27.05. mit dem California Zephyr quer durch ColoradoHerzlichen Glückwunsch, Sie haben unseren Hauptpreis gewonnen! Sie sind mit unserem erstklassigen Zug soeben von Nebraska nach Colorado gefahren und haben damit eine ganze Stunde zum Ausschlafen gewonnen, weil Colorado in einer anderen Zeitzone liegt.
Das sind doch mal gute Nachrichten. Die schlechte: Meine Erkältung ist im letzten Stadium Husten angekommen. Ich denke, nun sind alle in diesem Wagen wach. Ich geh noch kurz runter in die untere Etage des Doppeldeckerwagens zur Dusche, um die Herrschaften dort auch alle zu wecken. Prompt, bekomme ich auch eine Antwort zugerufen: „Hatschiii!“ Naja, der hat noch einiges vor sich, da bin ich schon weiter…
Hatte ich gestern noch richtig Lust, über die Größe der landwirtschaftlich genutzten Felder in Iowa Scherze zu reißen, so bin ich von der Landwirtschaft in der hügeligen Prärie Ost-Colorados doch schwer beeindruckt. Soweit das Auge reicht eine riesige Grünfläche. Kein Baum, kaum Büsche, pure langweilig faszinierend große Felder. Alle 10 Minuten huscht mal ein feiger Zaun durchs Bild, dazwischen auch mal ein Bauernhof, meist weit hinten am Horizont, aber sonst nur grün wie unsere Signale. Kein Ort, kein Wald, noch immer kein Ort, noch immer nur grün.
Endlich fahren wir in den nächsten Bahnhof ein und die Spannung steigt: Wo sind wir denn überhaupt? Da man sich nicht 100%ig auf den Fahrplan verlassen kann, ist es immer ein heiteres Raten, wenn man am Morgen erwacht. Ich möchte gerne den Publikumsjoker nehmen. Erst Fort Morgan, CO? Mmmh, anhand der Höhe der Gebäude hatte ich echt auf einen Vorort von Denver getippt. Dann eben weiter trödeln.
Der Bahnhof von Denver ist ein Kopfbahnhof, das heißt, wir fahren eigentlich erst daran vorbei und parken dann rückwärts ein. Wie beim Auto, nur alles etwas größer. Da sich mein Abteil im letzten Waggon des Zuges befindet, habe ich mich einfach mal an der hinteren unbenutzten Verbindungstür aufgebaut, um das Schauspiel mit anzusehen. Ein Rangierer mit Funkgerät erscheint auf der Bildfläche und weist den Lokführer ein. Ununterbrochen hält er Funkkontakt mit dem Stellwerk. „Dürfen wir noch 200 Yards?“ „Bitte geben Sie uns weitere 100 Yards“ Wie gut, dass die Schneckenautobahn nebenan gerade gesperrt ist, es wäre sonst peinlich geworden, von so einem Vieh überholt zu werden. Können die denn keine Signale aufstellen, dann das Ding auf grün und so lange rückwärts bis es kracht?
Im Bahnhof haben wir mal wieder einen von meinen geliebten Smoking-Stops, wo ich vor zur Lok kann, um diese zu fotografieren. Hektisches Treiben auf dem Bahnsteig. Familien liegen sich in den Armen, vor Freude über ein Wiedersehen oder Trauer wegen des bevorstehenden Abschieds, Gepäck wird verladen, Fenster geputzt, nur der Lokführer hat als einziger Pause und hält ein Schwätzchen mit seiner Ablösung. Leider dauert der Aufenthalt nicht lang genug und die Fenster meines weil letzten Wagens bleiben unberührt.
Nach Denver verziehe ich mich zu einer Runde Frühstück in den Speisewagen und freue mich anschließend auf die Eroberung der Rocky Mountains. In mehreren Kehren schrauben wir uns den Berg hinauf. Wie bereits erwähnt, mein Abteil befindet sich im letzten Wagen, also habe ich zumindest in Rechtskurven eine perfekte Sicht auf den Zug in der Landschaft.
In einer großen Schleife überholen wir einen Güterzug und ich kann weiter oben am Berg unsere Strecke ausmachen. Moment, diesmal werden davon auch Fotos gemacht und ich vergesse sicher nicht schon wieder, den Auslöser zu drücken. Klick, bitte lächeln.
Von oben herab hat man aber auch eine schöne Aussicht. Unten in der Schleife steht noch immer der Güterzug und dahinter die weite Prärie, aus der sich in der Ferne ein paar Spitzen erheben: Denver.
In der nächsten Ausweiche bleiben wir unvermittelt stehen. Kommt ja häufiger mal vor, dass wir auf einer eingleisigen Strecke einen Gegenzug abpassen müssen, doch meine Überraschung ist groß, als uns der Güterzug von eben überholt. Was soll das? Und wir dürfen jetzt hinter dem herschleichen? Nach geraumer Zeit endlich wieder Bewegung, aber nicht unsererseits. Der nächste Güterzug überholt uns. Mir ist langweilig und ich döse ein wenig, während ich etwas Musik höre. Als ich nach etwa einer Stunde erwache, stehen wir ja noch immer hier. So toll ist die Aussicht nun auch wieder nicht. Ich habe sie zur Kenntnis genommen, könnten wir also bitte weiterfahren?
Draußen auf dem Gang werkelt der Schaffner herum und ich frage ihn mal direkt, was denn los sei. Haben wir etwa einen Platten? Kleiner Scherz, das natürlich nicht, aber von unseren zwei Loks ist eine ausgefallen und wir warten nun auf Ersatz. Nach über zwei Stunden geht es weiter. Wir haben vor den Amtrak-Loks eine von der Union Pacific geborgte Diesellok vorgespannt bekommen.
Jetzt beginnt ein landschaftlich sehr interessanter Teil und ich nutze es schamlos aus, im letzten Waggon unterbracht zu sein. Mehrmals pendele ich zwischen Abteil und letzter Wagentür hin und her. Die Aussicht auf die Strecke, wie sie durch teils enge Täler geführt wird, mit den Wasserläufen mal rechts, mal links und den wunderschönen grünen Bergen mit Schneebedeckten Gipfeln ist einfach zu schön. Es müssen nicht immer rote Steine sein, aber die kommen ja auch noch. Demnächst.
Durch unsere nun schon 4-stündige Verspätung sind natürlich auch die geplanten Raucherstopps durcheinander gewürfelt und ich erkundige mich beim Schaffner nach dem aktuellen Schlachtplan. Granby, ok, so lange werde ich wohl noch auf Lokfotoentzug bleiben können. Also wieder seitlich aus dem Fenster gestarrt, übrigens auch praktischerweise an der Nordseite. So werden die schönen grünen Berge von der Sonne nett angestrahlt, sie scheint mir aber nie direkt in die Augen. Perfekt. Einfach nur perfekt.
Wir nähern uns Granby und Ansagen werden gemacht, dass wir hier länger halten, so dass es für eine kleine Zigarette reichen würde, aber zu lange nun auch wieder nicht. Nun zeigt sich ein großer Nachteil, im letzten Waggon zu sitzen, aber ich bin ja nicht blöd. Als Passagier der ersten Klasse darf man sich ja frei im Zug bewegen. Ich darf die Sitzklassewagen betreten, nur die Zweitklässler dürfen umgekehrt nicht in unsere Schlafwagen. Also laufe ich einfach während der Fahrt durch den kompletten Zug bis zum ersten Wagen und habe es auf dem Bahnsteig nicht mehr weit bis zur Lok. Clever, gelle?
Ich bin bereits mit meinen Fotos fertig, da sehe ich noch genügend müde Krieger, wie sie mit ihren Handfeuerwaffen, in Fachkreisen Fotoapparate genannt, angewetzt kommen. So ein Foto von einer Union Pacific Lok vor einem Amtrak-Zug wollen sich halt viele nicht entgehen lassen. Selbst der Lokführer ist ausgestiegen, um einige Fotos zu machen.
Es wird zum Einsteigen gerufen und alles rennt wieder los. Nur ich nicht. Ich trotte gemütlich zur ersten Wagentüre. So lange die noch rennen, fährt der Zug schon nicht ab.
Zurück in meinem Waggon begegne ich dem Schaffner, der ganz enttäuscht ist, dass ich wohl meine Raucherpause verpasst habe, wo er doch extra die Tür für mich geöffnet hatte. Armer Kerl, ich erkläre ihm die ganze Geschichte und schon ist’s wieder gut. Er drückt mir eine Visitenkarte in die Hand und würde gerne ein paar Abzüge der Fotos zugeschickt bekommen haben.
Mit der Zeit perfektioniere ich auch meine Technik, andere Züge zu fotografieren. Die letzten Tage versuchte ich mein Glück durch mein Seitenfenster, doch ergab dies meist unscharfe, verwischte Ergebnisse, doch nun ist mir etwas aufgefallen: Um die Zugkraft der Loks innerhalb eines hundert Wagen langen Güterzugs optimal zu verteilen und so ein Überqueren der Rockies zu ermöglichen, befinden sich meist zwei Loks vorne, zwei in der Mitte und zwei am Zugschluss. Und so werde ich bei jedem Zug, dem wir begegnen, hellwach: Da sind nur zwei Loks vorne. Also in aller Ruhe nach hinten gelaufen, denn bis wir an Hundert Wagen vorbei sind, das dauert. Kamera bereithalten und ein schönes Bild geschossen von den Loks am anderen Zugende. Super! Als ob ich mich irgendwo in der Landschaft gesetzt hätte und extra auf diesen Zug gewartet hätte.
Das ganze noch zwei bis dreimal wiederholen und die Fotos können sich echt sehen lassen. Einziger Nachteil: Die Scheibe ist dermaßen dreckig, denn wer denkt schon daran, die Fenster der Verbindungstür zu putzen. Wichtiger sind ja die Seitenfenster. Aber inzwischen war ich schon so oft hier hinten, ich kenne jedes Schmutzpartikelchen mit Namen und habe sie auch aufgefordert, wenigstens einen kleinen Bereich frei zu lassen, durch den man Fotos machen kann. Und die hören auch auf einem, wenn man sie nett bittet. Über die Qualität der Bilder bin ich selbst höchst erstaunt.
Am Abend erreichen wir Grand Junction. Genaue Terminplanung vorausgesetzt habe ich es mal wieder geschafft, während dieses Stopps nicht im Speisewagen zu sitzen. So langsam brauche ich eine Sekretärin, die solche Termine für mich macht. Das wird ja zur reinsten Wissenschaft. Jedenfalls kann ich live mit ansehen, wie die Union Pacific Lok abgekuppelt und eine weitere Amtrak-Lok angekuppelt wird. Natürlich habe ich auch hier meine bewährte erst-durch-den-ganzen-Zug-laufen-Methode benutzt.
Und jetzt kommt wieder der magische Moment – was sagt uns das? Genau, nicht Holzklotz bedient mich heute, sondern wieder die charmante Speisewagenfee. Nach dem Dessert könnte ich mir eigentlich noch einmal die Beine auf dem Bahnsteig vertreten, denn wir stehen noch immer in Grand Junction. Ein Möchtegerneisenbahner erklärt mir, dass es so lange dauert, weil mit der neuen Lok erst noch eine Reihe Tests durchgeführt werden müssen. Komisch, das Ankoppeln der Union Pacific Lok heut Vormittag hatte nicht so lange gedauert.
Mit etwa 6 Stunden Verspätung verlassen wir kurz nach 20 Uhr Grand Junction. Utah werde ich dieses Jahr wohl nicht zu Gesicht bekommen, denn jetzt heißt es Vorhänge zu und ab ins Bettchen. Eigentlich sollten wir schon kurz vor Salt Lake City sein. Bin mal echt gespannt, ob und wie viel Verspätung wir morgen früh aufgeholt haben und wo wir dann überhaupt sind.
Übernachtung: Schlafwagen im California Zephyr
Bewertung: noch immer sehr gut