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Autor Thema: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014  (Gelesen 19822 mal)

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Claus, was weiß ich, was Erotikseife ist, du kennst dich da sicher besser aus. Schick einfach beides.

Schon erstaunlich, welche Assoziationen, Emotionen und Reaktionen eine völlig unspektakuläre Reise ins Nachbarland so auslösen kann...


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9.6.2014: Krakau erleben

Im Hotel ist es sehr leise, wenn man nur nicht das Zimmerfenster öffnet wie ich es gestern vor dem Schlafengehen gemacht habe. Der Lärm der Straße macht mich früh wach. Ich habe noch einige Zeit, erst um 10 Uhr öffnet das Museum in der Fabrik Schindlers. Also trinke ich in Ruhe Kaffee und surfe das Internet leer.

Als ich das Hotel verlasse, ist es schon sehr heiß, aber in Schindlers Fabrik ist es klimatisiert. Weil Montag ist, kostet es keinen Eintritt.

Das Museum zeigt die Entwicklung Krakaus von den ersten Anfängen der Besetzung der Stadt durch die Nazis über Schindlers Liste bis hin zu einem bedrückend kahl gehaltenen Raum, der an das Schicksal der vielen Juden der Stadt erinnert. Es ist sehr gut aufgemacht mit vielen Videos und Tondokumenten, allerdings ist es etwas unübersichtlich, sodass man bei den vielen Nischen und vor lauter Text und Bildern an den Wänden gar nicht weiß, was man denn lesen soll und wo man am besten anfängt.





 

Zum Museum gehört eine Cafeteria. Hier hoffe ich auf eine Kleinigkeit zum Frühstück und ein Wasser, aber irgendwie scheint die Cafeteria gerade okkupiert zu sein vom örtlichen Stromanbieter. Bedauernswerte Menschen in sicherlich viel zu warmen Tierkostümen in den Farben des Konzerns hüpfen herum und bespaßen Grundschulkinder.

Wo ich einen Kaffee bekomme, weiß ich nicht, aber irgendwie nehmen sich mehrere Leute Tellerchen mit Muffins und Becher mit Kakao, die offenbar kostenfrei für die Kinder hier stehen. Keine Ahnung, ob es sich hierbei um die Begleitung der Kinder handelt, die auch alle Muffins mampfen. Ich stibitze mir mangels Ansprechpartner für Kaffee und mangels Alternative auch etwas und hoffe, ich habe nun keinen Erstklässler um sein Frühstück gebracht.

Überhaupt ist es nicht das erste Mal in Polen, dass ich den Eindruck habe, dass es zwar Vorschriften gibt, dass aber niemand es krumm nimmt, wenn man sich nicht daran hält. Ist es Nachsicht oder Gleichgültigkeit oder Höflichkeit, dass man hier so ziemlich alles machen kann ohne zurechtgewiesen zu werden, Hauptsache man fährt nicht mit dem Roller auf den Wawel?

Ich gebe zu, ich habe ein wenig mit Polen gefremdelt. Zu viele Vorurteile im Kopf über Shoppingtouren von Deutschen eines gewissen Schlages knapp über die Grenze um Billigkram zu kaufen und zwei sehr kurze Eindrücke bei bisher zwei Hüpfern über die Grenze, jeweils schon vor vielen Jahren. Zu viele Vorurteile im Kopf zu bestimmten Typen, die ich zu sehen erwartet habe, zu viele Vorurteile im Kopf zu Relikten aus dem Sozialismus. Aber ich werde konsequent angenehm überrascht seit ich angekommen bin.

Ich binde Idefix vom Fahrradständer los und rollere Richtung Kazimierz zurück über die Weichsel. Hier will ich mich heute näher umsehen.

Kazimierz ist das alte jüdische Viertel, wohl seit einigen Jahren erst wiederentdeckt und sehr im Kommen. Mehrere Synagogen, zwei jüdische Museen, ein alter jüdischer Friedhof warten und viele, viele kleine Lädchen und Kneipen. Hier scheint auch die Backpackerszene zu Hause zu sein, darauf weisen zumindest die zahlreichen Hostels hin. Schaut man allerdings mal in den einen oder anderen Hinterhof der Wohnhäuser, gewinnt man einen Eindruck, wie dieses Viertel über mehrere Jahrzehnte ausgesehen haben muss.



















 

Ich besuche das Galicia Jewish Museum und das jüdische Museum in der alten Synagoge. Ich binde Idefix an und gehe zu Fuß durch die Gassen. Zum einen ist hier alles so dicht beieinander, dass das Rollern nicht lohnt, zum anderen macht es auf dem Kopfsteinpflaster, das hier überwiegend liegt, auch wenig Spaß.



 

In einer Kneipe werde ich hier allerdings veräppelt. Auf meiner Rechnung steht nur mein Essen, den Betrag für das Wasser nennt der Kellner mir mündlich. Ich bin ziemlich sicher, dass ich lauwarmes Leitungswasser statt des bestellten Mineralwassers mit Sprudel bekommen habe und der Kellner die 8 Zloty an der Kasse vorbei seinem Trinkgeld zugeführt hat, aber egal, das Essen war sehr gut.

Ich hole Idefix ab und roller nochmals zum Wawel um die Kathedrale zu besichtigen. Wieder darf Idefix nicht rein. Der gestrenge Wächter pfeift ihn unerbittlich zurück. Mich sticht der Hafer und ich beginne erneut eine Diskussion, dass Idefix kein Fahrrad sei. Das scheint gar nicht gut für den Blutdruck des gestrengen Wächters zu sein, und bevor ich riskiere erschossen zu werden oder ihm der Kopf platzt, binde ich Idefix lieber wieder an ein Metallgeländer.

Es ist viel los, vorwiegend Schulklassen von Grundschülern wuseln herum, aber auch ein paar Reisegruppen. Hier möchte ich nicht Lehrerin sein und ständig rote, weiße oder gelbe Kappen zurückpfeifen müssen.

Die Kathedrale gefällt mir übrigens gar nicht, auch wenn sie hoch gelobt wird. Sie hat kein durchgehendes Kirchenschiff, sondern ist ziemlich verbaut durch Unterteilungen. Mit den vielen Leuten bekomme ich fast Platzangst. Genervt mache ich mal wieder etwas unkommentiert bleibend Verbotenes. Ich winde mich um eine Absperrung herum und verlasse das Gotteshaus auf kürzestem Weg. Puuuuuh, bin wieder in Freiheit!



 

Runter geht es in Schussfahrt auf den Rynek. Ich will die Underground Tour besuchen und Krakau von unten besichtigen, finde sie aber nicht. Na, macht nichts. Ohnehin steht im Reiseführer, dass man die Tickets vorreservieren soll. Sicher ist es da deutlich kühler als hier, aber ein Eis tut seinen Dienst auch sehr schön.

Dafür gehe ich in die Marienkirche, die deutlich hübscher ist als die Kathedrale.





 
 




 



Nun ist es etwa 16 Uhr. Das Collegium Maius kenne ich noch nicht, das Universitätsviertel. Also los. Hübsche rote Backsteinbauten und eine ruhige Atmosphäre gibt es hier, besonders im schattigen Professorengarten.



 

Und nun? Ich erinnere mich an einen Flyer, den ein höflicher junger Mann mir heute Mittag in Kazimierz in die Hand gedrückt hat. Er preist Klezmermusik in der Isaak-Synagoge an. Ich krame ihn heraus und stelle fest, dass es gut passt mit dem Beginn um 18 Uhr, wenn ich über die begrünte Promenade rollere, die die Altstadt umgibt.

Das Konzert ist klasse. Die nicht einmal 40 Hände, die sich hier versammelt haben, spenden eifrig Applaus, und die Musiker haben ihn verdient.





Ich suche mir eines der nahen Restaurants und esse zu Abend. Heute trinke ich koscheren Wein zum Essen, irgendwie verführt Polen schon sehr zum Trinken, aber der Wein passt so schön zum Essen und der Stimmung und dem schönen Sommerabend.

Ich werde wie so oft ausgesprochen nett und höflich behandelt, ganz ohne dieses angestrengte "ich besinne mich ganz korrekt auf meine Manieren" so vieler deutscher Servicekräfte, aber ich habe heute ja auch schon eine andere Variante erlebt.

Ziemlich früh bin ich wieder im Zimmer. Der Tag war voll genug und durch die Hitze anstrengend. Heute entscheide ich mich für die Klimaanlage statt für das geöffnete Fenster.

Thalbadar

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Mensch, da sind ja tolle Bilder dabei, super!

Zitat
Ich gebe zu, ich habe ein wenig mit Polen gefremdelt. Zu viele Vorurteile im Kopf über Shoppingtouren von Deutschen eines gewissen Schlages knapp über die Grenze um Billigkram zu kaufen und zwei sehr kurze Eindrücke bei bisher zwei Hüpfern über die Grenze, jeweils schon vor vielen Jahren. Zu viele Vorurteile im Kopf zu bestimmten Typen, die ich zu sehen erwartet habe, zu viele Vorurteile im Kopf zu Relikten aus dem Sozialismus. Aber ich werde konsequent angenehm überrascht seit ich angekommen bin.

Das ging mir auch oft so, hatte sich aber immer schnell erledigt, wenn man mal vor Ort war.


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Ich bin echt froh, dass ich dort gewesen bin - wurde ja auch mal Zeit!

OK, als ich inNiedersachsen und später in Nordrhein-Westfalen gelebt habe, bin ich auch nicht permanent in die Niederlande gefahren, aber so alle paar Jahre hatte ich schon einen Ausflug gemacht...

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DI, 10.6.2014: Salzbergwerk Wieliczka und Krakau

Ich breche auf zur etwa halbstündigen Fahrt zum Salzbergwerk in Wieliczka. Es wird in jedem Reiseführer und auf etlichen Internetseiten als ein absolutes Highlight Krakaus vorgestellt, und die Bilder der unterirdischen Kirche faszinieren mich schon.

Der Ort ist schnell gefunden, und hier tobt der Bär. Besichtigung geht nur mit Führung, die nächste in englischer Sprache startet in einer guten halben Stunde. Na ja, klar, dass man durch ein Bergwerk nicht auf eigene Faust spazieren darf. Angeblich verläuft man sich hier sehr schnell in den 250 km unterirdischer Gänge.

Das Bergwerk wird für Heilbehandlungen der Atemwege benutzt, und außer der allgemeinen Touristentour gibt es noch eine Art Abenteuertour, bei der man sich selbst als Bergmann ausprobieren kann.

Die Zeit reicht gerade noch um mich im netten Kurort Wieliczka nach einer Kleinigkeit zu essen umzusehen, denn wie immer habe ich nicht gefrühstückt. in einem Land, in dem es eine komplette große Mahlzeit ab etwa 5 Euro gibt, muss ich nicht das Dreifache für ein Frühstück im Hotel ausgeben.

Ein Hefeteilchen und ein Trinkjoghurt aus einem "Delikatessenladen", der aussieht, als sei er seit mindestens den 70er Jahren bereits ein Intershop gewesen (gab es so etwas eigentlich in Polen?) lasse ich als ausreichendes Frühstück durchgehen.



 

Dann wird es Zeit sich bei schon etwa 30 Grad in die Schlange zu stellen.



Es geht los, zunächst 60 Meter zu Fuß in die Tiefe, wohltuend ohne die vielen aus USA-Urlauben gewohnten Instruktionen, dass man Wasser und eine Jacke mitnehmen soll, die nächste Toilette erst nach einer Stunde erreichbar ist, dass es steil oder rutschig sein könnte, wie man sich bei einem Panikanfall verhalten sollte und dass man selbst schuld ist, wenn man stirbt etc.

Lediglich eine beunruhigende Nachricht hält man für die geneigte Gästeschar bereit: Der Rundgang wird 3 oder 3,5 Stunden dauern. Schluck! Zum Glück habe ich Kekse aus dem Delikatessenladen und einen halben Liter Wasser dabei. Ich male mir aus, wie der Weg durch die Stollen von verendeten Touristen gesäumt ist, die es nicht mehr bis zum Ausgang geschafft haben und an Hunger verstorben sind. Und eine gute Nachricht gibt es: Der Kreislauf wird bei 14 bis 16 Grad von der Sommerhitze entlastet werden. Ich greife prophylaktisch nach meiner Strickjacke.

Eine endlos scheinende Wanderung beginnt, die eigentlich nur 2,5 km lang ist - noch ein Stollen und noch 'ne Treppe. Immer wieder bleiben wir stehen, entweder weil die Kindergartenkinder in der Gruppe vor uns ihre Erklärungen noch nicht bekommen haben oder weil wir nun dran sind damit erklärt zu bekommen, dass auch Kopernikus vor über 500 Jahren schon hier war.

Und übrigens: Goethe war auch schon hier, allerdings erst ein paar Jahre nach Kopernikus.



 

Die unterirdische Kirche ist wirklich beeindruckend. Alles hier ist aus Salz gemacht, vom Boden, der wie gefliest aussieht, bis zum Kronleuchter. Außerdem bietet man dem Gast hier eine nachgemachte Methangas-Explosion, den üblichen unterirdischen Salzsee bei Musik von Chopin und eine ziemlich abgefahrene Lightshow.









   

Ich schaue heimlich immer wieder auf die Uhr. Langatmigkeit ist immer noch nicht mein Ding. Und zwischen Leuten gefangen zu sein ohne weg zu können auch nicht. Ich sollte es doch endlich mal gelernt haben, dass Bergwerke und Höhlen sowieso generell nicht mein Ding sind. Kennst du eine, kennst du alle, zumindest da, wo es so nett aufbereitet ist, dass der geringste Hauch von Abenteuer fehlt. So denke ich zumindest, während der gerade in den Medien aktuelle "Höhlenforscher" immer noch nicht weiß, ob und wann er aus der weniger nett aufbereiteten Riesending-Höhle gerettet werden kann.

Nach "schon" zwei Stunden ist die Führung beendet, und weitere 5 Minuten braucht die nette junge Dame bis sie den Weg zum Ausgang erklärt hat. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich schon raus bin aus der Nummer, denn bis ich beim Aufzug bin (ja, hoch kann man fahren) und der Aufzug mich ans Tageslicht befördert hat, vergeht noch eine weitere halbe Stunde des Rumstehens zwischen irgendwelchen Leuten.

Beim Verlassen des Parkplatzes weist mich der Parkwächter darauf hin, dass man in Polen auch bei Tag mit Licht fahren muss. Hm, das hätte ich eigentlich wissen oder aber bemerken können.

Etwas genervt fahre ich zurück nach Krakau. Den im Reiseführer angepriesenen Aussichtspunkt finde ich nicht und bin noch genervter.

Ich mache mich auf ins Hotel, aber eigentlich nur um das Auto abzustellen, schnappe mir Idefix und auf geht es in die Stadt. Zwar habe ich keine Lust auf Museum, aber ein bisschen herumsitzen und bei einem Salat und einem kalten Cola Leute gucken, das ist perfekt.

Der Himmel wird immer dunkler und bedrohlicher, und als die ersten Tropfen fallen, bin ich so gerade rechtzeitig in der Galeria Krakow. Bei einer Cinnamon Roll ist Krakau aber selbst bei einem Wolkenbruch schön. Zu kaufen gibt es hier vieles, aber nichts Besonderes, was es nicht auch in Deutschland gäbe. Und so breche ich wieder auf, als ich bemerke, dass der Himmel sich wieder aufgehellt hat und der eine oder andere Sonnenstrahl durch das gläserne Dach der Mall dringt.



Nun nehme ich noch einmal den Besuch des Kopiec kosciuszki in Angriff gemeinsam mit Idefix. Es geht erst durch eine einfache, dann durch eine hübsche Wohngegend, dann einen netten, aber leider steilen Weg am Hang hoch. Idefix muss geschoben werden, hier kann man nicht rollern, das ist bergauf zu anstrengend. Idefix flirtet immer wieder mit netten Polen, die ihn offenbar loben. Leider verstehen wir kein Wort und können nur nett zurücklächeln.

Der Ausblick reicht weit in die Ferne, aber wie immer bei solchen Ausblicken ist auch dieser eigentlich nicht fotografierenswert.





 

Zurück nehme ich eine andere Strecke, es geht einen recht steilen Pfad runter. Obwohl Idefix als "Kostka Hill cross" eigentlich fürs Downhillfahren gemacht ist, überlasse ich das den Mountainbikern, die hier unterwegs sind und steige erst wieder auf, als es über einen breiten und glatten Radweg entlang des Blonia weiter geht, eine riesige Wiese, die von Skatern, Läufern, Radfahrern, Idefix und mir umrundet wird.



Ich habe noch keine Lust auf Hotel und setze mich auf zwei Cocktails und ein paar Piroggen in eine der vielen Kneipen am Rynek, wo eine Band Livemusik macht. Dank des auch hier freien WIFI habe ich genug Unterhaltung, kann für morgen planen und ein paar Fotos hochladen, so halte ich es hier lange aus.

Zum Abschied gibt es noch ein paar Nachtbilder einer wirklich schönen Stadt mit Flair.








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MI, 11.6.2014: Zwischenstopp in Warschau

Heute mache ich mich auf in Richtung Norden. Ich habe mich so ziemlich auf spätes Schlafen eingependelt und werde heute nur höchst unfreiwillig und mit Wecker wach.

Ich halte mich aber ran und bin trotzdem gegen 9 Uhr auf der Strecke nach Warschau. Irgendwann noch im Stadtgebiet Krakaus empfiehlt die Navi mir für 182 km oder so geradeaus zu fahren. Au weia. Ich korrigiere meine interne Ankunftszeit und beschließe, diese von 13 Uhr auf etwa 17 Uhr zu verschieben.

Indische Fahrweise ist hier stellenweise angesagt. So gelassen und höflich die Männer hier auch normalerweise sind, so sehr üben sie das Recht des Stärkeren aus, wenn man ihnen nur eine Karre gibt, die groß genug ist. So ist mir schon auf der Fahrt nach Breslau jemand aufgefallen, der auf der Autobahn so dicht hinter mir war, als würde er gerade einparken. Und hier ohne Linksabbiegerspuren, mit Traktoren auf der Straße, streckenweise sehr schlechter ausgefahrener Straße und nur raren Überholspuren, ist das vielleicht sogar angesagt, wenn man einigermaßen vorwärts kommen will.

Es geht durch liebliche wellige Landschaften mit viel rotem Mohn auf den Feldern und auch gelben, weißen und blauen Farbtupfern zwischendurch im satten Grün, so weit das Auge reicht.

Auf halber Strecke wird es landschaftlich weniger ansehnlich, dafür wird die Straße besser, sodass ich fast pünktlich, wie von der Navi vorhergesagt, doch nach gut vier Stunden die knapp 300 Kilometer hinter mich gebracht habe. Die Parkplatzssuche gestaltet sich mühsam, dieses Hotel hat keinen Parkplatz, aber ich finde relativ schnell eine Parklücke und kann den Automaten auch gleich mit Geld bis morgen zur Abfahrt füttern.

Die DaSilva Apartments liegen zentral in der Nähe des Kulturpalastes, sind aber bei weitem nicht so schön wie das Galaxy in Krakau, dafür aber teurer.

Nun aber fix in die Stadt, ich habe hier schließlich nur den einen Nachmittag. Idefix braucht auch noch seinen heutigen Auslauf...

Während Krakau sich klassisch gibt und viel "gute alte Zeit" und Mahnmal an die schlechten Zeiten vermittelt, präsentiert sich Warschau modern und aufstrebend. Es bleibt der Stadt auch nicht viel Anderes übrig, denn auch in der Innenstadt sind noch etliche sozialistische Relikte vorhanden, die vor der Wende für "Hauptstadtatmosphäre" sorgten und nicht gerade mit Beschaulichkeit assoziiert werden. Es gibt aber auch sehr moderne neue Gebäude, und das Alte ist wieder aufgebaut in der Altstadt, denn Warschau ist im Krieg sehr stark zerstört worden. Die Gegend um den Kulturpalast erinnert von der Atmosphäre her ein wenig an Chemnitz.



Über die belebte Nowy Swiat rollere ich in die Altstadt. Hier sind viele Lädchen, Kneipen, alles frisch und modern anzusehen. Und auch hier gibt es wieder Kopernikus.

Warschau gibt sich wirklich Mühe, an allen möglichen Ecken sind Ausstellungen zur Stadtgeschichte, und auch hier gibt es freies WIFI in der Stadt.







   

Aus Zeitgründen entscheide ich mich gegen jede Innenbesichtigung und sehe mir nur ein bisschen den Palast, den Stare Miasto und Nowe Miasto an, die Seejungfrau, das Wahrzeichen der Stadt. Komisch, was hat die denn hier verloren, hier ist doch weit und breit kein Meer?



 



 

Ich rollere weiter in das Viertel, in dem früher das Ghetto war. Alt ist hier gar nichts mehr, bzw. ist das, was nach dem Krieg hier aufgebaut wurde, nun auch schon wieder altmodisch. Das Viertel ist gesichtslos. Dennoch erinnern einige Stellen an die Geschichte dieses Stadtteils: Das neue Museum zur Geschichte der polnischen Juden, direkt daneben die Gedenktafel für den Kniefall Willy Brandts und das Denkmal am Umschlagplatz, von dem aus die Juden der Stadt nach Treblinka verbracht wurden.





   

Es geht wieder zurück. Mir ist flau und ich bin müde. Ich habe heute im Grunde noch keine richtige Mahlzeit gehabt und außerdem wohl bei den immer noch ziemlich heißen Temperaturen zu wenig getrunken. Ich kann heute irgendwie keine Piroggen und kein Fleisch sehen und entscheide mich für einen Italiener, der einen Spinatsalat mit Gorgonzola, Walnuss und Birne für mich hat und etwas fade Spaghetti mit Meeresfrüchten und viel Coke zero.

Mit frischer Kraft rollere ich auf die andere Seite der Weichsel, hier soll ein Viertel im Kommen sein, das ich noch kurz ansehen will.

Zuerst komme ich an der wirklich sehr fantasievoll und toll gemachten Unibibliothek vorbei, die ich erst für das Kopernikusmuseum halte, das ich noch zumindest von außen ablichten will. Die Unibibliothek in der ungewöhnlich angelegten Grünanlage gewinnt ganz eindeutig gegen das Museum, das so innovativ und toll sein soll.



 



Aber die Ecke, die so angesagt sein soll, verbirgt sich wieder mal geschickt vor mir. Hier ist es nun wirklich eher wie Marzahn light, und hier scheint viel getrunken zu werden. Dafür sehe ich auf einem nach Lenin benannten Platz ohne Ausgang das Pendant zum Chemnitzer "Nischel" und bin beruhigt ob so viel vom Eindruck her Vertrautem. Also alles passt zusammen.



Entgegen aller Unkerei gefällt es mir in Warschau gut, die Stadt strahlt Innovation und Moderne aus. Die ganz alte Zeit, der Sozialismus und die Moderne prägen das Stadtbild. Aber so ist es bei einem Menschen ja auch und macht dessen Unverwechselbarkeit aus, nämlich dass man ihm ansieht, dass er schon viel erlebt hat. Allerdings muss man schon ein wenig ein Faible haben für das Erbe der Zeit von 1945 bis 1989.

Ich bin immer noch KO und entscheide mich für das Hotelzimmer, den Reisebericht und das Sichten der Fotos. Für heute habe ich genug erlebt, und morgen geht es ja schon weiter.

Der Fernseher läuft nicht mehr lange. Übrigens gibt es hier in jedem Hotel bisher mindestens einen deutschen Sender, und wenn es "nur" der KIKA ist. Hier allerdings haben ZDF und 3SAT leider nur den Ton, nicht aber das Bild. Ich stelle also  um auf einen polnischen Sender. Sehr merkwürdig, amerikanische Spielfilme laufen im Original, aber ein männlicher Sprecher übersetzt wie ein Simultandolmetscher jeden Satz, völlig emotionslos. Dabei geht viel der Atmosphäre der Filme verloren. Ich glaube, dann hätte ich doch lieber das Original mit Untertiteln.

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DO, 12.6.2014: Auf Omas Spuren in die Masuren

Heute ist wieder ein Ortswechsel angesagt, nach den vielen Städten wird es nun ländlich und es gibt viel Wasser zu sehen. Es geht in die Masuren.

Die Straße Nr. 7 ist wieder eine Mischung aus normaler Landstraße und Kraftfahrstraße. Es geht in ähnlichem Tempo vorwärts wie gestern, aber es wird viel schneller ländlich als gestern beim Verlassen von Krakau. Das heißt, die Straßen werden leerer und schmaler.

Etwa eine Stunde hinter Warschau sehe ich das erste Storchennest. Ich bin so baff, dass ich gar nicht daran denke für ein Foto zu halten, zumal das auch gar nicht möglich gewesen wäre an der Stelle. Aber beim zweiten Storchennest bin ich auf Zack und kann auch tatsächlich halten.



Mein erster Halt heute ist Neidenburg, das heute Nidzica heißt. Denn hier in der Nähe, in Gregersdorf, das heute Grzegorzky heißt, ist vor etwa 100 Jahren meine Oma aufgewachsen. Bei der Anfahrt nach Gregersdorf höre ich in mich hinein, aber es klingelt nichts so wirklich, obwohl ich doch hier eigentlich vielleicht sogar noch Verwandtschaft habe, denn was aus den vielen Geschwistern der Oma geworden ist - außer Tante Mimi kenne ich niemanden der insgesamt noch 11 Geschwister - weiß ich nicht. Sind hier wirklich alle Deutschen vertrieben worden? Die Oma ging irgendwann noch weit vor dem Krieg nach Dortmund, wo Tante Mimi schon lebte, lernte als OP-Schwester meinen Opa kennen ("ach er hat nur so wenig Äther gebraucht für die Narkose, er trinkt bestimmt nicht") und verkaufte fortan Puddingplätzchen in dessen Bäckerei.

Die kommenden Bilder sind in Gregersdorf in den 20er Jahren entstanden und zeigen sie, teilweise mit ihren Geschwistern.





 

Und das ist also der Teich, in dem sie damals gebadet hat und die Allee nach Neidenburg. Und übrigens, auch hier wohnt ein Storch.Und die wenigen Menschen, die ich in dem kleinen Dorf sehe, wundern sich bestimmt, dass ein Auto mit deutschem Kennzeichen hält und die Fahrerin etwas selbstvergessen um den Feuerlöschteich spaziert und Fotos knipst.




 




Ich vergesse ganz, dass ich eigentlich auch noch in Salusken halten wollte, wo die Oma geboren wurde, bevor die Familie nach Gregersdorf umsiedelte.

Ob die Oma die Heimat vermisst hat? Ich weiß es nicht. Sie hat nie viel davon erzählt und gehört ja auch nicht zu den Vertriebenen, da sie ja schon Jahre vor dem Krieg höchst freiwillig die Heimat verlassen hat, konnte aber ja auch viele Jahre nicht mehr hinfahren. Nun kann ich sie nicht mehr fragen, schon vor mehr als 10 Jahren starb sie mit weit über 90 Jahren.

Mich hat es auch nach dem Abi weggetrieben aus der provinziell wirkenden Heimat, mittlerweile würde ich eine Gelegenheit wieder in meinem schönen Norden zu leben, ernsthaft in Betracht ziehen. Es geht nichts über Vertrautes und das Erinnertwerden an die eigenen Wurzeln, aber das ist eine Erkenntnis, die mir sicher nicht gekommen wäre, hätte ich nicht etwa die Hälfte meines Lebens in Orten verbracht, mit denen mich kaum etwas verbindet.

Ich fahre weiter und beschließe in Olsztyn Mittag zu machen. Die kleine Universitätsstadt ist friedlich und nett, es gibt herrliche Kartoffelpuffer auf Salat mit Lachs für einen Spottpreis, und das nur noch 134 km von Kaliningrad entfernt. Wahnsinn, wenn ich wollte, könnte ich in zwei Stunden in Russland sein. OK, "Königsberg" klingt natürlich nicht ganz so weit weg wie "Kaliningrad".

Ich will aber nicht, obwohl ich auf der Weiterfahrt sehr darüber nachdenke, den noch verbleibenden Abschnitt von nur etwa 20 km noch eben zu fahren. Aber wer weiß, was es dort zu sehen gibt, google maps zeigt keine ordentliche Straße an und da das Wetter nach einem etwas gemächlichen Start doch noch strahlend geworden ist, möchte ich Nikolaiken gerne nicht so spät erreichen.

Hier ist es wunderschön. Ewig weit geht es über Alleen durch saftig grünes, etwas welliges Land. Immer wieder mal blitzt ein See, ein Teich, ein Sumpf im Licht. Die Storchennester haben beim Mitzählen nun locker schon ein Dutzend erreicht, und auch auf den Wiesen staksen pflichtbewusste Eltern herum und suchen den saftigsten Frosch für die Kleinen auf dem Schornstein. Was haben die eigentlich gemacht, als man Nester noch nicht auf Schornsteinen und Strommasten bauen konnte?









   
 
Ich fahre aber noch den Umweg über Mauerwald um die Bunkeranlage anzusehen. Irgendwie wirkt das merkwürdig, fast als wäre es kein Mahnmal, sondern ein heimliches Ehrenmal. Militaristisches Spielzeug wird verkauft, so richtig schlau werde ich hieraus nicht. Hier war das Hauptquartier bei der Planung des Feldzuges des deutschen Heeres gegen die Russen, aber es ist auch der Ort, an den man zumindest denken muss, wenn es um die Suche nach dem Bernsteinzimmer geht.

Es ist nass und kalt und unheimlich in der Bunkeranlage, sodass ich froh bin, als ich wieder raus bin.


 


Auf dem weiteren Weg nach Nikolaiken komme ich eher durch Zufall auch noch an der Wolfsschanze vorbei. Und wenn ich schon mal da bin, sehe ich mir die Anlage auch noch an. Es gibt nicht allzu viel zu sehen, eben 70 Jahre alte mittlerweile bemooste Ruinen. Aber interessant ist es schon zu sehen, welche Bastionen sich der Wahnsinnige geschaffen hat, mit Kino und Hotel für hohe Offiziere. Und dieses ist auch der Ort, an dem Stauffenbergs Attentat auf Hitler leider gescheitert ist.

Und die Polen scheinen ein irgendwie entspanntes Verhältnis zur deutschen Vergangenheit zu haben. Zwar weht die polnische Flagge über allem, aber man kann nostalgisch verklärend sich zu etwas weiter entfernten Stellen der Anlage stilecht mit Militärfahrzeugen fahren lassen.



 



Das Licht ist inzwischen spätnachmittäglich golden geworden. Noch etwa eine Stunde Fahrt bis Nikolaiken liegt vor mir. Weiter geht es über Alleen, die zum Glück nicht alle Kopfsteinpflaster haben.

Das Hotel Santa Monica ist offenbar ganz neu renoviert. Alles ist sauber und gut in Schuss, alles riecht noch neu. Ansonsten ist das Hotel wohl eher ein Familienhotel, wird offenbar auch viel von Reisegruppen genutzt. Es ist völlig OK, wenn man mit der durch Gruppen entstehenden stoßartigen Überfüllung und dem damit verbundenen Lärmpegel leben kann und mit 45 Euro pro Nacht sehr günstig. Es liegt super zentral, sodass man zu Fuß mit nur ein paar Schritten essen gehen und zum Bootsanleger gehen kann. Ich bin zufrieden.

Nikolaiken ist ganz nett, aber unspektakulär. Es liegt sehr schön an einem der großen masurischen Seen. Nun kommt auch Idefix zum Einsatz. Leider entdecken wir keinen Weg, auf dem wir uns noch so richtig austoben können, aber wir rollern ein bisschen hin und her durch die Kleinstadt und machen ein paar Bilder. Ich hoffe, das Wetter hält sich morgen, denn ich will mit dem Schiff fahren. Gleich muss ich aber unbedingt auch mal Schlechtwetteralternativen recherchieren, leider soll es nämlich morgen zumindest am Nachmittag regnen. Vielleicht gibt es ja in der Nähe ein nettes Wellnessbad...














Hinkypunk

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Jetzt bin ich auch noch schnell hinterher gereist. Ich komme ursprünglich aus Zittau, Sachsen, und hatte somit 18 Jahre lang Polen direkt vor der Nase. Für einen richtigen Urlaub dort (mal abgesehen von kleinen Ausflügen hier und da) hat es trotzdem nicht gereicht... Aber deine Bilder machen auf jeden Fall Lust drauf! Mal sehen, vielleicht klappt das ja nochmal.

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FR, 13.6.2014: Auf dem Schiff durch die Masuren

Heute ist in der Hotelrate das Frühstück mit eingeschlossen. Es ist für meinen Geschmack nicht aufregend, aber der Kaffee ist gut, und Apfelpfannkuchen zum Frühstück sind nicht zu verachten.

Gestern habe ich noch herausgefunden, dass die Ausflugsschiffe um 10.30 Uhr ablegen. Kurz vor 10 Uhr stehe ich am Anleger und erfahre, dass es eine insgesamt etwa sechs Stunden dauernde Tour gibt mit einer Stunde Aufenthalt im Zielort. Es braucht dazu aber mindestens acht Passagiere, und derzeit sind wir erst sieben. Zum Glück finden sich noch ein paar potenzielle Seefahrer, und so legt das Schiff pünktlich um 10.30 Uhr mit etwa 15 Passagieren ab, nachdem eine rabenschwarze Katze, die sich auf das Schiff verirrt hatte, wieder runterkomplimentiert wurde. Das wäre auch buchstäblich ein Schwarzfahrer gewesen!

Übrigens muss ich feststellen, dass es hier weiter im Norden nicht soooo gut bestellt ist um die Fremdsprachenkenntnisse der Menschen, aber der Bootsbespaßer spricht gut Deutsch.

Nun ja, man passt sich den Landessitten an, und als der Bespaßer herumgeht mit einem Tablett mit verschiedenen Wodkaarten, entscheide ich mich für einen likörartigen Wodka wegen der netten gelben Farbe. Nastrowje!



Bisher regnet es noch nicht. Ich glaube, das Wetter wird im Wetterbericht immer beschrieben als "wechselnd bewölkt", es sorgt für interessante Lichteffekte, wenn es Wasser und Ufer teilweise beleuchtet.

Zunächst geht es über einen großen See, da ist es ganz schön zugig. Dann biegt das Schiff in einen der Kanäle ab, die die vielen Seen miteinander verbinden.

Meine Güte, wie viele Boote es hier gibt. Und zwischen allem treiben Biber ihr Unwesen und bauen ganz schön große Bibervillen!













     



Gizycko ist unspektakulär. Westlich der Innenstadt ist ein Fort, schließlich sind wir hier für fast 1,5 Stunden. Das Fort ist aber für einen Ultrakurzbesuch nicht geeignet. Das Gelände ist etwas unübersichtlich und bietet wenig, unter dem man sich auf Anhieb etwas vorstellen kann.





   

Ziemlich schnell mache ich mich auf den Weg zurück zum Schiff. Weil das Frühstück immerhin schon mehr als fünf Stunden her ist, brauche ich noch dringend eine Portion Pommes und eine Cola auf die Hand, und kaum sind die verspeist, sehe ich einen der vielen Eis- und Waffelstände. Beide Verkäufer sind jung und ausgesprochen nett und sprechen sehr weltgewandtes Englisch.

Auf der Rückfahrt bin ich müde, außerdem ist es sehr trüb, und es regnet immer wieder ein bisschen. Es ist kalt geworden. Ich döse unter Deck im Warmen ein bisschen vor mich hin und verbringe einige Kilometer mit der Frage danach, warum Segler eigentlich immer oben herum Westen und Mützen tragen, aber immer kurze Hosen dazu. Den Rest der Zeit vergnüge mich mit dem Buch "How to be a German in 50 easy Steps" von Adam Fletcher, einem Briten. Ich finde es echt lustig, wie wir aus der Sicht eines Briten wahrgenommen werden. Wir kommen gar nicht so schlecht dabei weg. Mit etwas Erleichterung stelle ich jedoch fest, dass ich in einigen wesentlichen Punkten nicht "typisch deutsch" bin, in anderen allerdings schon.

Wieder angekommen nach dem dann schließlich siebenstündigen Ausflug schnappe ich mir Idefix um zu einem Natutrschutzgebiet mit See zu rollern, aber ich habe kein Glück, ist eben Freitag, der Dreizehnte. Da, wo der Trail zum See beginnt, ist alles noch in Ordnung und Idefix hat seinen Spaß daran über diesen Pfad zu huppeln, was erstaunlich gut geht. Aber irgendwann kommt jede Menge Matsch, für den meine Schuhe nicht gemacht sind. Ich entscheide mich für die Schuhe und gegen die Vögel und roller wieder zurück und noch etwas weiter über die Straße, doch der dortige Aussichtsturm ist wegen Renovierung geschlossen. Frech steige ich über den Zaun, vielleicht gibt es ja doch etwas zu sehen? Aber aus dem hölzernen Turm sind bereits die Stufen herausgebrochen, das traue ich mich dann doch nicht.











 

Nun ja, war trotzdem ein netter Ausflug vorbei an Kornblumen und Mohn. Ich setze mich an den Yachthafen und esse Fisch. Ich bin heute irgendwie KO, obwohl ich den ganzen Tag eigentlich gar nichts aktiv gemacht habe. Ich glaube, heute wird der Abend nicht sehr lang.


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SA, 14.6.2014: Zwischenstopp in Danzig

Heute sollte es eigentlich nach Elblag gehen. Eigentlich wollte ich dort diese coole Tour mitmachen auf dem Elblag-Ostroda-Kanal, wo das Schiff bei Höhenunterschieden nicht durch eine Schleuse transportiert wird, sondern durch eine Art Seilzugsystem auf Schienen hoch gezogen wird. Leider wird das wohl nichts werden. Im Reiseführer ist zwar darüber zu lesen, aber bei meiner Internetrecherche bin ich auf keine offizielle Seite gestoßen, die etwas zu Abfahrtzeiten und Preisen sagt.

Also ist der Plan am Abfahrtsort Elblag nach Infos und Tickets zu schauen. Der Grund, dass ich nichts gefunden habe: Das Ding wird seit 2012 renoviert, diese Info habe ich erst vorgestern gefunden. Zwar wusste ich, dass eine Überholung der gesamten Anlage ansteht, aber weil diese Info eben schon ein paar Jahre alt war, dachte ich, das ist Geschichte. Tja, wäre nett gewesen, diese Info der Website des Betreibers entnehmen zu können...

Aber na gut, dann besichtige ich eben noch die Burg in Malbork und fahre dann noch ans frische Haff, storniere das Hotel in Elblag - das geht zum Glück noch -  und fahre heute noch nach Danzig weiter. Wer weiß, vielleicht stehe ich dann heute doch noch vor der Grenze Russlands und werde sie illegal mit einem Fuß übertreten...

Gesagt - getan. Schon früh bin ich unterwegs. Ich habe viel vor, werde mich aber sicher an den einzelnen Orten nicht sehr lange aufhalten, denn es ist Sauwetter angesagt.

Störche und Mohnblumen begleiten mich auch heute, grüne Wiesen, ein paar Kühe und Seen. Letztere werden im Laufe des Tages allerdings immer seltener.

Zuerst stehe ich dann tatsächlich vor der Grenze der EU, diese paar Kilometer Umweg habe ich mir leisten wollen. Trostlos ist es hier irgendwie, schon wegen des Wetters. Ein paar Kilometer weiter liegt Königsberg, heute Kaliningrad. Und so sieht sie heute aus, die erste richtige Grenze, an die ich seit Jahren gestoßen bin, außer bei der Immigration bei Einreisen auf dem Luftweg in andere Länder natürlich.



Zunächst ist es nur bewölkt, dann beginnt es zu gießen, pünktlich mit dem Erreichen von Frobork. Hier wollte ich eigentlich die als nett beschriebene Stadt mit der Burg besichtigen und die ersten Piroggen des Tages mit Blick auf die Ostsee genießen.

Aber nix da, statt dessen gehe ich in dem kleinen Örtchen lustlos auf und ab. Das Wetter wirkt sich immer sehr auf meine Stimmung aus, und bei diesem Wetter sind zudem sämtliche Buden verrammelt und verriegelt, die sonst Eis und Souvenirs verkaufen. Lediglich das immer wieder in jedem Ort zu findende Kopernikus-Denkmal harrt tapfer im Regen aus. Somit ist mein Aufenthalt nicht sehr lang. Auf die Burg an sich habe ich keine Lust, denn heute steht immer noch Malbork an.



Das Thermometer im Auto zeigt über die gesamte Fahrt 10 bis 12 Grad an, oft nieselt oder gießt es, es ist windig und fröstelig. Aber in der Burg in Malbork hat sich die Wärme der letzten Tage offenbar noch gehalten, hier ist es so warm, dass ich fast glaube, die Heizung läuft.

Ich habe irgendwie die Stelle verpasst, an der die Audioguides ausgegeben werden, die Erklärungen sind nur auf polnisch. Insofern bleibt der Fantasie überlassen mir zusammenzureimen, was es denn hier zu sehen gibt. Imposant finde ich den großen Rittersaal mt den langen Tischen, und auffällig finde ich, dass die integrierte Kathedrale (noch) nicht saniert ist. Ich hoffe, sie soll so bleiben, irgendwie ist sie so etwas Besonderes und hebt sich von den ganzen schmucken Kirchen ab in den anderen Burganlagen.









 





     

bis Danzig ist es nur noch eine Stunde. Es ist erstaunlich leer in der Stadt und ich bin schnell am Hotel Best Western Bonum. Auch das ist sehr schön: Ein kleines schnuckeliges Zimmer, tip top in Ordnung hinter der Fassade eines alten Stadthauses.

Ich breche auf zu einer ersten Erkundung. Morgen, wenn der vorausgesagte Sonnenschein eingetroffen ist, rollere ich nochmals los. Ich weiß im Moment nicht so recht, was ich von Danzig halte. Die Stadt wirkt nicht so sehr wie "Schmuckstück" wie Krakau. Vieles scheint nur notdürftig saniert. Fehlt der Stadt das Geld? Oder bin ich so übersättigt von bunten Häusern um schöne Plätze herum? Oder ist das hier einfach eine Stadt, die lebt und in der gearbeitet wird, und es fällt einfach mehr auf als in Krakaus Zentrum?

Aber gerade das finde ich sehr angenehm, dass man der Stadt ihre Geschichte ansieht, von der wuchtigen Marienkirche, den Speichern am Wasser und dem alten Gebäude der LOT, in dem heute ein Rossmann ist bis zu den Plattenbauten mit Wohnungen im Hintergrund und modernen glitzernden Gebäuden des neuen Jahrtausends ist hier alles dabei, jede Epoche. Hier wurde und wird halt gelebt, die Stadt ist kein Museum.









   





   

Danzig ist eine Bernsteinstadt. Es gibt etliche mehr oder weniger geschmackvolle Souvenirs daraus. Es gibt Restaurants und Lokale ohne Ende, eine Prachtstraße und eine Promenade am Fluss. Und auch hier in der Stadt übrigens überall wieder freies WIFI. Und Danzig setzt noch einen drauf. Viele Sehenswürdigkeiten sind mit einem QR-Code verbunden, sodass man über eine App auch gleich nachlesen kann, was es hier zu sehen gibt.













     

Leider gießt es immer wieder, zum Glück nicht mehr so stark wie in Frobork. Ich freue mich auf eine nochmalige Tour morgen bei Sonne und auf drei Tage in Zoppot bei wieder besserem Wetter. Heute brauchten Idefix und ich den Schirm, auch wenn man mit dem Schirm in der Hand nicht Roller fahren kann.



Die vielen Brautpaare in Polen, die wirklich auffällig häufig zu sehen sind, hält das Wetter auch hier nicht vom Heiraten ab. Na ja, irgendwie müssen ja die vielen Störche hier ihre Daseinsberechtigung haben...


Thalbadar

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So, schnell aufgeholt, ein sehr schöner Bericht bislang mit vielen tollen Bildern! Sehr lesenswert!

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Das freut mich. Ich möchte gerne etwas "Werbung" machen für Polen, denn ich glaube, das Land wird echt unterschätzt. Und dabei ist es doch so leicht zu erreichen, wenn man nicht gerade ganz tief im Westen lebt...

mlu

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Wow, der Fotograf gibt ja echt alles  :lol:

Während die beiden Assistentinnen (?) einen, naja eher gelangweilten Eindruck machen. Und der Knirps im Vordergrund hat zuviel Christiano Ronaldo geschaut  :lol:

Sehr schöner Bericht, das macht echt Lust auf das Land.

Gruß
Micha
Man muss dem Leben immer um einen Whiskey voraus sein - Humphrey Bogart


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Sehr schöner Bericht, das macht echt Lust auf das Land.

Danke :)

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SO, 15.6.2014: Solidarnosz und nach Zoppot

Reisen schlaucht, und wie ich feststellen muss, ist ein Roadtrip nicht nur in den USA anstrengend, sondern auch in Europa. ich stelle mir den Wecker nicht, schließlich will ich heute nur noch ein bisschen Danzig ansehen und dann nur die halbe Stunde nach Zoppot fahren. Mich drängt nichts, denn sollte ich heute in Danzig etwas verpassen, kann ich ja in den nächsten Tagen nochmals wieder kommen.

Als ich nach fast 9 Stunden Schlaf aufwache, scheint die Sonne vom Himmel. Ich beschließe nochmals in die Stadt zu rollern und Danzigs Innenstadt eine Chance zu geben. Gestern war die Stadt eben eine von vielen mit bunten Häusern, aber leider in sehr ungemütlicher Atmosphäre. Und siehe da, Danzig wirkt in der strahlenden Sonne deutlich freundlicher als gestern. Ich rollere nochmals etwa den gleichen Weg ab und schieße "Vergleichsfotos".








 
Dann sitze ich in der prallen Sonne in einem Café am Wasser und frühstücke sehr lecker.

Was mir von Danzig noch fehlt, ist das Danzig, das die Solidarnosz geprägt hat. Damals 1980 war halt immer mal ein Typ mit merkwürdigem Bart im Fernsehen, bei dem die Nachrichtensprecher sich offenbar lange Zeit nicht sicher waren, wie dessen Name ausgesprochen wird, Lech Walesa. Er hat hier gewirkt. Und aus diesem Grunde gibt es eine hochinteressante Ausstellung, in der man einen kurzen Einblick bekommt in das Leben mit dem Kommunismus. Die Eintrittskarte besteht aus Bezugsmarken. Man kann dann super aufbereitete Filmdokumente verfolgen mit Gegenständen aus der jeweiligen Zeit, in der der Weg des bröckelnden Kommunismus eindrucksvoll beschrieben wird.



 

Eigentlich hätte ich es wissen müssen, aber bis heute war mir nicht so ausdrücklich bewusst, dass Polen das erste Land war, in dem der Kommunismus beendet und eine Republik gegründet wurde- und das Land ist mit Recht stolz darauf.

Man kann sich hier schon so eine gute Stunde aufhalten und dann noch ein paar Schritte weiter gehen bis zum Denkmal für die Solidarnosz und dem Museum, das dort errichtet wird, wo der Widerstand begann, das ist die ehemalige Leninwerft. Leider wird dieses Museum - oder besser gesagt, Begegnungsstätte, erst Ende August eröffnet, aber ich bin trotzdem beeindruckt.









   

Es ist wieder mal ein Ort in Polen, in dem europäische Zeitgeschichte erlebbar und lebendig wird. In Krakau war es der Holocaust, Warschau habe ich viele Jahre lang verbunden mit trockenen Berichten in den Nachrichten von "hinter dem eisernen Vorhang" in den 80ern, dass beispielsweise ein Herr namens Jaruzelski das Kriegsrecht ausgerufen habe, hier in Danzig kann ich erfahren, wie diese Phase ihr Ende nahm. Eine runde Sache, wie ich finde, und Puzzleteilchen, die für mich Geschichtsunterricht waren, oder die schon Geschichte sind, obwohl sie zu der Zeit, als ich zur Schule ging und noch Geschichtsunterricht hatte, kaum absehbar waren, fügen sich sehr bildlich und spürbar zu einem Ganzen.

Es bleibt ein Land mit einem Volk, das in der eigenen Geschichte viel herumgeschubst wurde, und das meiner bescheidenen Ansicht nach den Sprung in das jetzige System mit Bravour geschafft hat. Ich fühle mich hier sehr wohl. Hier ist man echt auf Zack, es gibt kein Gegängel, alles geht sehr leicht und locker und fix.

Und man merkt, dass es hier weiter gehen soll, dass man sich nicht auf den mittlerweile schon 25 Jahren der dritten polnischen Republik ausruhen will, sondern weiter machen will, und das vor allem ganz offensichtlich ohne zu moralisieren und so, dass man allen anderen ihren Weg lässt. und das finde ich total angenehm zu spüren bei jedem Schritt, den ich in diesem Land mache.

Und so wie in den Köpfen mancher aus Westdeutschland, die immer noch von "Dunkeldeutschland" sprechen und noch nie in den nun schon nicht mehr ganz so neuen Bundesländern waren, die Mauer noch fallen muss, so musste auch in meinem Kopf die Mauer in Bezug auf "den Ostblock" fallen, und das ist auf dieser Reise durch Kultur und Natur und Geschichte dieses Landes geschehen. Polen ist somit mal wieder ein Land, in dem etwas begann.

Ich rollere über diese Themen nachdenkend wieder zum Hotel zurück, das übrigens ziemlich genau dort liegt, wo die ersten Schüsse des zweiten Weltkrieges fielen.

Ich setze mich ins Auto und mache mich auf nach Zoppot. Hier tobt heute, an dem schönen sonnigen Sonntag, der Bär!

Zoppot ist ein sehr nettes Seebad à la Binz: Quirlig, voll, traditionell und modern, aber am Strand ist genügend Platz. Eine Bar reiht sich an das nächste Restaurant.

Es ist noch zu früh zum Einchecken, aber mein Auto darf schon am Hotel stehen. Erst gehe ich an den Strand in einem der vielen niedlichen Strandlokale die Nase in die Sonne recken und ein paar Piroggen essen. Ich gehe auf die Seebrücke, die hier übrigens Eintritt kostet. Es ist die größte Seebrücke Europas mit über 500 Metern Länge. Hier finde ich eine windgeschützte Bank und mache weiter mit Ausruhen. Das ist ja das Herrliche an der See. Man kann sie mit geschlossenen Augen genießen und muss nichts tun um mitten drin zu sein und genau das Richtige zu machen.

















   
   


Ich kann in das sehr niedliche Zimmer in der Villa Sedan einchecken und fühle mich hier gleich sehr wohl.

Ich mache mich bald wieder auf den Weg, Idefix mal das Meer zeigen. Er mag zwar keinen Strand und stellt sich im Sand äußerst störrisch an, aber die Strandpromenade gefällt ihm gut. Hier entscheiden wir uns für den breiten Radweg neben dem Fußweg.



 

So langsam ist der Tag herum. Ich schätze, auch heute werde ich wieder herrlich schlafen!