22.05. New Orleans, Ausflug in den Honey Island SwampEine wunderschöne und lange Nacht geht zu Ende und die Realität fordert wieder einmal ihr Opfer. Dabei ist es so schön warm, gemütlich und kuschelig unter der Bettdecke. Ich will dieses warme Nest gar nicht verlassen. Erst um halb zehn bringe ich es übers Herz und reiße die Decke weg, gefolgt von einem kleinen Kälteschock. Das Zimmer ist so kühl, die Fliesen im Bad sind so kühl, das Wasser in der Wanne ist so kühl – hach, mal wieder die Armaturen falsch bedient – ok, das Wasser ist jetzt angenehm warm, aber die Gänsehaut bleibt.
Irgendwie ist mir noch immer schummrig, der Kopf kämpft mit dem Hals um meine Empfindlichkeit in Sachen Schmerzen, ich denke, ich habe mir eine wunderschöne Erkältung eingefangen. Brrr! Das erste Mal, dass mir so etwas im Urlaub passiert.
Ich schleppe mich auf die Straße, wo ich nach 2 Schritten schon wieder schwitze. Das Klima hier nervt. Quer durch das French Quarter steuere ich auf’s Visitor Center zu, wo ich eine Tour hinaus in die Sümpfe vor den Toren New Orleans buche. Keine 5 Minuten später werde ich auch schon abgeholt. Ich habe Glück, kann ich doch kurzfristig noch bei einer Tour mit, wo gerade erst angefangen wurde, die Leute einzusammeln.
In New Orleans werden unterschiedliche Touren angeboten. Ausflüge in die Sümpfe, zu bekannten Plantagen, zu den Friedhöfen der Stadt, deren Gräber alle oberirdisch liegen, weil das Grundwasser sehr hoch steht, denn New Orleans liegt etwa 1-2 Meter unter dem Meeresspiegel und ganz makaber, Hurricane Katrina Tours, wo man zu den vom Orkan verwüsteten Orten gebracht wird. Letztere Tour steht zwar auf meiner schwarzen Liste ganz oben links, weil ich es unmöglich finde, aus dem Unglück anderer Profit zu schlagen, aber egal, welche Tour man sich aussucht, man wird stets mit Katrina konfrontiert.
Wir verlassen New Orleans Richtung Osten auf der I-10, die vielen auch schon von der Flucht aus Los Angeles hinaus in die Wüste bekannt sein dürfte. Unser Fahrer plappert wie ein Wasserfall, natürlich auch über Katrina. Vor der Stadt sehen wir Straßen ohne Autos, Hauseinfahrten ohne Häuser, Parkplätze ohne Einkaufszentren, Briefkästen ohne Adressen. „Da hinten, seht ihr die Laterne? Da war mal ein Wal-Mart. Und dahinten, die Zäune? Die umgaben mal ein Haus. Und das Hotel, welches mal dort stand, wurde bis quer hier über diese Straße geschwemmt.“ Furchtbar, einfach nur furchtbar. Wie gesagt, egal, welche Tour man bucht, sobald man durch die Vororte fährt, wird man automatisch mit den Geschehnissen von 2005 konfrontiert. Man kann gar nicht wegsehen, es ist da, die Leere, die Armut, die Zerstörung, der Dreck. Leider, und das trübt zusätzlich den Eindruck, den ich von New Orleans bekomme. Das French Quarter ist praktisch gar nicht angerührt worden, aber der Rest der Stadt braucht noch sehr lange, bis sie wieder vorzeigbar ist.
Wir überqueren Lake Pontchartrain und fahren Richtung Slidell. Hey, ich weiß wo das ist. Dahinten, über die Brücke bin ich gestern schon einmal gefahren. Klasse, dass ich diesen schönen Abschnitt noch einmal erleben darf.
Wir erreichen das Tour-Zentrum der ‚Cajun Encounters’, ein nettes Holzhäuschen mit langer Veranda, Schaukelstühlen und Südstaaten Musik. Ich kann selbst heute den Stil nicht richtig einordnen. Es ist kein Jazz, es ist kein Blues, es ist kein Country, es ist einfach nur da – und jetzt in meinem Ohr.
Ein Ort zum Wohlfühlen, wenn nicht das ganze Krabbelzeug wäre, das hier auf dem Boden herum fleucht. Ich frage mich, ob es eine gute Idee war, mit kurzen Hosen auf die Tour zu gehen, doch da erscheint schon unser Kapitän. Auch er trägt kurze Hosen und er müsste es ja wissen. Und tatsächlich: Nicht eine Mücke in den Sümpfen. Seine Erklärung: Das Wasser steht noch zu hoch, so dass die neuen Generationen von Mücken noch nicht geschlüpft seien. Wir sollen nur nicht im Juni zurückkehren, dann sei Hochsaison.
Unsere Gruppe ist recht groß, also werden wir auf zwei Boote verteilt. Die Boote sind recht flach, klein und wendig, so dass wir tief in die Sümpfe vordringen können. Hier zu navigieren ist nicht ganz einfach, denn irgendwann sehen alle Bäume wieder gleich aus und man könnte echt meinen, die habe ich schon gestern gesehen: Kleine Bäume, große Bäume, grüne Bäume, Bäume mit Blättern, Blätter mit Bäumen, grüne Blätter an kleinen Bäumen, kleine Blätter an großen Bäumen… Ihr wisst schon. Und dann gibt es noch zahlreiche Sackgassen, wo man wieder umkehren muss. Nur zu leicht verliert man in diesem Labyrinth den Überblick. Aber wir haben ja einen erfahrenen Skipper dabei, der sogar noch gesprächiger ist als unser Busfahrer.
Kaum sind wir losgefahren, geht es auch schon los: Schildkröten auf 11 Uhr (dabei ist es schon 12 Uhr mittags). Die Touristen im Boot recken sich die Hälse, etwas beleibtere, die auf der falschen Seite sitzen, bringen unseren Kahn ins schwanken: „Wo? Wo?“ „Gleich neben dir, wenn wir wegen dir sinken…“
Ok, Schildkröten sind abgehakt, können wir wieder 2 Meter fahren. Alligator auf 11 Uhr (haben die alle keine Uhr?). Ja, und da Alligatoren interessanter sind als Schildkröten, halten wir uns bei diesem Kerlchen etwas länger auf. Damit ihn jeder bestaunen kann, ohne das Boot zu kippen, wirft unser Kapitän eine Marshmallow-Spur ins Wasser, um den Alligator rund um das Boot zu locken. „Wir füttern sie mit Marshmallows, da die Alligatoren diese nicht riechen können und somit nicht wissen, dass wir noch viel mehr davon an Bord haben. Wir könnten ihn auch mit Hühnchen füttern, doch wenn er den Geruch in der Nase hat, würde er auch ins Boot kommen. Und das ist zu gefährlich, daher bleiben wir bei Marshmallows. Alligatoren können nämlich unheimlich hoch springen. So lange man ihren Schwanz sieht, ist alles in Ordnung, aber sobald der untertaucht und damit ausholt, sollte man nicht in seiner Nähe sein. Das sind wahre Fressmaschinen. Die tun den ganzen Tag nichts anderes als fressen. Ihre Beute lokalisieren sie hauptsächlich, indem sie kleinste Erschütterungen auf dem Wasser registrieren. Passt mal auf…“
Der Alligator schwimmt vom Boot weg, kann uns also nicht sehen und weiß nicht, was wir vorhaben. Unser Crocodile Dundee wirft einen Marshmallow 2 Meter neben den Alligator, wo er ihn eigentlich nicht sehen kann, doch der Aufprall auf dem Wasser hat ihn verraten. Der Alligator schlägt einen Haken, reißt das Maul auf und weg ist die Süßspeise. Absolut beeindruckend. Also muss das geplante Bad im Fluss zur Abkühlung doch entfallen…
Wir treiben vorbei an einer Siedlung von Häusern, die auf Holzpfählen am Wasser gebaut sind. Und wieder Geschichten über Katrina. Irgendwie scheint man schon fast stolz darauf zu sein, die Katastrophe überlebt zu haben und wie gut man bereits aufgeräumt hat.
Jedenfalls sehen wir ein paar einsame Pfähle, dann schalten wir den Turbo ein, brausen über das Wasser und kommen etwa 5 Minuten später wieder zum stehen: Und hier ist die Hütte! Wahnsinn! Laut Karte sind das etwa 3km, die das Haus nahezu unbeschadet zurückgelegt hat. Ich hoffe, der Postbote kennt bereits die neue Anschrift.
Zurück am Bootshaus ist das andere Boot bereits gelandet und die beiden Skipper üben sich in einem Wettquatschen, wer denn eben die meisten, größten und liebsten Alligatoren gesehen hat.
Per Bus geht es zurück in die Stadt. Inzwischen ist die Sonne hinter Wolken verschwunden und mir ist auch noch kalt, obwohl ich die in Bus umgetaufte Kühltruhe wieder verlassen habe. Ich denke, es ist am besten, im Hotel meinen Fleece-Pulli zu holen. Nur für alle Fälle.
Im Hotel lacht mich mein Bettchen dann aber doch zu sehr an und ich gebe auf. Es ist zwar erst 16 Uhr, aber schlafen soll doch noch immer die beste Medizin sein. Lieber so schnell wie möglich wieder fit sein als tagelang an der Erkältung herumdoktern.
Übernachtung: Days Inn New Orleans
Bewertung: ausreichend