27.5. Zum Erta Ale - the adventure continuesMiss Singapore und ich sind als erste schon gegen 6 Uhr wach und setzen uns nach draußen und quatschen. Vielmehr: Sie hat ein großes Mitteilungsbedürfnis. Aber wie sie in Addis Abeba gelandet ist und wie das Leben dort ist, ist ja auch interessant. Alle anderen schlafen noch, die fünf Jungs (Gere und die Fahrer) liegen in Schlafsäcken unter freiem Himmel und fanden es dort kalt. Miss Singapore und ich sind uns einig, dass es da sicher sehr angenehm war im Vergleich zu dem etwas warmen Zimmer, in dem wir geschlafen haben. Erst gegen 8 Uhr stehen die anderen auf, die scheinen allesamt einen gesegneten Schlaf zu haben!
Ach ja, und die Köchin ist auch schon eine Weile aktiv, sodass es kurz nach 8 Uhr Frühstück gibt mit leckeren Pfannkuchen mit süßen Aufstrichen, Rührei und Obst.
Es dauert noch eine Weile, bis es losgeht. Die Autos müssen erst mit der ganzen Ausrüstung beladen werden. Währenddessen stehen wir im Hof herum und lassen uns von den Kindern des Dorfes bewundern und bewundern unsererseits wiederum diese. Besonders ein Mädchen hat es mir angetan, die sich mit ihren anmutigen Zügen und grazilen Bewegungen zu einer wahren Schönheit entwickeln wird. Der King ist aber unser amerikanischer Mitreisender, der einen kleinen Fotodrucker dabei hat und jedem Kind ein aktuell geschossenes Foto überreicht.
Wir lernen noch ein bisschen Dorfleben kennen und gehen zu Fuß zu einem Café im Ort. Sinn davon ist zwei weitere Mitreisende zu treffen, die heute erst in Mekele eingetroffen sind. Die beiden sitzen schon da, dummerweise Dummschwätzer, besonders einer der beiden, beginnt jeden Satz mit “Hey, maaaaaan…” und hat so ein dämliches Dauergrinsen im Gesicht wie aus einem satirischen US-Comic. Der andere ist eine Mischung aus Naturbursche und Partylöwe und scheint immerhin etwas mehr Einfühlungsvermögen zu haben.
An der Stelle spaltet sich die Gruppe innerhalb von Minuten. Während die amerikanischen Mitreisenden das ertragen oder vielleicht auch gerne mitmachen, Miss France sich denen anschließt und sogar ein Krausnäschen zieht und flirtet, wende ich mich meinen Landsleuten zu, die ebenfalls auf dem Rückzug sind, Miss Singapore pendelt so ein wenig zwischen beiden Polen hin und her, schließlich sitzt sie mit allen anderen, die nicht deutsch sind, in einem Auto.
Nun ja, zunächst geht es noch sicher 2 Stunden über die geteerte Straße und ich habe mein Auto mit Gere für mich. Gere kennt kurz vor dem Abzweig auf die Piste genau die beiden Bäume, die bei den hier schon mehr als 40 Grad Schatten spenden für die Mittagspause. Die Köchin hat schon Nudeln und Gemüse vorbereitet, und direkt nach dem Essen geht es weiter.
Miss France meint auf dem Dach sitzend weiter reisen zu müssen. Gere wird sehr streng und fordert den Fahrer des Autos mehrfach per Walkie Talkie auf sie sofort ins Auto zu holen. Nach 5 Minuten gehorcht er endlich und Gere ist wieder ruhig.
Zunächst geht es über recht ordentliche Pisten durch Sand und zwischen kilometerweiten Lavafeldern hindurch. Nach einer Stunde sind wir bei einem Militärcamp aus Containern angekommen, in dem wieder die Suche nach dem lokalen Guide beginnt und wieder zwei Bewaffnete der Afar Police zusteigen. Es ist inzwischen brütend heiß, wieder um 45 Grad, und ich habe etwas Sorge, ob ich die knapp 10 Kilometer Wanderung zum Krater bei der Hitze schaffe.
Vor uns liegt eine abenteuerliche Fahrt zum “Basecamp”, quer über Lavafelder, teilweise steil und stufig wie Treppen. Hier hat das Fotografieren aus dem fahrenden Auto so gar keinen Sinn. Ich frage mich unterwegs, warum ich Eshetu nicht engagiere um mich in Erfurt in meinen vierten Stock zu fahren. Manchmal halte ich mir aus Spaß die Hände vor die Augen. Aber Eshetu, der selbst noch nie hier war, fährt wie der Teufel. Und Gere hat irgendwo ein paar Zweige Khat aufgetrieben und gibt mir ein paar Blätter zum Probieren, was ich aber zur Belustigung aller nach 2 Minuten angeekelt ausspucke.
Es steigen aber zunächst im Militärcamp der Afar-Mann mit warmen, wachen und neugierigen Augen bei uns ein, ein schweigsamer “local Guide” (Gere: "Don’t expect him to speak english. Of course we know the way, but we have to accept him, because they need the business”) und zu meiner Verwunderung ein Kind, meiner Schätzung nach vielleicht 3 Jahre alt, aber angeblich schon fast 5 Jahre alt. Das ist das Alter, in dem Kinder in Äthiopien üblicherweise zu arbeiten beginnen. Und es ist offenbar das Alter, in dem Kinder sich allein auf Reisen machen.
Niemand weiß, wie der kleine Mann vom Basecamp, in das wir nun fast 2 Stunden offroad fahren werden, hierher gekommen ist. Er sitzt erst wach, dann schlafend zwischen Gere und dem local Guide und reagiert nicht, sagt kein Wort, zeigt weder Angst noch Neugier, egal ob Gere versucht ihn ein bisschen zu provozieren, zu necken oder lieb mit ihm zu reden. Auch auf meine Handvoll für alle nach hinten gereichten Bonbons reagiert er nicht, nicht einmal, als Gere fragt, ob er nicht zu mir Ferenji “amasegenallu” (danke) sagen will. Kurz vor der Ankunft sagt Gere noch zu ihm, das sei gefährlich, was er gemacht habe, er solle es bitte nicht wieder tun. Und dann spricht der Kleine den einzigen Satz der Fahrt: “Ich werde es wieder machen” und wackelt davon. Ich habe ihn nicht wieder gesehen und auch nicht die Mutter, die angeblich hier im Basecamp lebt.
Das Basecamp besteht aus einer Reihe einfacher Hütten, bei denen Steine zu Mauern aufgeschichtet wurden und eine Plane als Dach darüber gebreitet wurde. Toiletten? Lauf einfach 90 Sekunden dort hinten hin hinter die Bäume. Wir setzen uns in den Schatten. Die Köchin stellt uns Melone hin, die beiden amerikanischen Dummschwätzer schwatzen dumm, wir warten auf das Abendessen und alle packen ihre Sachen zusammen, die sie für die Nacht am Krater brauchen. Die Kamele werden beladen mit Matratzen, Decken und Wasser.
Nach dem Abendessen (Suppe, Nudeln mit würziger Soße und Gemüse, Obst) geht es kurz vor Sonnenuntergang los. Jeder soll 2 bis 3 Liter Wasser mitnehmen und ein Tuch um die Ausdünstungen des Vulkans nicht direkt einzuatmen. Eshetu geht als einziger der Fahrer mit. Ich habe ihn gefragt bzw. fast darum gebeten. Er kennt den Vulkan noch nicht. Und während ich Ferenji in meinen knöchelhohen Wanderschuhen wieder 3 Flaschen Wasser, meine Stirnlampe und jede Menge unnützen Kleinkram mit mir herumtrage, steht das Naturkind kraftstrotzend in seinen stylischen Sneakern und mit einer angebrochenen Wasserflasche in der Hand und dem Handy in der Hosentasche schon da und will los. Taschenlampe? Ach wo, der Mond scheint doch! Gere tauscht Eshetus angebrochene Flasche gegen eine volle aus, und Eshetu geht mit Gere vorweg und erkennt den Weg, wo ich nur Felsen erkenne, die einer wie der andere aussehen.
Der Weg ist knapp 10 Kilometer lang. Die Temperaturen sind übrigens wirklich gut auszuhalten. Es ist warm, aber nicht heiß, angeblich zwischen 25 und 30 Grad, es geht Wind, sodass niemand übermäßig ins Schwitzen kommt. Die ersten etwa 20 Minuten geht es etwas anstrengend durch Sand, dann geht es mehr oder weniger flach oder nur unmerklich ansteigend über felsigen Untergrund, erst die letzte vielleicht dreiviertel Stunde geht es merklich bergauf zum Kraterrand, insgesamt sind es wohl 600 Höhenmeter. Eigentlich braucht man 3 bis 3,5 Stunden. Aber da ich derzeit leider mal wieder Lebendhöchstgewicht aufweise und nicht sehr fit bin aufgrund von etlichen Infekten innerhalb des letzten halben Jahres darf ich das Tempo vorgeben. Wir brauchen länger und sind nach knapp 4 Stunden oben mit 4 oder 5 Pausen zwischendurch. Dass man irgendwann auf etwa halber Strecke einen feuerroten Lichtschein am nächtlichen Himmel sieht, motiviert jedoch ohne Ende, auch wenn es so aussieht, als ob es noch mindestens 20 Kilometer weit sei.
Der Partylöwe-Dummschwätzer schwächelt mehr als ich. Offensichtlich hat er gestern Abend durchgesoffen und ist dann gleich ins Flugzeug gestiegen. Unsere Jüngste muss gekümmert werden. Sie ist gestürzt und hat eine kleine Schürfwunde an der Hand. Und ich bin irgendwie die Mama der Nation und darf Traubenzucker, Elektrolyte und Pflaster verteilen.
Endlich sind wir oben in einem “Militärlager”. Dieses besteht aus vielen etwa 30 cm hoch mit aufgeschichteten Steinen abgeteilten Parzellen und einer Art erhöhtem Ausguck. Die Toiletten? Da hinten, geh einfach irgendwie in diese Richtung dort...
Vor uns liegen nur noch ein paar Minuten, in denen wir erst abwärts in den Krater gehen und dann über erkaltete Lava bis zum Höllenschlund. Jede Müdigkeit ist in diesem Moment wie weggeblasen, es liegt eine angespannte und erwartungsvolle Stille über uns allen. Vor uns liegt roter Nebel, der aus dem Krater aufsteigt. Gere gibt sehr, sehr klare Anweisungen und zählt offenbar unablässig durch, ob noch alle da sind.
Außer unserer Gruppe ist nur noch ein japanisches Paar unterwegs, das jedoch offenbar schon schläft. Die sind auch etwa 1 Stunde vor uns im Basecamp gestartet.
Der Vulkan ist ein intensives Erlebnis für alle Sinne. Wir nähern uns vorsichtig der Kante und stehen direkt vor dem Tor zur Hölle. Die Lava ist rot-orange, beißende saure Dämpfe steigen auf und nehmen uns buchstäblich die Luft zum Atmen. Der Vulkan kann sich in verschiedenen Zuständen präsentieren, heute schauen wir in kochende Lava, nur leider liegt meistens Rauch darüber.
Gere schießt los und sucht eine rauchfreie Stelle, an der man die vulkanische Aktivität sehen kann und findet eine. Er warnt vor den beißenden Dämpfen, die schwallweise aufsteigen und die Luft abschneiden. Er sagt Bescheid, wenn eine solche Wolke kommt. Dann sollen wir uns abwenden und nahe an den Boden kauern, dass die Dämpfe über uns hinwegziehen und ein Tuch vor Mund und Nase nehmen. Nicht rennen, den Gasen kann man ohnehin nicht entgehen und die Unfallgefahr ist auf der brüchigen, porösen, löchrigen Lava mit den scharfen Kanten groß.
Mir bleibt aber vor allem von dem Anblick der Atem weg. Gelbe Linien schießen durch die Lava. Leider kann man es kaum fotografieren, selbst mit einer ordentlichen Kamera nicht. Ohnehin bin ich in diesem Moment so intensiv dabei, so fasziniert und aufgeregt, dass das Fotografieren sowieso keine Option ist für mich. Ich habe das Aufregendste erlebt, was die Erde zu bieten hat, ich kann aufhören zu reisen.
Eshetu scheint es ähnlich zu gehen. Wir stehen ergriffen gemeinsam am Krater nur etwa einen Meter vor der Abbruchkante und starren in die unheimliche Tiefe und beobachten das krasse Schauspiel, das sich uns bietet. Er passt gut auf mich auf, fasst mich an der Hand, “careful, careful!” Mein Gott, in Deutschland würde man nie, nie, nie im Leben so nah herangehen dürfen!
Ich wurde hinterher gefragt, ob es nicht unerträglich heiß dort war. Ich erinnere mich nicht, zu viel Input! Aber ich glaube, es war nicht heiß. Ich frage im Nachhinein zur Sicherheit Gere, warum es nicht heiß gewesen ist: Der Krater ist zu tief, die Hitze verflüchtigt sich, bis sie oben ist.
Wir verlassen gemeinsam den Krater und gehen zurück zum Lager, wo inzwischen Matratzen und Decken ausgebreitet sind. Wir hauen uns hin, so wie wir sind, es wird mehr ein Nickerchen unter freiem Himmel als ein richtiger Nachtschlaf. Die Decke braucht man hier oben schon, denn bei etwa 20 Grad geht auch Wind, zu frisch, wenn man nur da liegt.