Samstag, 5. Januar 2008 Wunder oh Wunder: es regnet nicht mehr! Gestern in den Nachrichten klang das noch anders. Und überhaupt – was ich für einen, wenn auch ergiebigen, Regentag hielt, war Thema auf allen Kanälen. Überschwemmungen und Erdrutsche sorgten offenbar für ein erhebliches Chaos, diverse Bewohner wurden evakuiert, weil ihre Häuser abzurutschen drohten. Und ich dachte, es regnet bloß...
Frühstück heute bei Langer‘s, dem Neighborhood-Deli auf der Alvarado (704 S). Warme Pampe mit Rosinen und dazu Kaffee. Erstaunlicherweise angesichts der verrotteten Umgebung durchaus ordentlich. Wobei: die Gegend erscheint mir zunehmend „normal“, gar nicht mehr so gruselig. Vermutlich ein gutes Zeichen: ich vergesse wohl langsam meine deutschen Vorstellungen von Ordnung.
Diese schönen alten Brickstone-Häuser werden nun langsam wieder renoviert und häufig zu Wohn- oder Arbeitslofts umfunktioniert.Danach wieder downtown. Main St und Umgebung, dort, wo es schon eher industriell wird. In der Ecke komme ich auch am alten Coca-Cola-Abfüllgebäude vorbei: sehr geil! Wurde Ende der 30iger Jahre im Stil eines Ocean-Liners gebaut. Streamline-Deco vom feinsten, an den Ecken halten vier Meter hohe Cola-Flaschen Wache. Das ganze Viertel ist ziemlich gut zum Fotos machen. Jedenfalls bin ich einige Stunden auf Achse. 10 Rollen sind jetzt belichtet. Muss am Montag dringend ins Labor, um zu schauen, ob alles stimmt. Den Pausenkaffee gibt es heute wieder im LA Cafe, wo ich mich mit einem netten, jungen, Tattoo- und Baseballmützenträger unterhalte (wir müssen uns einen Aschenbecher teilen), der im gleichen Haus eine Galerie für asiatische Antiquitäten hat. Er kommt ursprünglich aus Oregon und meint (mit einem Blick auf seine kurzen Hosen), dass das Wetter, das die Angelenos im Moment so frösteln lässt, in Oregon als Hochsommer gilt. Ich versichere ihm, ihn Deutschland sei das ähnlich, 18° C empfände auch ich durchaus als angenehme Temperatur.
Pause vorm LA Cafe, wo man zu seiner (guten) Coffee Latte auch ein Zigärrchen rauchen kannAch ja: einen Abstecher in die Olvera St mache ich noch, den ältesten Teil von LA, die alte Mission, das älteste Adobe-Haus und und und... wie so oft, wenn’s im Reiseführer steht, kann man sich den ganzen Mumpitz eigentlich schenken. Es ist nix als eine Ansammlung von Kitschläden und teuren Imbißständen, durch die sich die Touristen drängeln. A propos Sehenswürdigkeit: auch die Walt Disney Music Hall haut mich nicht vom Hocker. Ist zwar von Gehry, aber irgendwie hatte er da wohl nicht so richtig Bock. Alles so klein und... tja... aber vielleicht liegt’s auch daran, dass ich den Gag mit den verbogenen Alu-Fassaden nun langsam etwas abgenutzt finde.
Die Olvera Street – Touristen-Rummelplatz, der allerdings auch von vielen hispanischen Angelenos aufgesucht wirdGegen 4.00 ist das Licht mehr oder weniger weg, also ein kurzer Stopp im Motel, ein paar Adressen aus den gelben Seiten gesucht und dann noch einen kleinen Trip zur Crenshaw-Mall, wo eine Handvoll Department-Stores beheimatet ist, zwecks Besorgungen, u.a. eine Creme für meine Lippen, die inzwischen komplett aufgesprungen sind: das Thai-Süppchen war wohl wirklich etwas scharf. Außerdem so ein Dingens, das man hinter die Sonnenblende klemmen kann und das 10 CDs griffbereit hält. Normalerweise vergesse ja immer eine CD im Player des Mietwagens, aber so ist das viel praktischer, da kann ich bis zu 10 CDs gleichzeitig vergessen. Der Sears-Store macht übrigens den Eindruck, als hätte gerade eine Plünderung stattgefunden, die Hälfte der Klamotten verteilt sich zerknüllt am Boden, verwaiste Kleiderbügel schwingen leise knarzend im Wind, während das Personal mit Näschen-Pudern beschäftigt ist. Strange... jeder Goodwill-Store ist da ordentlicher.
"No dumping– drains to ocean": ein Hinweis, der sich an vielen Gullis findet. Gut!Nach Abschluss der Einkäufe wieder gen West Hollywood, Dinner in Mao’s Kitchen (7313 Melrose Ave): netter Laden, das Essen... naja ganz OK, aber vor allem Portionen von denen zwei satt werden. Ich bin brav und lasse knapp die Hälfte stehen. Außerdem sorgen vier blonde Paris-Hilton-Look-Alikes am Nebentisch für beginnendes Kopfweh mit ihrem Geschnatter. Irgendjemand hat so was mal „fleischgewordene Klingeltöne“ genannt... Den abschließenden Kaffee samt Zigarillo nehme ich ebenfalls auf der Melrose, wo ich mir die Zeit mit Autos zählen vertreibe. Neben der deprimierenden Tatsache, dass in einer knappen Stunde gerade mal zwei klassische Amis vorbei rollen (ein alter Mustang und ein Fairlane), fällt mir auf, dass ziemlich genau ein Drittel aller vorbeifahrenden Fahrzeuge aus Europa ist, bevorzugt Benz, BMW, Porsche und Volvo, aber auch alles andere – nebst diversen Minis. Nun mag ja LA nicht repräsentativ für die USA sein, Hollywood nicht repräsentativ für LA und die Melrose nicht repräsentativ für Hollywood (und meine Zählung sowieso nicht repräsentativ).... aber ein Drittel ist ’ne Menge! Mein Mitgefühl verbietet es mir, zu spekulieren, wie viele der verbleibenden zwei Drittel aus Fernost kommen.
Da drängen sich doch gleich zwei Fragen des Tages auf:
1. Wo sind all die schönen, dicken Schlitten hin, die noch vor ein paar Jahren das Bild auf der Melrose geprägt haben? Hey... it’s Saturday Evening!! Let the good times roll! Und so weiter....
2. Warum klingen eigentlich so viele weiße Amerikanerinnen wie Quietsche-Entchen? Wo haben die Sprechen gelernt? Bei Walt Disney? It’s sooooooooooooo cuuuuute!
No, it isn’t! Shut up, bitch!