2.6. Über Addis zurück nach DeutschlandIch stehe pünktlich um 5 Uhr vor dem Hotel und genieße, dass zu so früher Stunde das WLAN noch nicht zusammengebrochen ist. Der Fahrer steht auch da. Wer nicht dort steht, ist Biniyam. Hmmm, und er sollte doch noch sein Trinkgeld bekommen?
Nun gut, also geht es ohne ihn zum Flughafen. Unterwegs wird er sich melden und zerknirscht mitteilen, dass er verschlafen habe. Nun gut, sein Trinkgeld gebe ich Muller, der wird es ihm dann weitergeben.
Auch so früh ist schon viel los. Wieder wird Khat verkauft, auf Fußballplätzen wird gespielt, was ich jetzt im Ramadan nach Tagesanbruch so gar nicht verstehen kann, schließlich dauert es noch viele Stunden bis der Durst gelöscht werden kann.
Unterwegs treffen wir auf eine riesige Pavianhorde und nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem der Fahrer doch kurz halten muss, auch wenn die Fotos aus dem Auto kaum gelingen.
Am Flughafen frühstücke ich erst einmal, und obwohl es so ein winziger Flugplatz ist, gibt es Rührei, Kaffee mit Weihrauchduft und Kekse zum Frühstück.
Den Rückflug verschlafe ich nahezu, und als ich in Addis lande, ist auch schon eine Nachricht von Muller da. Er wartet mit dem Fahrer auf dem Parkplatz. Ich freue mich sehr Muller zu sehen, und ob er will oder nicht, er muss erst einmal gedrückt werden.
Wir fahren zu einem netten Hotel nahe beim Flugplatz, wo ich ein Tageszimmer habe. Ich darf mich erstmal ausruhen und etwas essen, packe auch meine ganzen Sachen um und überlege, was ich für den Rückflug brauche und was hier ins aufgegebene Gepäck kann.
Muller und der Fahrer Haile holen mich ab. Wir fahren in eine Kirche im westlichen Stil, also mit Kirchenschiff usw. Hier wurde Kaiser Haile Selassie gekrönt. Und neben den Heiligenbildern, die man in Kirchen erwartet, finden sich hier Bilder mit eindeutig modernen politischen Szenen an der Decke. Warum habe ich hier nicht fotografiert? Ich weiß es nicht!
Es geht noch in die Stadt zu Tomoca-Kaffee zum Kaffeetrinken. Ich bekomme zwei Päckchen Kaffee von Muller zum Mitnehmen. Amasgenallu! Viel mehr an Unternehmungen ist leider wirklich nicht möglich, denn es gießt ohne Ende. Und so führt der nächste Weg wieder zum Hotel zurück.
Muller fragt ausdrücklich, ob es Verbesserungspotenzial aus seiner Sicht gebe. Das einzige, worauf ich hinweisen kann, ist, dass es doch gut wäre, gerade als Einzelperson, ab und zu auch unaufgefordert ein Briefing zu bekommen statt irgendwo “abgestellt” zu werden.
Warum habe ich Fotos von allen, die mich im Laufe der letzten beiden Wochen so angenehm und fürsorglich begleitet haben, nur von ihm nicht? Keine Ahnung! Ich bitte ihn schon wieder aus Deutschland, mir nochmals ein Foto zu schicken. Er sagt, ein anderes hat er nicht, dabei kann er so schön lachen. Aber gut, ein Bild von ihm gehört hier definitiv hinein. Und eine gewisse Ernsthaftigkeit ist absolut typisch für ihn.
Der Fahrer wird mich abends um 19.30 Uhr abholen, der Rückflug soll um 23 Uhr starten. Muller wird nicht mitkommen zum Flughafen, er hat zu tun. Schade. Schweren Herzens verabschiede ich mich von ihm und er muss sich noch zweimal von mir drücken lassen.
Haile fährt mich pünktlich zum Flughafen und wir quatschen ein bisschen. Er nennt mich “Madam”, was ich mir verbitte. “OK, … sister?” “Sister” ist OK, und auch Haile verabschiedet sich sehr herzlich von mir, will meine Hand nicht loslassen und küsst sie schließlich.
Bei der Passkontrolle verspreche ich dem Beamten wieder zu kommen und meine das Versprechen ernst. Es beginnt eine nahezu endlose Warterei auf den Abflug. Der Abflugbereich ist eng und gestopft voll, der Flieger ist auch voll. Dennoch wird es ein angenehmer Rückflug. Das Essen ist eine Frechheit, zum ersten Mal lehne ich das Flugzeugessen ab. Es gibt harte Bohnen als Salat und noch mehr harte Bohnen als Gemüse und trockenes Hähnchen und trockenen Reis. Ich verschlafe so ziemlich den gesamten Flug.
Zunächst geht es mit der S-Bahn nach Frankfurt zum Hauptbahnhof und dort zum Frühstück zu Mc Donalds.
Und hier erlebe ich den tatsächlichen Kulturschock als ich realisiere, dass ich wieder in der anderen Welt bin, in meiner Welt, in der so viel Sonne und Leichtigkeit und Lebensfreude fehlt, und für die ich dennoch zutiefst dankbar sein kann, weil alle meine kleinen Malässen und Problemchen hier angesichts dessen, was Äthiopien mir trotz aller tollen Eindrücke gezeigt hat, hier zu einem fliegenschissgroßen Nichts zusammenschmelzen. Die letzten beiden Wochen waren so voll von Erlebnissen, Begegnungen, Eindrücken. Ich habe gar nicht realisiert, wie ich wieder nach Deutschland gebeamt wurde. Bei jedem Schritt frage ich mich, wie wohl die Menschen, die mich in Äthiopien so sehr beeindruckt haben, das alles hier erleben würden.
In Erfurt angekommen, werde ich von K. am Bahnhof abgeholt. Und auf seine Frage, wie es war, muss ich erst einmal losheulen und kriege mich eine ganze Stunde nicht wieder ein. Mir ist das Herz so voll. “Was ist denn los? Hast du dich verliebt?” Ja, habe ich, in das Land, in die Menschen, aber irgendwie in alle. Ich kann es gar nicht beschreiben. All die Rührung, alle Eindrücke, all die lustigen, rührenden, eindrücklichen, spannenden und manchmal auch beängstigenden, die hellen und die dumpfen Momente wollen ans Licht und zucken wie Blitzlichter durch meinen Kopf wie in diesen Filmen, die es auf Youtube gibt, in dem jeweils Sekundenaufnahmen von einzelnen Tagen zu einem Filmchen zusammengeclipt werden.
Noch Tage später und auch Wochen später, nun beim Schreiben, vier Wochen nach der Rückkehr, kommen mir die Tränen, wenn ich alles noch einmal durchlebe.
Es bleibt eine tiefe Dankbarkeit. Dankbarkeit an das Land gerichtet, das mir auf ureigenste Art ebenso eindringlich und freundlich und behutsam wie schon Indien gezeigt hat, wie dankbar ich für mein Luxusleben sein kann und dass ein bisschen mehr Bescheidenheit und Gelassenheit und weniger Gejammer mir gut stehen würden. Du hast mir gezeigt, dass Herz und Klugheit nichts damit zu tun haben, in welchem Land man groß geworden ist, dass das Herauskommen aus der Komfortzone wichtig ist. Und du hast mich zu der Einsicht gebracht: Ich will kein Zivilisationskrüppel mehr sein, zumindest nicht mehr einer erster Ordnung...
Dankbarkeit an die Menschen gerichtet, an den besonnenen und vernünftigen und doch lebensfrohen Yihenew aus Bahir Dar, an das stille Wasser Eshetu, der im Laufe der Zeit auch ohne Worte gespürt hat, wonach ich gerade wieder mal im ganzen Auto suche und es schneller fand als ich, an den lustigen, energie- und lebenssprühenden Gere, der in der lebensfeindlichen Danakil so ernsthaft und vernünftig und doch so federleicht seinen tollen Job macht, an Biniyam, der mich nach kaum mehr als 3 Minuten “Warm up” in Harar begleitet hat wie ein guter Freund und Dankbarkeit auch an Mulat und Masresha, die dafür gesorgt haben, dass ich an deren Orten so viel gesehen und gelernt habe. Dankbarkeit für jeden einzelnen dort unten, der mir durch Lächeln und kleine Gesten gezeigt hat, wie wichtig es ist das Gegenüber in seiner Gänze und seinen Details zu sehen,offen zu sein, vertrauensvoll und neugierig in die Welt zu gehen.
Und den allerletzten riesen-, riesengroßen Dank an Muller Marelign, der mit all meinen Fragen Geduld hatte, auf sonnige, humorvolle und besonnene Weise so verlässlich und engagiert alles Notwendige getan hat und einiges darüber hinaus, der mir ein riesiges Vertrauen in sein Land gegeben hat. Du repräsentierst dein Land durch die Liebe zu deiner Heimat und allem, was in ihr ist, auf allerbeste Weise. Ich habe einen winzigen Einblick in dein Leben und deine Welt bekommen und bin mir sicher, dass du alles erreichen kannst, was du willst. Du hast meinen allergrößten Respekt und ich freue mich, dich als Freund gewonnen zu haben!