Mittwoch, der 30. Januar 2013Jeder, den es in die Antarktis zieht, spürt eine gewaltige
Anziehungskraft, eine unvergleichliche Mischung aus Erhabenheit,
Schönheit, Weite, Einsamkeit und Feindlichkeit – Begriffe, die jeder für
sich schrecklich melodramatisch klingen – die aber das tatsächliche Gefühl
für die Antarktis wirklichkeitsgetreu wiedergeben. Wo sonst in der Welt
treffen alle diese Beschreibungen wirklich zu?
Kapitän T. L. M. Sunter in „The Antarctic Century Newsletter"Um 3 Uhr klingelt der Wecker und Sandra quält sich wieder aus dem Bett. Draußen ist es tatsächlich ziemlich hell und das Schiff liegt still zwischen den Bergen und Gletschern. Beim Warten auf das Morgenrot und den Sonnenaufgang wird es ganz schön kalt. Nur zwei Buckelwale und ein weiterer Reisender genießen diese frühe Stunde. Als dann gegen 4.20 Uhr das erste Licht auf die Berge in der Entfernung fällt, es rund um das Schiff aber dunkel bleibt, nimmt die Delphin Fahrt auf zu ihrem nächsten Ziel. Da der Kurs wegführt von den Bergen im ersten Sonnenlicht, geht Sandra zurück in die Kabine, um sich aufzuwärmen.
Der Wecker wird auf 5 Uhr gestellt, denn bereits um 7 Uhr soll die Delphin in den Lemaire Kanal einfahren. Doch irgendwie klingelt der Wecker nicht und wir wachen erst um 6 Uhr auf. Also schnell anziehen und nach oben an Deck. Dort erwartet uns das altbekannte Bild, denn es ist grau und feucht. Trotzdem haben sich bereits viele Passagiere versammelt, um die Durchfahrt durch diesen engen Kanal mitzuerleben.
Der Lemaire Kanal ist eine Meerenge zwischen der antarktischen Halbinsel und der vorgelagerten, acht Kilometer langen Booth-Insel. Diese wurde im Jahr 1873 vom deutschen Kapitän Eduard Dallmann entdeckt. Der Kanal wurde 1873 erstmals entdeckt. Er ist etwa sechs km lang und an der schmalsten Stelle rund 720 m breit. Die umgebenden Berge erheben sich bis 1.000 Meter Höhe. Am nördlichen Eingang des Kanals befindet sich der Doppelgipfel von Kap Renard. Der Berg führt seit 2008 auch offiziell den Namen „Una Peaks“ nachdem er schon seit etwa 1955 die inoffizielle Bezeichnung „Una's Tits (Unas Titten)“ in Erinnerung an Una Spivey, eine Betreuerin des Personals des Falkland Islands Dependencies Survey (FIDS), des späteren British Antarctic Survey, in den 1940er Jahren auf den Falklandinseln trägt.
Die Schiffspassage durch den Kanal zur oder von der Petermann-Insel gilt als einer der Höhepunkte einer Antarktisreise mit einem Kreuzfahrtschiff. Der Lemaire-Kanal wird wegen der Vielfalt an Fotomotiven auch als „Kodak Gap“ bezeichnet. Die geschützten Gewässer des Kanals bilden einen großen Kontrast zum stürmischen Südpolarmeer. Die Gletscher und Klippen spiegeln sich in den stillen Wasserflächen am südlichen Ende des Kanals. Wenn Eisberge die Weiterfahrt nach Süden blockieren, sind die Kreuzfahrtschiffe gezwungen umzukehren und die Booth-Insel zu umrunden um die Petermann-Insel zu erreichen.
Auch wir stehen vorne am Bug, sehen viele Eisberge und überlegen, wie der Kapitän das Schiff da wohl durchbringen will. Gerade an der engsten Stelle des Kanals liegen zwei große Eisberge und wir haben so unsere Zweifel, ob das große Schiff da noch durch passt. Was uns jedoch freut ist, dass die Wolkendecke vor uns aufgerissen ist und wir auf ein großes blaues Loch zusteuern.
Langsam schiebt sich MS Delphin vorbei an den beiden Eisbergen und hinein in ein Eisskulpturenwunderland. Hier gibt es viele bizarre Eisberge, viel schönere als wir bisher in der Antarktis gesehen haben. Dazu ist der Himmel jetzt überzogen von hübschen kleinen Wölkchen und wir sind wieder einmal überglücklich.
Nach den ersten hundert Aufnahmen von den Eisbergen begeben wir uns kurz in die Kabine, denn heute sind wir erst die dritte Gruppe bei der Zodiac Anlandung und haben Zeit. An Deck vergeht die Zeit sehr schnell, denn immer wieder schwimmen Wale vorbei und die Eisberge im Sonnenlicht sind auch viel zu verlockend für unsere Kameras. Doch wie schon gestern verschwindet die Sonne bald wieder hinter den Wolken. Wir können nur hoffen, dass es heute windstill bleibt, so dass wir unsere Anlandung noch absolvieren können.
Das heutige Ziel heißt Petermann-Island.
Die Insel wurde 1873 vom deutschen Walfänger Eduard Dallmann entdeckt und nach dem deutschen Geographen August Petermann benannt. Die höchste Erhebung der etwa 1 km langen Insel beträgt 150 m. Die Insel ist relativ eisfrei. Sie ist der südlichste Punkt vieler Antarktis-Kreuzfahrten. Das gilt auch für uns.
Auf der Insel befinden sich Kolonien brütender Esels-Pinguine und Adelie-Pinguine. Prima, denn diese fehlen uns bisher noch. An Land angekommen, werden wir jedoch erst einmal von Esels-Pinguinen mit ihren Jungen begrüßt. Sie laufen überall und wir bahnen uns mühsam unseren Weg über Steine und durch grün gefärbten Schnee. Je länger der Sommer in der Antarktis dauert, desto mehr verwandeln sich die Pinguinkolonien von schneebedeckten idyllischen Inseln in braune Kot- und Schlammhaufen. Doch noch geht es und wir können die Pinguine über den Schnee laufen sehen.
Leider finden wir nur wenige Adelie-Pinguine, die bereits große dicke Jungtiere haben. Stattdessen sind die Esels-Pinguine mal wieder die Stars der Insel. Jungtiere liegen faul auf den Steinen, Eltern kommen und gehen zum Füttern. Auch eine Robbe und ein paar Königskormorane können wir sehen.
Auf der Rückfahrt zum Schiff umkreist unser Zodiac-Fahrer noch den großen tollen Eisberg und alle Fotografen an Bord sind ihm dankbar. Dann genießen wir die letzten Minuten unserer letzten Zodiac-Fahrt schweigend. Die MS Delphin kommt immer näher und beim Aussteigen brauchen wir schon etwas Geschick, um im richtigen Moment den Absprung zu schaffen. Es geht ganz schön hoch und runter.
An Bord schauen wir weiter nach Walen und winken einem Buckelwalpaar zu, welches ruhig zwischen unserem Schiff und Petermann-Island seine Bahn zieht. Das letzte Zodiac kommt gerade zurück zum Schiff und das Mittagessen wird angekündigt. Wie friedlich es doch alles wirkt.
Als wir beim Mittagessen Platz nehmen, wird bereits der Anker gelichtet und die MS Delphin nimmt Fahrt auf. Bald erfahren wir den unschönen Grund dafür, den man uns bisher verheimlicht hat. In der Drake Passage braut sich ein neuer Sturm zusammen und um das Schlimmste zu vermeiden, will man versuchen, mit Volldampf noch vor dem Sturmzentrum Ushuaia zu erreichen.
Unsere plötzliche überstürzte Abfahrt wirkt ein bisschen wie eine Flucht aus dem Paradies. Die MS Delphin pflügt mit 17 Knoten durch die Dünung, die wie aus dem Nichts Höhen von zwei bis drei Metern erreicht. Draußen scheint noch die Sonne und die schönsten Eisberge sausen an uns vorbei. Noch einmal unterbrechen wir das Essen, um draußen einen letzten Blick auf die weißen Riesen im Sonnenlicht zu werfen. Dann machen wir unsere Kabine sturmfest und werfen Antiseekrankheitsdrogen ein. Hoffentlich ist es dafür nicht schon zu spät und hoffentlich wird es nicht allzu schlimm.
Den Nachmittag verbringen wir dann, indem wir dreimal das stark schwankende Schiff umrunden, um Platz für ein bisschen Kuchen zu schaffen, lesen und Reisebericht schreiben. Die Seekrankheitstabletten oder auch der Schlafmangel der letzten Tage sorgen für eine bleierne Müdigkeit, so dass wir viel Zeit mit Schlummern im Bett herumbekommen. Die Wellenhöhe bleibt bei knapp vier Metern und es ist ganz gut auszuhalten. Doch das Sturmtief kommt ja erst noch und allein der Name Drake Passage sorgt für Respekt.
Zum Abendessen ist heute das Shackleton Dinner angesetzt und wir alle entscheiden uns für Forschersockensuppe mit arktischen Wollflusen und andere Delikatessen wie Pinguinbrust usw.
Der Abend endet früh und wir rollen ins Bett.