Mittwoch, 1. FebruarIch habe es gestern nicht geschafft, vor halb eins einzuschlafen, werde aber trotzdem um halb sieben wach. Um acht Uhr checke ich aus. Mein Koffer darf hier bleiben, aber meine Übernachtungstasche ist so schwer geworden, dass ich mich inzwischen frage, ob ich nicht doch besser den ganzen Koffer mitnehmen würde. Eigentlich komme ich mir ja albern vor mit den Schneestiefeln im Gepäck, wo doch hier in Tokio die Orangenbäume stehen. Und war es nicht übertrieben, heute morgen schon Ski-Unterwäsche drunter zu ziehen? Egal, nochmal umpacken oder mich umziehe werde ich jetzt sicher nicht mehr.
Am Bahnhof hole ich mir noch zwei herzhafte Frühstückssnacks, eine Art Würstchen auf pikantem Fladen und eine Art Riesenkrokette im Brötchen. Die Riesenkrokette esse ich dann gleich mal im Shinkansen, das Würstchen hebe ich mir für schlechtere Zeiten auf.
Heute ist der Himmel wieder blau und die Sonne scheint in den Shinkansen. Ich habe mich für den Kagayagi entschieden und dafür gestern einen Fensterplatz reserviert. Der Zug rast mit nur einem Stopp in Omiya in 1 Stunde 18 Minuten nach Nagano. Wie zu erwarten war schwitze ich in meinen Kleidungsschichten. Skiunterwäsche, Shirt, Weste, Jacke, darauf noch der Rucksack und über der Schulter die schwere Tasche, so wuchte ich mich um zehn Uhr in Nagano aus dem Zug. Aber hier ist es deutlich kälter als in Tokio, also war es doch nicht so doof, mich für den Winter zu rüsten.
Ich kaufe unten bei der privaten Dentetsu Railway ein Ticket für den Limited Express nach Yudanaka. Im unterirdischen Warteraum ist es eiskalt, da gehe ich mal schauen, ob der Zug schon im unterirdischen Bahnhof steht. Tatsächlich, und weil ich so früh dran bin, kann ich am Panoramafenster ganz vorne im Zug Platz nehmen. Dort sitzen schon eine plauderwillige Belgierin mit ihrer Tochter und ein junger Asiate, der vermutlich stumm ist.
Die Fahrt beginnt, zuerst noch im Tunnel unter Nagano hindurch, dann breitet sich vor uns eine Winterlandschaft aus. Wie schön! Während der dreiviertelstündigen Fahrt gewinnt der Zug immer mehr an Höhe, die Berge strahlen im Hintergrund in der Sonne.
Um 11.17 Uhr erreicht der Zug Yudanaka. Ich hätte mich von den Betreibern der Unterkunft am Bahnhof abholen lassen können, aber weil ich bis gestern selbst noch nicht wusste, welchen Zug ich nehmen würde, habe ich kein Empfangskommittee bestellt, sondern muss jetzt selbst meinen Weg zur Unterkunft, einem kleinen Ryokan finden. Die Straßen sind stellenweise dick vereist. Mit den Wanderschuhen geht es, aber die Schneestiefel hätten sich hier auch schon rentiert.
Als ich das Ryokan erreiche, erklärt mir die Betreiberin, dass ich schon ins Zimmer kann, und wenn ich zu den Schneeaffen wolle, könne ihr Mann mich gleich fahren. Das ist ja klasse! Ich hatte zwar gelesen, dass man hier einen kostenlosen Shuttle anbietet, aber dass das jetzt so schnell geht, hätte ich nicht gedacht. Zehn Minuten später habe ich die Schneeschuhe an den Füßen und stehe am Auto. Zuerst schaue ich ein bisschen blöd, als der Mann auf der Beifahrerseite einsteigt, bis mir dann einfällt: Linksverkehr!
Die Fahrt bis zu der Stelle, an der Fußweg durch den Wald zu den Schneeaffen beginnt, dauert etwa 10 Minuten. Wir unterhalten uns über Autos, ich habe einen Nissan, genau wie mein Gastgeber, aber er wundert sich, dass ich keinen – so wörtlich - Volkswagen fahre. Unterwegs schärft er mir noch ein, wo er mich später abholt, nämlich an der Bushaltestelle „A“. Das kann ich mir merken. Seine Frau hat mir schon ein Kärtchen mit der Telefonnummer gegeben. Ich soll vom öffentlichen Telefon oben bei den Schneeaffen anrufen, bevor ich mich auf den Rückweg mache. Dann setzt er mich ab, macht noch mit meinem Fotoapparat ein Foto von mir und dann mit seinem Fotoapparat ein Foto von mir. Das fände ich jetzt äußerst merkwürdig, hätte ich nicht auf der Homepage gesehen, dass er dort genau solche Werbefotos von anderen Gästen eingestellt hat.
Die etwa halbstündige Wanderung durch den Wald ist dann schon traumhaft schön. Der Wald ist richtig verschneit, ich bin froh, dass ich die Schneestiefel anhabe. Kurz bevor man den Schneeaffenpark erreicht, kommt man dann an einen Fluß, über dem ein Haus steht. Ganz weit hinten im Schnee kann ich schon ein paar Affen sehen.
Ein letzter Anstieg, dann darf man an einem kleinen Häuschen den Eintritt bezahlen und weitergehen. Und kaum habe ich die Handschuhe ausgezogen, weil mir vom Spaziergang warm geworden ist, rutsche ich auf dem eisigen Boden weg und lande rücklings im Schnee. Hilfreiche Menschen bringen mich wieder auf die Beine, zum Glück ist nichts passiert, aber ich merke, dass man hier sehr vorsichtig gehen muss.
Und dann sind sie zu sehen, die ersten Schneeaffen. Unten am Fluß, links und rechts und oben am Hang im Schnee und auch in dem Onsen, in dem sie im Winter baden. Viele wühlen im Schnee nach Futter, andere kuscheln miteinander, einige Rabauken mischen die anderen auf. Aber insgesamt geht hier alles sehr gelassen zu. Die Affen beachten die Menschen nicht weiter und spazieren teilweise völlig unbeeindruckt zwischen Beinen und Schuhen hindurch. Aus dem heißen Onsen steigt der Dampf, die Affenkopf sind teilweise durch den Dunst kaum zu erkennen, aber ab und zu treibt der Wind den Dampf dann doch zur Seite.
Zum Abschluss, als die Sonne langsam hinter die Bäume sinkt und sich die Schatten ausbreiten, gehe ich noch hinunter zu dem Bach, an dem viele Affen sitzen. Viele kuscheln miteinander und lausen sich gegenseitig.
Die Affenkinder spielen, eines fingert an dem Fellrand meines Stiefels herum und testet vielleicht, ob man den Stiefel lausen kann. Da hat es aber kein Glück, der Stiefel ist aus Synthetik. Zwischendurch treffe ich noch die Belgierinnen aus dem Zug wieder, dann mache ich mich schließlich doch auf den Weg zurück. Das beschriebene Telefon an den Toiletten finde ich schnell, nur beim ersten Versuch, in der Unterkunft anzurufen, erwische ich bloß eine freundliche japanische Ansage. Hm, hoffentlich habe ich das richtig verstanden, dass ich nur die letzten fünf Ziffern der Telefonnummer wählen soll. Ich probiere es nochmal und werfe sicherheitshalber mehr Münzgeld ein, und diesmal klappt es. Es ist kurz vor drei, und man wird mich um halb vier unten an der Bushaltestelle abholen.
Auf dem Weg zurück, außerhalb des Parks, sitzen auch einige Affen, und einer von ihnen springt mir plötzlich von hinten auf den Rucksack. Zum Glück springt er schnell weiter, aber ich erschrecke doch ganz schön. Vorhin bin ich so dicht an die Affen herangegangen, jetzt merke ich, dass das gar nicht so ungefährlich war.
Auf dem Weg kaufe ich noch eine Sonder-Kit-Kat-Edition, die unten in einem Souvenirshop angeboten wird: Kitkat mit Shinshu-Apfel-Geschmack. Kitkat klingt auf japanisch so ähnlich wie „Du wirst Erfolg haben“, und so ist es kein Wunder, dass die Riegel hier sehr beliebt sind und die Firma sich einiges hat einfallen lassen, um den Umsatz noch zu steigern: Es gibt Sonder-Editionen, inzwischen wohl schon über hundert. Manche sind nur in bestimmten Gegenden erhältlich, andere zu bestimmten Festen oder Jahreszeiten.
So weit so gut, ich stelle mich an die Bushaltestelle A und warte. Leider kommt erst mal niemand, während sich hinter mir Leute anstellen, weil sie wohl meinen, dass ich auf den Bus warte. Hm, zwanzig vor vier, viertel vor vier, zehn vor vier, sehr merkwürdig. Hat es mit der Verständigung etwa doch nicht geklappt? Ist irgendwas passiert? Um kurz vor vier beschließe ich: Wenn hier ein Bus nach Yudanaka abfährt, dann nehme ich ihn. Dann kommt aber doch die Herbergswirtin angefahren und entschuldigt sich vielfach. Kein Problem, ich konnte ja in der Zeit meine Fotos sichten, erkläre ich und bedanke mich nochmals vielmals für das kostenlose Shuttle. Die Leute an der Bushaltestelle gucken dagegen etwas dumm aus der Wäsche, dass ich, sozusagen der Kopf der Schlange, plötzlich in meinen Privatbus einsteige.
In der Unterkunft wühle ich mich dann aus meinen Kleidungsschichten und stelle fest, dass es eine Heizung gibt, die auch läuft.
Erst mal lege ich eine Rast ein, und später will ich noch einen Ausflug nach Shiba-Onsen machen, einen wohl ziemlich malerischen Nachbarort. Mich irgendwann aufzuraffen fällt mir gar nicht so schwer, denn trotz Heizung ist es im Zimmer kalt: Die Wände bestehen quasi aus Papier, und der Wind pfeift durch die Ritzen.
Ich werfe mich also wieder in mehrere Ladung Kleidung und wechsele unten die Pantoffeln gegen Schneestiefel. „Outside not good“, meint der Herbergswirt allerdings. Hm. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass angefangen hat zu schneien, und es sind keine sachten Flocken, sondern horizontaler heftiger Schnee. Jetzt bin ich aber angezogen, da gehe ich auch raus, beschließe ich und mache mich todesmutig auf den Weg. Nach 10 Minuten drehe ich wieder um. Outside not good, da hatte er wohl recht.
Also Plan B: Hier in der Gegend baden ja nicht nur die Affen in heißem Wasser. Überall gibt es Onsen, heiße Bäder, die ihr Wasser direkt von den heißen Quellen hier im „Höllental“ beziehen. Und auch mein Ryokan hat ein solches Onsen. Zurück im Zimmer wird gestrippt, ich wickele mich in die bereitgelegte Yukata, und dann geht es runter ins heiße Bad. Natürlich erst mal wie vorgeschrieben außerhalb des Beckens ausgiebigst den Schmutz des Tages vom Körper waschen, dann sinke ich ins heiße Wasser. Netterweise habe ich das ca. 2 auf 2 Meter große Becken für mich alleine. Länger als 20 Minuten halte ich es aber nicht aus, obwohl ich zwischendurch den Körper mit einer lauwarmen Dusche wieder etwas runterkühle. Anschließend laufe ich noch meinem Herbergswirt über den Weg und kann ihm eine Flasche Bier abkaufen. Damit entspannt es sich dann anschließend im Zimmer noch schöner.
Die Futonmatratze ist zwar dünn, aber ich habe so langsam die nötige Bettschwere, und so liegt es sich doch nicht so schlecht. Ich esse meine mitgebrachten Snacks, sichte Fotos, lese und schlafe irgendwann gegen zehn Uhr ein und schlummere selig, während draußen der Wind pfeift.
Gute Nacht!