Donnerstag, 10. Januar 2008 Den Donnerstag beginne ich – ungewohnt spät gegen 9.00 Uhr (dieses Tylenol-Zeugs hat irgendwie die Wirkung von KO-Tropfen) – in einem Diner, das dem gestrigen in Sachen Authentizität und Alter ernsthafte Konkurrenz macht: Das Original Pantry Cafe (877 S Figueroa St). Hier gibt es zwar die klassische Aufteilung mit einzeln stehenden Tischen, aber ansonsten ist auch dieser Laden irgendwann vor 60 oder mehr Jahren stehen geblieben. Das Servicepersonal besteht ausnahmslos aus älteren Herren, die mit ihren schwarzen Hosen, den weissen Hemden mit Fliege, den schwarzen Schürzen und ihren grauen Haaren aussehen, als seien sie für den nächsten Coppoloa-Mafia-Film gecastet worden. Oat Meal und Kaffee sind OK, bezahlt wird an einem vergitterten Kassenhäuschen am Ausgang, in dem vermutlich die Chefin persönlich über die Finanzen wacht. Sehr nett das Ganze!
Hier leider im Nieselregen, aber trotzdem toll: das Pantry CafeNach dem Frühstück cruise ich ein wenig durch Downtown, parke kurz den Wagen an einer Parkuhr nahe einem der Hochhäuser, um von dort einen Stadtüberblick zu fotografieren und komme da oben mit einem Anwalt ins Gespräch, der mich darauf hinweist, dass auf dem rechten T des AT&T-Zeichens in luftiger Höhe ein Falke nistet. Tatsächlich hockt da ein Vogel, der für eine der allgegenwärtigen Stadttauben entschieden zu groß ist. Uns tatsächlich trauen sich alle anderen Vögel, wie der Mann erzählt, auch dann nicht aus den Bäumen, als er seine Frühstückssemmel großzügig zerbröselt und über den Platz verteilt. Kluge Vögel! Außerdem bekomme ich den Tipp, mal wirklich früh (gegen 6.00) hier oben zu sein, weil da erstens ein wunderschönes Morgenlicht sei und man zweitens die vielen Asiaten, die in dem Gebäude arbeiten, bei ihren Tai Chi-Übungen beobachten könne. Das Gespräch kostet mich zwanzig Minuten, 5 Minuten mehr, als meine Parkuhr zugelassen hätte und somit weitere 40 Bucks... kruzifix... die Parküberwachung klappt aber wirklich wie am Schnürchen in LA.
Gar manches fesche Maß-Leibchen ließe sich downtown für kleines Geld schneidern,
aber ich bin ja mehr der Jeans- und Chino-TrägerZähneknirschend beschließe ich, beide Tickets gleich zu zahlen, die zuständige Stelle ist in der Nähe (in der 2nd St). Direkt davor parke ich an einer Parkuhr, die ich besonders großzügig füttere. Originellerweise akzeptiert die Behörde nur Cash, und das in einem Land, in dem man jeden Kaugummi mit der Credit Card bezahlen kann. Adieu, ihr 80 Dollar!
Mittags düse ich wieder auf den Wilshire zu meinem Labor. Dort herrscht leise Panik, man kann meine Filme nicht finden. Gestern waren sie doch noch..., wo können sie denn... Gott, wie peinlich! Der Einzige, der entspannt ist, bin ich. Ich schlage vor, dass ich jetzt einen kleinen Lunch nehme und danach wieder komme. Erleichterung beim Personal, das nette Mädel am Counter lächelt und fragt „You’re from Europe, right?“ Scheint, als würde ein amerikanischer Fotograf solchen Pannen weniger gelassen nehmen.
Lunch gibt es bei Johnny Rocket’s (7507 Melrose Ave), einem auf Route 66 gestylten Diner, der halt leider – wie die meisten Look-Alike-Ketten – nicht wirklich viel taugt. Ein paar dröge Hühnchenstücke mit einem Plastikschälchen Ranch Dressing für 7 Bucks... mau. Zurück im Labor treffe ich auf glückliche Gesichter: die Filme sind wieder da, sind entwickelt, sind kontaktet... sie waren unter einem Stapel anderer Filme verschwunden.
Mohsen, der Boss, weist mich noch darauf hin, dass das Labor umzieht und dass ich es nächstes Jahr in der La Brea Ave. finden werde. War’s da nicht schon mal? Richtig, erklärt Mohsen, das sei die alte Location, die seit Jahren in Renovierung sei. Nun, da sein Vermieter die Miete von 12.000 auf 16.000 Dollar im Monat erhöhen wolle, müsse er mit dem Umbau Gas geben. 16.000 Bucks für rund 350 qm... happig! Ich trage 94 Dollar bei, die ich für meine sechs Filme zahle.
Johnny Rocket's auf der Melrose Ave: nett anzusehen, aber leider nicht wirklich gutUm mir mal die gewaltige Ausdehnung von LA plastisch vor Augen zu führen, beschließe ich einen Ausflug nach South Central, erstens überhaupt und zweitens, um mir die Watts Towers anzusehen. South Central war noch vor einigen Jahren ein Brennpunkt, den zu durchfahren einem Weißbrot wie mir nicht wirklich zu empfehlen war. Die Chancen, die verirrte Kugel eines Drive-By-Shootings abzukriegen, war zumindest größer als die auf einen Sechser im Lotto... vermutlich sogar größer als die auf einen Vierer. Das ist mittlerweile Geschichte. Zwar würde ich hier auch heute noch nichts nachts mit der Leica in der Hand spazieren gehen, aber tagsüber ist die Ecke absolut harmlos. Auch die Bevölkerungsstruktur hat sich insofern gewandelt, als sie heute zum größeren Teil nicht mehr schwarz, sondern hispanisch ist.
Zurück zum Thema Ausdehnung: von Hollywood aus fahre ich die La Brea Ave etwa 15 km nach Süden, um dann weitere 10 km auf dem Century Blvd östlich zu fahren. Das kostet mich eine Stunde zügigen Fahrens, und doch habe ich damit nur einen Bruchteil von LA durchquert. Die Watts Towers, eine schräge architektonische Mischung, die aussieht wie eine Gemeinschaftsproduktion von Antonio Gaudi und Friedrich Hundertwasser, wurden von einem italienischen Immigranten in den zwanziger Jahren begonnen und in den 50er Jahren vollendet – 17 skurille Türme aus Stahl, Zement, Fliesen- und Spiegelscherben, der höchste rund 30 Meter hoch (und vermutlich die größte Baustruktur, die jemals von einem einzelnen Menschen geschaffen wurde). Danach verließ er die Gegend und kehrte nie mehr zurück, Land und Türme verschenkte er. Ursprünglich sollten die Türme in den 60ern abgerissen werden, aber eine Initiative von benachbarten Bürgern verhinderte das. Die Türme liegen recht versteckt in einem Wohngebiet, mit einem guten Stadtplan sind sie zu finden (107th St & Graham). Sehenswert!
Gehört zwar inhaltlich hier gar nicht her, dann aber irgendwie doch, weil es der erste Scan ist, den ich gestern
von meinen Filmen gemacht habe. 6x6 hochaufgelöst zu scannen, dauert: 20 Scans habe ich gestern bis Mitternacht im Kasten gehabt.Über die Alameda St cruise ich zurück Richtung Stadtmitte, biege auf den Beverly Blvd und beschließe den Abend im El Coyote, einem Mexikaner, den ich in guter Erinnerung hatte. Aus, vorbei: selten habe ich so lausig gegessen. Weder die Nachos noch das Chili hatten auch nur einen Hauch von Eigengeschmack, rotzfade, lauwarme Pampe beides. Das Chili erinnerte mich stark an die Schweinefleischkonserven aus Bundeswehrbeständen, die man bei uns früher manchmal billig kaufen konnte. Die Chilis mussten wohl alle für die Deko des Lokals herhalten... Und die Margarita war pappsüss. Bähhh, richtig schlecht. Ich habe mehr als die Hälfte stehen lassen. Dafür dann 30 Dollar (inkl. Tipp und Valet Parking) war deutlich zu viel. Das hatte nicht mal mehr Imbissbuden-Niveau. (El Coyote, 7312 Beverly Blvd).
Wieder im Hotel fällt mir ein, dass ich den heutigen Gallery-Walk, zu dem mich die nette Galeristin von Art&Cigar eingeladen hatte, vergessen habe. 100 Punkte für Blödheit, Herr Hermanns! Da lege ich mich doch besser hin. Den Schnuppen auskurieren. Nacht!
Ach ja, die Frage des Tages, weil ich heute zwei Mal dran vorbeigefahren bin: man mag ja der Meinung sein, es sei ein Zeichen von Toleranz, wenn die Scientology in den USA nicht weiter unter kritischer Beobachtung steht, aber muss man denn gleich eine Straße nach deren Obergauner Ron L. Hubbard benennen? Hallo? Der Mann ist der Begründer einer der schlimmsten Psycho-Sekten der Welt.