Dienstag, 20. September 2010Serpentinen, Geierflug und Wallfahrtstrubel
Nach Zeltabbau und mageren Frühstück aus den Resten, sind wir gegen 8.30 Uhr on the Road. Zunächst ins Stadtzentrum um noch Brot und Obst als Proviant aufzutreiben. An der Hauptstraße tutet ein fahrender Bäcker und wir erwerben bei der jungen Bäckersfrau knackiges Baguette, hoffen auf einen Obststand unterwegs am Straßenrand und setzen unsere Überfahrt nach Frankreich fort. Die Strasse in Richtung Foz de Arbayun kennen wir inzwischen richtig gut.
Auf dem unscheinbaren Parkplatz noch vor der Abfahrt zur Foz stehen heute Morgen schon wieder Autos, ein Weg führt in den Wald und unsere Neugier ist geweckt. Frank meint, dass man von dort zum seitlichen Schluchtrand laufen kann. Und da eines der parkenden Fahrzeuge zu einem „Geierprojekt“ gehört, der Weg vermutlich auch zu einem Futterplatz der Geier führen wird. Wir packen jeder 2 kleine Wasserfläschchen ein, Müsliriegel und das Fernglas und stapfen den Weg in Richtung Wald. Alsbald gabelt sich der Weg und wir müssen uns für eine von drei Abzweigungen entscheiden.
Unser Bauch meldet übereinstimmend den mittleren Weg zu nehmen und wir schlagen diesen ein. Nach 100-200 m teilt der sich erneut und wir entscheiden uns übereinstimmend für den linken. Alsbald wird die Vegetation dichter, einzelne Steinmännchen weisen den Weg durch das Gestrüpp in das jemand einen Pfad geschnitten hat. Frohen Mutes weiter in den Wald hinein, der Blick haftet auf der Erde um nicht über eine der zahlreichen Wurzeln zu stolpern. Vorbei an einer Stelle wo (wahrscheinlich) Wildschweine die Erde umgepflügt haben laufen wir weiter und weiter, bücken uns unter tiefhängend Ästen hindurch, suchen den Weg wenn er nicht auf den 1. Blick erkennbar ist und mir kommen langsam Zweifel, ob uns der Pfad tatsächlich wie erhofft zum Schluchtrand führt.
Für Frank ist das nur eine Frage des Weges den wir zurücklegen und inzwischen schon mit leichten Striemen an den Armen mit denen wir dorniges Gestrüpp aus dem Pfad geschoben haben, setzen wir den Marsch fort. Weiter und weiter. Wie lange sind wir unterwegs ? Ein Blick auf die Uhr sagt fast 1 Stunde. Hm, wie weit kommt man in einer Stunde bei diesem Gelände ? 3 km ? 5 km ? Wenn der Weg tatsächlich direkt zum Schluchtrand führt, hätten wir längst da sein müssen. Frank zweifelt inzwischen auch daran, dass wir unser Ziel erreichen, möchte aber noch ein paar Minuten weiter laufen. Also schlagen wir uns weitere 10 Minuten durch die Büsche, nur um immer noch mitten im Gestrüpp zu stehen.
Wir kehren um und trotten enttäuscht den gleichen Weg zurück. An der 3er-Weggabelung überlegen wir kurz, den rechten Weg anzutesten, aber wir wollen heute noch nach Frankreich, die Strasse führt über den Pyrenäenhauptkamm und überwindet dabei diverse Pässe und unzählige Serpentinen. Das Navi meldet 230 km und etwas über 4 Stunden Fahrzeit. Gerade als wir abfahrbereit sind, sehen wir eine Familie mit Kindern und leichtem Gepäck den Weg hinunterkommen. Rechter Abzweig hätte also irgendwohin geführt? Oder ist die Familie auch einfach wie wir planlos herumgelaufen ? Wir kramen im Kofferraum und warten auf die Wanderer. Unser Konversationsversuch scheitert aber leider an der Sprachbarriere (wir können kaum Spanisch und die Spanier sprechen kein Englisch).
Na dann eben nicht. Auf nach Frankreich, aber nicht ohne am bekannten Aussichtspunkt einen allerletzten Blick auf die Foz de Arbayun zu riskieren. Wir fahren durch das Roncaltal, das östlichste der Pyrenäentäler in Navarra. Zunächst entlang eines Flusses, schrauben wir uns alsbald in unzähligen Serpentinen höher und höher. Langsam ändert sich die Landschaft, das trockene, fast steppenhafte Klima, charakteristisch für die span. Pyrenäentäler weicht der niederschlagsreichen Vegetation und wir erreichen die karstigen Hochflächen des Gebirges.
Der bleiche Karst bildet einen reizvollen Kontrast zu den grünen Weiden, den grauen Steilwänden der Gipfel und den tiefgrünen Nadelhölzern. Auf den offenen Weiden grasen Pferde und Rinder und nicht nur dort, immer wieder müssen wir warten bis Rind oder Pferd die Strasse passiert haben. Aber nach den vielen frei weidenden Ziegen, Schafen und Rindern in den span. Pyrenäen haben wir die ständigen Stopps einkalkuliert und sind inzwischen geübt beim Durchfahren durch die sich vor dem Auto teilenden Herden. In der Luft kreisen Gänsegeier und wir stoppen und beobachten die faszinierenden Vögel durchs Fernglas.
Die Fotoausbeute ist wegen der Entfernung nicht ganz so toll, aber ein paar vorzeigbare gelingen. Wir sind inzwischen auf der franz. Seite und fahren durch die kleinen Dörfer der Pyrenees-Atlantiques. Als Fotomotiv müssen jetzt die vielen kleinen Kirchen herhalten ihre mit Rund-/Spitzbögen und Türmchen verzierten altehrwürdigen Mauern stolz gen Himmel recken.
Da unsere Vorräte fast gänzlich aufgebraucht sind, halten wir nach einem Supermarkt Ausschau, alles was wir finden sind die winzigen Dorfmärkte und die sind alle wegen Mittagsruhe geschlossen. Um sicher zu gehen, dass wir einen Supermarkt passabler Grösse finden, planen wir unsere Reiseroute kurzerhand über Lourdes. Und wenn wir schon mal dort sind, können wir ja auch gleich die Gelegenheit für einen Stadtbummel nutzen und die karge Koste der letzten Tage durch eine Mahlzeit beim goldenen M. auflockern. Lourdes liegt ländlich und wäre wahrscheinlich noch immer ein verschlafenes Nest wenn das Mädchen Bernadotte im Jahr 1858 nahe der Grotte Masabielle nicht diverse Marienerscheinungen gehabt hätte.
Heute ist Lourdes der bedeutendste Wallfahrtsort der römisch-katholischen Kirche und alljährlich Pilgerziel mit über 6 Millionen Übernachtungen in 30.000 Betten in Hotels und Herbergen. Damit entfallen auf Lourdes nach Paris die meisten Übernachtungen und das merkt man. Die Strassen sind gesäumt von Hotels und Pensionen und zahlreicher als diese scheinen nur noch die Fresslokale und Souvenirstände zu sein. Wir stürzen uns trotzdem ins Getümmel – und zwar sprichwörtlich.
Auf den gut besuchten Gehwegen schieben wir uns durch die Innenstadt vorbei an Lokalen, Bäckereien und noch mehr Hotels in Richtung Mc Donalds. Nach einer Burgermahlzeit fühlen wir uns gestärkt für die weitere Stadtbesichtigung und folgen der Beschilderung Richtung Grotte und der Kirche Notre Dame.
Je näher wir dieser kommen, desto dichter werden die Menschentrauben. Pilger, Pater, Priester, Ordensschwestern flanieren auf den Gehwegen, Gläubige in Rollstühlen und mit Gehhilfen, Blinde mit Führhunden, Busreisegesellschaften, Bimmelbahnen, Motorradfahrer, Radler und viele andere Fussgänger – darunter wir die wir alsbald genug haben von Pilgerkitsch und Wallfahrtstourismus. Um in einem solchen Trubel Andacht zu finden, muss man schon sehr gläubig sein – oder entsprechend verzweifelt und auf ein Wunder hoffend. Nichts wie weiter.
An der Ausfallstrasse in Richtung Gavarnie sehen wir keinen Supermarkt, also wieder retour in Richtung Stadtzentrum und kreisen bis der Supermarkt kommt. Glücklicherweise kreisen wir nicht lange und finden einen Carrefour Supermarche in der Nähe der Ausfallstrasse in Richtung Tarbes. Der Markt ist gut sortiert und etwa eine halbe Stunde später verlassen wir den Laden mit einem wohlgefüllten Einkaufswagen. Die Weinvorräte sind aufgestockt, frisches Obst an Bord, Grillfleisch, Süssigkeiten, Croissants und Getreidecerealien fürs Frühstück und ein paar andere Leckereien. Wir sind startklar für den erneuten Aufbruch in die wilden Pyrenäen.
Nach Gavarnie sind es von Lourdes noch etwa 50 km, aber die führen, nachdem man die Stadtbezirke von Lourdes hinter sich gelassen hat, durch eine schöne Hochgebirgslandschaft und durch gepflegte Wintersportorte. Übernachten wollen wir auf dem Campingplatz Le Pain de Sucre, auf den im Reiseführer so viel Lob gefallen ist. Der Platz liegt etwa 2 km vor dem Dorf und entpuppt sich als gepflegtes Areal direkt am Fluss mit einer genialen Aussicht auf die Gebirgsmassive, guten Sanitäranlagen und einem freundlichen Platzbetreiber. Wir haben freie Platzwahl und alsbald steht unser Campingzelt, das Fleisch brutzelt auf dem Grill, der Salat samt Dressing liegt fertig zum Durchrühren in der Tupperschüssel und ein lieblicher franz. Weisswein schwappt golden im gestielten Plastikweinglas. Und wir freuen uns auf die Naturwunder rund um Gavarnie – den berühmten Felsenkessel Cirque de Gavarnie mit dem 423 m hohen Gavarnie-Wasserfall, den Cirque de Troumouse und die Pyrenäentäler der Umgebung.
Unsere heutige Route:
Lumbier - Roncaltal - Lourdes - Gavarnie