SA,28.03.2015
Morgens an den Kabini Backwaters:
Es geht nach Mysore. Und wie immer hat Shekhar schon einen Plan parat: Leider umfasst dieser eine Menge staatlich geführter Einrichtungen - und da diese sooooo wichtig sind, ist dass Fotografieren der äußerst lohnenswerten Sehenswürdigkeiten leider verboten. Also sortiere ich den Tag heute (mit Fotos nur außerhalb der Sehenswürdigkeiten) nach den Stopps unterwegs.
Zunächst geht es vorbei an dem Dorf mit dem Tempel, in dem das Fest heute offenbar schon eingeleitet wurde durch einen Lauf durchs Feuer: Man sieht nur noch die Aschenbahn, sonst ist leider nichts mehr zu Gucken übrig. Shekhar meint es sicher gut und erzählt mir auf den 1,5 Stunden Fahrt sehr viel zu Mysore, zu der Geschichte der dort ansässigen Maharajafamilie und zu dem, was es sonst alles in und um Mysore herum zu sehen gibt. Ich schalte irgendwann ein wenig ab, auch wenn es mir Leid tut. Ich würde eigentlich ganz gerne einfach nur die Landschaft vorbeigleiten lassen. Der Autismus, dessentwegen ich gerne allein unterwegs bin, kommt heute voll durch.
Erster Halt: Die Seidenfabrik in Mysore: Ein Zweckbau mit Technik, die ein wenig wirkt wie die der 60er Jahre und es wohl auch ist, na ja, vielleicht auch schon der 70er Jahre… Unvorstellbar in Deutschland - in jeder Hinsicht!
Zunächst hätte man sicherlich in Deutschland Touristen gar nicht erst zwischen den Webstühlen herumlaufen lassen, man hätte sicher hinter einer Glasscheibe die Aussicht genießen dürfen. Wir aber nicht. Es herrscht ein Höllenlärm bereits da, wo hunderte von Spulmaschinen die Seide aufwickeln. An diesen Maschinen sind überwiegend Frauen am Werk, die mir ein paar Fäden in die Hand drücken und winken. Männer stehen zwischen ihnen herum und notieren etwas, vielleicht irgendwelche Arbeitswerte? Das heißt, einige der Herren sitzen auch an der Seite auf umgedrehten Eimern und lesen Zeitung.
Noch netter wird es in dem Saal mit an die 50 Webstühlen, die jeweils betreut werden von halbnackten Herren in Flip-Flops und ohne Gehörschutz, wobei sich manche Watte oder Plugs in die Ohren gesteckt haben. Hier werden helle Stoffe mit Goldfäden gewebt. Die Vergoldung der Fäden übrigens findet in einer Art abgeschlossenem Käfig statt.
Ich habe allein von den 5 Minuten darin einen Gehörschaden und konnte nur sanft lächelnd Shekhars Erläuterungen und die bruchstückhaften Erklärungsversuche der Mitarbeiter verfolgen. Diese allerdings sind sehr nett und freuen sich über mein Interesse.
In einem anderen Saal wird die Seide von am Boden hockenden Männern für die Färbung vorbereitet, dann wird sie mit Wäscheklammern zum Trocknen aufgehängt und schließlich von Frauen auf Qualität kontrolliert.
Sowohl wir als auch Schulklassen laufen ohne Belehrung und Begleitung irgendwie dazwischen herum. Da müsste man wohl wirklich mal den Betriebsrat informieren über diese Zustände! Wichtig ist den Mitarbeitern allerdings, dass ich in der Zugangsliste einen Kommentar hinterlasse, und dieser lautet wahrheitsgemäß: “Very interesting - thank you!”
Es geht weiter zu einer Sandelholzfabrik, die immerhin von außen ein Foto wert ist. Mir wird in unverständlicher Sprache irgendwas dazu erklärt, von dem bei mir nur ankommt, dass ich mich in der wichtigsten und mit der Herstellung von Sandelholzöl in absoluter Topqualität befassten Fabrik der Welt befinde. Auch hier geht es gemächlich zu. Hier würde ich schon wegen des angenehmen Duftes, der in allen Räumen der Fabrik aus dem Jahr 1917 steht, lieber arbeiten als einer der Spulmaschinen oder Webstühle in der Seidenfabrik.
Und hier ist das Wichtigste, dass ich mit meinem Guide, den ich ohnehin nicht verstanden habe, noch für ein Foto mit seinem Handy posiere.
Heute ist übrigens der Tag, den ich immer einmal im Urlaub habe, der Tag, an dem ich unwillig und unwirsch bin und andere schlecht behandele, weil ich mich schlecht behandelt fühle. Es begann schon beim Auschecken, wo ich ungeduldig mit den Fingern trommelnd warten muss, bis ich meine Rechnung bekomme, obwohl alle so überaus nett und freundlich hier sind.
Es geht weiter mit all den Sehenswürdigkeiten, die so dermaßen malerisch und herrlich sind, und die ich trotz allem nicht ablichten darf. Maulend gebe ich an jeder Sehenswürdigkeit meine Kamera ab und schleiche mit einem “Flunsch” durch die Gemäuer ohne zu verstehen, worum es hier eigentlich geht.
Aber Shekhar hält wieder mal an einem Tempel, vor dem Kinder den Boden mit bunten Farben bemalen für ein Fest. Ich möchte gerne eins fotografieren, doch alle nötigen mich, auch noch das eigene und das der Freundin zu knipsen, was ich auch brav tue. Und da einige Kinder nicht nur den Boden, sondern auch sich selbst bemalen, ist auch das ein Foto wert, das die Rasselbande erfreut, als ich es auf dem Display vorzeige.
Der nächste Halt ist die größte Sehenswürdigkeit von Mysore, der Palast. Auch hier darf ich nur außen knipsen, aber immerhin ist der Palast nicht so voll wie die in Nordindien, sodass ich Dank des deutschen Audioguides ausnahmsweise mal nicht höflich lächeln muss zu bemühten Erklärungen, die ich mangels Sprachbarriere ohnehin nicht verstehe und mir einfach alles in Ruhe ansehen kann. Und hier im Palast entspanne ich ein wenig und bewundere prunkvolle Intarsien, luftige Säulenhallen mit toller Ausstattung, den Anblick von Affen auf den Simsen der Außenmauern.
Es geht vorher allerdings noch noch in den Tempel vor dem Palast, hier darf ich fotografieren, aber hinter mir schleicht wieder jemand her, der mich auf die Notwendigkeit einer Donation hinweist, und zwar mehrfach und lautstark.
Shekhar wartet auf dem Parkplatz. Wir checken fast direkt neben dem Palast im etwas abgewrackten Parklanehotel ein und machen uns sofort wieder auf den Weg. Beim Verlassen des Raumes fällt mir noch der gut gemeinte Hinweis neben dem Fenster auf, dieses wegen der Affen geschlossen zu halten… Mittagessen in einem bei Touristen offenbar völlig unbekannten Lokal ist angesagt und dann die Besichtigung der Jayalakshmi-Mansion, die etwas verfallen und abgeschieden und völlig unbeachtet am Wegesrand liegt.
Während ich erst noch ob des einsamen Schlenderns durch den Palast und des dann guten Essens sehr heruntergekommen war, stehe ich nun wieder kurz vor dem Explodieren.
Auch diese herrlichen Räume dürfen nicht geknipst werden, dabei sind sie gerade wegen ihres sehr morbiden Charmes und der noch durchschimmernden Pracht soooo sehenswert. Und zu allem Unglück schleicht der nächste Trinkgeldgierige hinter mir her, sodass ich die Räume nicht einmal genießen kann. Er packt seinen gesamten englischen Wortschatz aus, bestehend aus “come”, “no”, “here” und zu guter Letzt “pay!” (obwohl er meine gemurmelten zugegebenermaßen respektlosen Kommentare auf Deutsch sicher auch ohne entsprechende Sprachkenntnisse kaum fehlinterpretieren konnte), nachdem er mich störend, mich beobachtend und mich zur Weißglut treibend permanent rülpsend mich “begleitet” hat, während die einzigen anderen Gäste, ein indisches Paar, die Räume in aller Ruhe erobern durften.
Der arme Shekhar hat es heute nicht leicht mit mir. Ich erkläre ihm, dass ich nun auf den Markt lieber allein gehen möchte. Den ganzen Tag immer in Begleitung zu sein, das ist nichts für mich, und auf dem Markt geht es ja auch eher um das Schauen. Er setzt mich mit einem Hinweis auf ein Kaffeegeschäft und einen Süßigkeitenladen mit Sweets feinster Qualität an der Markthalle ab.
Kaffeekauf:
Und wie immer, wenn ich mich von dem “alle sind böse, lasst mich bloß in Ruhe” im Kopf verabschiede, denn hier rechne ich ja damit angesprochen und bequatscht zu werden, ändert sich schlagartig das Bild.
Ich kann aber auch völlig unbehelligt über den Markt streichen. Ganz am Anfang ein netter und gebildet wirkender älterer Inder berät mich beim Kauf einer Einkaufstasche, denn ich habe meine vergessen. Ich handele sie zäh herunter von 80 auf 60 Rupies und meine Wasserflasche, der gerade erstandene Kaffee und ein Kilo Mangos landen darin.
Wieder einmal gehen die Augen über zwischen Obst, Gemüse, Blumen, Farbpulver und allerlei Zeug, von dem ich keine Ahnung habe, was es wohl ist.
Als Kontrastprogramm gönne ich mir noch die sehr moderne Einkaufsstraße, in der ein Seidengeschäft neben dem nächsten ist, nur unterbrochen von Geschäften wie “Bata” und “Jockey” und der einen oder anderen Apotheke. Ganz interessant sind ein Kaufhaus und ein modernes Shoppingcenter, das in Größe und Angebot natürlich nicht mit denen in den USA vergleichbar ist, aber einen Einblick bietet, wo man als moderne Inderin modische Salwar Khameez kaufen kann, wenn man nicht auf den Bazar gehen will.
In der Dämmerung bin ich wieder in der Nähe des Palastes und stelle (wieder einmal) fest, dass die blaue Stunde meine Lieblingstageszeit in Indien ist. Neben dem Palast ist ein offenbar äußerst beliebter Tempel. Barfuß stehen die Gläubigen in langer Schlange an, erst holen sie sich ihre Segnung, dann bekommen sie ein Schälchen Mais. Ein gleichförmiges Mantra, das ich noch Stunden später im Ohr habe, tönt über den Platz. Der Verkehrslärm mit Motorengeräuschen, Hupen und schrillen Pfiffen der Polizisten versinkt im Hintergrund, Atem und Herzschlag verlangsamen sich, ich gehe mit Frieden im Herzen zum Hotel zurück.