Sonntag, 1. 1. 2006:Good Morning
Der Wecker holt mich um 9 Uhr aus dem Schlaf. So spät
Warum auch nicht
Es ist Urlaub, zusätzlich Silvester bzw. Neujahrstag, also was soll’s.
Ein Blick aus dem Fenster sagt mir: traumhaft schönes Wetter
Hilo, berühmt durch seinen Regen, den wir in früheren Urlauben schon ausreichend zu spüren bekommen haben, lässt uns dieses Jahr mit Regen im Stich. Na, uns kann’s Recht sein
Um 9.35 Uhr stehen wir vor der verschlossenen Tür des hoteleigenen Restaurants. Ups, was soll denn das? Egal, dann gehen wir halt woanders hin.
Doch leichter gesagt als getan, schließlich ist Neujahrstag. Wir fahren kreuz und quer durch Hilo – nichts, rein gar nichts hat geöffnet.
Schließlich sehen wir beim L&L Licht brennen, einer Fastfood-Kette, die wir bisher nicht kannten. Also nichts wie hinein.
L&L, so stellt sich heraus, verkauft hawaiische Grillspezialitäten. Wir bestellen uns Chicken Katsu und bekommen – wie fast befürchtet – eine riesige Menge geliefert. Damit sind wir heillos überfordert, packen jeweils die Hälfte ein und verlassen die gastliche Stätte.
Um 11.20 Uhr fahren wir – der Abwechslung halber
- wieder auf die Saddle Road. Nein, diesmal nicht zum Hunter Checkin-Häuschen
Diesmal wollen wir den Kaumana Trail in Angriff nehmen, dessen Trailhead Michi gestern entdeckt hat.
Michi sucht im Auto einen Sender mit Hawaii-Musik, obwohl wir ohnehin einen 6-fach-CD-Wechsler mit Hawaii-CD’s haben, aber er möchte halt einen hawaiischen Sender. Auf der Suche danach stolpert er über einen Sender, in dem genau in diesem Moment die Wiener Philharmoniker anlässlich des Neujahrstages den Wiener Walzer spielen
Der Wiener Walzer um 11.30 Uhr am Neujahrstag auf der Saddle Raod – das muss man sich erst mal geben
Etliche Motorradfahrer, jene von der schnellen Sorte, kommen uns entgegen. Offenbar ist es am 1. 1. „in“, mit dem Motorrad auf der Saddle Road unterwegs zu sein. Meist fahren sie in kleineren Gruppen. Auffallend ist die trotz der hohen Temperaturen vernünftige Kleidung mit Lederanzug und Sturzhelm. Uns persönlich ist nicht ganz verständlich, warum sie sooo rasen müssen, ein wenig langsamer würde doch auch reichen, aber vermutlich brauchen sie alle den „Kick“. Na denn – gute Fahrt
Wir hören immer noch dem Wiener Walzer zu und in nicht allzu weiter Entfernung ist wieder eine Erhöhung der Saddle Road, auf deren Spitze ein Motorrad steht. Also doch einer, der nicht nur auf’s Rasen aus ist, sondern auch mal stehen bleibt.
Ach, da ist ja auch der Fahrer dazu, der plötzlich in Richtung seines Motorrades zu laufen beginnt. Keine Angst junger Mann, wir nehmen es dir nicht weg, wir haben ja ein Auto
Moment
Wie
Was
Dieses anscheinend männliche Wesen macht mit den Armen das „SOS-Zeichen:!: Ist am Ende etwas passiert
Ich steige ziemlich auf die Bremse, komme auf gleicher Höhe mit dem Motorradfahrer zu stehen, der zu unserem Auto herüber läuft und völlig hektisch und in Panik fragt, ob einer von uns medizinische Kenntnisse habe. Sein Freund sei mit dem Motorrad verunglückt, liege bewusstlos am Straßenrand.
Oh, meine Güte
Medizinische Kenntnisse habe ich und gar nicht mal so wenig, aber zum Thema Motorradunfall fallen mir nur die Punkte Koma, Wirbelsäulenverletzung(en), Schädelbasisfraktur und sonstige Knochenbrüche sowie Commotio cerebri ein…….
Ok, Ruhe bewahren, es genügt, wenn der unversehrte Motorradfahrer verständlicherweise Panik hat.
Michi und ich springen aus dem Auto, das ich vorsichtshalber abschließe (man weiß ja nie…).
Doch wir sehen weder ein verunglücktes Motorrad noch den Fahrer dazu.
Auf meine Frage zum Motorradfahrer, wo denn sein Freund sei, schreit er „over there, over there“, bleibt selbst wie angenagelt stehen und steht offenbar dermaßen unter Schock, dass er nicht mehr klar denken kann. Michi bleibt bei ihm, ich gehe „over there“ und sehe plötzlich im hüfthohen Gras, dass sich etwas bewegt. Da ist er ja
Der Verunglückte scheint sein Bewusstsein wieder erlangt zu haben, versucht, sich zu setzen. Mir ist klar: Jetzt, in diesem Schockzustand, verspürt er keinerlei Schmerzen, kann nicht beurteilen, was ihm gut und was im nicht gut tut.
Ich will ihn an weiteren Bewegungen hindern, aber das ist echt nicht einfach
Der gute Mann hat logischerweise überhaupt keine Ahnung, warum er hier in der Wiese ist, was das soll und überhaupt.
Vorsichtig, aber doch mit einer gewissen Hartnäckigkeit, vermittle ich ihm, er soll mir jetzt nur zuhören und das tun, was ich ihm sage – nämlich, nicht bewegen. Irgendwie scheint er es verstanden zu haben, aber eben nur teilweise. Nach wenigen Sekunden der Regungslosigkeit will er wieder aufstehen. Mittlerweile sind Michi und der andere Motorradfahrer bei uns. Ich frage den Motorradfahrer, ob er die Rettung schon verständigt habe. Antwort: no, I did’nt.
Ich bin fast sprachlos, halte mir aber vor Augen, dass auch dieser Motorradfahrer sich noch immer in einem Schockzustand befindet und gebe ihm daher die Anweisung, die Rettung anzurufen und bekannt zu geben, was passiert sei und wo genau.
Gut, das macht er jetzt, währenddessen bin ich mit dem Verletzten beschäftigt. Er fragt – wie erwartet – ungefähr dreißig Mal dasselbe: Was ist passiert, welcher Tag ist heute, welcher Wochentag, wie geht’s der Ehefrau. Genauso oft wie er fragt, beantworte ich seine Fragen. Nebenbei höre ich mit, wie der unversehrte Motorradfahrer mit der Rettung telefoniert. Diese kommt anscheinend von Hilo, wird also eine gewisse Zeit lang dauern. So lange muss ich den verletzten Motorradfahrer in alles Mögliche verwickeln, Fragen stellen, auf die er antworten muss, er darf keinesfalls in Ohnmacht fallen
Jetzt will er den Helm runter haben
Mir wird ganz anders…… Was ist, wenn er eine Verletzung der Halswirbelsäule hat
Ehe ich noch lange überlegen kann, hat er sich den Helm mehr oder weniger vom Kopf gerissen. Ich kann ja verstehen, dass ihn der Helm stört, aber…..Naja, ok, der Helm ist herunten.
Eigentlich würde ich ihm gerne den Rucksack abnehmen, aber…..
Nein
Jetzt hat er seine Augen geschlossen
Das darf aber nicht sein
Mit halbwegs lauter Stimme frage ich ihn, ob er Kinder hat. Glücklicherweise öffnet er die Augen und antwortet „yes, two“. Mich interessiert es wirklich nicht die Bohne, ob es Junge und Mädchen sind, mir ist auch das Alter der Kinder egal, trotzdem stelle ich ihm diese Fragen. Einzig und allein nur deswegen, um ihn, wenn möglich, bei Konzentration zu halten. Meinem Gefühl nach beantwortet er all meine Fragen richtig, auch sein eigenes Alter, nach dem ich ihn befrage, gibt er wahrscheinlich richtig an (er sagt, er sei 28 Jahre alt – sieht auch ungefähr so aus).
So, der Kollege hat mit der Rettung fertig telefoniert, der Verletzte möchte, dass der Kollege die Mutter und die anderen Motorradkollegen, die viel weiter vorne fuhren, anruft. Folgsam macht der Unverletzte alles, was sein armer Kollege in der Wiese möchte. Dann kommt der nächste (verständliche) Wunsch: Der Kollege soll die Frau anrufen und sagen, was passiert sei, aber auch sagen, dass es ihm halbwegs gut gehe. Auch dieses Telefonat wird erledigt.
Und die Rettung lässt auf sich warten. „Mein“ Patient möchte etwas zu trinken haben, doch das muss ich ihm verweigern und ich erkläre ihm, warum. Immerhin: Das sieht er ein.
Sein nächster Wunsch ist, er möchte sich niederlegen. Jetzt bin ich wirklich im Zugzwang. Von Anfang an hocke ich neben ihm in der Wiese und stütze ihn, achte darauf, dass er sich womöglich gar nicht bewegt. Jetzt niederlegen
Nein, auch das erscheint mir zu riskant. Auf Grund des Schockzustandes verspürt er gewiss noch keine Schmerzen, kann daher nicht beurteilen, welche Lage ihm gut tut. Nun, vielleicht tut ihm die jetzige sitzende Position auch nicht gut, ich hoffe es aber… Ich versuche ihm zu erklären, er solle die paar wenigen Minuten, bis die Rettung hier ist, noch sitzen bleiben – auch das sieht er ein. Sieht fast nach einem Musterpatienten aus.
Da ich die ganze Zeit mit dem Verunglückten beschäftigt bin, fällt mir jetzt erst auf, dass sich mittlerweile mehrere Menschen vor uns versammelt haben. Keiner spricht etwas (deshalb wurde ich auch vorher nicht aufmerksam auf sie), keiner tut etwas. Halt, nein, stimmt nicht. Sie tun schon etwas, nämlich – nichts, außer stehen. Nun, was sollen sie auch tun
Endlich kommt mit Blaulicht die Rettung, kurz darauf (ausnahmsweise mal nicht als Erstes) die Polizei. Einer der Rettungsmänner kommt zum Verletzten, fragt ihn banale Dinge, genau wie ich es schon tat und zieht ihm dann die Motorradstiefel aus. Ich stütze ihn immer noch. Dann wird vom zweiten Rettungsmann die Trage geholt und neben den Verletzten gelegt.
Meine bzw. unsere Anwesenheit erscheint mir nicht mehr nötig, ich wünsche dem Verletzten noch alles Gute, dann gehen wir auf die andere Straßenseite zu unserem Auto. Im Vorbeigehen rufen uns die Polizisten noch „thanks guys“ zu, wir steigen ins Auto und weg sind wir. Es ist 13.15 Uhr.
Puhhhhh
Das neue Jahr fängt ja gut an
Wir denken aber, dass der verunglückte Motorradfahrer Glück im Unglück hat, jedenfalls wünschen wir es ihm von ganzem Herzen.
Wir fahren ein kleines Stück und stellen unser Auto kurz vor MM 19 linkerhand am gestern gesichteten Wiesenparkplatz ab, da wir einen Teil des Kaumana Trail gehen wollen.
Trailhead des Kaumana TrailsStartzeit ist um 13.30 Uhr, der Himmel ist etwas bewölkt.
Der Trailhead des Kaumana Trails (unser Startpunkt) liegt eigentlich in der Mitte des Trails. Hier kann man sich entscheiden, ob man den nördlichen oder den südlichen Teil geht. Landschaftlich und zeitmäßig kommt es auf’s selbe hinaus. Wir entscheiden uns für den nördlichen Teil.
Der Weg führt über Lavaboden durch einen Ohia-Wald. Leider sind die Ohias erst beim Aufblühen. Wenn der Wald in voller Blüte steht, ist das eine noch schönere Wanderung als heute, doch wir genießen sie auch mit wenigen Blüten. Auch Ohelos blühen schon. Von einigen Stellen des Trails haben wir sogar Sicht bis zur Hilo Bay.
Jetzt wäre ich beinahe auf eine schwarze Perlenkette gestiegen
Nein, es sind keine echten Perlen, es sind schwarze Beeren, die sich an einem langen feinen Ast, der sich am Boden dahin schlängelt, befinden.
Nenes bushEs handelt sich um „Nenes bush“. Die Pflanze bekam diesen Namen deswegen, weil die Staatsgans von Hawaii, die Nene, diese schwarzen Beeren sehr gerne frisst.
Nach einiger Zeit machen wir mitten am Trail Rast – wir sind ohnehin alleine unterwegs – und verspeisen je einen Apfel.
Dann kehren wir um und sind um 15.30 Uhr wieder beim Auto.
Hmmm, wie sollen wir uns jetzt entscheiden
Ursprünglich steht heute der Sonnenuntergang am Mauna Kea am Programm, doch über dem Mauna Kea sehen wir eine Wolkenschicht, die Observatorien sind nicht zu sehen.
Was tun
Auf gut Glück hinauf fahren
Wenn ich daran denke, wie schlecht ich 2004 die Höhe des Mauna Kea vertrug, reizt mich heute eventuell sinnloses Hinauffahren nicht sonderlich. Ich mache den Vorschlag, wir fahren bis MM 28 (= Hunter Checkin-Häuschen) und sehen uns den Mauna Kea dann nochmals an. Das Wetter ändert sich oftmals sehr häufig, sowohl zum Guten, als auch zum Schlechten.
Bei MM 28 angekommen, sind die Observatorien sichtbar und wir beschließen, unseren Plan in die Realität umzusetzen.
Im Handumdrehen sind wir beim Visitor Center und statten ihm einen neuerlichen Besuch ab. Am Parkplatz stehen zahlreiche kleine Busse der verschiedenen Veranstalter und wenige PKWs.
Mist
Das habe ich nicht bedacht, dass heute, am Sonntag, die Tourveranstalter vermehrter auftreten denn je, da jeden Sonntag eine bestimmte Observatorien-Tour angeboten wird! Was nun
Umdrehen
Jetzt, wo wir schon auf halber Höhe zum Mauna Kea sind
Wir holen uns erst mal einen Kaffee und überlegen. Nein, umdrehen werden wir nicht. Ich höre gerade, wie jemand sagt, dass die Fahrt „on the top“ um 16.30 Uhr beginnt. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, es ist 16.25 Uhr
Hinter den Bussen wollen wir nicht fahren, dann schlucken wir deren aufgewirbelten Staub. Bleibt also nur übrig, ins Auto zu springen und hoch zu düsen. Gesagt, getan
Ich fahre, als wäre der Henker höchstpersönlich hinter mir her, dabei sind es nur die Tourveranstalter, die ich im Rückspiegel sehe. Ätsch
Noch nie sind wir ohne die empfohlenen Pausen auf den Mauna Kea gefahren – außer heute, heute tun wir das
Ich wundere mich ein wenig, dass ich den krassen Höhenunterschied diesmal gar nicht spüre, bin aber froh darüber.
Bei den Observatorien angekommen, es ist 17.45 Uhr, ziehen wir unsere Pullover über, darüber ein dicker Anorak. So lässt sich die Temperatur von plus 8° C aushalten, vor kurzem hatten wir noch 34° C.
Wir spazieren ein wenig herum, sehen uns die Observatorien an, einige sind dazu gebaut worden. Es tut sich immer etwas am Mauna Kea.
Doch ich muss mehr Pausen einlegen, als mir lieb ist, denn ich bin immer wieder schwindlig. Glücklicherweise legt sich das mit der Zeit.
Nach und nach trudeln die Tourbusse ein, die Touris, meist jene aus dem asiatischen Land, steigen aus. Knips, knips, knips, am liebsten reihum, damit auch von jedem ein Foto mit jedem vorhanden ist
Es ist zum Schieflachen
Wir haben bereits ein geeignetes Plätzchen zum Sonnenuntergang-Gucken gefunden und rühren uns nicht mehr vom Fleck. Und dann geht es Schlag auf Schlag.
Die Sonne verfärbt den Himmel, die Lava und die Observatorien in ein Farbenspiel, das von rosa über rot zu braun reicht.
Das Ganze dauert von 18.15 Uhr bis18.45 Uhr und es ist wirklich sehr schön anzusehen. Wäre es ein paar Grad wärmer, hätten wir auch nichts dagegen
Aber das haben wir in ca. zwei Stunden wieder, bis dahin heißt es durchhalten.
Die Tourbusse fahren nach und nach weg (kann uns nur Recht sein), übrig bleiben eine Handvoll Touristen, die die letzten Sonnenuntergangsstrahlen auf Film und Foto bannen.
Dann eingestiegen ins Auto und die Fahrt hinunter auf Meereshöhe kann beginnen.
Wir sind schon einige Minuten abwärts gefahren, sehe ich plötzlich in der Kurve ein Pannendreieck stehen. Ich bremse mich noch mehr ein und dann sehen wir einen normalen PKW, der im 90°-Winkel zur Fahrbahn steht – mit der Kühlerhaube in einer Lavawand.
Das Auto ist ein Rental Car
Na servus
Das wird teuer!!! Mit einem „normalen“ Rental Car darf man hier nicht fahren. Erstens ist Allrad Pflicht und zweitens verliert man den Versicherungsschutz. Es gibt auf ganz Big Island nur eine einzige Firma, die die Fahrt auf den Mauna Kea inklusive Versicherungsschutz gestattet, aber wer von den Touris weiß das schon
Um 20.45 Uhr sind wir in unserem Hotel. Nun ist der übliche technische Teil dran und um 0.30 Uhr gehen wir schlafen.