Freitag, 3. FebruarGegen halb acht schiebe ich mich langsam aus dem Bett: Die letzten beiden Tagen haben Spuren hinterlassen. Das ständige Niederknien vor den Schneeaffen, um Fotos zum machen, das anschließende Wieder-auf-die-Füße-Kommen, der schwere Rucksack... Mein Körper fühlt sich jedenfalls an wie gerädert. Egal, jetzt ist er ja langsam wieder im Training, darauf muss ich aufbauen.
Ich frühstücke im Hotel und nehme beinahe die lecker aussehenden frittierten Irgendwasteilchen, die sich dann als frittierte Austern herausstellen. Vor Schreck beschränke ich mich dann auf das westliche Frühstück in Form von süßen Backwaren. Ich lasse mir noch den Weg zur U-Bahn-Station Ueno-Okachimachi erklären, dann mache ich mich auf den Weg. Heute nutze ich mal wieder die Suica-Card, diese IC-Karten sind einfach zu praktisch: Beim Ticketgate hält man die Karte einfach an den Kartenleser, und nach der Fahrt wird am nächsten Ticketgate einfach der Fahrpreis von der Karte abgebucht.
Von der Station Kasuga, zu der ich fahre, kann ich direkt ins Bunkyo-Civic-Center gehen. Ich bin ja auf ein paar Kontrollen eingestellt, aber nichts da: Keiner fragt sich, wo die Ausländerin mit ihrem Rucksack hin will, ich suche mir den Weg zum Aufzug und fahre hinauf in die 25. Etage. Dort gibt es eine Aussichtsplattform, okay, eine Aussichtsetage, aber die ist klasse gemacht mit schrägen Scheiben und bietet einen schönen Blick auf Tokio. Aber noch wichtiger: Von hier aus kann man über die Hochhäuser von Shinjuku bis zum etwa 100 km entfernten Fuji sehen:
Ich finde den Anblick überwältigend, der Berg wirkt viel näher. Er bringt richtig mein Herz zum Hüpfen, und ein paar mal bekomme ich mit, wie andere Leute, die ihn durch die großen Panoramafenster erblicken, mit „oh“ und „ah“ reagieren. Der erste Japan-Besuch hat anscheinend schon ein paar Trigger in mein Gehirn eingepflanzt. Beim Anblick von Kirschblüten und des Fujis fühle ich mich glücklich. So langsam frage ich mich ja, ob ich den Anblick des Fujis hinter Kirschblüten überhaupt ertragen könnte, oder ob ich da vor Verzückung zusammenbrechen würde.
Ansonsten bietet der Blick wenig Glamour, aber das ist nun mal Tokio: Eine riesige Stadt, in der vielen Millionen Menschen leben, kein Prestigeprojekt in der Wüste, das von irgendwelchen Scheichs hochgezogen wird.
Irgendwann kann ich mich losreißen und mache mich auf den Weg nach Akihabara, zuerst mit der U-Bahn, dann noch eine Station mit der Yamanote-Linie. In Akihabara war ich beim ersten Besuch schon kurz gewesen, jetzt will ich mich nochmal in Ruhe umschauen. Außerdem hat mein Patenkind mich gebeten, nach irgendwelchen japanischen Figuren Ausschau zu halten, da habe ich doch gleich mal eine Mission, mit der ich mich durch die abgedrehten Geschäfte dort wühlen kann.
Erst mal kann ich es aber nicht über mich bringen, in Geschäften herumzulungern, denn der Himmel ist strahlend blau, die bunten Fassaden und riesigen Werbetafeln leuchten in der Sonne, da treibe ich mich lieber erst mal in den Straßen herum und stöbere hier und da in der Auslage.
Lust auf einen Kebab oder Souvenirs aus Lourdes?
Später versuche ich dann mein Glück mit den Figuren, aber die Läden, die ich mir herausgesucht haben, führen sie nicht. Egal, der Plan B liegt schon im meinem Einkaufswagen beim japanischen Amazon bereit. Ich schaue mir aber an, was es insgesamt so gibt. Figuren so weit das Auge reicht, die allermeisten „realen“ Figuren stellen schulmädchenartige Frauen dar, teilweise lieblich, teilweise etwas unzüchtig (die unzüchtigeren lasse ich hier mal raus).
Unter natürlich gibt es Mangas, soweit das Augen schauen kann.
Eine Erotik-Manga-Abteilung gibt es auch. Komischerweise sehen die Protagonistinnen auf den Titelblättern aber selten lüstern aus, sondern eher so, als hätten sie gerade erst erschrocken festgestellt, dass sie morgens versehentlich nur in Unterwäsche aus dem Haus gegangen sind.
Wieder draußen auf der Straße bekomme ich dann zum wiederholten Mal einen Flyer für ein Maid Café in die Hand gedrückt. Na gut, dann will ich es jetzt doch mal wissen. Zeit für ein Mittagessen, das kann ich mir dann ja auch von einer als französische Zofe gekleideten Japanerin an den Tisch bringen lassen. Aber was soll ich sagen? Obwohl ich ernsthaft entschlossen bin, in das beworbene Café zu gehen, finde ich es einfach nicht. Wer auch immer das Marketing für das Café betreibt, sollte seinen Plan besser mal gründlich überarbeiten.
Also suche ich mir woanders mein Mittagessen und fahre erst mal zurück mit der Yamanote-Linie nach Okachimachi.
Am Bahnhof Okachimachi beginnen die Straßen mit kleinen Geschäften und Lokalen, durch die ich schon am ersten Abend gelaufen bin. Hier kehre ich kurzentschlossen in einem kleinen Lokal ein, bekomme einen Platz an der Theke und bestelle anhand der netterweise mit Fotos erklärten Karte eine Schüssel mit Sobanudelsuppe und Ente, dazu ein Bier. Sehr schön. Als das Essen dann kommt, ist auch noch eine Schüssel mit Reis dabei, über den eine helle Soße gekippt wurde. Ich überlege, ob das wohl eine Art süßer Milchreis zum Nachtisch ist, aber obendrauf liegt ein Klecks Wasabi, hm, sehr merkwürdig.
Ich esse meine Nudeln, stochere ab und zu in dem Reis herum, und dann scheint der Gast neben mir irgendwann Erbarmen mit mir Zeigen zu wollen, ruft die Bedienung und lässt sie einen Löffel für mich bringen. Vielen Dank, aber jetzt bin ich auch nicht weiter. Soll ich mit dem Löffeln den Reis oder die Suppe essen? Ich entscheide mich für den Reis und schaufele die Nudeln mit den Stäbchen in den Mund und schlürfe die Brühe. So gut wie der Japaner neben mir kann ich das nicht. Das zeitgleiche Schlürfen und mit den Stäbchen Nudeln-Nachschieben muss man vermutlich üben. Ich verspritze mir dabei das halbe Gesicht. Als der Japaner neben mir gegangen ist, frage ich mich plötzlich, ob ich ihn vielleicht auch vollgespritzt habe und er deshalb der Meinung war, dass ich besser mit einem Löffel essen soll. O, das wäre peinlich! Aber mit der Vorstellung muss ich jetzt wohl leben.
Auf dem Spaziergang durch die kleinen Straßen stelle ich fest, dass hier auch der Fischmarkt ist. Da gibt es Austern und Jakobsmuscheln, Fische aller Art, Oktopusse und einiges mehr.
Ich schlendere an den Ständen vorbei und komme schließlich erst viertel vor zwei im Hotel an. O je, um viertel vor drei, will ich wieder los, also bleibt nur Zeit für eine kurze Mittagsrast.
Am Nachmittag mache ich mich dann auf den Weg nach Sagamiko. Das liegt etwa eine Fahrtstunde südwestlich von Tokio-Ueno, und dort soll eine der schönsten abendlichen Beleuchtungen der Kanto-Region stattfinden, die oder das Sagamiko Illumillion. Bis dahin fahre ich erst mal eine Stunde mit dem Schnellzug, dann ein paar Minuten mit dem Vorortzug und dann noch ein paar Minuten mit einem Bus. Kurz vor fünf kommt der Bus an, und wenn mit mir nicht ein paar andere Leute hier ausgestiegen wären, wüsste ich nicht, dass ich richtig bin. So kann ich den anderen den Berg hinauf folgen, an überdimensionierten Parkplätzen vorbei. Aber Moment, da oben stehen schon vier Reisebusse.
Ich löse mein Ticket, und nehme den Christbaum in Augenschein, der am Beginn des ausgeschilderten Spazierwegs steht. Hm, so viel macht das noch nicht her.
Aber es ist ja noch nicht dunkel, also esse ich im Restaurant irgendein Schweinefleischcurry mit Reis. Während ich da so sitze und hinaus schaue und der Himmel langsam dunkelblau wird, werden mit einem Mal Millionen Lichter angeschaltet. Wow! Nichts wie raus!
Nicht nur in den Bäumen hängen Lichterketten, auch die Wiesen sind über und über mit Lichtern bedeckt. Teilweise stecken beleuchtete Unterwasserlebewesen in den Wiesen.
Weiter oben gibt es ein kleines Karussell und einen beleuchteten Diamanten vor einem blauen Hintergrund.
Der weitere Spaziergang durch die beleuchtete Wunderwelt führt an einem Hang mit verschiedenen Tierfiguren hinunter. Zwischendurch fahre ich noch mit einer kleinen Seilbahn ganz hinauf auf den Hügel und habe vor allem beim Hinunterfahren einen schönen Blick auf die beleuchteten Hügel. Eine der letzten Attraktionen auf dem Rundkurs ist eine Palastkulisse. Zu Schwanenseeklängen leuchten wechselnde Lichter und Wasserfontainen steigen hoch.
Einen englischen Rosengarten gibt es auch noch, und Paddington Bär grüßt fröhlich samt rotem Doppeldecker:
Anschließend komme ich passend zum Bus wieder unten am Berg an. Die Rückfahrt klappt unproblematisch, aber ich merke, wie müde ich bin. Als ich schließlich gegen halb zehn zurück zum Hotel gehe, fangen meine Zähne an zu klappern. Hm, so kalt ist es eigentlich gar nicht, vielleicht bin ich einfach ein wenig ausgekühlt, überlege ich. Ausnahmsweise nehme ich heute nicht den Weg an der Hauptstraße entlang, sondern biege neugierig in die Straße, die hinter den Gebäuden vorbeiführt. Oho, hier ist ja ein kleines Rotlichtviertel. Lustig, das ist mir bisher überhaupt nicht aufgefallen. Auf der anderen Seite der Häuserzeile sind völlig seriöse Restaurants und Geschäfte und ein Friseursalon.
Ich komme ziemlich geschafft im Hotel an und kuschele mich bald unter die Bettdecke. Morgen steht der letzte Tag in Tokio an, bevor ich übermorgen weiterfliege.
Gute Nacht!