Donnerstag, 03.11.2005Nach der unruhigen Nacht erwachen wir wie gerädert, noch immer tobt der Sturm um das Zelt. Als wir die Nase rausstrecken, werden wir gesandstrahlt. Eine Dusche lohnt heute nicht, wir hätten nicht lange etwas davon. Der Wind weht Sand unter den Überstand, aber Frühstück muss sein. Wir wollen uns mit Handtücher schützen, um in Ruhe zu Essen, können die Handtücher aber kurze Zeit später im Gelände aufsammeln. Wir errichten mit unseren Koffern einen Schutzwall auf dem Tisch, mischen dahinter Milchpulver mit Wasser für unsere Getreideringe und erhitzen Wasser für den Kaffee. Irgendwie will das Frühstück aber heute nicht schmecken: Sand knirscht zwischen den Zähnen. Da fahren manche Leute noch extra in die Wüste, uns reicht es für heute. Als wir dann das Zelt abschlagen wollen, stellen wir fest, dass sich dort eine mittelgrosse Ladung Sand in der Schlafkabine angesammelt hat (wir hatten leider den Reissverschluss nicht zugezogen). Behindert von peitschenden Winden packen wir alles zusammen und wollen nur noch hier weg aus dieser unwirtlichen Gegend. Sogar die geplante Wanderung im Little Wild Horse Canyon gerät kurzfristig in Gefahr, als wir alles blitzschnell verladen und im Chaos des raschen Aufbruchs im Auto plötzlich das GPS-Gerät nicht mehr finden können. Wir wollen uns die Sandstein-Kobolde ansehen und kaum haben wir den Campground verlassen, legt sich der Wind. Als wir am Overlook des Goblin Valley ankommen ist es fast windstill, auf alle Fälle ist kein Sand mehr in der Luft.
Wir laufen den Hang hinab ins Tal und streifen in alle Himmelsrichtungen durch den Talkessel mit den pilzförmig erodierten Felsen.
Im lehmigen Untergrund entdecken wir unzählige Fussabdrücke von Koyoten. Langsam lichten sich auch die Wolken, gelegentlich kommt die Sonne raus.
Das trübe weiss der Wolkenschleier verwandelt sich in einen zartblauen Himmel, wir beschliessen, die Wanderung im Wild Horse Canyon auch ohne GPS in Angriff zu nehmen. Wir gehen zurück zum Auto und fahren die Strasse zum Trailhead. Die Zufahrt erfolgt zunächst wie zum Goblin Valley. Man fährt aber nicht durch die Eingangsstation der Ranger sondern folgt vorher den Schildern zum Little Wild Horse Canyon / Muddy Creek. Bei trockenem Wetter ist die Strasse auch für normale PKW kein Problem, nach Niederschlägen wahrscheinlich jedoch unpassierbar, da ein tief gelegenes Flussbett zu queren ist. Auf dem Parkplatz am Trailhead des Little Wild Horse Canyons stehen mehrere Fahrzeuge. Campen ist hier mit kostenlosem Backcountry Permit des BLM ausdrücklich erlaubt und man campt hier sehr idyllisch. Für den nötigen Komfort sorgt eine Pit Toilet. Wir registrieren uns am Trailhead und nehmen eine dort ausliegende Kopie einer topographischen Karte mit. Eingezeichnet ist eine 9 Meilen Rundwanderung durch Wild Horse Canyon und Bell-Canyon.
Wir wollen aber nur in den Wild Horse und dann wieder zurück. Zunächst folgt man dem trockenem Flussbett des Muddy Creek (der Name passt, da es ziemlich schlammig war). Die Landschaft ist geprägt von Baumbestand und das leuchtende herbstliche Gelb der Laubbäume zaubert eine schöne Stimmung. Führt der Fluss Wasser, braucht man erst gar nicht weiterzugehen, denn dann ist der Canyon überflutet.
Nach ca. 15 Minuten verengt sich der Canyon und ein gigantischer Felssturz versperrt den Weg. Davor muss man links auf die Felsen klettern. Wenn man erst mal oben ist, sieht man den Weg. Bei uns war es durch den ganzen Matsch ziemlich rutschig, beim Aufstieg auf die Felsen also aufpassen. Den Weg rechts über die Felsen nicht nehmen. Man kann zwar weitergehen, aber von oben nicht mehr ohne Seil ins Flussbett klettern. Nach ca. 10 Minuten gelangt man an eine Kreuzung des Flussbettes. Man nimmt den rechten Eingang (geradeaus geht es zu "The Bell", ein weiterer Slot, aber nicht so schön wie der Little Wild Horse Canyon). Von hier an folgten wir als den Windungen des Flussbettes, kletterten am Rand über die Felsen oder balancierten über Felsbrocken, um aus dem matschigen Flussbett zu kommen. Frank filmt unser Abenteuer. Als ich an einer abschüssigen Stelle an den Felsen nicht aufpasse, rutsche ich ab und sehe mich schon komplett im Schlamm liegen. Ich kann mich aber gerade noch fangen und tauche so doch nur die Schuhe bis zum Schaftrand in den Matsch.
Ein amerik. Wanderer kommt uns entgegen und meinte, dass Wetter sei ihm heute zu unsicher, er wollte heute nicht die grosse Runde über Bell und Wild Horse gehen. Ja auch wir haben bemerkt, dass sich der Himmel allmählich zugezogen hat, es könnte wirklich Regen geben. Wir halten einen kurzen Plausch und er empfiehlt uns, auf alle Fälle bis zu der engsten Stelle der Narrows weiterzulaufen. Es wäre nicht mehr sehr weit, und nach kurzer Zeit würden sich die Narrows so verengen, dass man dort nur noch mit gespreizten Beinen zwischen den Canyonwänden vorankäme, auf dem Boden wäre nicht mehr genug Platz für die Füsse! Das konnten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Da der Canyon sich bereits merklich verengt hatte, wurde es mir mit der Sonnenbrille zu dunkel und ich angelte meine normale Brille aus dem Rucksack. Im Vorfach des Hydropacks fand ich dann auch wieder unser vermisstes GPS-Gerät, schaltete es ein und markierte einen Waypoint.
Der Canyon gefiel uns schon jetzt so gut, dass eine Rückkehr bei der nächsten Reise sehr wahrscheinlich ist. Obwohl es nicht der typische Slotcanyon mit sich fast schliessenden Canyonwänden ist, gehört der Little Wild Horse Canyon zu den schönsten Canyons, in denen wir je herumgekraxelt sind. Die Wände sind geprägt von fast kreisrunden Auswaschungen, die mitgeführtes Gestein in die Felsen gebrochen hat. Die Formen sind eher rund aber spektakulär. Das Farbspektrum reicht von rosa bis gelb über braun, weiss, rot und grün – die Natur bietet ihre ganze Farbpalette dar. Wie schön müssen die Felsen erst bei Sonnenschein leuchten.
Die vom amerikanischen Canyonwanderer angekündigte Engstelle liess nicht mehr lange auf sich warten. Ständig wurde der Canyon enger, es fiel immer weniger Licht von oben runter. Plötzlich war der Canyon so schmal, dass es mit Rucksack kein Weiterkommen mehr gab. Wir platzierten daher die Packs in eine Felsnische und setzten unsere Erkundung fort. Die Felsen traten so dicht zusammen, dass wir selbst die Kamerataschen vor dem Bauch tragen mussten, seitlich war kein Platz mehr. Und da war sie: die Stelle, die Kamintechnik erforderte. Wie eine Kerbe im Fels, wichen die Canyonwände am Boden keine 10 cm mehr auseinander, hier war klettern angesagt. Zuerst mussten wir aber die Sohlen vom Schlamm befreien, um an der Wand nicht auszugleiten. Mit dem Messer des Gerber Tools kratzten wir den groben Schlamm aus dem tiefen Profil der Vibramsohle, opferten noch zwei Papiertaschentücher für die weitere Reinigung und bewegten uns dann mit gespreizten Beinen an der Canyonwand weiter. Der letzte Klettersteig lag schon mehr als ein Jahr zurück, wir waren etwas aus der Übung und daher froh, als der Canyon sich nach kurzer Zeit wieder weitete und man wieder auf dem Boden gehen konnte. Nach mehreren Windungen gingen die Wände wieder so weit auseinander, dass man auch mit Rucksack bequem gehen könnte. Hier setzten wir unseren Umkehrpunkt. Man könnte aber als weiter laufen, und dann auf einem mittlerweile angelegten Pfad zum Bell-Canyon wechseln und über diesen zurück zum Trailhead laufen, ein 9-Meilen-Rundweg, den man mit 4-6 Stunden veranschlagen sollte. Aber wir gingen auf gleichem Weg zurück. Der Rückweg bot wieder völlig andere Perspektiven und der "Kamin" machte uns jetzt Spass. Wir setzten noch GPS-Waypoints an markanten Stellen, z.b. an der Gabelung von Wild Horse und Bell und am Trailhead.
Obwohl unsere Handflächen anschliessend ziemlich rau waren, gehörte diese Kraxelei mit zu den Highlights unserer Reise. Überhaupt zählt der Little Wild Horse Canyon zu den schönsten Spots, die wir auf unserer Reise besucht haben. In unmittelbarer Nähe des Little Wild Horse und Bell Canyon gibt es noch weitere Canyons, die relativ leicht zu erreichen sind: The Crack, The Chute. Das Gebiet der San Raffael Swell, südlich der Interstate 70 und westlich des Utah-Highway 24 gelegen ist ein Traumrevier für Canyonwanderer. Auch schwierige Erkundungen mit Abseilpassagen bzw. Mehrtagestouren lassen sich hier realisieren. Umso bemerkenswerter, als dass dies die öde Landschaft um Hanksville nie und nimmer vermuten lässt. Einen Führer zu den schönsten Canyonwanderungen im Südwesten (darunter auch die im Wild Horse Canyon) findet man im "Canyon Hiking Guide to the Colorado Plateau" von Michael R. Kelsey (ISBN: 0944510167).
Als wir zu unserem Auto zurückkehren, ist es bereits nach 12.00 Uhr, Zeit um nach Moab weiterzufahren...
Die Fahrt ins Outdoormekka von southern Utah verlief ziemlich ereignislos. Das einzig berichtenswerte war, dass wir mit Green River eigentlich einen größeren Ort erwartet hatten, Green River aber praktisch nur aus einigen wenigen Tankstellen und Motels besteht. Wir gönnten uns einen Whopper (welch Abwechslung auf unserem Speiseplan) und befuhren die 191 South nach Moab.
Für den Rest des Tages hatten wir uns einen Schlachtplan zurechtgelegt: wir wollten noch am gleichen Tag die Potash Road bis zum Canyonlands NP fahren, dann unseren Campground suchen und anschliessend im Supermarkt von Moab unsere praktisch nicht mehr vorhandenen Vorräte aufstocken. Der nächste Tag sollte den Fisher Towers gehören, unser Lieblingspark Arches sollte gar nicht auf dem Programm stehen, da wir dort bereits 3 Tage verbracht hatten. Wir passierten die Abfahrt zum Canyonlands, Island in the Sky District, kurze Zeit später näherten wir uns dem Abzweig des Highway 279 (Potash Road) und fuhren vorbei. Es schien eine wortlose Übereinstimmung zu geben, wir wollten lieber in den Arches, so sehr hatten wir die Fenster, Bögen und Zinnen ins Herz geschlossen. Pfeiff auf die Potash Road, mit einem Grinsen im Gesicht ordnete Frank sich auf der linken Spur zum Arches Park ein, ich war mehr wie einverstanden. Schon von weitem fiel uns das neue Visitor Centre auf – das war doch ein guter Grund, dorthin zu fahren. An der Eingangsstation zeigten wir unseren Nationalpark Pass vor, anschliessend zückte ich den Camcorder und filmte die Fahrt über die Park Road. Die Sandsteinwände zogen uns magisch in ihren Bann. Wieder erlagen wir der Faszination Arches National Park. Das Herz krampfte vor Wehmut und Freude. Im Schatten von Park Avenue, Courthouse Towers und den "Klatschbasen" fuhren wir gemächlich die Parkstrasse entlang und genossen unser Widersehen mit guten alte Bekannten. Weit schweifte der Blick auf der rechten Seite über die Moab Fault und das Salt Valleys. Ganz klein am Horizont konnte man bereits den Balanced Rock ausmachen. Irgendwie war es wie heimkommen, nie wieder werden wir in Erwägung ziehen, den Arches links liegen zu lassen. Kurze Zeit später entdeckte ich die "Windows", dort wollten wir hin und uns den Double Arch anschauen, den wir beim letzten Mal ausgelassen hatten.
Ein kurzer Stopp am Balanced Rock, weiter zu den Fenstern, die Wunder aus Stein überwältigten uns wieder. Obwohl erst Nachmittag, waren nur wenige Besucher in der Window Section, wir setzten uns auf einen Stein und genossen die Stille, die Landschaft, und das Glück wieder hier sein zu dürfen an diesem majestätischen Ort.
Zu Fuss ging es dann das kurze Stück bis zum Double Arch. Leider lag der Bogen bereits grösstenteil im Schatten, das schönste Foto schiesst man am Morgen.
Der Vormittag ist auch die richtige Zeit für ein Foto des Turret Arch. Jetzt lag er voll im Gegenlicht der Sonne und diese erzeugte heftige Reflektionen auf der Linse.
Wir können uns kaum losreissen, an der Ausfahrt der Window Section werden wir wieder in Versuchung geführt: Sunset am Delicate Arch, aber wir haben weder Zeltplatz noch Lebensmittel, daher müssen wir nach Moab.
Mit noch mehr Wehmut fahren wir die Parkstrasse zum Ausgang und trösten uns mit der Aussicht, an kalten, regnerischen Wintertagen uns die Fahrt auf der sonnigen Parkroad auf DVD ansehen zu können.
Als wir Moab erreichen, beginnt es bereits zu dämmern, die Tage im November werden auch in den Staaten zunehmend kürzer, bereits um 17.30 Uhr würde es stockdunkel sein und wir mussten noch die Sandflat Road finden mit dem ansprechenden Campingplatz. Wir fuhren mehrmals durch das Zentrum, sogar bis südlich zum KOA, konnten aber nirgends ein Strassenschild "Sand Flat" oder ein Hinweisschild auf den "Lionsgate Camp Park" entdecken. Die Alternative "Archview" lag uns zu weit abseits im Norden also wieder auf zum "Portal RV Park, auf dem wir bereits im Jahr 2000 übernachtet hatten. Zu unseren Verwunderung trafen wir einen fast voll belegten Platz an, von wegen Nebensaison. In der Zeltarea waren allerdings noch fast alle Plätze frei. Das Office hatte schon geschlossen, per Selfregistration füllten wir das Anmeldeformular aus und errichteten wieder einmal im Dunkeln unser Lager, vorher mussten wir noch das Innenzelt ausfädeln und auf Links drehen, um die Ladung Sand von Goblin Valley auszuschütteln. In Moab war es, genau wie im Arches angenehm warm, es schien eine gute Nacht zu werden. Leider hatten wir noch keinen Feierabend, der Supermarkt stand noch auf dem Programm. Nach dem tagelangen Aufenthalt in Wilderness-Gebieten und dem eintönigen Speiseplan, gönnten wir uns frische Lebensmittel, einen schönen Salat aus der Salad Bar, leckeres Obst, ein paar Süssigkeiten und fanden sogar Baguette, dass man wirklich als Brot bezeichnen konnte. Zurück auf dem Zeltplatz machten wir es uns nach einer schönen Dusche im Schein der Gaslampe gemütlich und ich kam endlich dazu, mehr wie 10 Seiten am Stück in meinem Roman über die Anasazi zu lesen.