Samstag, 30.7.16Heute morgen wache ich doch tatsächlich erst um 5 Uhr auf, kuschele mich noch ein wenig in die Decke und schaue dabei die Fotos von gestern an und schreibe den Reisebericht weiter. Der Radiosender, den ich zufällig ausgewählt habe, klingt erst mal ganz normal, aber dann fällt mir auf, dass man in den Songs auffällig oft down auf den knees ist und dann taucht auch noch ständig dieser „Lord“ auf. Überhaupt ist mir das schon gestern aufgefallen, diese ständige Bezugnahme auf den Lord und das Kreuz, verbunden mit markigen Sprüchen über Schusswaffengebrauch. Ich fühle mich stark an Sheldons Mum aus der Bing Bang Theory erinnert und und das Kreuzfahrtevent „Schießen mit Gott“. Beim Song“God is on the move (?), halleluja“ schalte ich schließlich um. Leider erfahre ich dort gleich was von „Glory, Glory, Jesus, king on the ?“ (ich verstehe ja front, aber macht das Sinn?) und der Sänger ist natürlich auch down auf seinen knees. Zwischendurch kommt Werbung zu Büchern oder DVDs mit dem Titel „Crucified“. Die sind schon komisch drauf, die Amis. Vielleicht sollte ich mir lieber mal das T-Shirt „I love my church“ kaufen, das ich gestern und vorgestern ein paar mal gesehen habe, um hier nicht so aufzufallen.
Ich frühstücke noch in Ruhe, packe mein Zeug, checke aus und biege auf dem Hotelparkplatz um die Ecke, zur Parkbucht, wo mein Auto steht. Und dann der Schock: Da, wo die Sonne sich im glatten Lack spiegeln sollte, erscheint eine Kraterlandschaft. Hageldellen, wohin man schaut. Die einzigen Flächen, die nichts abbekommen habe, sind die, die senkrecht nach unten stehen. Alle Teile, die auch nur ein bisschen schräg stehen, z.B. die Türen direkt unterhalb der Fenster, haben etwas abbekommen. Mir wird erst mal schlecht.
Ich finde im Handschuhfach ein Formular für einen Unfallbericht und Telefonnummern, die man im Schadensfall anrufen soll, aber bei den 0800er-Nummern komme ich mit der deutschen Handy-Simkarte nicht weiter. Und die Nummer der Anmietung in Denver ist natürlich die einzige, die ich mir vorab nicht aufgeschrieben habe.
Zum Glück ist man im Hotel hilfsbereit und ruft für mich unter verschiedenen Nummern bei Budget an. Heute ist Samstag, da sind nicht alle Hotlines besetzt. Schließlich erreichen die Damen hinter der Theke doch jemanden, und nach einem kurzen Austausch heißt es: Ich kann weiterfahren. Vorsichtshalber lasse ich mir von den beiden Mitarbeiterinnen noch schriftlich bestätigen, dass ich den Schaden telefonisch gemeldet habe, denn ich habe so meine Zweifel, ob man bei Budget wirklich irgendwo vermerkt hat, dass ich angerufen habe. Aber darum werde ich mich heute abend nochmal in Ruhe kümmern, jetzt geht die Tour erst mal weiter.
Ich fahre Richtung Guernsey und erreiche nach etwa eineinhalb Stunden die Oregon Trail Ruts.
Über den Oregon Trail verlief die erste Siedlerroute durch die Great Plains und über die Rocky Mountains im Rahmen der Besiedelung des Westens der Vereinigten Staaten. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts zogen Pioniere aus den damals besiedelten Teilen im Osten und der Mitte der USA rund 3.500 km (2.200 Meilen) in Planwagen durch die Steppen, Wüsten und Berge, um neue Regionen im Pazifischen Nordwesten zu besiedeln. Große Teile der Route wurden auch für Trecks in andere Teile des Westens genutzt.
Die meisten Auswanderer reisten mit Planwagen, die zumeist von Ochsen gezogen wurden. Ochsen konnten nach der Ansiedlung im Westen als Arbeitstiere genutzt werden und wurden seltener gestohlen als Pferde. Bis 1850 dauerte die Reise durchschnittlich 166 Tage, später durch Verbesserungen und Verkürzungen der Route noch durchschnittlich 129 Tage. Die Reise musste im Frühjahr angetreten werden, um vor dem Winter den Westen zu erreichen.
Zwischen 1834 und 1860 erreichten rund 53.000 Auswanderer über den Trail Oregon, insgesamt wurde der Trail in dieser Zeit von fast 300.000 Auswanderern genutzt. Die Zeit der Trecks endete mit der Vollendung der ersten transkontinentalen Eisenbahnverbindung im Jahr 1869. Schon vorher hatten zwei Drittel aller Auswanderer die Westküste auf alternativen Trails oder auf dem Seeweg um Kap Hoorn oder über Panama / Nicaragua erreicht.Hier bei Guernsey haben die Wagen in einer quer zum Trail verlaufenden Felsrippe tiefe Spuren hinterlassen.
Heute ist es heiß und trocken, und ich stelle mir vor, wie die Siedler damals unter brennender Sonne mit unwilligen Ochsen die hügelige Landschaft bewältigt haben. Welche Mühe! Und das alles mit einer ungewissen Zukunft vor Augen.
Wieder auf dem Parkplatz nehme ich nochmal das Auto unter die Lupe. Je nachdem wie das Licht steht, sieht man gar nichts, aber bei genauerem Hinsehen entdecke ich dann doch wieder die kleinen Dellen. Seufz.
Ein paar Meilen weiter schaue ich mir das Trail Register an, eine Felswand, an der viele Siedler ihre Namen hinterlassen haben. Ich bin mir bei vielen Namen nicht sicher, ob sie wirklich aus der Zeit der Trails stammen, aber diese hier scheinen wohl Original zu sein. Auch hier brütende Hitze.
Ich fahre weiter Richtung Fort Laramie. Zuerst ist die Straße noch geteert, dann verwandelt sie sich in eine Gravelroad. Normalerweise hätte ich hier vermutlich gedreht und mir vom Navi die alternative geteerte Route anzeigen lassen, aber heute lassen mich die Steinchen, die gegen den Lack knallen, ziemlich kalt. In Abwandlung eines alten Sprichworts: Ist das Auto ruiniert, fährt es sich ganz ungeniert.
Immerhin sehe ich hier in der Einsamkeit mein erstes größes Wildlife.
Als ich das Fort Laramie erreiche, bin ich dann doch enttäuscht. Forts kenne ich aus den Lucky-Luke-Comics, die haben Holzpalisaden, einen Goldschatz, Ganoven in schwarz-gelb geringelter Kleidung und dämliche Hunde, aber hier gibt es nur einen großen Hügel und ein paar Gebäude aus Beton oder ähnlichem. Und einen Ranger, der bei der Waffenvorführung leicht phlegmatisch wirkt. Das Phlegma ist ansteckend, nach fünf Minuten Zuschauen bin ich kurz vorm Einschlafen. Nein, das geht nicht, ich will doch heute noch bis nach Custer. Also mache ich mich gegen halb zwei wieder auf die Fahrt.
Bis Custer sind es von hier aus zweieinhalb Stunden. Ich fahre mit 70 Sachen durch eine Prairielandschaft nach South Dakota und frage mich zwischendurch, wie lange man wohl mit einem Ochsenkarren für 70 Meilen gebraucht hat. Mit Sicherheit mehrere Tage. Zwischendurch tanke ich in einem kleinen Ort namens Lusk an der gefühlt einzigen Tankstelle im Umkreis von 100 Meilen. Schließlich erreiche ich die Black Hills, hier ist es nett zu fahren, über waldige Hügel, und gegen viertel nach vier bin ich schließlich in Custer. Hier habe ich mich im Rocket Motel einquartiert, einem auf die 50er getrimmten älteren Motel, das an der Tür zur Rezeption mit dem Spruch „Rock'n with Jesus“ aufwartet. Um Gottes Willen, was haben die hier nur immer mit Jesus? Gerade das Hotelgewerbe sollte es sich doch vielleicht zweimal überlegen, ob es ausgerechnet mit Jesus wirbt. Schließlich hatte der bei seiner allerersten Hotelübernachtung nur einen Platz im Stall abbekommen.
Ich kaufe mir im Supermarkt noch ein paar Sandwiches und Schokokekse und fahre in den Custer State Park. Hier muss ich 20 Dollar zahlen. Damit dürfte ich zwar eine Woche lang in den Park, aber für einen Nachmittag ist der Preis natürlich happig.
Aber der Park ist wirklich schön, die Sonne lacht vom Himmel, es ist warm, und als ich schließlich am Sylvan Lake aussteige, tauche ich ein in eine entspannte Sommerspätnachmittagsstimmung. Warmes Licht scheint auf die Felsen, Leute baden oder fahren mit Booten übers glatte Wasser. Mir gefällt es hier. Ich stelle mir vor, wie man als amerikanische Familie hierher fährt, um die Sommerferien zu verbringen.
Von irgendwoher weht Klaviermusik über den See, das passt perfekt. Als ich zurück zum Auto gehe, sehe ich, woher die Musik kommt. Hier findet gerade eine Trauung statt. Ein sehr schöner Platz.
Ich fahre weiter über den Needles Highway durch eine tolle Felslandschaft.
Und hinter dem nächsten Tunnel halte ich an, denn dort stehen viele Menschen mit Fotoapparaten. Ach, wie schön, eine Mountain Goat, eine Schnee- oder Bergziege. Sie steht neben dem Tunnel auf ihrem Fels und posiert als Americas next Goat Model.
Schade, dass ich heute so viel Zeit am Oregon Trail verbracht habe, ich wäre besser auf dem direkten Weg hierher gefahren, überlege ich. So habe ich leider nur noch den frühen Abend für die Wildlife Loop Road. Dabei könnte man im Park auch locker noch einen oder zwei Tage mehr verbringen.
Ich sehe Prong Horns und von weitem eine Bisonherde, über der sich in der Abendsonne eine Gewitterwolke auftürmt. Langsam wird es dunkel, und die anderen Tiere, die meinen Weg kreuzen, unter anderem Truthähne, bekomme ich nicht mehr unfallfrei auf die Speicherkarte.
Zum Abschluss sehe ich von weitem noch ein paar Esel, die die Hügel hinunterkommen und zielstrebig die Besucher ansteuern. Ach, die werden gefüttert? Kein Wunder, dass sie so rabiat sind. Ein paar Eselsbanden bilden Straßensperren und bedrängen Leute in ihren Autos. Ich sorge mich zuerst in dem Gedränge, dass das Auto einen Huftritt abbekommen könnte, aber eigentlich wäre das ja egal.
Die Sonne ist untergegangen, ich will jetzt nur noch ins Hotel zurück, da bricht plötzlich ein Gewitter los und es wird stockdunkel. Stürmische Böen packen die Bäume, Blitze zucken, mir rennt fast ein Reh ins Auto, und dann fängt es an zu schütten. Ich fühle mich wie in der Waschanlage, fahre fast im Fußgängertempo weiter, über mir schwankende Baumwipfel. Ich bin mal wieder schweißgebadet, als ich wieder im Hotel ankomme, das Gewitter hätte ich jetzt wirklich nicht gebraucht.
Um noch ins empfohlene Restaurant zu gehen, bin ich spät dran, also bleibe ich im Zimmer, esse das verbliebene Sandwich und Schokokekse und schreibe noch eine E-mail an Budget, in der ich meine Daten angebe und darum bitte, mich per E-mail zu kontaktieren, falls ich das Auto auf meiner weiteren Route irgendwo tauschen soll. Der Akkustand des Laptops ist jetzt nur noch bei 10 Prozent, Zeit zum Aufladen. Ich krame das Kabel und den Traveladapter für die Steckdose heraus, und erlebe für heute den zweiten Schreck: Der Stecker vom Laptop ist ein Schuko-Stecker. Und der passt nicht in die Steckdose vom Traveladapter. Ich denke zuerst noch, dass ich irgendwas falsch gemacht habe oder ungeschickt bin, aber nein, der Stecker kann nicht passen. Dort wo andere runde Stecker Aussparungen haben, hat dieser Stecker Metallkontakte. Und genau dort sind in der Steckdose des Traveladapters Kunststoffstege, die das Einstecken verhindern.
Da sitze ich nun, auf dem Bett im 50er-Jahre-Motel, mit einem Laptop, ohne das ich keine E-mails schreiben kann, nicht Skypen kann, keine Bilder von der gefüllten Speicherkarte ziehen kann und keine Bilder auf der externen Festplatte sichern kann. Ja, und auf Kontaktversuche der Mietwagenfirma kann ich ohne das Laptop auch nicht reagieren.
So ein Mist, läuft denn in diesem Urlaub nichts, wie es eigentlich soll?
Ich packe meinen Kram weg und lege mich ins Bett. Schlafen kann ich erst mal nicht, stattdessen komme ich ins Grübeln.
Gute Nacht!