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Autor Thema: Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”  (Gelesen 12201 mal)

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Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« am: 26.06.2018, 22:35 Uhr »
Neues Land, fast neuer Kontinent, für mich in jedem Fall unentdecktes Terrain .Äthiopien.

Ich will in das “Land of Origins”: Anfang der Menschheit, denn hier wurde “Lucy” gefunden, die vor 3,2 Millionen Jahren mit ihren nur etwas mehr als 1 Meter Körpergröße bereits aufrecht gehen konnte.

Äthiopien ist der Anfang des Kaffees. Hirten haben festgestellt, dass ihre Ziegen nach dem Fressen der Kaffeebohnen aktiviert waren und haben herumexperimentiert, wie man die Wirkung nutzen kann. Schließlich sind sie auf das Rösten und Mahlen der Bohnen und das Zubereiten des Kaffees gekommen. Und ich versichere euch, dass Äthiopien heute noch den besten Kaffee der Welt hat, und zwar in Geschmack und Wirkung!

Und Äthiopien ist der Anfang des längsten Flusses der Welt. Der Nil, also der Blaue Nil entspringt im Tanasee bei Bahir Dar.

Äthiopien ist das einzige Land Afrikas, das niemals kolonialisiert war. Und das merkt man den Menschen an. Die Landesfarben erinnern an diese Unabhängigkeit, die die Menschen hier so stark macht. Grün steht für die Erde, gelb für die Liebe zum Land und rot für die Opfer für das Land.

Ihr seid herzlich eingeladen mit mir alle diese Anfänge, den Anfang meiner neuentdeckten Liebe zu diesem Land, die faszinierenden Landschaften, die wunderbaren Menschen und die uralte Kultur zu entdecken.

Aber ich beginne von vorne:

Dezember 2017: Das Jahr der hässlichsten Wintererkältungen seit Menschengedenken, und auch mich hat es erwischt. Ich liege mit Fieber im Bett und träume von besseren (Jahres)Zeiten. Und so erinnere ich mich, dass ich schon vor Jahren fasziniert war von Bildern des Erta Ale und der Dallol.

Und nach kurzer Nachfrage in einer Facebookgruppe, ob das individuelle Reisen in Äthiopien inzwischen möglich ist ohne arm zu werden einerseits und ohne verrückt zu werden andererseits, liegt ohne es in letzter Konsequenz durchdacht zu haben das Ticket nach Addis Abeba und zurück für den kommenden Mai in meinem Postfach und der vor Jahren schon gekaufte Reiseführer neben mir auf meinem Krankenlager.

Und nun geht die Planung los. Verschiedene lokale Anbieter werden angeschrieben, letztlich antwortet nur einer mit einem wirklich professionellen Vorschlag, zuverlässig, umgehend, super herzlich und in fast perfektem Deutsch: Muller Marelign von Simien Eco Trek.

Ich versuche es noch bei einer deutschen auf Äthiopien spezialisierten Agentur. Deren Vorschlag ist auch gut, soll aber bei fast gleicher Leistung fast doppelt so viel kosten wie bei Muller. Und für DAS Geld müsste man mir wirklich einen roten Teppich auf den Erta Ale auslegen und mich im Helikopter von Ort zu Ort fliegen.

Die Tour, wie ich sie letztlich gemacht habe:

FR Fahrt nach Frankfurt, abends Abflug
SA Landung morgens, Sightseeing in Addis
SO Flug nach Bahir Dar
MO Bahir Dar
DI Fahrt nach Gondar und Sightseeing
MI Fahrt in die Simien Mountains und kurze Wanderung
DO Fahrt nach Axum, kurzes Sightseeing
FR Weiterfahrt nach Mekele mit Besichtigung einer Felsenkirche in der Tigray-Region
SA Beginn der Tour in die Dallol
SO Besteigung des Erta Ale
MO Rückfahrt nach Mekele
DI Fahrt nach Lalibela
MI Besichtigung Lalibela
DO Flug nach Harar
FR Besichtigung Harar
SA morgens Flug nach Addis, abends Weiterflug nach Deutschland.
SO Morgens Landung in Frankfurt und Rückfahrt

Die Monate gehen ins Land, ich bin immer wieder hin- und hergerissen, ob ich nicht das Ganze wieder abblase: So fremd, so teuer, und dann die immer wieder als sauanstrengend beschriebene Tour in die Afarregion (Erta Ale und Dallol)… Will ich nicht lieber doch in mein geliebtes Indien? Und um mich herum wird gefrotzelt: Gib Fersengeld, sobald jemand mit begierigem Blick auf dich einen Topf mit Möhren aufsetzt bis hin zu offen rassistischen Äußerungen wie 'Ach, mit Ethiopian Airlines fliegst du? Haben die wenigstens weiße Piloten?’

Aber nein, bis heute habe ich die Entscheidung nicht bereut. Und dass ich nach langer Zeit wieder mal einen Reisebericht schreibe, ist einerseits das riesige wohlverdiente Dankeschön an Muller und andererseits ein Mutmacher an alle, die auch mal nach Äthiopien wollen oder allgemein vor der Entscheidung stehen sich zu trauen in unbekannte Gefilde aufzubrechen oder nicht. Meine Antwort: Traut euch!

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #1 am: 27.06.2018, 06:50 Uhr »
18.5. und 19.5.: Von Erfurt nach Addis Abeba

Selbstverständlich hat mich auch dieses Mal wieder eine Erkältung im Griff, die aber schon wieder am Abklingen ist, als ich meinen Koffer packe.

Am Freitag setze ich mich mittags in den Zug, treffe mich, der Tradition gehorchend, noch mit Tanja und checke ein. Nun ja, soooo perfekt ist leider die Organisation der Airline nicht:

Eine Minireisegruppe regt sich auf, die drei Reihen mit insgesamt 9 Sitzen in der Mitte seien extra für die 4 Personen geblockt worden, zudem ist mein Platz an einen der Menschen dieser Gruppe vergeben worden. Ich bleibe sitzen. Immerhin beschert mir das in der ohnehin nicht ausgebuchten Maschine einen freien Sitz neben mir, sodass ich die Beine nachts zum Schlafen ein bisschen hoch nehmen kann.

Am Gate lerne ich zuvor noch Isabell kennen, eine sehr, sehr Nette aus der 'Wenn Frauen solo reisen’-Gruppe und 'Reisen in Äthiopien’ auf Facebook, die ihren äthiopischen Ehemann besucht. Die Äthiopiengruppe kann ich übrigens wärmstens empfehlen, kein Gezicke, nette, prompte und hilfreiche Antworten in kürzester Zeit und ‘Wenn Frauen solo reisen’ ist ja ohnehin der Dauerbrenner.

Der Flug ist ruhig, das Essen gut, ich kann noch ein bisschen Schlaf abgreifen.

Landung im Morgengrauen, Isabell weist mir noch eine Abkürzung zur Immigration, und dank des vorher schon bestellten und in den Pass eingetragenen Visums bin ich in 3 Minuten eingereist und habe weitere 10 Minuten später meinen Koffer.

Noch fix zum ATM und den Maximalbetrag ziehen, 4000 Birr in Hunderterscheinen, der größten Banknote, umgerechnet etwa 120 Euro.



Ich verlasse den Airport und bekomme, wie in vielen Ländern, erst einmal ein Taxi angeboten. Aber Muller, mit dem ich zuvor immer wieder per WhatsApp Kontakt hatte, holt mich ab, begleitet von einem Fahrer. Mullers Lachen sehe ich schon von Ferne, aufgrund eines zuvor geschickten Fotos erkennen wir uns gleichzeitig. Der hat echt Ausstrahlung!

Ich checke ins Hotel Eliana International ein, das hätte ich mir sicher auch selbst gebucht.

Vom Flug bin ich ziemlich durch, aber Sightseeing ist angesagt. Also hilft es nix, nach einer Stunde im Zimmer mit kurzer Dusche und einer 'Ich bin gut angekommen’-Meldung nach Hause geht es wieder los.

Ein erster äthiopischer Kaffee aus der unscheinbaren, aber innen sehr ursprünglichen traditionellen Kaffeebar Tomoca nebenan soll mich wieder auf Trab bringen und macht seinen Job zuverlässig.

Addis wird sicher nicht eine meiner Lieblingsstädte, aber interessant ist es schon. Ich bin ganz froh, dass ich dieses Mal nicht ganz auf eigene Faust unterwegs bin, und herumgefahren zu werden, hat schon viele Vorteile!

Erst geht es mit Muller an meiner Seite auf den Mercato, und wieder tun sich Erinnerungen an indische Märkte einerseits und die Slums in Mumbai andererseits auf. Hier wird alles verkauft, einfach alles! Und es wird recycelt und gebastelt.







Dann fahren wir nach Entoto, wo eine Kirche und der alte Kaiserpalast warten.Hier ist es deutlich kühler, denn wir sind hier nochmals einige hundert Meter höher als die Stadt, nämlich auf etwa 3000 Metern. Kirchenschätze breiten sich vor mir aus und ich erfahre einiges über die Geschichte des Landes.







Es geht noch in zwei Museen, und Muller berichtet mir tapfer, was es hier alles zu sehen gibt, von A wie Ackerbau bis Z wie Zupfinstrument. Ich gebe es zu, ich schalte zwischendurch ab, so viel Input nach dem Flug verarbeite ich gerade nicht.

Im Nationalmuseum kann ich aber noch Lucy hallo sagen. Lucy heißt Lucy, da die Archäologen bei den Arbeiten die Beatles gehört haben, also kenne ich Lucy in the Sky nun auch with diamonds. Das finde ich sehr schön!

Und außerdem lerne ich die Unterschiede zwischen Axum-, Gondar- und Lalibelakreuzen kennen.

Und dann finde ich noch die äthiopische Legende von der Königin von Saba sehr niedlich, die stammt nämlich aus Axum, jawohl! Aber die berichte ich, wenn wir in Axum sind.

Nur als es hier nochmals in eine Etage mit irgendwelchen Sensen oder Waffen geht, kann ich nicht mehr und winsele um Gnade. Diese wird mir gewährt, und ich darf im Hotel essen und ein paar Stunden Nachtschlaf nachholen, bevor es abends in ein traditionelles Restaurant geht.





Die Uhr im Auto zeigt immer eine völlig andere Zeit, und ich lerne, dass die Uhr hier anders gelesen wird. Der Tag beginnt mit 0 Uhr, wenn es nach herkömmlicher Zeitrechnung 6 Uhr morgens ist, die Nacht beginnt um 18 Uhr. Mittag ist also 6 Uhr. Hier ist es nun 8 Uhr, um 1 Uhr werden wir wieder starten. Ich finde es logisch und werde mich im Laufe der kommenden Tage sehr schnell damit anfreunden.

Im Restaurant abends gibt es einen ersten Eindruck von äthiopischem Essen, natürlich mit Injera, und ich bin froh, dass ich dreimal im Trainingslager war in Restaurants in Berlin, Los Angeles und Frankfurt und dort das Essen mit der bloßen Hand vorher schon geübt habe.

Kleiner Tipp: Da es nachmittags zu regnen begonnen hat, sind viele der Wege hier schlammig. Bei Regenwetter bietet es sich also an, nicht unbedingt die Riemchensandaletten zum Ausgehen anzuziehen, lieber Gummistiefel oder die praktischen abwaschbaren Crocs.

Im Lokal wird plötzlich wie wild heimlich gefilmt vom Fahrer und Muller, und ich wundere mich, warum die beiden gebildeten Jungs mit den tollen Umgangsformen plötzlich anfangen, wie wild runde Frauenpos in stramm sitzenden Glitzer-Leggings zu filmen. Das Rätsel wird schnell gelöst: Es handelt sich um eine bekannte Schauspielerin, die hier in Begleitung einer großen Handvoll sie anhimmelnder Herren isst und unter anderem eine ganze Flasche Whisky bestellt.

Ich überlege zwischendurch, ob ich Muller lieber frage, wann er in Deutschland war oder eher, wie lange er in Deutschland war, und schon erzählt er mir, dass er nie im Ausland war, Deutsch lediglich 6 Wochen lang im Goethe-Institut gelernt habe und den Rest sich selbst beigebracht habe. Wow!

Und im Laufe der Reise wird nicht nur er mir am eigenen Beispiel zeigen, dass Bildung und Erfolg hier ein Geschenk und eine Ehre ist, nicht nur er wird mich fast fassungslos vor Bewunderung zurücklassen, welch wirklich starke Menschen dieses raue und manchmal auch unerbittliche Land hervorgebracht hat.

Übrigens ist für mich das Beste des ganzen Tages die Menschen zu beobachten. Mullers Blick funkelt, wenn er lacht. Und das tut er oft und schaut mich immer direkt an. Der Fahrer, eigentlich Bachelor in Psychologie und Wirtschaft ohne Aussicht auf einen adäquaten Job, ist zu Herzen gehend sanft und freundlich. Wenn Menschen die Ferenji (mich) sehen, lachen sie. Es wird gebettelt wie in Indien, aber ganz oft wird mir nur 'hello’ oder eine beliebige anderen englische Vokabel zugerufen.

Nach der Rückkehr ins Hotel genehmige ich mir in der Bar noch einen Gin Tonic, beobachte nun gut lebende reiche feiernde Äthiopier in der Hotelbar und chatte noch ein wenig mit Muller und den Lieben daheim. Und hurra, das bislang störrische Whats App (offenbar wird das Internet hier sehr kontrolliert) macht nach dem Installieren einer VPN-App wieder mit!

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #2 am: 27.06.2018, 10:03 Uhr »
Toll, toll, toll! Wunderbare Bilder eines wohl außergewöhnlichen Reiselands.. hier reise ich gerne mit!
I am not the same having seen the moon shine on the other side of the world.”

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #3 am: 27.06.2018, 14:50 Uhr »
20.5: Reise nach Bahir Dar

Selbst Schuld, ich habe heute sicher einiges an Zeit verloren durch Buchen des späten Fluges. Aber das Ausschlafen war mir heute wichtig und auch es langsam angehen zu lassen. Gut, dass mir das vorher schon klar war, dass ich wieder mal völlig gestresst und KO in den Urlaub starten würde.

Muller und ich treffen uns am Hotel um die Tour zu besprechen. Er hat offenbar ein wenig Sorge etwas falsch zu machen. Aber das muss er gar nicht, er macht alles wunderbar, fast schon ein wenig überfürsorglich. Ich könne ihn jederzeit anrufen oder ihm schreiben und vielleicht kommt er selbst nach Harar um auf mich aufzupassen und zeigt mir die Hyänen.

Das einzige, was mich Überwindung kostet und einen harten Vertrauensvorschuss erfordert, ist das Überreichen von knapp 3000 Euro in bar. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Muller will offenbar auch Devisen haben und ich sehe zudem ein, dass eine solche Summe in Drei-Euro-Scheinen nicht sinnvoll zu überreichen ist. Im Gegensatz zu mir, die ich mit so viel Bargeld in der Tasche einige Tode gestorben bin, nicht zuletzt bei der Einreise, hat er damit kein Problem. Und ich bewundere seine Fähigkeit blitzschnell die Scheine zu zählen. Inbegriffen ist alles außer den Flügen, Mittag- und Abendessen, meinen persönlichen Betrinknissen, Trinkgelder und Souvenirs. Aber er braucht Empfehlungen und hat bisher keinerlei Zweifel an seiner Seriösität aufkommen lassen. Und so vertraue ich ihm halt, nicht zuletzt wegen seines guten Rufes, der mir schon von mehreren Seiten bestätigt wurde.

Ich sitze nach den ersten 24 Stunden hier im Flugzeug zur Destination Nr. 2, Bahir Dar, und habe schon Photobombing hinter mir, nachdem ich mich auf das Foto des vor mir sitzenden Passagiers geschlichen habe. Er hat gelacht. Überhaupt ist das Lachen hier das, was mir bisher am meisten gefällt, denn Addis ist - zugegeben - nicht gerade eine Traumstadt auf den ersten Blick.

Ethiopian Airlines ist wieder mal unkompliziert, im Flieger sitzen nur etwa 40 Personen: Eine Handvoll Chinesen, ich und ansonsten nur Einheimische. Übrigens sind die Flüge spottbillig, wenn man nur den Internationalen Flug auch mit Ethiopian Airlines gemacht hat. Und daher geht bei so wenigen Menschen auch das Aussteigen schnell und die paar Koffer sind schnell da. Gewissenhaft wird überall überprüft, ob ich auch nicht illegal im Land bin.





Ein wieder sehr netter Guide (Yihenew) und ein freundlicher Fahrer holen mich ab und bringen mich zum Jacaranda-Hotel. Das ist auch OK.

Und so stromere ich wenig später los um den Tana-See und Bahir Dar kennenzulernen. Hier ist es völlig anders als in der Stadt. Menschen baden im See, andere sitzen vor schicken Cafés in der Stadt oder relaxten Locations direkt am See. Ich lasse mich treiben und kann vor einer Kirche archaische Bilder beobachten, die mich auf das Land aufmerksam gemacht haben.

Eine Frau teilt mit mir ein Stück Brot, das hier verkauft wird. Leider habe ich die etwas komplizierte amharische Vokabel für 'danke’ immer noch nicht drauf und hoffe, mein 'Thank you’ wird verstanden.



















Ich gehe zur örtlichen Moschee und hoffe hier ein wenig 'Leute gucken’ zu können, aber nix da, die Ferenji wird selbst zur Sehenswürdigkeit. Groß und Klein steht um mich herum. Die Kinder werden manchmal von Erwachsenen liebevoll untergehakt und weggezogen, offenbar mit mahnenden Worten mich in Ruhe zu lassen. Nach einer Viertelstunde etwa wird es mir zu viel, ich gehe.





Übrigens beobachte ich auch immer wieder, dass bettelnde Kinder liebevoll ermahnt werden sich mir gegenüber zu benehmen.

An einer Art Schaukasten stehen Menschen, und als ich auch reinschaue und das Amharisch nicht lesen kann, löst sich das Rätsel, indem ein junger Typ mich grinsend anquatscht 'oh, are you looking for a job?’ Das seien Stellenanzeigen, ich bin also offensichtlich beim örtlichen Arbeitsamt gelandet.



Ich gehe selbst noch eine Pizza essen und Kaffee trinken und bin früh im Hotel. Nochmals essen gehen mag ich abends nicht, und so sitze ich einfach noch ein wenig vor dem Hotel und genieße den lauen Abend und die verhältnismäßig ruhige Stadt.

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #4 am: 28.06.2018, 08:14 Uhr »
21.5. Tana Lake und Blue Nile Falls

Yihenew, der Guide, hat gestern angekündigt, es müsse früh losgehen, denn es gebe viel zu sehen. Und so klingelt der Wecker um 6 Uhr, sodass es um 8 Uhr losgehen kann.

Wir treffen uns in der Lobby, und ich werde mit einem big Smile empfangen.

Mullers Geheimrezept ist offensichtlich, dass er sich mit Menschen umgibt, die ihm ähnlich sind: Klug, gebildet, hoch anständig, zuverlässig und engagiert. Und so verbringe ich auch hier den Tag mit einem eigentlich Journalisten und Kommunikationswissenschaftler, der wie alle, die ich über Muller kennengelernt habe, so mit mir umgeht, dass ich in kürzester Zeit den Eindruck habe zu Gast bei Freunden zu sein. Habe ich schon erwähnt, dass auch er passabel Deutsch spricht?



Ich trabe etwa 10 Minuten mit ihm durch die Stadt bis zum See, wo wir ein Boot besteigen, das uns etwa eine Stunde über den Tana Lake schippert bis in die Nähe des Klosters Ura Kidana Meheret.

Wir finden uns in einem Dorf wieder, in dem zwar Souvenirstände den Weg pflastern, alles jedoch immer noch ursprünglich ist. Und so gehen wir etwa eine Viertelstunde zum Kloster über braune Erde, vorbei an Häusern aus Lehm und Stroh und unter anderem an einem Maler vorbei, der einen einzigen Satz auf Deutsch beherrscht: 'Alle Malereien sind aus Naturfarben hergestellt’.

Yihenew ist hier aufgewachsen und kennt daher offenbar jeden hier, und so grüßt er immer wieder und hält hier und da einen Schwatz.







Wir halten uns lange in dem ruhigen Kloster auf und sprechen über die Malereien und die dazu gehörenden Legenden und Bibelstellen. Wir witzeln herum, schweigen auch gemeinsam, betrachten die Malereien, und ich genieße die Stille des ansonsten leeren Klosters.







Wir besuchen noch das kleine angrenzende Museum und auf geht es zu einem sehr schönen Programmpunkt. Wir gehen nämlich durch den Wald zurück.

Yihenew findet für mich Affen und ein Wildschwein. Wir pirschen durch das Unterholz, und er muss dennoch einen Stein in Richtung eines schlafenden Schweins werfen um es aufzuscheuchen, weil meine zivilisationsverkrüppelten Augen es sonst nicht erkennen. Wildschweine können aber auch gefährlich sein. Yihenew hängt sich an einen Ast: Er könne da auch auf den Baum klettern, wenn es nötig sei, ob ich das auch könne? Siehst du, deshalb ist es besser nicht näher heranzugehen.

Wir kommen wieder an der Stelle an, an der unser Boot liegt und trinken noch einen Kaffee. Der am Morgen leere Platz ist nun gut besetzt von Einheimischen, die quatschen, Kaffee trinken oder Injera mit Soße essen. Yihenew und ich werden neugierig befragt, wer ich bin, woher ich komme, und es wird ganz gut herumgewitzelt.



Yihenew fragt nett, ob es okay wäre in 'meinem’ Boot jemanden mitzunehmen. Na klar, warum denn nicht, und der Hitchhiker steigt zu. Wie fahren noch zu der Stelle, an der der blaue Nil den Tanasee verlässt und sehen auf einem Haufen sicher 8 Nilpferde. Offenbar gibt es das wirklich nicht so oft, denn auch die beiden Jungs fangen an ihre Handys zum Fotografieren zu zücken.





Wir legen an einem Restaurant an und die Tour über den See ist beendet. Ich esse auf Empfehlung Yihenews Fischfilet mit Reis und Gemüse in Folie. Das Filet ist wunderbar!

Wie durch Zauberhand taucht vor dem Restaurant ein Auto auf. Das ist das Auto mit Fahrer, welches mich die nächsten 10 Tage begleiten wird. Eshetu, der Fahrer, Typ braver Junge vom Land, wirkt ein wenig schüchtern, aber wahrscheinlich sind es eher seine nicht ganz so guten Englischkenntnisse, die ihn vom Reden abhalten, denn mit Landsleuten spricht er gern und viel.

Wir fahren zu den Fällen des blauen Nil. Dazu fährt man ein paar Kilometer auf guter Straße und dann sicher eine halbe Stunde eine Piste. Hier beginnt die Landschaft schon sehr archaisch zu werden.

Und so landen wir an einer Stelle, an der wir noch einen lokalen Guide mitnehmen müssen - das sei Pflicht - und fahren weiter zum Ausgangspunkt der kurzen Wanderung. Der lokale Guide stört eher und verfügt über die Gabe immer irgendwie im Bild herumzuspringen.

Aber was wir sehen, ist interessant. Es macht Spaß über den Pfad zu gehen über die rotbraune Erde, über Stock und Stein.

Wir überqueren erst die uralte Brücke der Portugiesen und dann eine neue Hängebrücke. Yihenew ist intelligent und sensibel und versteht es immer mal mit einem Hinweis auf eine Pflanze oder einen Ausblick stehen zu bleiben bis meine Gesichtsfarbe wieder normal ist, während der lokale Führer etwas ungeduldig wirkend vorneweg springt.

Den Blick auf den Wasserfall genießen wir ausgiebig.













Wir gehen weiter durch dörfliches Leben über Felder, vorbei an Menschen, vor allem Frauen und Mädchen, die etwas auf dem Kopf tragen oder Wasserkanister mit sicher 20 Litern Inhalt auf dem Rücken haben und vorbei an spielenden Kindern.

Ich denke bei dieser ersten hautnahen Berührung mit dem Landleben daran, dass hier vieles mit Sicherheit nicht so idyllisch ist, wie es scheint auf den ersten Blick: Das Trinkwasserproblem, die Armut, fehlende Bildung...

Wir setzen mit einem Boot über zur anderen Seite des Nils, wo auch schon unser Auto auf uns wartet.







Der Tag ist beendet, Yihenew wird nach Kontaktdatenaustausch herzlich verabschiedet und ich wasche mir jede Menge rote Erde von den Füßen und ruhe mich ein bisschen aus.

Ich beschließe zu testen, wie es abends so allein unterwegs ist und mache mich im Dunklen auf in die Stadt. Mich verfolgen gewispertes 'money, money’, 'ferenji’ und wahllose andere englische Worte von 'yes’ und ‘you’ bis ‘beautiful’. Und wieder kann ich beobachten, wie Erwachsene darauf achten, dass ich nicht von Kindern belästigt und verfolgt werde.

Dennoch passiert es. Ich sitze in einem Café. Ungefragt setzt sich jemand zu mir und drängt mir ein Gespräch auf. Ich will nicht unhöflich sein und lasse mir die Infos abringen, dass ich das erste Mal hier bin und kein Amharisch kann, das war falsch. Und damit bin ich Opfer. Mit einer Mischung aus Schmeichelei, Drohung und Verunsicherung wird mir Whisky angeboten. Nee, danke, lass mal! Ich will die Situation schnell und schmerzlos beenden, stehe auf, zahle drin und gehe. Jedoch stellt sich der Typ mir ungefragt in den Weg. Er will mich nicht vorbeilassen und fasst mich am Arm. Ich sage, ich rufe die Polizei, er geht nicht und versperrt mir den Weg. Ich spreche wildfremde Menschen an und bitte sie mir zu helfen. Daraufhin ist er blitzschnell verschwunden.

Auf den Schreck erstmal 2 Gin Tonic im Hotel und ein insgesamt super gelungener Tag ist trotz eher unangenehmer 5 Minuten in den Abendstunden beendet.

Schneewie

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #5 am: 28.06.2018, 12:30 Uhr »
Auch wenn ich nie dahin reisen würde, mitlesen werde ich auf jeden Fall, denn das ist soo interessant.

Schnell weiterschreiben.  :D
Gruß Gabriele

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #6 am: 28.06.2018, 15:30 Uhr »
Ich freue mich, dass sich Mitfahrer für das zugegeben exotische Ziel finden lassen.

Aber warum nicht selbst nach Äthiopien fahren, Gabriele? Gut organisiert hat man keinerlei Schwierigkeiten, und man sieht wirklich viel an Kultur, Natur, Geschichte und Religion!

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #7 am: 28.06.2018, 19:22 Uhr »
Auch wenn ich nie dahin reisen würde, mitlesen werde ich auf jeden Fall, denn das ist soo interessant.

Man soll ja nie Nie sagen, aber ich würde mich der Meinung von Gabriele erstmal anschließen.

Wenn Afrika, dann kämen bei mir eher Namibia und/oder Südafrika in Frage.
Gruß
Lothar

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Marthe

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #8 am: 28.06.2018, 23:18 Uhr »
Ich lese auch ganz gespannt mit. Äthiopien würde mir nicht so schnell als Urlaubsziel einfallen, um so schöner, jetzt einen Bericht über das Land zu verfolgen.

LG
Marthe

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #9 am: 29.06.2018, 15:49 Uhr »

22.5. Unterwegs nach Gondar

Eshetu und ich müssen uns auf der ersten Fahrt allein miteinander erstmal aufeinander einschwingen. Etwa alle halbe Stunde dreht er sich zu mir und fragt “Are you OK?”, was ich stets bejahen kann.

Und ich muss mich auf Äthiopien immer noch einschwingen… Es warten bizarre und fremdartige Eindrücke auf mich. Afrika ist hart, und das merkt man so schon schnell. Bilder flitzen an mir vorbei, im Grunde zu schnell um sie zu erfassen.

Ein bis auf ein T-Shirt völlig nackter Mann läuft auf der Straße umher, niemanden kümmert es. Eine prunkvolle Beerdigung mit einem endlos scheinenden Zug weiß gekleideter Leute. Kurz darauf eine ärmliche Beerdigung, bei der zerlumpt Gekleidete eine Trage mit Lumpen zu tragen scheinen. Ein Hund gerät zwischen uns und den Gegenverkehr und kommt zwischen die Räder. Bei einem kurzen Blick zurück sehe ich, wie er zuckend verendet. Menschen kacken direkt neben der Straße auf das Feld. Und überall immer wieder Menschen mit Knarren, nicht nur Militär, sondern auch Bauern, von denen ich nicht weiß, ob sie ihr Hab und Gut gegen wilde Tiere oder gegen böse Menschen verteidigen wollen und wen oder was sie im Ernstfall erschießen würden. Kleine Kinder im Kindergartenalter gehen zu zweit Hand in Hand oder ganz allein am Straßenrand entlang, ohne dass ein Erwachsener in der Nähe ist. Die müssen gute Schutzengel haben!

Aber es gibt auch viele schöne Bilder, malerisch, archaisch, exotisch: Ortschaften am Rande, ursprünglich gekleidete Menschen, Tierherden, Eselgespanne, Brunnen. Es gibt weite Blicke über tiefbraune Erde auf Menschen, Tiere und Pflanzen, untermalt von der äthiopischen Musik, die Eshetu in so ziemlich jeder Minute Fahrt unablässig dudelt.

Gegen Mittag erreichen wir Gondar, eine der früheren äthiopischen Hauptstädte. Das Hotel ist etwas außerhalb, und so sehe ich von der Stadt nicht mehr als das für Touristen vorgesehene Programm.

In der etwas längeren Mittagspause bestelle ich Spaghetti Carbonara und erhalte höllisch scharfe Spaghetti Bolognese. Man besteht darauf, dass das Carbonara sei. Nun gut, andere Länder, andere Sitten. Sie schmecken gut. Als Ausgleich gibt es Kaffee aufs Haus, einen besonders liebevoll gestalteten Macchiato.

Eshetu stellt mir seinen Bruder vor, der hier lebt. Er scheint Zeit zu haben und begleitet uns über den Tag. Ein netter Junge, etwas lebhafter als Eshetu. Am Nachmittag startet das Sightseeing, es stehen hier immer die Burganlage mit den 6 Schlössern, das Kloster Debre Berhan Selassi und das Bad des Fasilides an.

Die Palastanlage besteht aus 6 Schlössern und zahlreichen Nebengebäuden, die im Laufe der Jahrhunderte von der Herrscherdynastie erbaut wurden.

Und überhaupt ist Gondar kulturell bedeutsam, denn Gondar war einst Hauptstadt Äthiopiens, bevor die “Neue Blume” Addis Abeba es wurde.













Es geht weiter zum Kloster Debre Berhan Selassi mit beeindruckenden Deckenmalereien. Wir halten uns eine ganze Weile hier auf. Der Guide erklärt, dass der Staat wenig für die Artenvielfalt in Flora und Fauna tut, dass in solchen Klostergärten allerdings Pflanzen und Tiere beheimatet sind, die anderswo keinen Platz haben und nicht geschützt sind. Und so betrachten wir, wer alles zur Vogeltränke kommt und sich einen kleinen Drink genehmigt.













Letzter Halt des Sightseeing ist das Bad des Fasilides. Im Januar ist dieses das Zentrum des Timkat-Festes, das der Guide allerdings so zungenbrecherisch ausspricht, dass ich das Wort kaum wiedererkenne, also doch lieber einfach “Timkat”. Dieses ist das Fest der Taufe Jesu, und so wird Jahr für Jahr die Taufe im Jordan nachgestellt.

Das große Becken um dieses Wasserschloss wird mit Wasser gefüllt, es gibt eine Prozession, und die Menschen baden im Wasser. Ich habe BIlder gesehen und bedaure ein wenig, dass ich nicht dabei bin und einfach nur ein trockenes Becken erlebe…

Dafür kann ich die Banyan-Trees und Feigenbäume bewundern und die malerisch anmutenden äthiopischen Frauen, die hier Pflasterarbeiten machen. Malerisch ja, aber knochenhart, der Job.







Der Guide macht seinen Job ordentlich. Ich bedaure dennoch, dass hier offenbar nicht vorgesehen ist, dass ich alleine in die Stadt gehe, aber andererseits sieht die Innenstadt auf den ersten Blick zumindest nicht sehr einladend aus, auch wenn sie als “lebendige Universitätsstadt” so mancherorts gepriesen wird. Nun gut, ist OK…

Und so hänge ich noch ein wenig am Pool ab. Hineinzugehen habe ich keine Lust, denn heute hängen dunkle Wolken am Himmel, Wind weht, und insgesamt ist es recht frisch.

Abends werde ich von Eshetu abgeholt. Hier geht man im “Four Sisters” essen, ein Lokal, das ein bisschen außerhalb und etwas höher liegt, sodass Laufen auch hier nicht angesagt wäre. Das Essen ist wieder mal spottbillig, der Tej (äthiopischer Honigwein) schmeckt besser als in Addis. Meine Speisenauswahl auf Injera ist so reichhaltig, dass ich gar nicht alles aufessen kann.

Injera kann man in Äthiopien nicht entgehen. Das ist ein oft etwas säuerliches pfannkuchenartiges Brot, das es hier zu so ziemlich jeder Mahlzeit gibt und mit dem man die Speisen aufnimmt. Wer kein Injera mag, findet aber in Restaurants auch anderes Essen: Die Italiener haben in den 30er Jahren das Land für 5 Jahre besetzt und Spaghetti und Pizza hinterlassen, auch "normale" Gerichte wie Fleisch, Geflügel oder Fisch mit Reis oder Pommes und Gemüse gibt es.

Eshetu hingegen vertreibt sich die Zeit damit, dass er telefoniert und auf seinem Handy tippt. Aber er passt gut auf mich auf, so liegen in Sekundenschnelle  Servietten da, als ich ungeschickt beim Essen mit den Händen die Soße über den Tisch verteile, und auch mein Kaffee nach dem Essen steht dank seiner Aufmerksamkeit und Sprachkenntnisse sehr schnell vor mir.

Beim Verlassen des Lokals gibt es Gegenverkehr. Zwei Männer in so etwas wie Regenmänteln tragen jeweils ein halbes enthäutetes Schaf über der Schulter ins Lokal. Oh, das wird für morgen sicher reichen!

Wir sind wieder am Hotel. Ich sitze noch eine Weile in der Lobby und schicke Nachrichten in die Heimat. Zu voll ist mir das Herz von den Eindrücken der heutigen ersten Fahrt über mehrere Stunden über Land. Eigentlich gar nicht so schlecht, dass ich recht viel Pause im Hotel hatte, zu viel Information wäre vielleicht auch überfordernd gewesen.

Ich surfe bis der Strom und somit auch das Internet ausfällt. Bei dem düsteren Himmel heute ist sicher irgendwo ein Unwetter. Und so suche ich im Schein der Taschenlampe die Stirnlampe, die mir hilft mich beim Zähneputzen zurechtzufinden.

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« Antwort #10 am: 30.06.2018, 22:04 Uhr »
23.5. Simien Mountains

Um 9 Uhr soll es losgehen. Eshetu muss noch zahlen für mich, zum ATM und tanken, dann geht es auf zur recht kurzen Fahrt in die Simien Mountains.

Habe ich schon erwähnt, dass das Auto einer Gemeinschaft in den Simien Mountains gehört und Muller es von dort gemietet hat für mich?

Herrliches Wetter. Es geht wieder durch Dörfer, und ohne dass ich es bemerke, winden wir uns höher und höher in die Bergwelt hinauf. Eshetu hat in Debark ein Heimspiel, er stammt von dort. Und offenbar müssen außer mir noch einige andere Dinge dorthin transportiert werden, zumindest kullern einige Zwiebeln durch das Auto, als Eshetu bremsen muss.

Wir genießen den ersten atemberaubenden Ausblick. Der Blick ist weit, bis er sich im Spiel von Sonne und Wolken im Dunst verliert.





In Debark ist es deutlich frischer, sodass selbst ich lieber meine Strickjacke anlasse. Wir halten an den Park Headquarters, wo eine Gebühr zu zahlen ist und wir den Guide für den Rest des Tages treffen, Mulat heißt er. Er ist freundlich und weiß viel. Aber das erwarte ich schon gar nicht mehr anders.

Ein weiterer Hiesiger steigt zu. Es ist der Scout, der uns begleiten wird. Ganz selbstverständlich steigt er nochmals an anderer Stelle aus. Und ganz selbstverständlich erklärt Mulat, er hole jetzt das Gewehr. Ein Gewehr? Wozu? Nun, zum einen gibt es Raubtiere wie Leoparden und Wölfe, zum anderen wisse man nie, ob nicht böse Menschen und Unruhestifter unterwegs seien. Die Regierung wolle eben, dass die Gäste sicher seien, daher wird jedem ein Bewaffneter mitgegeben. Und so fahre ich gut beschützt durch mittlerweile 3 schicke Männer weiter.

In Debark bekomme ich erklärt, dass grüne Plastikschüsseln vor der Tür eines Hauses bedeuten, dass man hier etwas zu essen bekommt. Wenn das Essen verkauft ist, werden die Schüsseln einfach entfernt. Aha, interessant! Dennoch möchte ich es nicht unbedingt probieren.

Wir halten an einem Hotel, dort soll ich Kaffee trinken. Hä? Ich will jetzt nicht Kaffee trinken! Aber Eshetu habe noch nichts gegessen heute. Ach so, dann natürlich, der Junge muss was in den Bauch bekommen. Aber Eshetu lässt sich nicht mehr zu seiner wohlverdienten Pause überreden und fährt uns die verbleibende Strecke zur Lodge.

Am Eingang zum Nationalpark werden Papiere kontrolliert von einem Mann, dem Güte und Sanftheit und ein feiner Humor ins Gesicht geschrieben sind. Der rührt ganz viel an, wenn man ihn ansieht. Es ist Mullers Vater, wie mir Mulat erklärt. Und spätestens diese Momentaufnahme, die mir Einblick in Mullers Herkunft gibt, sagt mir, dass ich es mit Muller besser nicht hätte treffen können.

Inzwischen habe auch ich Hunger, setze mich in das menschenleere Restaurant und genieße mein Lunch. Wie ich mitbekomme, werden auch die Jungs versorgt. Anschließend rennt eine junge Frau mit meiner Tasche auf der Schulter im Laufschritt zu meinem Häuschen. Ich kann ihr kaum folgen. Na gut, sie wiegt nur halb so viel wie ich und ist die Höhe von mehr als 3200 Metern gewohnt.





Leider passiert, was wohl passieren musste. Unbemerkt schleichen sich Wolken vor die Sonne. Und als ich nach dem Umpacken meiner Habseligkeiten für die nun zu erwartende Expedition in meinen guten neuen Wanderschuhen vor die Tür trete, treffen mich erste Regentropfen. Na gut, nochmals kehrt gemacht, die Regenjacke geholt und los geht es.

Der bewaffnete Begleiter in einem traditionellen Umhang gegen die Kälte und der unbewaffnete Begleiter in modernem Outfit mit Wanderrucksack nehmen mich in die Mitte, der Guide vorneweg, der Mann mit der Knarre hinterher. Wir bleiben an der Abbruchkante stehen, wo der Blick in die Weite sensationell wäre, wenn es nicht so diesig und grau geworden wäre inzwischen. Aber ich habe ja genug Phantasie.







Und hier tauchen die ersten Affen auf, “grass feeding Baboons” oder auch Gelada Paviane. Kurz nach der ersten umherziehenden Familie von vielleicht 10 Tieren stoßen wir auf die erste Herde mit sicher mehr als hundert Tieren. Und es beginnt die schönste und stressfreieste halbe Stunde des Tages. Die Tiere haben nichts gegen Menschen, sie sind nur am Essen interessiert und nicht am Kampf mit dem Menschen. Und sofern man sich ihnen nicht auf mehr als 2 Meter nähert, ist man Luft für sie. Guide und Scout lassen mich genießen, ich setze mich mitten zwischen die Tiere, darf das dumpfe Rupfen anhören, mit dem sie mit beiden Vorderpfoten das Gras ernten und die “Unterhaltungen”, meistens eher liebevolle zarte Bemerkungen, ab und zu aber wird auch ein Kind zurechtgewiesen oder zwei Sturköpfe geraten aneinander. Ich könnte ewig hier sitzenbleiben.











Aber Mulat ruft irgendwann zum Aufbruch, es gebe noch viel zu sehen.

Wir marschieren los, immer bergab. Meine Sorge, ob ich das alles auch wieder hochlaufen muss, bestätigt sich nicht. Mit Eshetu ist besprochen, wo er auf uns warten soll. Also noch ein Argument dafür sich die Tour organisieren zu lassen und sich fahren zu lassen, ganz abgesehen davon, dass hier wirklich Ortskenntnis gefragt ist, denn es ist nichts ausgeschildert.

Es beginnt in Strömen zu gießen, der Untergrund ist oft rutschig. Ich bin froh über meine Wanderschuhe, die auch schön wasserdicht  und rutschfest sind. Meine Laune sinkt im selben Maß, wie der Wasserpegel in den Pfützen steigt. Und ja, ich weiß, niemand kann das Wetter beeinflussen, aber ich sehe gar nichts mehr wirklich, hechele mit hängender Zunge hinter meinen beiden Bewachern her, wobei mein Scout mir öfter hilfreich die Hand reicht, während mein Guide den Blick unbeirrt nach vorne gerichtet hat.











Nachdem ich nun das eine oder andere Mal eine hilfreiche Hand gereicht bekommen habe und eine wieder mal sehr sanfte Stimme mich mit “it’s OK” und “slowly” bedacht hat, wird mir nun ein Auge zugekniffen mit der Bemerkung: “Have money?” Nun, okay, der Scout muss die Gelegenheit nutzen sein Einkommen aufzubessern, und natürlich wird auch er am Ende des Tages sein Trinkgeld erhalten.

Endlich erreichen wir das Auto. Da ich in einer Regenpause zugestimmt habe noch ein bisschen weiter zu laufen, es dann aber sofort wieder zu gießen begann, ist meine Laune auf dem Tiefpunkt. Selbst Schuld. Ich sage mir einfach, es ist das Trainingslager und der letzte Fitnesstest für den Vulkan, aber leider merken alle, dass ich nicht gerade gut drauf bin. Eshetu versucht mich mit Verweis auf die nächsten Affen aufzulockern und aufzumuntern, was auch gelingt, aber Mulat sagt, wir müssen weiter, wir müssen noch zum Wasserfall.



Also gut, es geht über eine Piste, mit den wieder hervorkommenden Sonnenstrahlen erobern auch Strahlen besserer Laune mein Gemüt, und als wir am Startpunkt des kurzen Weges zum Wasserfall ankommen, herrschen gerade bizarre Lichtverhältnisse. Irgendwo ist es bedrohlich schwarz am Himmel, vor mir eine grüne sonnenbeschienene Wiese mit einer erneuten grasenden Affenherde.



Fröhliche Äthiopier in rutschigen Plastiksandalen ion lustig bunten Farben begegnen uns, und ich mache mich in meiner durchnässten Regenjacke auf. Ich Zivilisationskrüppel ärgere mich vor allem über mich selbst. Und als ob das nicht reicht, beginnt es wieder zu gießen. Wenn ich mich jetzt in den Matsch lege, dann ist es echt vorbei mit dem Spaß hier! Ich balanciere über regennasse Steine und patsche durch Pfützen, mein Scout hält mich immer mal am Oberarm fest oder am Handgelenk, und auch mein Guide hat so langsam verstanden, dass ich tatsächlich weit von “Bergziege” entfernt bin.

Und endlich sind wir am Aussichtspunkt angelangt. Dort sei kein Wasser im Wasserfall, aber der Ausblick sei dennoch schön. Nee, auf den rutschigen Felsen, von dem aus man den Ausblick sehen kann, klettere ich nicht noch! Definitiv nicht! Ich werfe einen schüchternen Blick durch eine Lücke im Gebüsch und trabe mit Todesverachtung wieder zurück.



Alle haben Angst vor mir. Oh Gott, ja, ich weiß, wenn ich wütend bin, dann können meine Blicke töten… Und Muller wird angerufen und muss mich telefonisch ein bisschen runterreden. Das schafft er. Der schafft sowieso alles, davon bin ich überzeugt. Wie schade, der Tag war so toll geplant, und dann macht das Wetter einen Strich durch die Rechnung! Ich schäme mich ein bisschen für meine schlechte Laune, kann sie aber leider nicht verbergen.

Die Simien Mountains entschuldigen sich bei mir mit einigen letzten Sonnenstrahlen auf die gewaltigen Felsklippen auf dem Rückweg zur Lodge und ich bin froh, sie nochmals so gesehen zu haben.







Ich sitze in der Lodge den Rest des Abends in der höchsten Bar Afrikas auf 3260 Metern, esse und trinke Wein, während die offenbar einzigen anderen Gäste, zwei Franzosen, es mir gleich tun. Immer wieder gießt und gewittert es, aber hier ist es nett. In einer Regenpause wechsele ich schon früh am Abend in mein schönes Zimmer. Aber halt, nicht so schnell. Eine hilfreicher Geist läuft mir hinterher und streckt mir etwas entgegen: “hot bottle!” lautet die Erklärung dazu, und ich finde es so unfassbar liebenswert, dass mir eine Wärmflasche überreicht wird, zusätzlich zu den 3 zusätzlichen Decken im nicht beheizten Zimmer bei um die 10 Grad Außentemperatur.

Wieder mal ist Zähneputzen mit Stirnlampe angesagt, das Wetter hat hier einiges still gelegt, der Strom scheint mehrere Stunden auszufallen, das Internet funktioniert hier leider auch nicht. Aber macht nichts, ich bin sowieso so unfassbar müde, dass ich fast 10 Stunden durchschlafe.

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #11 am: 03.07.2018, 15:45 Uhr »
24.5.: Nach Axum

Heute soll es etwas später losgehen. Google Maps ist der Meinung, es sei nicht so sehr weit nach Axum, sodass ich mir ausrechnen kann, dass ich dort noch ein bisschen Zeit haben werde.

Vor dem Frühstück bleibt mir noch eine Stunde, in der ich ganz allein und ohne Begleitung ein bisschen um die Lodge herum spazieren gehe. Oh, das tut gut, in meinem Tempo ein bisschen herumzutrödeln, die Affen, die in Höhlen an den Abhängen hausen, schlafen offenbar leider noch.

Ein gutes Frühstück, und anschließend steht mein Scout draußen. Ich habe wohl am Vorabend gesagt, dass ich noch ein bisschen herumlaufen will, und da möchte er mich begleiten. Leider habe ich den Spaziergang ja schon hinter mir. Sorry, wusste ich nicht, dass du da bist. Aber - ganz ehrlich - ich war gerne allein unterwegs und habe mich auch nicht unsicher oder gar todesmutig gefühlt.

Am Ausgang des Parks steht wieder grüßend Mullers Vater, unverkennbar. Wir passieren den Ausgang, fahren wieder durch archaische Szenerien weiter, zunächst sehr mühsam über Pisten, sicher 2 Stunden lang. Im Grunde könnte ich alle paar Meter anhalten und fotografieren, aber ich habe irgendwie Scheu davor, aus dem Auto zu springen und einfach so Menschenbilder zu machen und beschließe einfach zu genießen.



Endlich ist Asphalt erreicht und Eshetu strahlt mich an: “Back to civilization!” Genau!

Nach 3 Stunden Fahrt hält er an: “Want drive?” Echt? Ich darf oder soll fahren? Gerne! Keine Ahnung, ob ich es einfach so darf, aber ich mache es.

An das etwas schwerfällige Reagieren des Autos beim Beschleunigen habe ich mich schnell gewöhnt. Die Straße schwingt sich kurvenreich nach oben und ebenso wieder nach unten. Ich hupe in Dörfern um Menschen zu warnen, umfahre gekonnt Kühe und Ziegen, und sobald Eshetu ein bisschen angespannt wirkt, verringere ich die Geschwindigkeit. Er kann es sicher am besten einschätzen. Das Hupen scheint ähnlich wie in Indien Kommunikation und nicht wie in Deutschland Ausdruck von Aggression zu sein: Kurzes Antippen der Hupe, Passanten weichen unmerklich zur Seite aus und ich weiß, dass sie mich wahrgenommen haben und sich in acht nehmen.



So langsam nach fast 3 Stunden Fahrt reicht es mir. In diesem Moment deutet Eshetu auf die Häuser vor uns mit der Bemerkung: “Axum.” Ich schaffe es noch nebenbei Google Maps nach dem Yeha-Hotel zu fragen und mich dorthin zu navigieren, weil Eshetu sonst zu oft fragen müsste. Ich glaube, heute habe ich den Adelsschlag erhalten. Eshetu findet ich sei “best driver”. Wir geben uns “high five”.

Axum ist fast so alt wie das Christentum und das axumitische Reich ebenso. Schnell nach dem Einchecken mache ich mich wieder auf den Weg die heute heilige Stadt zu entdecken. Bis zur Dunkelheit habe ich noch knapp 3 Stunden. Die will ich nutzen um mal alleine unterwegs zu sein, in Ruhe Leute zu gucken ohne die Aufmerksamkeit, das Gehör und den Blick immer auf einen Erklärmenschen zu richten.

Wir sind gerade schon mit dem Auto an den Stelen vorbei gekommen. Nun gehe ich zu Fuß vorbei. Die Stelen sind eigentlich Grabmale unterschiedlicher Herkunft, die teilweise nach ihrem Exil in Italien wieder hierher zurück verlegt wurden. Die Stelen sind aber nicht mein wesentliches Interesse, zumal ich auch ohne direkt zwischen den Stelen zu stehen deren Geschichte nachlesen kann.



Viel, viel interessanter finde ich die Kathedrale und das daneben liegende Kloster, in dem die Bundeslade streng bewacht wird von einem Mönch, dessen Lebensaufgabe das bis zu seinem Tod ist. Die Bundeslade ist das Behältnis, in dem die Tafeln mit den 10 Geboten aufbewahrt wurden, wie sie Moses von Gott übergeben wurden. Seit “Indiana Jones” kennen sie viele. Die Bundeslade ist heilig, und in ganz Äthiopien gibt es keine Kirche, in der sich keine Kopie der Bundeslade befindet. Kein Mensch hat sie je gesehen außer dem sie bewachenden Mönch. Und ja, ganz Äthiopien ist fest davon überzeugt, dass die Bundeslade existiert und hier gelagert wird, und so habe ich natürlich auch keinerlei Zweifel.

Und wollt ihr noch hören, wer sonst noch hier gelebt hat? Niemand geringeres als die Königin von Saba, die hier den ersten König der äthiopischen Königsdynastie gebar, die mit Haile Selassi zu Ende ging. Und das kam so: Die Königin von Saba reiste von Axum nach Jerusalem um König Salomon zu besuchen. Dieser verfiel ihr sofort und verschaffte sich mit einer List eine Affaire mit ihr. Aus dieser ging König Menelik I hervor, den die Königin von Saba in Axum gebar. Menelik selbst hat die Bundeslade später aus Jerusalem nach Axum gebracht.

Und nun wollt ihr wissen, wie man den oder die Angebetete gefügig macht? Versprich ihm oder ihr, ihn oder sie nicht anzurühren, sofern er oder sie nichts anrührt, was deins ist. Gib ihm oder ihr versalzenes Essen und stelle dein Eigentum, ein Getränk, ins Schlafzimmer des oder der Angebeteten. Nachts wird er oder sie es vor Durst nicht mehr aushalten und das Getränk - dein Eigentum - trinken. Und schon hast du, was du willst. Ganz einfach, oder?

Wieder mal gibt es ein Museum zu betrachten, in dem in nicht sehr schönen Vitrinen dicht an dicht Kostbarkeiten aufbewahrt werden: Kostbare Gewänder, Kronen, Bücher… Ich profitiere hier am meisten von dem Tipp, dass die moderne Kathedrale gleich geöffnet werde, dass ich dort dann das wertvolle Buch mit den aufwändigen Zeichnungen betrachten könne. Der Mitarbeiter kommt extra mit und aktiviert den Mönch mit der Schlüsselgewalt. Und außer mir betreten viele Pilger die Kathedrale, die bisher reglos auf den Stufen davor gelegen oder mit der Stirn an die Außenmauer gelehnt ihre Gebete verrichtet haben.





Der Mann geht mit mir zu dem kostbaren in Tücher eingeschlagenen Buch, und ich bin mir der Ehre sehr bewusst, die mir hier gerade zuteil wird. Vorsichtig berühre ich die kostbaren Seiten und wundere mich gleichzeitig, dass das überhaupt möglich und gestattet ist.





Das Haus der Bundeslade wiederum darf ich nicht betreten. Frauen sind hier tabu, hier dürfen nur Männer hinein, aber natürlich nicht bis zur Bundeslade. Von ferne schaue ich über die Mauer, die das Kloster umgibt. Vor der Mauer liegen Steine, auf denen sicher immer wieder die Neugierigen stehen um einen Blick zu erhaschen.





Es schließt sich ein Bummel durch den Ort an. Die Straßen im Zentrum sind nett gepflastert, viele Häuser sind bunt, die Atmosphäre ist ruhig, blühende Bäume säumen die Straßen. Zuerst treffe ich Eshetu, der auch noch nicht viel von Axum kennt und sich hier ebenfalls umsieht. Wir wechseln einige Worte, dann gehe ich meines Weges. Nun ist Leutegucken angesagt. Starrende und mich ansprechende Kinder werden hier deutlich unsanfter auf das hingewiesen, was sich gehört: Ein paar Jungs bekommen allen Ernstes von einem offenbar ihnen unbekannten Erwachsenen einen Tritt verpasst.

















Ich halte mich noch eine Weile auf dem Gelände auf: Ein umgekippter Rollstuhl liegt mitten auf dem Weg. Der Besitzer humpelt an Krücken hinter einem Priester her, der kaum vorwärts kommt, da immer wieder Pilger sich an seine Beine klammern. Das Gelände füllt sich mit überwiegend weiß gekleideten Pilgern, die auf die nahende Messe warten.







Unter dem großen Baum auf dem Platz vor dem Gelände mit der Kathedrale sitzen Menschen: Bettler, in der Bibel Lesende, Kinder, Familien. Mich erschreckt der Anblick des Mannes, der an eine alte Frau gekettet ist. Alle sind lieb zu ihm, er ist friedlich, aber offenbar weiß die alte Frau sich nicht zu helfen ohne die Ketten. Kinder spielen, betteln mich an, sprechen mich an. Zwei alte Männer sitzen ins Gespräch und ein Buch (die Bibel?) vertieft nebeneinander. Anderswo sitzt eine junge Frau unter einem Baum und bietet Buna, den starken und aromatischen äthiopischen Kaffee an.







An der Stelle: Noch eine Ähnlichkeit zu Indien: Es duftet immer nach irgendetwas. Hier duftet es oft nach Weihrauch, der beim Kaffee immer eine Rolle spielt, in Indien duftet es hingegen nach Räucherstäbchen.

Mir gefällt Axum gut. Die Stadt ist klein und übersichtlich, und ich bin froh, hier in Ruhe etwas herumwandern zu können. Warum Axum bei meinen Recherchen von mehreren als eher unspektakulär beschrieben wurde, erschließt sich mir nicht, ich mag die Stadt mehr als Gondar.

Zurück im Hotel esse ich gut auf der Terrasse mit Blick auf den Stelenpark und chatte ausgiebig. Mein Papaya”Saft” ist so dickflüssig, dass er mit Berg auf dem Glas bei mir ankommt. Das Bier hingegen ist angenehm flüssig und kühl. Meine Mahlzeit wird von der nicht enden wollenden Übertragung des Gottesdienstes in Blickweite unter mir begleitet.

Muller meldet sich, wie der Tag gewesen sei und auch Yihenew aus Bahir Dar fragt per Whats App. Ich schreibe ihm, der Tag sei toll gewesen, die Stadt selbst zu erkunden angenehm für mich. Yihenew  fragt: “Aber warum, Birgit? Warum magst du keine Guides?” Ja, er hat Recht, es geht bei Guides nicht darum hinter jemandem herzutrotten, es geht darum, deren Kompetenz zu nutzen und bequem alle Fragen klären zu können, Sprachbarrieren zu überwinden, sympathische Begleitung zu haben, die die eigene Stadt kennt. Die gesunde Mischung macht es aber: Es muss Zeit und Raum bleiben für eigene Entdeckungen. Und ich denke an Elke, die letztlich in Berlin auch “Guide” ist und mir bei einem Treffen mal ihre bevorzugte Ecke gezeigt hat, was ein ebenso schöner und erlebnisreicher Tag gewesen ist wie hier beispielsweise der Tag mit Yihenew.

Schneewie

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #12 am: 04.07.2018, 08:16 Uhr »
Eine andere Welt, aber super interessant.

Das die Landschaft dort in den Bergen so spektakulär ist hätte ich nicht gedacht, so auch, das es so viele tolle alte Gebäude (Klöster, Burgen) gibt.

Die Bilder von den Menschen sind einmalig, das die da mitmachen?


Auf jeden Fall weiterschreiben.  :D
Gruß Gabriele

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #13 am: 04.07.2018, 08:21 Uhr »
Hi Gabriele,

gelesen hatte ich zuvor, dass für Bilder Geld verlangt werde. Mir ist das allerdings nicht passiert. Einer der Guides meinte dazu, es sei wichtig, ein bisschen mit den Menschen in Kontakt zu sein, dann seien Fotos auch OK. Ich bin bei so etwas aber auch nicht soooo mutig bzw. unverfroren.

Und ja, Äthiopien ist kulturell betrachtet wohl das  eindrücklichste Land Afrikas und außerdem eines der eindrücklichsten Länder überhaupt. Nur weiß das kaum jemand...

Und landschaftlich habe ich dort die absolut eindrücklichsten und krassesten Erfahrungen überhaupt gesammelt, das kommt in den nächsten Tagen, wenn es zur Dallol und zum Erta Ale geht.

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Antw:Äthiopien: Big Smile in the “Land of Origins”
« Antwort #14 am: 04.07.2018, 08:22 Uhr »
25.5. Nach Mekele

Als ich zum Frühstück gehe, höre ich ein Schwirren über mir und eine Schwalbe fliegt mehrfach gezielt meinen Kopf an. Das Hotel hat zwar ein super Restaurant, aber die Zimmer sind eher oll, sodass ich einen kurzen Moment darüber nachdenke, dass es doch hoffentlich nur eine leckere Mücke ist, die sich auf dem Weg vom Zimmer zum Frühstück in meinen Haarschopf verirrt hat als irgendwelche ungewöhnlicheren Delikatessen, die den Weg ans Licht normalerweise scheuen. Und überhaupt fiel die Dusche heute morgen aus. Aus irgendeinem Grund lässt die Dusche nicht mit sich reden und gibt kein Wasser her. Am Waschbecken geht es, aber darin kann man eben nicht duschen.

Pünktlich geht es los. Das Warm Up mit Eshetu ist nun auch endgültig abgeschlossen, und so sitzen wir einträchtig Seite an Seite, zwischen uns unsere Handys, die über das Auto geladen werden. Und immer, wenn Eshetu eins seiner häufigen Telefonate (Mulushewa=Muller, mother, brother, friend, Mulushewa, brother…) beendet hat, ist es mein Job es wieder anzustöpseln.





Während es vorher schon immer wieder offizielle “Checkpoints” mit über die Straße gespanntem Drahtseil  gegeben hat, die ein bisschen aussahen wie die Rip-Off-Points in Mexiko, gibt es diese hier nicht mehr. Dafür winkt ein Verkehrspolizist. Eshetu hält an, es entspinnt sich ein Gespräch, in dessen Verlauf Notizen gemacht und Handys gezückt werden. Nanu, hat er was angestellt? Irgendwie scheint der Polizist sein Notizbuch zu vergessen, Eshetu schließt das Fenster und fährt weiter.

Auf meinen fragenden Blick deutet Eshetu auf das Notizbuch, zuckt die Schultern und sagt “message” und “Adigrat”. Nee, echt jetzt? OK, andere Länder, andere Sitten! Nach 2 Stunden Fahrt in Adigrat telefoniert Eshetu kurz und einen Augenblick später streckt der nächste Polizist Hand und Kopf zum Fenster rein und nimmt das Notizbuch entgegen…

Der Weg nach Mekele ist ziemlich weit, die letzte Etappe bis zum größten Abenteuer der Reise. Dennoch bleibt Zeit in der Tigray-Region noch eine Felsenkirche anzusehen. Wir finden mit Google Maps und vereinten Kräften den Weg nach Hawzien, wo wir eine Felsenkirche ansehen wollen, die Bejte Tekle Haimanot.

Diese steht inmitten eines alten Friedhofs mit Euphorbien und ist umgeben von einigen bunt bemalten modernen Gebäuden. Eshetu muss erst einmal ausfindig machen, wer hier aufschließen kann. Die Kirche selbst ist eher unspektakulär. Hmmm, da muss es besseres hier geben, aber das ist mühsam und mit Zeitaufwand und Wegen verbunden, sodass das vielleicht eher eine Möglichkeit gewesen wäre mit einer Übernachtung hier in der Nähe.

Auf dem Weg begegnet uns eine Gruppe junger Männer, offensichtlich Spätpubertät. Um es mit Loriot auszudrücken, einer von denen hielt es für notwendig mich “von hinten zu berühren”, was ich mit einem erbosten Blick quittiere und hoffe, der träumt noch mindestens drei Nächte von den tödlichen Pfeilen, die meinem Blick entspringen.







Nach Mekele sind es keine 2 Stunden Fahrt mehr. Ich gebe zu, einen Teil der Fahrt verschlafe ich.

Mekele ist auf den ersten Blick bei der Anfahrt nicht sehr anheimelnd: Wüste, Industrie, beige-grauer Sand. Ich checke im guten Axum-Hotel ein und sortiere mich erst einmal ein bisschen.

Mit zugegeben nicht sehr hohen Erwartungen gehe ich in Richtung Stadt und ich erlebe eine sehr angenehme Überraschung. Sehenswürdigkeiten im engeren Sinne gibt es hier nicht, aber einen überraschend gemütlichen und von Kneipen übersäten Stadtkern: Ausreichend ruhig, sauber, dennoch belebt. Sehr schön! Neben modernen und älteren Häusern gibt es Schatten spendende Bäume, bunt angemalte Häuser, großzügige Plätze in dieser boomenden Unistadt, in der an jeder Ecke gebaut wird.

Der Hunger nach Bildung scheint groß zu sein. An einigen Stellen der Stadt werden Bücher verkauft, diese sind wirklich umringt von Interessenten.

Ich bummele kreuz und quer, lasse mich ansprechen oder auch nicht, setze mich hier und da ein bisschen hin. “Ferenji, ferenji”, “I love you” und natürlich “money” höre ich wieder alle 5 Meter. Meistens lache ich und gehe weiter, die Betreffenden lachen auch.

















Ich esse irgendwo noch Pizza und trinke Limo. Hier ist es schon recht warm, sodass ich auch viel Durst habe.

Recht früh bin ich am Hotel zurück. Morgen um 9 Uhr soll es losgehen in das größte Abenteuer von allen ans Ende der Welt. Die Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht: Online und “im echten Leben” habe ich einige Menschen nach dem Sicherheitsaspekt gefragt, die (teilweise auch länger) vor Ort waren und versucht mir mit Hilfe von Berichten im Internet einen Überblick zu verschaffen. Das Problem: Wie bei vielen Themen spielt hier Halbwissen und Hörensagen eine Rolle und manch einer vertritt vehement eine Meinung, die aber nicht durch Fakten fundiert ist. Das ist manchmal nicht leicht zu unterscheiden.

Heute stellt es sich mir so dar: Die Afar werden von den Äthiopischen Reiseveranstaltern respektiert und als Partner geschätzt. Man holt deren Genehmigung ein in das Afargebiet zu reisen, was auch durchaus etwas kostet. Die Afar stellen die Kamele und das Begleitpersonal und verdienen somit auch das benötigte Geld. Es gab 2012 und Ende 2017 jeweils Vorfälle, bei denen Touristen am Erta Ale zu Schaden kamen. Vermutlich waren das Deserteure oder aus Eritrea über die Grenze nach Äthiopien gelangte Rebellen. Seit dem Vorfall 2012 ist der Begleitschutz nötig, und Äthiopien legt darauf Wert, damit niemandem etwas passiert und damit das Land durch diese Vorfälle nicht in Misskredit gebracht wird.

Ich will mein großes Gepäck hier im Hotel lassen und brauche noch einige Zeit um meinen kleinen Rucksack zu packen, die Wanderschuhe bereit zu stellen, alles andere so in meiner Tasche unterzubringen, dass diese dann 2 Tage im Hotel bleiben kann. Es dauert eine Weile, bis ich das Chaos der auf meinem Bett ausgebreiteten Habseligkeiten sortiert habe und alles seinen Platz hat.

Mit in die Afar kommen: Wasch- und Zahnputzzeug inklusive eines kleinen Handtuchs, mein Seidenschlafsack und mein aufblasbares Reisekopfkissen, die Wanderschuhe, meine Crocs-Latschen, ein paar Riegel und Elektrolytbrausepulver, jede Menge trockene und feuchte Tücher mit und ohne desinfizierende Wirkung, die Stirnlampe, eine kleine Taschenlampe extra, Ohropax, Paracetamol, Imodium, Pflaster, Wundschutzcreme, Sonnencreme und Labello mit Sonnenschutz, ein großes Tuch und mein Buff gegen die Sonne und die Ausdünstungen des Vulkans, ein Haarband, das auch gut ist als Schlafbrille beim Schlafen, einige T-Shirts und Wäsche zum Wechseln, sowie meine solaraufladbare Powerbank.