03. – 05. Oktober 2000
Nach drei Tagen ohne Zug in Orlando war ich merkwürdigerweise ziemlich scharf darauf, endlich meine Reise fortzusetzen. Der Silver Meteor brachte mich in erstaunlich kurzer Zeit durch die langweiligen Sumpfgebiete in der Mitte Floridas nach Miami, in dem gerade ein kleiner Orkan sein Unwesen trieb. Selbst Schuld, was musste ich auch zu dieser Jahreszeit nach Florida. Zum Glück wartete vor dem winzigen Bahnhof der Millionenmetropole schon ein Stadtbus, der sich durch die Wassermassen nach Miami Beach kämpfte, wo ich ein kleines, für seine Top-Lage aber ausgesprochen günstiges Hotel am Strand gebucht hatte. Der Abend war natürlich gelaufen, zumal mir an der Rezeption gleich noch eine bestehende Hurrikanwarnung mitgeteilt wurde. Also wollte ich mir wenigstens einen gemütlichen Fernsehabend gönnen. Leider musste ich entdecken, das auf allen Sendern das gleiche lief, das Rededuell zwischen Al Gore und Bush Junior. Ein Film wäre mir lieber gewesen.
Am nächsten Morgen merkte man zunächst wenig von den Wassermassen, so dass ich erst einmal zu einem Bummel über den berühmten Ocean Drive aufmachte, der auch prompt alle Klischees bediente, da ich einem Modefotographen bei seiner Arbeit quasi über die Schultern schauen konnte. Die Gebäude des Art Deco-Distrikts sind schon sehr schön anzuschauen, mit voller Beleuchtung am Abend entfalten sie aber erst so richtig ihre Wirkung. Im Anschluss machte ich mich gleich auf den Weg nach Downtown, wo ich mir eine kostenlose Rundfahrt mit der Hochbahn Metromover durch die Häuserschluchten der Wolkenkratzer gönnte.
Auf dem Weg zum Bahnhof wurden dann die Ausmaße des Orkans, der eigentliche Hurrikan hatte Miami wohl doch gemieden, ziemlich offensichtlich. Neben abgedeckten Dächern stand in allen niedrig gelegeneren Gebäuden das Wasser. Ein am Bahnhof abgestellter Bus konnte wohl nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden, jedenfalls schauten aus den Wassermassen nur noch das Dach und ein paar Fenster heraus. Den Busfahrer meines Stadtbusses auf dem Rückweg zum Bahnhof schien das alles wenig zu beunruhigen. Mit Höchstgeschwindigkeit buchsierte er das Gefährt über die teilweise mehr als 30 Zentimeter hoch mit Wasser bedeckten Straßen. Diese Sicherheit übertrug sich dann auch auf mich, so dass ich am späten Nachmittag auf dem Bahnhof kaum mehr über diesen Zwischenfall nachdachte, der mir erst heute, Jahre später, wieder so richtig ins Gedächtnis kommt.
Als einer von wenigen Leuten, die an diesem Tag den Zug Richtung Norden bestiegen, hatte ich schnell eine gemütliche Schlafstellung gefunden, die ich erst am nächsten Morgen, dafür um so zeitiger verlassen musste. Auf dem Rückweg zu den Metropolen der Ostküste, in denen meine große Reise begonnen hatte, wollte ich noch ein bisschen echter Südstaatenluft schnuppern. Die günstige Fahrplanlage ließ einen ganzen Ausflugstag in Charleston zu. Dabei muss man aber wissen, dass sich der Bahnhof fast 20 Kilometer außerhalb des interessanten Stadtzentrums befindet. Als einziger Reisender an diesem Morgen schien mir das Taxi auch nicht gerade die verlockendste Variante. Ich wusste auch aus dem Internet, dass eine Stadtbuslinie in der Nähe des Bahnhofs hält. Ich konnte aber die Haltestelle nicht finden, der freundliche Amtrak-Angestellte am Schalter war mit dieser exotischen Frage leider auch überfordert, so dass ich am Ende doch die $ 25 für ein Taxi investieren musste.
Charleston hat bei mir aber nicht nur deswegen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Stadt selbst, vor allem aber das historische Zentrum mit den fantastischen Prachtvillen à la „Vom Winde verweht“, haben das zeitige Aufstehen mehr als gelohnt. Auf dem Rückweg wurde mir dann auch endlich bewusst, wieso ich am Morgen die Bushaltestelle am Bahnhof nicht gefunden hatte. Das Haltestellenschild stellte sich als Telefonmast heraus, auf dem jemand mit weißer Kreide die Buslinie geschrieben hatte. Die öffentlichen Verkehrsmittel außerhalb der Großstädte sind eine wahre Herausforderung.