Hallo ihr alle!
Ich habe jetzt ne Zeit lang hin- und her überlegt, ob ich das Posting schreiben soll! Ich habe mich dazu entschlossen, vielleicht ist es ja für den einen oder anderen interessant zu lesen, auch wenn es ein sehr persönlicher Bericht ist, vielleicht kommen eigene Erinnerungen wieder, vielleicht können auch Leute, die noch nie dort waren und ihren ersten Besuch des Grand Canyons noch vor sich haben, etwas damit anfangen.
Meine Liebeserklärung an den Grand Canyon
Der erste Besuch des Grand Canyons, 1993, Abiturreise. Alle hatten vorher gesagt, das wird DER Höhepunkt eurer Reise, nichts ist mit ihm vergleichbar. Aber dem war nicht so. Ich war eher enttäuscht. Ich stehe am Rand, blicke hinunter. Als ganzes - von oben betrachtet - hat er mich wohl überfordert, er war zu groß, ich habe die Schönheit nicht sehen können, konnte nichts mit ihm anfangen. Canyon vom Horizont bis zum Horizont, das kann man nicht begreifen. Man sieht teilweise vor Hitzeflimmern das untere Ende nicht, auch die Konturen verschwimmen. Nicht schön, nur groß.
2002 - wieder liegt der Grand Canyon auf der Tour. Mit durchaus gemischten Gefühlen fahre ich hin - ich dachte, ich weiß was mich erwartet. Wieder das gleiche Gefühl - groß, zu groß. Aber diesmal stehe ich am Rand, ausgerüstet für den Hike in die Tiefe. Super nervös. Packe ich das überhaupt? An einem Tag runter und rauf -20km gesamte Wegstrecke, das Ziel 1000 Höhenmeter unter uns - man liest ja so viele Warnungen. Gott sei Dank sind ein paar hauchdünne Schleierwolken am Himmel, daher nur 34°C unten im Canyon vorausgesagt.
Ziemlich in der Früh gehts los. Herrlich, wie allmählich die Sonne in den Canyon fällt, immer wieder neue Farben, durch die wandernden Schatten und die wechselnde Beleuchtung entstehen immer wieder neue Formen. Und man geht und geht, Serpentine um Serpentine, es wird immer wärmer. Ab und an der Blick zurück - Wahnsinn - diese Wand sind wir runter. Und im gleichen Moment - heute Nachmittag müssen wir sie wieder rauf. Aber das ist weit weg....
Bei fast jedem Schritt ein neuer Blickwinkel. Meine Augen können nicht schnell genug schauen, nicht viel genug aufnehmen. Warum habe ich keinen 360° Blick?
Und man kann sich um Details kümmern. Weil man sie hautnah erlebt. Nicht nur aus steriler Distanz in das große Tal blickt. Ich sehe den Canyon nicht mehr als ein Ganzes sondern als wunderbares Zusammenspiel von vielen Einzelheiten, ein Zusammenspiel, das keine Sekunde konstant ist. Gerade schaut der Grat gegenüber noch aus wie ein Elefant, im nächsten Moment ist es Snoopy, der auf seiner Hütte liegt. Und all das wunderbare Leben in dieser Wüste, die von oben komplett tot aussieht. Man darf einen Tag mit dem Canyon leben. Mit den Pflanzen, mit den Tieren, mit der Hitze und dem Staub.
Kolibris! Noch nie zuvor habe ich diese Vögel in der Natur gesehen! Fasziniert staunend schaue ich den kleinen schwirrenden Wesen zu.
Und dann plötzlich - eine Oase, die Indian Gardens. Eine Quelle und schon wird aus der Wüste Wald, hohe Bäume, der Wind raschelt in den Blättern, Wasser plätschert, intensiver Blütenduft nach der staubigen Hitze. Eine ganz unwirkliche Stimmung, will im ersten Moment gar nicht passen.
Und du gehst ein paar Schritte weiter und bist sofort wieder in der Wüste, ein ewiges Plateau, wunderschöne riesige blühende Kakteen und vorne an der Abbruchkante der Blick auf den Colorado River. Laut. Unglaublich laut nach all der Stille. Obwohl der Fluss noch mehrere 100 Höhenmeter direkt unter uns fließt.
Hier unten angekommen fühle ich mich unendlich klein. Bin wie erschlagen vom Blick nach oben, von den Dimensionen, die von unten soviel beeindruckender sind. Fast ein bisschen Dankbarkeit, dass ich so was Schönes sehen darf.
In der prallen Sonne auf dem Plateau halten wir es nicht lange aus, also zurück unter die Bäume der Oase, Kräfte tanken für den Aufstieg. Wasserflasche in der Hand, und auf die innere Stimme hören, die gibt das Tempo vor.
Und dann der Aufstieg. Langsam, immer so, dass man noch reden könnte, auf den Weg konzentrieren! Die Konzentration lässt wegen der Anstrengung mit fast jedem Schritt nach, aber ich habe unendlich viel Zeit, all die Eindrücke noch mal zu erleben, zu verarbeiten und zu verinnerlichen. Weiß, dass ich grade einen wunderbaren Tag erlebe, den ich festhalten muss, der mir in schlechten Zeiten unglaublich Auftrieb geben kann. Keine schnelle Hopplahopp-Erfahrung, gesehen, abgehakt und weiter. Nein, Stunden, die ich nur damit verbringe, Eindrücke aufzusaugen wie ein Schwamm und diese Erlebnisse zu genießen.
Gehen, langsam und gleichmäßig einen Fuß vor den anderen, viel trinken, am Ende werden es fast 9 Liter sein, nicht mehr soviel Kraft zum Schauen, weil das Losgehen nach dem Stehenbleiben so anstrengend ist, aber jeder Blick der sich ergibt ist einzigartig.
Je weiter man nach oben kommt, desto mehr "Flachlandtiroler" kommen uns entgegen, die mit Pumps nur mal ein paar Schritte in die Tiefe machen, um sich dort photographieren zu lassen, und die über die staubigen, fertigen,... Leute grinsen, die ihnen da entgegen kommen. Und wir grinsen innerlich zurück - wir haben was erlebt, wovon ihr nicht mal träumt.
Und wieder oben angekommen: Wahnsinn! Ich hatte vorher soviel Angst vor dem Aufstieg in der Hitze, 1000 Höhenmeter stetig nach oben, im Canyon bis zu 40°. Und dann ging es sich wie von alleine! Unglaublich. Und als die erste Erschöpfung weg ist, nach einer langen heissen Dusche, kommt irgendwann der Stolz!
Zu fertig zum Kochen und Abwaschen beschließen wir, essen zu gehen - das mit Abstand beste Steak meines Lebens. Auch wenn ich beim Nachtisch beinahe einschlafe...
Und auch während der nächsten Tage, wo ich nur noch oben am Canyonrand unterwegs bin, immer wieder suche ich mit den Augen die Stelle - da unten war ich. Da unten habe ich mich in den Grand Canyon, in die unendliche Größe verliebt. Ich stehe wieder oben, jedoch mit komplett neuem Blick, sehe plötzlich nicht mehr nur den unbegreiflichen, unendlich großen Canyon, sondern auch die kleinen zauberhaften Dinge, die ihn wirklich werden lassen. Ein Vogel, der vorbeischwebt, eine kleine Blume und meine Augen erkennen plötzlich auch von oben all die Täler, Grate, bunten Felsschichten, das Leben im Canyon, die unglaubliche Schönheit und Vielfalt...... All die anderen lauten Touristen vom Aussichtspunkt sind verschwunden, ich kann mich plötzlich reinfühlen in den Canyon. Bin ganz weit weg. Und irgendwie verbunden mit den heißen flimmernden Felsen.
Liebe? Weil er mir die Gelegenheit gegeben hat, ihn in seinen Details kennenzulernen und mir dadurch geholfen hat, ihn auch als ganzes wunderschön zu finden. Und weil er mir ermöglicht hat, meine Grenzen zu spüren und mich trotzdem sicher zu fühlen. Weil ich mich ganz klein fühlen durfte, als ich unten stand und nach oben blickte und weil ich mich riesengroß fühlen durfte, als ich wieder oben war.
© 2003 by Claudia