Mittwoch, 1.5.13Als ich heute morgen aufwache, fühle ich mich ziemlich zerschlagen. Die Beine sind steif, der Rücken beklagt sich und der Kopf fühlt sich an, als hätte er einen Schlag abbekommen. Ich nehme erst mal eine üppige Dosis Aspirin, lege mich nochmal eine Stunde hin und trotte schließlich um viertel vor neun zum Frühstück, wo ich wieder kräftig zulange.
Während ich esse, werfe ich heimliche Blicke auf die anderen Gäste und bilde mir ein, an Frisur und Kleidung erkennen zu können, wie lange die Betreffenden schon in Island sind. Die Frau am Nachbartisch mit den wirren Haaren hat es offenbar wegen des andauernden Windes schon aufgegeben, sich zu frisieren – die ist bestimmt schon lange da. Die Frau am Büffet mit dem kaum knielangen Flatterrock kann frühestens gestern abend aus dem Flieger geklettert sein, sonst wüsste sie, dass ein warmes Zimmer und Sonnenschein am Hotelfenster nicht viel mit der feindlichen Außenwelt zu tun haben.
Ich ziehe mich wieder im Lagenlook an, bevor ich mich um viertel nach neun auf den Weg zur Halbinsel Reykjanes mache. Zuerst verfahre ich mich wieder an meiner „Lieblingskreuzung“, aber bald ist der richtige Weg gefunden. Ich nehme die Straße 41, biege dann auf die 42 ab und finde mich plötzlich auf einer kurvigen Gravelroad wieder. Die Straße führt auf und ab, und ich fühle mich wieder, als wäre ich am Ende der Welt.
Kurz darauf ist der Kleifarvatn erreicht, sozusagen der isländische Loch Ness. Im See soll nämlich ein walartiges Ungeheuer leben, und außerdem hat der See die Angewohnheit, den Wasserstand auf unerklärliche Weise zu ändern. Mysteriös.
Ein Stück weiter ist Seltun, ein Geothermalgebiet, direkt neben der Straße erreichbar. Mein Auto ist das einzige auf dem Parkplatz, und ich habe die heißen Quellen, zischenden Dampflöcher und bunten Hügel ganz für mich alleine. Zwar kann weder das Geysir-Gebiet gestern noch Seltun heute dem Vergleich mit dem Yellowstone Nationalpark standhalten, aber wenn man mitten in den Schwefeldämpfen steht, raubt einem auch die isländische Natur im wahrsten Sinne des Wortes den Atem.
Auf der anderen Seite der Straße sind noch zwei glucksende Schlammlöcher und wenig später ein leicht grünlich schimmernder See zu bewundern.
Dann führt die Straße hinunter zur Südküste. Ich folge ihr, bis ich auf eine Piste abbiege, die direkt bis zur Steilküste führen soll. Auf dem Weg dorthin frage ich mich zwar immer mehr, ob es eine gute Idee war, diesen Weg mit einem VW Polo zu nehmen, denn irgendwann komme ich an eine Stelle, an der die Piste überflutet ist, und furten wollte ich mit dem Polo eigentlich nicht. Aber als ich aussteige und nachschaue, stellt sich das Wasser zum Glück als kaum knöcheltief heraus, und der Polo meistert die Durchfahrt problemlos. Braves Auto.
Die Steilküste ist imposant, wenn sich hier auch leider nicht die vielen Seevögel finden, auf die ich gehofft hatte.
Als ich wieder im Auto sitze, sind meine Kopfschmerzen schlimmer geworden, und vor allem ist mir leicht übel. Das fühlt sich nach Migräne an, und ich löse schnell noch eine Dosis Aspirin in Wasser auf und trinke tapfer, obwohl mir dabei noch übler wird. Noch übler wird mir dann allerdings auf der rumpligen Rückfahrt zur Straße, und kurz bevor der Asphalt erreicht ist, geht gar nichts mehr. Ich reiße die Autotür auf, springe hinaus und übergebe mich heftig am Pistenrand.
Danach lehne ich mich erst mal eine Weile ans Auto, atme die frische Luft ein und denke nach. Am vernünftigsten wäre es wahrscheinlich, nach Reykjavik zurückzufahren, bevor die Migräne-Attacke richtig zuschlägt. Aber ich habe Urlaub, ich will nicht vernünftig sein, das Wetter ist schön, und morgen soll es regnen, und bei dem Gedanken, mich für den Rest des Tages im Hotelbett zu verkriechen, werde ich richtig ärgerlich.
Immerhin geht es mir jetzt wieder besser und ich überlege, dass der Rückweg über die Gravel Road entlang von Seltun und Kleifarvatn wahrscheinlich auch nicht viel schneller wäre, als wenn ich erst mal probehalber aus der asphaltierten Straße weiter bis Grindavik fahre und notfalls ab dort auf asphaltierten Straßen zurück nach Reykjavik.
Also fahre ich erst mal weiter. Tatsächlich sind die Kopfschmerzen nicht mehr so schlimm, schlecht ist mir auch nicht mehr, und als ich ein paar nette Islandpferde am Straßenrand stehen sehe, bin ich sogar wieder in Fotolaune.
Danach biege ich hinter Grindavik zur Blauen Lagune ab. Baden will ich dort zwar nicht, zumindest nicht heute, aber das milchig blaue Wasser soll man auch außerhalb der Lagune sehen können. Tatsächlich gibt es einen Weg, der vom Parkplatz aus an einer bizarren Landschaft vorbeiführt:
Als ich wieder ins Auto steige, habe ich plötzlich Hunger und esse probehalber eins meiner selbstgebastelten Käsesandwichs. Danach wird mir zum Glück nicht wieder schlecht, also biege ich wieder nach Süden ab und fahre weiter an der Südküste entlang. Auf dem Weg komme ich am Brimketill vorbei, einem Becken in der Felsenküste. Leider sehen die Becken, die ich dort finde, nicht so aus wie das Becken, auf das ich im Internet aufmerksam geworden bin, aber sehen lassen können sie sich trotzdem.
Weiter westlich liegt ein weiteres kleines Geothermalfeld, mit der Ghunnuver, einer heißen Quelle, in der Gudrun Önundardottir den Tod gefunden hat. Der Lonely Planet Führer und der Reise Know How erzählen die Geschichte etwas unterschiedlich. Nach der Reise-Know-How-Version stand sie im Verdacht, zwei Menschen getötet zu haben, worauf ihre Nachbarn sie aufforderten, einen Strick anzufassen, der sie dann quer über die Halbinsel Reykjanes bis in die Quelle zog. Vielleicht spuckt Gudrun – oder Gunna, wie der Lonely Planet sie nennt – heute noch vor Wut über diesen Trick Gift und Galle, denn aus der Quelle dampft es so heftig, dass ich zusammen mit einer Familie, die zeitgleich mit mir den kurzen Weg läuft, plötzlich mitten in Nebelschwaden stehe und minutenlang keinen Schritt mehr machen kann, weil ich nicht sehe, wo ich hinlaufen soll.
Der Weg zum Leuchtturm im Südwesten der Halbinsel mündet dann leider in eine Baustelle, so dass ich weiter die Küste entlang Richtung Norden fahre. Vorbei an der „Brücke zwischen zwei Kontinenten“, die über eine Spalte führt, mich aber nicht wirklich vom Hocker reißt, dann durch ein paar kleine Orte, die ich im Rahmen einer Sitzbesichtigung besuche - also durch die Straßen fahre und die Aufmerksamkeit der örtlichen Bevölkerung auf mich ziehe - bis nach Sandgerdi, wo ich dieses Haus an einem kleinen Weiher hübsch nordisch finde.
Dann ist schließlich der Nordwest-Zipfel der Halbinsel erreicht: Gardur, wo ich eine typische Kirche fotografiere und schließlich noch einen der beiden Leuchttürme. Als ich dort aus dem Auto aussteige, weht der Wind von der Küste her kleine Schneeflocken über die Wiese, und ich folge gerne dem Hinweisschild auf ein Museums-Café, trinke dort eine heiße Schokolade und esse Waffeln.
Danach beginnt die knapp einstündige Rückfahrt nach Reykjavik. Die Kopfschmerzen, die mich den ganzen Tag begleitet haben, werden wieder stärker, und ich sehne mich nach dem Hotelbett und dem weichen Kissen, in das ich meinen Kopf kuscheln kann. Eigentlich hatte ich mich heute morgen richtig darauf gefreut, mir heute abend ein schönes Restaurant zu suchen und essen zu gehen, aber jetzt bin ich froh, als ich gegen sechs Uhr wohlbehalten wieder im Hotel ankomme. So beschränkt sich mein Abendessen auf den Skyr, den ich noch im kleinen Kühlschrank habe, und die Abendunterhaltung besteht aus Dösen, Lesen und kurze Recherchen auf wetter.com. Die Vorhersage hat sich nicht geändert: Ab morgen wird es deutlich schlechter, und um die Mittagszeit soll es sogar schneien.
Aber morgen darf die Skiunterwäsche mal im Zimmer bleiben, denn ich werde mir Reykjavik anschauen, inklusive lecker abendessen.
Gute Nacht!