@Monika
nicht mehr lange, geht 'schon' weiter
20.05.2007 - Alexandria, Georgetown, Abfahrt mit dem Crescent Richtung New OrleansDer Tag beginnt ähnlich wie der gestrige. Gähn. Duschen. Gähn. Frühstück? Nicht fertig. Gähn. Wieder ins Post Office? Nö. Gähn. Lieber direkt nach Alexandria, einer wunderschönen Kleinstadt südwestlich von Washington in Virginia. Nicht gähn.
Bei Subway bestellen wir uns beide jeweils ein Sandwich, one foot long. Die Hälfte davon wird bereits jetzt im Magen versteckt, die jeweils andere wandert in meinen Rucksack. Zur besseren Unterscheidung werten wir Yvonne’s Sandwich noch ein wenig auf, indem wir ein Cent-Stück mit in die Tüte legen.
17 Blocks sollen es laut einem Schild von der U-Bahn Station bis zum Hafen sein. Also zeigen wir uns sportlich. 2. Block, 3. Block, oh, schöne Häuser, 4. Block, wieder schöne Häuser, 6. Block – schöne Häuser, 5. Block – oder wie weit sind wir jetzt schon? Ach, wir geben die Zählerei auf und lassen es einfach auf uns zukommen.
Obwohl 17 Blocks ziemlich weit klingen, kommt es zumindest mir doch sehr kurz vor, wenn man sich mit Unterhaltungen und Fotografieren ablenkt.
Am Rathaus die nächste Pause. Yvonne macht es sich auf dem Brunnen unbequem, um das Rathaus durch die Wasserfontänen hindurch zu fotografieren, da landet auch schon ein Teil ihrer Fotoausrüstung im Wasser. Obwohl es sich nur um den Deckel ihres Objektivs handelt, findet sie es nicht so amüsant wie ich und ist auch nicht bereit, die Szene für ein Foto zu wiederholen.
Unten am Hafen laufen wir ein Stück am Potomac entlang, drehen aber schon bald um und finden durch Zufall die Captain’s Row, eine ungewöhnlich holprig gepflasterte Straße. Yvonne ist froh, diese Straße endlich gefunden zu haben. Ich frage mich dagegen nur, warum sie nicht einfach vorher im Internet nachgesehen hat, wo sich dieser Abschnitt befindet, denn dort bekommt man ganz leicht die Auskunft: Prince Street zwischen South Fairfax Street und Union Street.
Der Abwechslung genüge zu tun, kehren wir zur U-Bahn Station über die Prince Street zurück. An einer Straßenecke sehe ich ihn dann, meinen Traumwagen. Ein blauer Chevrolet Bel Air. Mit so einem Wagen würde ich so gerne mal die Route 66 von Chicago nach Los Angeles abfahren – oder zumindest, was davon noch übrig ist. Dieser Wagen verkörpert für mich den Inbegriff der amerikanischen Mobilität. Er stammt noch aus einer Zeit, in der Reisen etwas Exklusives war. Nicht jeder hatte die Mittel zu reisen und selbst, wenn man über entsprechendes Kapital verfügte, war jede Reise noch ein größeres Abenteuer als heute. Ich bin mal wieder am träumen, aber niemand ist ärmer als derjenige, der keine Träume mehr hat.
Jenseits der U-Bahn Station, neben der sich auch der Bahnhof Alexandria der Amtrak befindet, erhebt sich das George Washington Masonic Memorial über der Stadt. Schon vor dem Eingang am Ende der unendlich vielen Treppenstufen sehen wir reichlich geschafft auf die Stadt hinab. Inzwischen ist es so heiß geworden, dass ich froh bin über das klimatisch gekühlte Innenleben des Memorials. Hier könnte ich es durchaus länger aushalten, allerdings auch wieder nicht so lange, wie sich der folgende Ausflug hinauf auf den Turm darstellt.
Wie auch gestern im Old Post Office werden wir vom Personal gefragt, ob wir denn nicht Lust hätten, den Turm zu besichtigen, es sei auch kostenlos. Letzteres ist bei mir nicht so ausschlaggebend, denn ich bin durchaus bereit, auch einen kleinen Betrag für eine gute Aussicht zu investieren, sondern die Parallele zum Old Post Office wird uns zum Verhängnis. Hier liegt nämlich die Betonung auf ‚den Turm besichtigen’ und nicht, die Aussicht zu genießen. Etage für Etage wird uns ein Raum nach dem anderen gezeigt. Gähn. Bei einigen bekommen wir individuell Zeit, umherzulaufen und uns die Exponate aus der Nähe anzusehen, bei anderen Etagen läuft ein Tonband, dass uns erklärt, welcher Gegenstand was symbolisiert und wie er in irgendeiner Verbindung zu Washington steht. Gähn. Irgendwann interessiert mich nur noch, ob eine Etage eine Bank hat und was man tun muss, um sich auf ihr niederzulassen. Gähn.
Endlich erreichen wir die Spitze des Turmes und ich werde wieder halbwegs wach. Nach Norden kann man sogar bis nach Washington D.C. blicken. Ich kann die Spitze des Washington Monument erkennen und mir ausmalen, welche Gebäude in unmittelbarer Umgebung zu sehen sind. Noch ein paar Fotos und es geht wieder abwärts, natürlich nicht sofort bis ganz unten, sondern noch in eine weitere Etage. Unsere Führer haben noch immer ein begeistertes Funkeln in ihren Augen und das, obwohl sie alle Räume doch sicherlich schon ausführlichst kennen. Mir gefällt da schon eher der Ausdruck in den Augen der anderen Besucher, die sich scheinbar auch dem Ende der insgesamt 90-minütigen Tour herbeisehnen.
Um diesen ganzen Kulturschock verarbeiten zu können und um meine Einstellung dazu Ausdruck zu verleihen, schlafe ich doch tatsächlich in der U-Bahn zurück nach Washington ein. Zzzzz! Ich versuche noch, mich hinter meiner Sonnenbrille zu verstecken (wer trägt schon eine Sonnenbrille in einer U-Bahn?), doch Yvonne hat meinen Schwächanfall bereits bemerkt. Zzzzz! Vielleicht habe ich aber auch einfach nur zu laut geschnarcht. Zzzzzzzz!
Bei Foggy Bottom geht es wieder an die Oberfläche – ihh, wie grell – mit dem Ziel Georgetown. Die neu eingerichtete Busverbindung, der Circulator, ist gerade weg und ich überrede Yvonne, den kurzen Weg doch einfach zu Fuß zurück zu legen, denn so weit ist es doch auch wieder nicht.
In einer kleinen Passage organisieren wir gekühlte Getränke und veranstalten ein kleines Picknick am C&O-Kanal. Gut, dass wir die Sandwiches markiert haben, denn sie haben ihre Positionen getauscht. Böse Sandwiches, möchte wirklich mal wissen, was die treiben, wenn man nicht hinsieht. Aus der Subway-Werbung wissen wir ja, dass deren Sandwiches sprechen und laufen können. - Was heißt hier, ich soll nicht alles glauben, was mir in der Werbung gezeigt wird? Als nächstes kommt wohl noch, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt…
Gut gestärkt laufen wir ein wenig durch Georgetown. Erinnerungen werden wach, wie ich vor 3 Jahren diesen wunderschönen Stadtteil entdeckt hatte. Ich erkenne noch ganz genau die einzelnen Straßenecken und welche kleinen Szenen sich hier vor 3 Jahren abgespielt hatten. Z.B. die Ecke dort, wo damals ein Lieferwagen vor dem Haus hielt, der Fahrer ausstieg und den Bewohner noch im Morgenmantel überraschte. Das Laub war noch nicht zusammengekehrt und bildete einen kleinen Goldteppich.
Heute ist die Ecke wie leer gefegt. Es ist heiß, die meisten Bewohner halten wohl Siesta in ihren eisgekühlten Häusern – zumindest rate ich es ihnen – und wir ziehen weiter.
Bis eben dachte ich noch, wie wären hier diejenigen, die sich durch die Hitze quälen, aber wie ich sehen muss, trifft es einige noch härter: An der Georgetown University ist heute Abschlussfeier. Absolventen und ihre Verwandten laufen festlich gekleidet auf dem Campus herum, hinter ihnen die Fotografen her. Es sieht alles nach ein wenig Stress aus, wobei die Vergabe der Diplome wohl schon vorbei ist und man nun eher in den familiären Teil übergeht.
Ach du meine Güte, ist das schon spät geworden. Noch etwa eine Stunde, dann fährt mein Zug in Richtung New Orleans! Es wird langsam Zeit aufzubrechen. Ich muss ja auch noch meinen Koffer vom Hotel abholen.
Vorne an der Hauptstraße warten wir auf den Circulator, ihr wisst schon, die neue Busverbindung. Doch der Nachteil von Bussen ist, dass sie auf öffentlichen Straßen fahren und damit ebenso wie alles andere im Verkehr stecken bleiben. Es ist Sonntag, sieht aber aus wie alltags zur Rush Hour in New York. Vermutlich bricht gerade der ganze angereiste Besuch von der Georgetown University auf. Am Ende der Straße kommt etwas großes Rotes auf uns zu und endlich ist es so nah, dass wir erkennen können, dass es kein Bus ist. So langsam wird es mir etwas knapp und ich überrede Yvonne erneut, zur U-Bahn zu laufen. Taxi hat auch kein Zweck, die stehen, wenn vorhanden, auch nur m Stau.
Als wir die U-Bahn erreichen, sind es noch 30 Minuten bis Abfahrt meines Zuges. Wir stürmen die Treppe herunter und ab auf den Bahnsteig. Am Metro Center wieder raus und schnell zum Hotel. Yvonne ist kurz für kleine Mädchen und mein Koffer noch nicht aus seinem Wellness-Bereich zurück. Mensch Koffer, beeil dich. Mir fährst du auch oft genug in die Hacken, nun sporne mal den lahmen Concierge an.
Zurück zum Metro Center bleiben noch 10 Minuten bis zur Abfahrt meines Zuges. Im Gehen verabschieden wir uns bereits, denn auch Yvonne ist spät dran. Sie ist in wenigen Minuten in Georgetown zum Essen verabredet, muss aber vorher noch in der Jugendherberge vorbei, wo ihr Gepäck sich zur Zeit ein Schließfach von innen ansieht.
Ich haste mit meinem Koffer die Rolltreppen runter. Keine Zeit zu verlieren, muss der Koffer polternd mit die Stufen runter. Auf dem Bahnsteig muss es sich wohl so anhören, als bricht hier oben gerade ein mittelmäßiges Gewitter aus. Am Bahnsteig warte ich etwa eine halbe Minute, dann kommt endlich (!) meine Bahn. 3 Stationen sind es bis zum Bahnhof, von wo aus nur einmal täglich ein Zug nach New Orleans fährt. Ich spreche mir immer Mut zu, dass ich ja einen Rail Pass habe und morgen um die gleiche Zeit kostenlos mit dem nächsten Zug weiterkommen kann, aber das wäre schon sehr ärgerlich. Also gebe ich alles, vielleicht hat mein Zug ja auch Verspätung, was typisch für die Amtrak wäre.
Ich komme am Bahnhof an. Noch 2 Minuten! Endlich finde ich eine Anzeigetafel. Wo fährt man Zug? Ausgang K. Wo bin ich? Ausgang A. Verdammt, K ist ja am anderen Ende des Bahnhofs. Es beginnt ein beispielloser Endspurt. Aus meiner Perspektive scheint es, als ob für einen kurzen Moment jemand die ganze Welt angehalten hätte. Wie im Traum rase ich im Slalom durch die Menschenmassen, mein Koffer immer hinter mir her. Wie ich es schaffe, niemanden anzurempeln oder mit meinem Koffer zu überfahren, grenzt an ein echtes Wunder.
Ich erreiche Ausgang K und zeige mein Ticket vor. Irgendwie macht sich ein kleines Gefühl der Erleichterung breit, weil ich mir einrede, wenn die oben die Türen noch nicht geschlossen haben, wird der Zug unten auch noch nicht abfahren.
Der Bahnsteig ist bereits leer gefegt, alles sitzt schon abfahrbereit im Zug. Ich hechte mit letzter Kraft in Richtung Schlafwagen, als ich mal wieder angesprochen werde, wo ich denn so eilig hinwolle. Zum Schlafwagen XX, wenn es Recht ist, und wieder dieser wunderschöne überraschte Blick, dass jemand meines Alters sich einen Schlafwagen leisten kann, was bei amerikanischen Zügen der ersten Klasse gleichkommt. An diesen Blick kann ich mich gewöhnen.
Ich sitze etwa 30 Sekunden total erledigt in meinem Abteil, da fährt der Zug ab. Nur eine U-Bahn später und es wäre zu spät gewesen!
Schon steht der Schaffner in meiner Tür und heißt mich herzlich willkommen. Er meint, es wäre eine gute Idee, baldmöglichst in den Speisewagen zu wechseln, damit ich heute Abend noch eine warme Mahlzeit bekäme (für Schlafwagenpassagiere übrigens kostenlos), doch was ich mir zuerst wünsche sind Kaltwasser, frische Klamotten und 10 Minuten Ruhe, um mal wieder zu Atem zu kommen. Wie schön, dass Wünsche auch in Erfüllung gehen können.
Nächster Halt: Alexandria. Rechts aus meinem Fenster kann ich einen schönen Turm erkennen, der sich hoch über der Stadt erhebt. Wie mag es da nur im Innern aussehen?
Übernachtung: Schlafwagen im Crescent
Bewertung: sehr gut