Sonntag, 30.8.15: Vancouver – VictoriaViel Schlaf bekomme ich nicht, aber immerhin gönnt der Jetlag mir 4 Stunden Schlummer, bevor ich gegen zwei Uhr aufwache und auch nicht mehr einschlafen kann.
Gegen fünf suche ich im Fernsehen einen regionalen Sender und erfahre dort, dass das, was unser Flugkapitän uns gestern unter dem Stichworte „leichte Turbulenzen um Vancouver“ verkauft hat, wohl nur noch die Nachwehen eines gewaltigen Sturms waren, laut Nachrichten wahlweise„the largest storm in 9 years“ oder „the worst storm in 6 years“. Viele Bäume sind umgestürzt, 400.000 Leute waren ohne Strom. Und wegen defekter Gehege soll im Zoo von Vancouver ein Grizzly ausgebrochen sein. Ich kuschele mich wohlig schaudernd unter die Decke, während Betroffene von Zuständen „wie bei Jurassic Park“ berichten.
Der Wetterbericht für heute warnt zwar nicht mehr vor Sturm und freilaufenden Bestien, prophezeit aber Regen von morgens bis abends, auch wenn sich auf der Wetterkarte im Bereich von Victoria immerhin auch eine halbe Sonne aus den Wolken schiebt. Eigentlich will ich heute auf dem Weg vom Fährhafen nach Victoria noch Butchart Gardens besuchen, aber vielleicht ist ein Tag im Royal BC Museum in Victoria heute doch die bessere Wahl. Na ja, ich werde sehen, wie sich das Wetter so macht.
Erst mal will ich frühstücken. Frühstück gibt’s ab sieben Uhr, also spaziere ich um Punkt sieben zum Frühstücksraum und staune. Da stehen schon ganze Busladungen Senioren am Frühstücksraum Schlange. Das habe ich mir jetzt irgendwie anders vorgestellt. Nach 30 Sekunden in der Warteschlange und einem kurzen Blick auf das angebotene „Continental Breakfast“ beschließe, das Frühstück auszulassen und mich auf den Weg zum Fährhafen zu machen. Vielleicht komme ich noch auf die Fähre um acht, falls nicht, gehe ich am Fährhafen frühstücken.
Als ich das Hotel verlasse, prasselt der Regen gerade heftig herunter, und ich bin froh, als ich schließlich alles im Auto verstaut habe und losfahren kann. Erfreut stelle ich beim Ausparken fest, dass das Auto eine Rückfahrkamera mit verschiedenen farbig eingezeichneten Feldern hat. Ein Schiebedach hat es übrigens auch, aber das bleibt bei dem Wetter lieber mal zu.
Die Fahrt zum Fährhafen in Tsawwassen dauert etwa 20 Minuten. Von hier aus kann man nach Swartz Bay im Süden von Vancouver Island fahren und nach Nanaimo im Osten der Insel. Ich will nach Swartz Bay und von dort aus nach Victoria weiterfahren. Den Fährtarif zahle ich am Drive-In-Kassenhäuschen bequem per Kreditkarte, und bevor ich mich schon fragen kann, wie das alles jetzt funktioniert, schickt mich die Mitarbeiterin mit einem Handzeichen und einem entsprechenden Ticket in die „Lane 41“ wo vor mir schon andere Autos warten. Über Lautsprecher kommt gerade die Nachricht, dass die Fähre nach Swartz Bay gleich befahren werden kann und die Fahrzeugführer zu ihren Autos zurückgebeten werden. Dann dauert es noch ein paar Minuten, und ich darf der Fahrzeugschlange vor mir bis auf die Fähre folgen, immer geleitet von Mitarbeitern und ihren Handzeichen. Super, ich habe es also noch auf die Fähre geschafft. Das hat ja viel besser geklappt als gedacht.
Oben im Passagierbereich hole ich mir erst mal bei Starbucks einen heißen Kakao, und als ich hinausgehe, legt die Fähre schon ab und der Wind beginnt, an Jacke und Haaren zu zerren. Der Regen hat aufgehört, man kann sogar ein bisschen blauen Himmel und einen Regenbogen sehen und ab und zu gibt es Sonnenspots. Eineinhalb Stunden dauert die Fahrt, die teilweise dicht an kleineren Inseln und größeren Inseln, den Gulf Islands, vorbeiführt. Ich suche mir ein windgeschützteres Plätzchen, übe schon mal mit dem großen Teleobjektiv und fühle mich einfach wohl. Meerluft hat doch gleich etwas belebendes.
In Tsawwassen angekommen dauert das Entladen der Fähre eine Weile, dann kann ich von Bord fahren und schlage dann doch den Weg nach Butchart Gardens ein, den ich wegen der Wetterprognose eigentlich streichen wollte.
Butchart Gardens ist benannt nach dem Ehepaar Butchart, genauer gesagt nach Jennie Butchart, die Anfang des 20. Jahrhunderts begann, den ehemaligen Steinbruch der Firma ihres Ehemanns in einen Garten umzuwandeln. Heute ist der Garten immer noch im Familienbesitz, beschäftigt aber 50 Gärtner, zieht jährlich fast eine Million Besucher an und bekam vor einigen Jahren den Status eines National Historic Site of Canada zuerkannt.
Der Eintritt kostet über 30 Dollar. So ganz sicher bin ich nicht, ob sich das überhaupt lohnt, als ich das Auto abstelle. Und dann sind da noch diese vielen Reisegruppen, wahlweise „westliche“ Senioren oder aufgeregte Asiaten. Aber was solls, jetzt ist der Eintritt sowieso schon bezahlt, ich habe Zeit, und die Steuerrückerstattung ist inzwischen sicher schon auf meinem Konto eingegangen, also los.
Nachdem ich erst noch ein bisschen skeptisch meinen Weg zwischen den Reisegruppen suche, komme ich an den „Sunken Garden“, und der verblüfft mich wirklich. Rundherum kanadische Nadelwälder und Felsen, und direkt vor dem Besucher in einem kleinen Tal englischer Rasen und üppige Blütenpracht. Das muss der Ort sein, der früher als Steinbruch genutzt wurde. Irgendwie unwirklich, dieses satte Grün und die lieblichen leuchtenden Farben so mitten in der schroffen Landschaft. Aber gerade dieser Gegensatz macht den Reiz des Gartens aus.
Am Ende des kleinen Tals sprudeln Fontainen in einem Fluss oder Teich direkt neben einer schroffen Felswand, von der sich ein kleiner Wasserfall herunterschlängelt. Wer kommt auf so eine Idee? Die Chinesin neben mir fühlt sich erstaunlicherweise an ihre Heimat erinnert und ruft aufgeregt: „Jangtse, Jangtse!“
Nach dem versunkenen Garten schaue ich mir noch die restliche Gartenanlage an, alles ist üppig bepflanzt und schön gepflegt. Eine Million Pflanzen werden hier jährlich neu gesetzt, vor allem zur Blütezeit im Frühling. Der Rosengarten ist eine Ansammlung unterschiedlichster Züchtungen, und sogar einen japanischen Garten gibt es. Der Besuch hier hat sich tatsächlich gelohnt, auch wenn ich nicht in den Genuss der zahlreichen Veranstaltungen komme, die den Sommer über in den Gärten stattfinden. Gestern, am Samstagabend, sollte ein Feuerwerk stattfinden, ich frage mich, ob es dem Sturm zum Opfer gefallen ist.
Nach dem zweistündigen Spaziergang durch die Gärten gönne ich mich mir noch ein Eis mit Walnut-Maple-Geschmack, durchstreife die Shops, in denen alles für den nostalgischen englischen Gartenfreund angeboten wird und mache mich schließlich auf den Weg nach Victoria. Das Navi führt mich brav in die Stadt und zum Hotel, dem Helm's Inn, das von außen erst mal etwas verwohnt wirkt, aber mein Zimmer mit kleiner Küchenecke ist neu gemacht und wirklich schön.
Gerade kommt die Sonne heraus, also mache ich mich auf den Weg zum Hafen, vorbei an den Totempfählen im kleinen Thunderbird Park.
Hier in Victoria liegt fast alles dicht beisammen. Das Parlament von British Columbia thront genau so über dem Inner Harbour wie das ehrwürdige Empress Hotel. Alles wirkt entspannt, Leute liegen im Sonnenschein auf dem Rasen vor dem Parlament, unten am Hafen flaniert man auf der Uferpromenade. Die Stadt wirkt hier europäisch alt und ist es doch nicht. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde im heutigen Stadtgebiet ein Fort gebaut, 1849 wurde Vancouver Island zur britischen Kronkolonie, und 1862 erhielt das inzwischen entstandene und nach der britischen Regentin benannte Victoria die Stadtrechte. Die Stadt wurde wichtiger Versorgungsstützpunkt des kanadischen Goldrauschs, wuchs entsprechend weiter und wurde schließlich 1871 zur Hauptstadt von British Columbia.
Ich spaziere gemütlich herum, merke dann aber plötzlich, wie mein Magen knurrt. Klar, außer dem Eis vorhin habe ich seit dem letzten Snack im Flugzeug gestern nachmittag nichts mehr gegessen, und das ist fast 24 Stunden her. Also setze ich mich gleich mal auf die Terrasse des Restaurants direkt am Hafen, bestelle einen Burger und ein Bier einer einheimischen Brauerei. Beides ist sehr lecker, ich schaue rüber aufs Parlamentsgebäude und beobachte die kleinen Wassertaxis, die hier an- und ablegen. Irgendwann zieht sich der Himmel dann aber doch wieder zu, und während ich noch die letzten Sonnenstrahlen im Gesicht spüre, tropft schon der Regen ins Bierglas.
Ich mache noch einen Abstecher bei der Touristeninformation und gehe zu einem kleinen Supermarkt, um mir Getränke und ein paar Snacks zu kaufen, dann trudele ich schließlich gegen halb sechs wieder im Zimmer ein. Eigentlich will ich später nochmal losziehen und mir den Hafen bei Sonnenuntergang anschauen. Aber inzwischen bin ich so müde, dass ich im Stehen einschlafen könnte. Blöder Jetlag. Ich frage mich, wie ich es gestern abend um acht Uhr noch geschafft habe, vom Flughafen zum Hotel zu fahren. Irgendwann gegen sieben Uhr krieche ich unter die Bettdecke und schlafe sofort ein.
Gute Nacht!