Freitag, 11. NovemberAls ich heute morgen gegen 7 Uhr frühstücken gehe, hat mein Hunger auf „westliches“ Essen nicht nachgelassen, und so bastele ich mir aus Baguette und Frühstücksspeck ein Schinkenbrot. Eine Stunde später werde ich dann zu meinem Ausflug zur Parfüm-Pagode, etwa 60 km südlich von Hanoi abgeholt.
Der Tour-Guide holt mich in der Lobby ab, öffnet die Autotür und ich staune nicht schlecht: Dort sitzen zwei Kanadier aus Québec, Vater und Sohn, die ich schon auf der Paloma in der Halongbucht kennengelernt habe und mit denen ich mich nett unterhalten habe. Unglaublich! Es gibt so viele Tourveranstalter in Hanoi, und außerdem wollten die beiden doch eigentlich nach Mittelvietnam. Dort waren sie auch, erzählen sie mir, als wir losfahren, aber teilweise standen die Straßen hüfttief unter Wasser und das Hotel am Strand, in dem sie ein paar Tage verbringen wollten, hatte keinen Strand mehr. So sind sie nach Hanoi zurückgeflogen. Ich bin froh, dass ich den Abstecher nach Hue und Hoi An, den ich zwischendurch auch mal in Erwägung gezogen hatte, doch ausgelassen habe, während die zwei Schweizerinnen, die heute ebenfalls am Ausflug teilnehmen, nicht gerade begeistert aus der Wäsche schauen, denn sie wollen morgen nach Mittelvietnam weiterreisen.
Der Guide stellt sich uns vor und behauptet, sein Name bedeute „King“ und wir seien jetzt seine Royal Family. Okay, warum nicht? Wir fahren etwa zwei Stunden nach Süden, dann halten wir in der Nähe der Parfüm-Pagode an. Die Parfüm-Pagode (oder Duftpagode) ist kein einzelnes Bauwerk, sondern besteht aus mehreren Grotten und Pagoden am Huong Tich, dem "Berg der duftenden Spuren". Die Pagode kann nur übers Wasser erreicht werden, und so steigen wir in ein Ruderboot um und gleiten in der nächsten knappen Stunde durch die sogenannte trockene Halongbucht und an Lotosblüten, Bananenbäumen und kleinen Altären vorbei.
In der Nähe der Pagoden angekommen, gibt es erst einmal ein kleines Mittagessen. Leider merken wir jetzt, dass wir mit „King“ nicht gerade den idealen Guide erwischt haben. Er gibt uns 15 Minuten Zeit, um zu essen, dann gibt er uns weitere 15 Minuten Zeit, um die Thien Tru Pagode am Fuß des Berges zu erkunden, während er selbst sich währenddessen einen Nachschlag genehmigt. Aber die Pagode ist auch ohne Führer sehr fotogen. Laut einem meiner Reiseführer heißt sie übersetzt "Pagode der Himmlischen Küche" und stammt aus dem 18. Jahrhundert, der andere Reiseführer datiert sie ins 15. Jahrhundert. Egal welches Jahrhundert stimmt, eine Küche finde ich dort jedenfalls nicht.
Als wir zum Restaurant zurückkommen, beginnt King aus einem Grund, den ich nicht nachvollziehen kann, eine Diskussion mit uns, ob es Sinn macht, mit der im Jahr 2006 gebauten Seilbahn auf den Berg zu fahren. Ich hatte die Seilbahnfahrt ursprünglich schon bei der Buchung des Ausflugs dazugebucht und bezahlt, weil auf dem Weg nach oben 1.500 Stufen erklommen werden müssen und ich nach den 1.200 Stufen in Mai Chau Knieschmerzen hatte. Die anderen vier sind einer Seilbahnfahrt auch nicht abgeneigt, aber King behauptet, die nächste Seilbahn würde erst dann fahren, wenn eine größere Gruppe hinaufwollte, und zwar frühestens in 40 Minuten. Außerdem seien die 1.500 Stufen kein Problem, das ginge auch mit Knieschmerzen. Dann schwenkt er plötzlich um, rät uns dringend, doch mit der Seibahn zu fahren, weil der Weg hinauf sonst so anstrengend sei, und weil wir alle zustimmen, sammelt er das Geld ein und wir marschieren zur Seilbahn, wo wir sofort in eine der kleinen Gondeln einsteigen können. Aha, das waren aber kurze 40 Minuten.
Die Fahrt bringt uns hinauf auf den Gipfel, von wo aus wir eine 120stufige Treppe wieder hinuntersteigen müssen: Die Hung Tich Grotte, sozusagen das Highlight des Pagodenkomplexes und Ziel einer jährlich stattfindenden Wallfahrt, liegt in einer Tropfsteinhöhle. An den Altären in der Grotte wird die Göttin Quan Am verehrt.
Nach dem Besuch der Höhle machen wir uns wieder auf den Weg ins Tal. Ich bin erleichtert, als ich merke, dass der Weg zwar aus vielen Stufen besteht, aber dazwischen immer wieder ebene Wege sind. Das halten meine Knie aus. Und weil gerade keine Wallfahrtssaison ist, sind wir fast alleine auf dem Weg ins Tal unterwegs. Alles könnte so schön sein, wenn wir keinen Reiseleiter wie King hätten.
Nach einer Viertelstunde halten wir an einer kleinen Pagode, und dort eröffnet uns King, wir müssten der Frau, die das Boot rudert, später noch ein Trinkgeld geben. Es sei aber besser, wir würden das Geld jetzt ihm geben, denn die Frau würde sicher immer noch mehr fordern. Wir sind einverstanden, und ich frage ihn, wie viel wir ihm denn geben sollten, was er mit 40.000 Dong beantwortet. Ich denke erst, er meint von allen zusammen, aber dann sammelt er bei uns fünf insgesamt 200.000 Dong ein. Das sind 10 Dollar, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die rudernde Frau, die ja schließlich für das Rudern bezahlt wurde, in einem Land wie Vietnam noch 10 Dollar Trinkgeld bekommen soll. So bin ich mehr als skeptisch.
Auf dem Weg ins Tal versucht King, uns an weiteren Pagoden einfach vorbeizuschleusen, was wir ignorieren und uns die Pagoden trotzdem anschauen. Unten angekommen gönne ich mir dann noch eine frische Kokosnuss. Mmmmhhh, lecker. Kokosmilch ist doch mal eine Alternative zu Wasser, Bier und Cola light.
In der Nachmittagssonne fahren wir dann auf dem Fluß langsam zurück zur Anlegestelle.
Dort angekommen wollen die Kanadier und ich es ja doch wissen: Gibt King das Geld weiter oder behält er es ein? Besonders misstrauisch bin ich, weil er mehrfach wiederholt, wir sollten schon mal oben am Shop die „Restrooms“ aufsuchen, er werde der Frau in der Zwischenzeit das Geld geben. Ich bleibe einfach am Boot stehen, worauf er mich ein paar mal auffordert, ich solle zum Restroom gehen. Irgendwann frage ich dann einfach „Why?“, worauf ihm nichts mehr einfällt. Er kramt dann seinen Geldbeutel heraus und sucht umständlich nach Geld. Hm, warum hat er das Geld denn überhaupt in den Geldbeutel gesteckt, wenn er es von vorneherein nur als Trinkgeld für die rudernde Frau eingesammelt hat? Im Rahmen einer langen Diskussion gibt er der Frau dann immerhin, das kann ich erkennen, 100.000 Dong. Aber als ich danach gehe, dauert es mehrere Minuten, bis er nachkommt. Ich habe keine Ahnung, ob er der Frau wenigstens die 100.000 Dong gelassen hat. Die anderen 100.000 Dong hat er ja anscheinend sowieso eingesteckt.
Ich bin jedenfalls inzwischen derart giftig, dass ich auf seinen Vorschlag, auf dem Rückweg einen anderen Weg zu fahren und einen ganz besonderen Foto-Stopp zu machen, nur antworte: „Yes. But not at a shop“. Damit habe ich offenbar ins Schwarze getroffen, denn wir machen dann doch keinen Foto-Stopp, sondern fahren, was uns allen ganz recht ist, ohne Pause nach Hanoi zurück. Lustig ist, dass sich die Schweizerinnen hinter mir darüber unterhalten, was „Schlitzohr“ auf englisch heißt, und weil „King“ von vorne die Ohren spitzt, versuche ich den Kanadiern auf französisch zu erklären, worüber sich die Schweizerinnen unterhalten.
In Hanoi angekommen, steige ich mit den zwei Schweizerinnen in der Altstadt aus, gebe guten Gewissens kein Trinkgeld und marschiere stattdessen zu dem kleinen Laden, wo ich gestern die Stempel bestellt habe. Zuerst befürchte ich schon, dass ich ihn nicht wiederfinde, aber irgendwann stehe ich doch davor. Der tüchtige Handwerker isst gerade Nudelsuppe, aber seine Frau überreicht mir nach einigen Verständigungsproblemen die fertigen Stempel, die wirklich schön geworden sind.
Nach einer Verschnaufpause im Hotel breche ich dann zu meinem letzten Abend in Hanoi auf. Eigentlich will ich ja noch nochmal über den Nachtmarkt schlendern, denn ich habe vorhin gesehen, dass die Stände schon aufgebaut werden. Aber als ich gegen neun Uhr nach einem Chicken Curry aus dem Restaurant stolpere, bin ich einfach müde. Ob es nur an der langen Tour liegt oder auch am Hanoi-Bier zum Abendessen?
Jedenfalls spaziere ich dann doch direkt ins Hotel zurück und verbringe noch zwei Stunden damit, im Internet nach Angkor-Touren, -Guides und -Fahrern zu recherchieren, die gestern gekauften Cracker mit BBQ-Geschmack zu probieren (ganz okay) und den Lieben daheim telefonisch zu versichern, dass ich immer noch bei bester Gesundheit bin.
Vor neun Tagen bin ich hier in Hanoi angekommen und hatte ein wenig Angst vor dem, was auf mich warten könnte. Jetzt kann ich mir schon fast nicht mehr vorstellen, dass es eine Zeit gab, in der ich Hanoi nicht kannte. Und in einem anderen Hotel zu wohnen als in meinem schönen Golden Sun Legend ist ja ohnehin kaum vorstellbar. Wo die sich doch auch immer so fleißig darum kümmern, dass ich immer frisches Bier im Kühlschrank habe.
Morgen will ich in aller Ruhe meinen Koffer neu packen und eine letzte Runde um den Hoan-Kiem-See drehen. Dann geht’s um zwölf Uhr zum Flughafen. Angkor Wat, ich komme!
Gute Nacht!