18.05.2007 New York - Washington D.C.Als ich am Morgen erwache, wird es mir schlagartig klar: Himmel, ich habe mal wieder vergessen, die Batterien für den Fotoapparat zu laden. 30 Minuten Saft bekommen sie noch zum Frühstück, so lange ich ins Badezimmer verschwinde. Das muss reichen.
Der Wettergott hat heute die etwas feuchtere Variante gewählt und ich bin heilfroh, gestern doch noch aufs Rockefeller Center gegangen zu sein.
Wieder starte ich mit der Überquerung der Manhattan Bridge, diesmal allerdings mit der U-Bahn. Und weil ich schon mal so gut sitze, fahre ich auch einfach durch bis zur Endstelle Coney Island. Zwar soll dies ein Expresszug sein, aber wir lassen nur 6 von 20 Haltestellen aus und schleichen ansonsten wie jede handelsübliche Schnecke von Station zu Station.
Eigentlich wollte ich ja nicht mehr ziellos weite Strecken durch die Gegend fahren, denn so toll ist die New Yorker U-Bahn nun auch wieder nicht, aber was soll’s? Gestern habe ich alles geschafft, was ich mir für zwei Tage vorgenommen hatte und wenn ich schon einmal quer durch die USA fahren möchte, sollte ich auch am Atlantik gewesen sein, um wirklich von Küste zu Küste gefahren zu sein.
An den Strand verläuft sich heute wohl niemand mehr. Eine steife Brise hält auch mich davon ab, hier länger zu verweilen, nur ein paar Grönländische Angler trotzen den Gewalten. Sie müssen aus Grönland sein, denn niemand sonst würde bei diesem Wetter angeln gehen.
Auch der nahe gelegene Kirmesplatz macht einen, sagen wir, geschlossenen Eindruck. Ich stelle mir aber vor, dass es hier im Hochsommer (also wie gestern) sicher sehr schön sein muss.
Noch ein letztes Foto und meine schlimmsten Befürchtungen scheinen Wirklichkeit zu werden: Die Akkus sind leer. Mir bleibt nur noch ein letztes Paar Batterien, danach gibt es wieder ein New York ohne Fotos, wie ich es 1997 schon einmal erleben durfte, als wir das World Trade Center besichtigten. Damals war mein Film voll und ich hatte mir vorgenommen, die versäumten Fotos auf einer späteren Reise nachzuholen. Nur der 11. September kam mir da zuvor…
Aufwachen! Nicht in der Vergangenheit wühlen. Wir sind bereits wieder am Herald Square und schnell rüber zum Empire State Building, was ich aber heute nur von außen fotografiere. Meiner Meinung ist der beste Standort dafür auf der 5th Avenue Ecke 38. Straße. Mag man zuerst gar nicht glauben, weil geht man ab der 34. Straße auf der 5. Avenue nach Norden, so verdecken erst einige Gebäude das berühmte Gebäude, doch von noch weiter weg relativiert sich das wieder.
Danach am Chrysler Building dasselbe Spielchen, wobei mir hier der Standort 41. Straße Ecke 3. Avenue am besten gefällt.
Ein bestimmtes Tagesziel habe ich nicht und so laufe ich einfach weiter Richtung Norden. Mein Taxifahrer hatte vorgestern etwas davon geredet, dass im nördlichen Teil der Lexington Avenue das Deutsche Viertel ist/war, nachdem ich mich durch meinen Akzent mal wieder verraten hatte. Bis zur 92. Straße laufe ich auch hoch, bekomme auch wirklich eine Menge Eindrücke des Stadtlebens, doch zumindest auf dieser Straße keine Deutschen Läden.
Über einigen Geschäften steht zwar in großen Lettern ‚Delikatessen’ geschrieben, doch muss ich später lernen, dass dieser Begriff auch im Englischen benutzt wird. Schade, ich war so nah dran.
Viele Straßenecken werden von Blumenläden eingenommen als existiere irgendwo ein Gesetz, dass jede dritte Ecke auf diese Weise verschönert werden müsse. Ich bin noch etwas in Gedanken versunken, als ich an der Ecke neben der Ampel einen Mann sehe, der scheinbar Selbstgespräche führt. Erst beim zweiten Hinsehen bemerke ich: Der Mann ist blind. Immer und immer wieder fordert er nach rechts und links blickend die Menschen auf, ob ihm nicht jemand die Farbe der Ampel verraten könne, doch da ist niemand. Er ist ganz alleine.
Inzwischen hat sich meine Verwunderung gelegt und ich biete ihm meine Hilfe an. Wie in New York üblich, versuchen Taxen, den Weg der Fußgänger zu schneiden, um 5 Sekunden eher im nächsten Stau stehen zu dürfen, doch halte ich sie und irgendwie ganz New York einfach an.
Nach kurzen Dankesworten gehen wir wieder getrennte Wege, doch ich werde diese kurze Episode nie vergessen. New York – eine riesige, hektische Stadt, laut, chaotisch, erschlagend, und dann dieser Mann, der Tag für Tag seinen Weg durch dieses menschenfeindliche Umfeld findet, dieser Mann, der ganz ruhig und geduldig an jeder Ampel sich durchfragt. Meine Anerkennung! Ich habe großen Respekt vor ihm und muss gleichzeitig meine New-York-Anschauung wohl gewaltig ändern. Ich lerne die freundliche Seite der Stadt kennen.
Im Central Park begegnet mir dann aber auch wieder die eigenartige Seite der Stadt. Eine junge Frau mit Kinderwagen kommt auf mich zu und ich höre schon aus der Ferne, wie sie wohl dem Kind etwas vorsingt. Als sie näher kommt, höre ich zwischen dem Sprechgesang immer wieder ‚Amen’. Sie singt nicht, nein, sie betet und das die ganze Zeit schon. So bedrohlich empfinde ich den Park am Mittag eigentlich gar nicht.
Mal wieder aus reinem Zufall entdecke ich eine nette Sehenswürdigkeit des Parks, Schloss Belvedere, das ich natürlich auch gleich erobern muss. Da ich leider keine Flagge zur Hand habe, stelle ich halt mein Stativ auf und filme ein wenig die Gegend.
Wieder auf dem Boden der Tatsachen, fällt es mir etwas schwer, mich zu orientieren, denn die den Park umgebenen Hochhäuser werden von hohen und vor allem dichten Bäumen verdeckt. Das ist schon kein Park mehr, sondern ein ausgewachsener Wald. Heißt es dann jetzt auch Central Forrest?
Mit meinem kleinen Freund, dem Stadtplan, ein wenig Richtungsorientierung, Sternenkarten, Kompass, Sextant, Satellitengestützten Navigationssystem kann man mit ein wenig Mühe den Weg zum Columbus Circle finden – ich schaffe es auch ohne den ganzen Krempel.
Von hier geht es per U-Bahn zurück ins Hotel, wo ich von meinem Koffer freudig erwartet werde und gemeinsam fahren wir zum Bahnhof. Welcher Mensch hat in den U-Bahn Stationen nur die verdammt engen Drehkreuze erfunden. Er möge sich bitte virtuell verprügelt fühlen. Es hilft nichts, wenn der Koffer nicht durch passt, dann muss er eben über die Absperrung. Jetzt kann ich wenigstens zu Schwarzenegger Kumpel sagen.
Um 15:30 soll laut meinen Spickzetteln mein Zug nach Washington fahren. Habe ich also noch eine halbe Stunde Zeit, mich durch die etwas mau beschilderten Gänge zu wühlen. Laut elektronischer Anzeige fährt um 15:05 bereits ein anderer Zug nach Washington und ich frage mich, ob ich den nicht irgendwie nutzen kann. Habe nämlich keine Lust, hier ewig warten zu müssen.
An den Amtrak-Schaltern eine riesige Schlange, die mir verrät, dass es doch sei weise war, Tickets vorzubuchen, denn bis ich da durch bin ist Weihnachten. Wie sieht es denn mit Automaten aus? Ich finde einen freien und werde prompt von einem Amerikaner auf eine weitere lange Schlange hingewiesen. Also doch warten.
Aus den Augenwinkeln sehe ich gerade noch, dass auch er die Warterei satt hat und sich einfach von ganz hinten nach vorne vorgedrängelt hat. Ja, wenn man schon mal einen Touristen zusammenfaltet und dabei vor dem Automaten steht, dann will man das auch gleich ausnutzen.
Ok, letzter Versuch. Ich habe ja einen Railpass, der mir erlaubt, jede Fahrkarte zweiter Klasse kostenlos zu buchen. Eine neue Fahrkarte kann ich aus oben genannten Gründen nicht bekommen, aber was steht eigentlich auf meiner bereits vorgebuchten drauf? Vielleicht steht ja nur Datum und Ziel und nicht die Zugnummer, so dass ich den früheren Zug doch nehmen kann. Als ich die Fahrkarte genau studiere, trifft mich der Schlag! Das Reisebüro hat einen Fehler gemacht, die Reservierung lautet auf 15:05, nicht 15:30 wie in der Buchungsbestätigung angegeben (ich habe es am Abend nachgesehen!). Warum ist mir der Irrtum nur nicht früher aufgefallen? Noch zwei Minuten bis zur Abfahrt, doch glücklicherweise ist das betreffende Gleis direkt nebenan. Natürlich kann ich jetzt die Aussicht auf einen Fensterplatz vergessen – oder doch nicht? Ich stürme direkt in die erstbeste Tür, Hauptsache im Zug sein und sehe alle Fensterplätze belegt, bis auf einen. Meiner!!!
Nach wenigen Minuten merke ich auch, warum das nette Mädel die gute Aussicht verweigerte: Die Klimaanlage vermittelt Nordnorwegisches Winterflair. Also alles schön mit Pullovern und Jacken abgedeckt und der Fensterguckerei steht nichts mehr im Wege.
Der Zug gibt Vollgas und ist sogar schneller unterwegs als die parallel fahrenden Autos auf der Interstate. Respekt! Und das, obwohl ich mir heute nicht den teuren Hochgeschwindigkeitszug geleistet habe, der eh nur eine halbe Stunde schneller das Ziel erreicht. Was will ich auch so schnell in Washington? Ich will doch Bahn fahren! Auch die zahlreichen Unterwegshalte stören mich wenig, habe ich doch so Zeit, meine Notizen zu schreiben, ohne etwas zu verpassen.
Und praktisch: Neben dem Sitz habe ich eine Steckdose gefunden, wo ich meine müden Krieger vom Stamme der Batterien wieder aufladen kann. Da steht einer Abendbesichtigung Washingtons nichts mehr im Wege.
Wir beschleunigen wieder und die Lok tutet fröhlich dem besseren Wetter entgegen. Das Tuten hört sich so richtig schön amerikanisch an, noch so richtig nach „König der Fortbewegungsmittel“, nicht so kreischend kleinlaut wie in Deutschland.
Am Bahnhof Washington werde ich schon freudig von Yvonne erwartet, mit der ich die nächsten Tage die Stadt erkunden werde.
Zuerst laden wir mein Gepäck im Hotel ab, bevor es zu Fuß zu den ersten Sehenswürdigkeiten geht. Der Tag neigt sich zwar schon dem Ende zu, aber wir haben uns unheimlich viel zu erzählen und hatten eh den Plan gefasst, noch heute die wichtigsten Gebäude und Monumente im Dunkeln abzuklappern. Endlich mit einer Digitalkamera und Stativ ausgestattet, hat auch Laie Markus endlich eine Chance auf gute Fotos.
Wobei beim Thema Stativ fällt mir auch wieder ein, dass diese kleinen netten Helfer nicht überall gerne gesehen werden. So z.B. im Lincoln Memorial, wo man den heller gehaltenen Boden im inneren nicht mit den schwarzen Füßchen des Stativs beschmutzen darf (ein anderer Grund will mir nicht einfallen), dagegen sind Stative im Jefferson Memorial komplett tabu. So langsam leidet man echt Verfolgungswahn, wenn in der sonst menschenleeren Mall immer dann irgendwelche Gärtnereifahrzeuge auftauchen, wenn man mit seinem Stativ zum Foto ansetzt. Und irgendwann kam dann auch mal kein Grasgrünpinseler, sondern wirklich der Sheriff vorbei, aber ihn stören unsere Stative nicht. Ich sage doch, Verfolgungswahn.
Dabei ist hier sonst niemand weit und breit. Was will man denn auch nachts in der Mall? Ich kenne das ja noch aus 2004, da bin ich hier auch in der Nacht umher geschlichen und es war niemand sonst da. Doch am World War II Memorial werde ich dann eines besseren belehrt: Da laufen Menschen rum. Viele Menschen. Noch mehr Menschen, als ob im in der Nähe wartenden Bus immer neue produziert werden.
Natürlich gehören auf Stadtbilder Menschen, aber doch nicht um 22 Uhr, mitten in einer Grünanlage, oder jetzt vielmehr Schwarzanlage. Wir sind hier doch nicht in Las Vegas, wo die Frühaufsteher um diese Uhrzeit hervor gekrochen kommen.
Wenigstens sind wir am Roosevelt Memorial wieder fast alleine. Das liegt wohl etwas abseits vom Schuss bzw. ist nicht so bekannt. Hier sehen wir nur, wie zwei rüstige Damen vom Parkplatz eine Abkürzung über die Wiese zum Memorial nehmen. Da wir die Besichtigung von Umwegen auf morgen verschoben haben, schließen wir uns einfach diesem Pfad an und stolpern nahe des Parkplatzes fast über ein kleines Schild: Betreten der Grünanlage verboten.
Nicht mal auf die ältere Generation, von der wir etwas lernen sollen, ist mehr Verlass. So was…
Übernachtung: Hotel Harrington, Washington DC
Bewertung: gut
Traurige Mitteilung für euch: Wegen einer Familienfeier wird es morgen Abend leider keinen Reisebericht geben. Fortsetzung erst Freitag Abend. Sorry.