Dienstag, 30.4.13Heute nacht habe ich geschlafen wie ein Stein. Aufgewacht bin ich aber trotzdem schon um kurz vor sechs und habe gleich mal aus dem Fenster geschaut. Es ist schon wieder hell, und keine Wolke zu sehen. Sehr schön, dann starte ich heute auf den „Golden Circle“. Gullfoss, Geysir, Thingvellir, dazu der ein oder andere kleinere Foss. Das wird ein langer Tag, und ich beginne ihn früh.
Ab sieben Uhr gibt es Frühstück, um kurz nach sieben stehe ich auch schon am Frühstücksbuffet und fülle den Teller nach und nach mit Brötchen, Käse, Salami, Frühstücksspeck und diesen kleinen Kartoffelkuchen, von denen ich nie weiß, wie sie heißen. Dazu noch Müsli, Joghurt und Grapefruitsaft – der Tag kann kommen.
Eingepackt in dünne Socken, dicke Socken, eine komplette Garnitur Skiunterwäsche, Jeans, Skirolli, dicke Fleeceweste und Wind- und Regenjacke marschiere ich schließlich um kurz nach halb acht zum Auto. Es ist minus fünf Grad, aber die Luft ist klar, und als ich Richtung Südosten auf die Ringstraße fahre, scheint mir die Sonne ins Gesicht. Hm, vielleicht hätte ich die Sonnenbrille doch nicht so leichtfertig von der Packliste streichen sollen.
Die Straße lässt den Großraum Reykjavik schnell hinter sich und führt ab jetzt durch scheinbar menschenleeres Gebiet. Vor mir schneebedeckte Berggipfel, neben der Straße urwüchsige spröde Landschaft, Vulkangestein und ab und zu Dampfwolken zwischen den Hügeln – ich habe das Gefühl, ans Ende der Welt zu fahren. Kurz vor Selfoss nach etwa 50 km Fahrt biege ich dann Richtung Nordosten ab und lege bald einen ersten Fotostopp an einer Weide ein. Die Islandpferde haben sich zum Schutz vor dem Wind in einer kleinen Senke versammelt.
Nach dem Fotostopp weiß ich: Es ist keine gute Idee, bei Minusgraden und schneidendem Wind ohne Handschuhe herumzulaufen. Als ich den Kerid erreiche, einen etwa 7500 Jahre alten Explosionskrater, packe ich auch die Hände warm ein, dann geht es hinauf zum Kraterrand.
Anschließend weiß ich: Es ist keine gute Idee, bei Minusgraden und Wind, der einem fast die Kamera aus der Hand bläst, ohne Mütze rumzulaufen. Unterwegs springe ich zwar nochmal ohne Mütze aus dem Auto:
Beim nächsten Fotostopp am Faxi-Foss packe ich aber auch den Kopf warm ein, denn auch wenn die Sonne vom wolkenlosen Himmel strahlt, sind es immer noch minus drei Grad.
Immerhin sind meine Kleidungsschichten dick genug, um mich warm zu halten, und so kann ich mich am Geysir in aller Ruhe umsehen, auch wenn der Wind hier fast so schlimm wie am Kraterrand weht. Rund um den „Original“-Geysir, den Namensgeber aller Geysire weltweit, der heute aber kaum noch ausbricht, gibt es ein kleines Geothermalgebiet. Der Star ist der Strokkur, das „Butterfass“, der alle paar Minuten ausbricht. Zuerst zeigt sich die typische „Glocke“, dann schießt das Wasser mal mehr mal weniger hoch hin den blauen Himmel.
Aber auch die heißen Quellen sind sehenswert.
Und hier wartet der große Geysir auf bessere Zeiten.
Nach dem Besuch schaue ich noch im Souvenirshop vorbei, wo viele dick eingepackte schniefende Menschen herumlaufen – einer davon bin ich. Ein Blick in einen Spiegel sagt mir, dass ich den Rest des Tages definitiv nicht mehr auf meine Frisur achten muss, denn es ist keine mehr vorhanden. Das macht sich gut, denn auch am Gullfoss, meinem nächsten Ziel, ist es stürmisch.
Der Gullfoss, der goldene Wasserfall, fällt hier über zwei Stufen in eine enge Schlucht. Beinahe wäre er einem Kraftwerksprojekt zum Opfer gefallen, denn die Hvita, der Fluss, der sich hier durch die Lava gräbt, hätte nach Plänen des frühen 20. Jahrhunderts aufgestaut werden sollen, so dass der Gullfoss in dem Stausee verschwunden wäre. Aber die Gegner, allen voran Sigridur Tomasdottir, die Tochter des Landeigentümers, die drohte, sich in den Foss zu werfen, konnten das verhindern.
Eigentlich wollte ich hier ja mein Stativ aufbauen und mal schauen, bei welcher Belichtungszeit der Gullfoss am besten aussieht, aber heute ist einfach nicht das richtig Wetter um in aller Ruhe ein Stativ aufzubauen, Graufilter vor die Linse zu schrauben und Belichtungsreihen zu machen. Also gibt’s die Bilder auf altmodische Weise „aus der Hand“:
Als ich wieder am Parkplatz ankomme, ist es schon zwei Uhr. Unglaublich, wie heute die Zeit vergangen ist. Ich überlege noch kurz, hier etwas zu mittag zu essen, aber dann breche ich doch lieber auf und fahre nach Thingvellir. Durch eine paar kurze Fotostopps unterwegs verlängert sich die Fahrzeit dorthin auf etwa eine Stunde.
Weil auf dem Parkplatz vor dem Informationscenter gerade ein Reisebus hält, und ich schon so verzaubert von der „leeren“ Landschaft Islands bin, dass ich keine Lust auf andere Menschen habe, fahre ich direkt zum nächsten Parkplatz am Thingvellir, esse mein gestern gekauftes Sandwich im Auto und studiere dabei die Reiseführer. Ich hab den Lonely Planet und den Reise Know How dabei und leider haben beide Reiseführer ihre Macken. Als ich jetzt die beiden Karten in den beiden Reiseführern zu Thingvellir nebeneinanderlege, kann ich kaum glauben, dass es sich dabei um den selben Ort handeln soll. Also lasse ich die Reiseführer im Auto und marschiere einfach drauf los.
Der Weg führt von hier aus durch die Almannagja-Spalte, eine breite Spalte, die von schroffen Felswänden umgeben ist. Hier versammelten sich ab 930 jedes Jahr im Sommer die Einwohner Islands – angeblich passten hier alle Männer, daher auch der Name der Spalte – hinein. Während der etwa zweiwöchigen Treffen gab es in Thingvellir offenbar ein buntes Potpourri an Aktivitäten: Urteile wurden gefällt und vollstreckt, Beschlüsse gefasst, die Gesetze wurden verkündet, aber die Isländer trieben auch Handel, trafen alte und neue Bekannte und bahnten Ehen an.
Geologisch ist dieses Gebiet ebenfalls interessant, denn hier – oder zumindest in dieser Region – driften der „amerikanische“ und der „europäische“ Teil Islands auseinander und haben so ein mehrere Kilometer breites Tal und viele Spalten geschaffen. Jedes Jahr weitet sich das Tal und senkt sich der Boden um einige Milimeter.
Ich passiere zuerst die Öxara - in der Nähe dieser Stelle wurden während der Versammlungen auch ehebrecherische Frauen ertränkt - und folge dem Weg durch die breite Almannagja-Spalte, bis sich ein Panoramablick über das Tal öffnet.
Heute stehen in dem weiten Tal eine kleine Kirche und ein fünfgiebliges Haus, in dem der Premierminister wohnen darf, wenn er Urlaub hat. Die heutige Kirche wurde zwar erst im 19. Jahrhundert erbaut, aber in dieser Stelle soll ab etwa dem Jahr 1000 die erste Kirche Islands gestanden haben.
Manche der vielen Felsspalten sind trocken, andere führen Wasser. In einer davon funkelt es: Ein moderner Schatz, denn hier werfen abergläubische Urlauber Münzen ins Wasser, um sich einen Wunsch zu erfüllen. Der Brauch soll auf einen Dänenkönig zurückgehen.
Als ich schließlich am Auto ankomme, ist es schon fast fünf. Ich fahre noch zum Informations-Center, weil ich wissen will, ob man von hier aus auch zum Öxara-Foss kommt, denn die Zeichung im Lonely Planet dazu ist mehr als kryptisch. Leider macht das Center um fünf zu, und ich stehe vor verschlossener Tür. Schließlich sehe ich auf der Weiterfahrt doch noch ein Schild und mache mich auf den Weg. Wie weit es ist, weiß ich nicht, aber noch zehn Minuten kann ich den Wasserfall schon hören, und bald erreiche ich ihn auch. Es ist kein großer Foss, aber die Tatsache, dass er schon vor mehreren Jahrhunderten künstlich geschaffen wurde, macht ihn dann doch zu etwas besonderem.
Um kurz vor sechs erreiche wieder das Auto und mache noch ein letztes Foto von einem Steinhaufen, der wie ein Gipfelkreuz neben dem Weg steht. Mit dem Blick auf die schneebedeckten Gipfel ringsherum hat man fast das Gefühl, auch hier einen Gipfel erreicht zu haben.
Aber zum Glück habe ich keinen langen Abstieg vor mir, sondern darf hundert Meter weiter in mein bequemes Auto steigen und mache mich auf die Rückfahrt nach Reykjavik. Ich bin inzwischen todmüde, und als ich kurz vor Reykjavik einen großen Bonus-Supermarkt am Rand der Ringstraße erspähe, kann ich mich kaum noch aufraffen, hineinzugehen. Aber es hilft nichts, morgen ist Feiertag, und ich habe keine Ahnung, ob da die Geschäfte geöffnet sind. Also suche ich Wasser, die absolut unverzichtbare Cola light und ein bisschen Bier aus den Regalen zusammen, dazu noch Brot und Käse und ein paar Snacks und fahre ohne weiteren Zwischenstopp nach Reykjavik und zum Hotel. Als ich alles im Zimmer habe, ist es viertel nach sieben. Mir fallen schon beinahe die Augen zu, und als ich mich aus der Skiunterwäsche gekämpft habe, ziehe ich nahtlos den Schlafanzug über. Den Rest des Abends verbringe ich damit, mir Brote zu machen, das schon im Kühlschrank wartende Bier zu trinken und meinen Reisebericht zu schreiben.
Der Blick ins Internet verrät, dass das Wetter morgen ähnlich sein soll wie heute, bevor übermorgen das Regenwetter beginnen wird. Eigentlich wollte ich morgen Reykjavik erkunden, aber das könnte ich auch bei Regenwetter. Also werfe ich meine Pläne für morgen über den Haufen und werde Reykjavik für einen weiteren Tagesausflug verlassen.
Gute Nacht!