Peak, die White Domes blenden und wären so ein guter Werbeträger für Waschmittel. Eine weiße Wave die sich nach oben zu den Hügeln formt, ja, so könnte man es beschreiben. Nach Norden geblickt, wuchten sich die gewaltigen Massive des Zion Nationalparks in die Luft. Nach Süden die rot-weiße Landschaft, die zumindest aus der Ferne den Coyote Buttes und der White Pocket in nichts nachsteht. Was für ein Ziel, was für eine Wanderung - atemberaubend! Das hier oben ist das Schönste, was wir seit langem gesehen haben. Die gut zwei Stunden Aufstieg haben sich für diese Kulisse wahrlich gelohnt. Die Motive sind einzigartig und bereits jetzt wird klar, dass wir wiederkommen und hier oben das Gebiet weiter erkunden.
Nach insgesamt fünf Stunden sind wir wieder zurück am Auto. Inzwischen begegneten uns immer wieder hiesige Wanderer, deren Weg meist unten im Canyon endete. Die Mormonen-Kinder tun mir leid. Mit langen Hosen und Hemden, teilweise noch mit Jacken, quälen sie sich freudestrahlend nach oben. Tja, - uns wird diese fantastische Wanderung noch lange in den Köpfen bleiben.