3 Tage in Baku
Ich pflege eine sportliche Leidenschaft. Das ist der BVB aus Dortmund und der hat in der vergangenen Woche in der Euro League in Baku gegen FK Qäbälä gespielt. Neben dem reizvollen Spiel hat mich auch die Möglichkeit begeistert nach Aserbaidschan zu kommen und die Eindrücke dort sind mehr als ein paar Zeilen wert.
Mittwoch abends mit zwei Freunden im Flieger direkt von Frankfurt hin, dann der Donnerstag mit dem Spiel, Freitag und Samstag zum Sightseeing und Sonntag in aller Herrgottsfrühe wieder zurück. Ab nach Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, wo sich der verschwenderische Umgang mit Ölmilliarden und Energie in modernen Glaspalästen manifestiert, die sowjetische Monumentalarchitektur und Plattenbauten in ihren Schatten stellen und wo die Menschen trotz der starken staatlichen Hand von herzlicher und orientalisch geprägter Gastfreundschaft sind. Dies ergibt eine Gemengelage, die mich nachhaltig beeindruckt und zum Nachdenken angeregt hat. Darüber möchte ich gerne etwas berichten.
Info: 1 Manat = 100 Gepik ~ 0,85 Euro.Lobby Hotel Flame Towers
Blick aus dem Hotelzimmer
Baku zwischen Alt und Neu
Der PapierkramPapier gibt es erstmal nicht, Reiseführer sind praktisch nicht existent und man muss sich über das Internet über das kleine Land am Kaspischen Meer informieren. Lufthansa fliegt direkt von Frankfurt und der Flug ist schnell gebucht. Hotels gibt es auch in allen Preisklassen. Die Einreise ist für deutsche Staatsbürger prinzipiell kein Problem, allerdings benötigt man ein Visum und die Informationen dazu sind im Netz widersprüchlich. Am Ende hätte man das Visum mit der Eintrittskarte zum Spiel ausnahmsweise direkt am Flughafen "kaufen" können, mit der Information rückte der BVB aber erst eine Woche vor dem Spiel heraus. Die Alternative ist der klassische Weg: Antrag, Pässe, etc.. zur Botschaft schicken oder vorbeibringen und 14 Tage warten. Und dann gibt es noch ein eVisa. Dazu braucht man einen Partner in Aserbaidschan, der einen offiziell "einlädt" zu einem touristischen Besuch. Dafür gibt es diverse Agenturen mit dubiosen Webseiten und unterschiedlichen Gebühren. Letztlich finden wir mit Hilfe des Hotels eine Agentur, bei der wir das Formular, Passfoto und Passkopien online hinschicken können und für knapp 60 Dollar dann unser eVisa als PDF bekommen. Ausgedruckt erinnert das mit dem Stern im Staatswappen an alte sowjetische Zeiten. Eintrittskarten gibt es für 3 Euro über den BVB und dann geht es Mittwoch mittags mit dem Zug nach Frankfurt, dann mit dem Flieger, indem aufgrund der Fußballfans schon kurz hinter Wien das Bier ausgeht, direkt nach Baku. Landung am späten Abend und nach einigem Feilschen fährt uns ein Taxifahrer für 35 Manat in die Stadt. Dabei scheint er sich für den Formel 1 Grand Prix im kommenden Jahr zu bewerben und rast förmlich über die breiten Boulevards hin zu unserem Hotel in den Flame Towers. Nicht das einzige interessante Verkehrserlebnis in den nächsten Tagen.
Parlament
Die StadtAm Donnerstag geht es in die Stadt und die Eindrücke sind so ambivalent wie ich das bisher selten auf Reisen erlebt habe. Das Land ist reich, die Öl-Milliarden sprudeln und überall werden große Glastürme und Protzbauten hochgezogen, allen voran die Flame Towers als neues Wahrzeichen der Stadt. Und nachts ist alles beleuchtet, Energie im Überfluss vorhanden. Ganz im Gegensatz die Altstadt, umgeben von der Stadtmauer und als UNESCO Welterbe anerkannt, fühlt man sich in den Orient versetzt. Enge Gasse, Moscheen und eine Atmosphäre wie auf dem Basar bilden einen krassen Gegensatz. Dazu viele schöne Gründerzeitbauten und monumentale sowjetische Bausünden aus Beton. Doch dann gibt es noch die andere Seite, eine Querstraße von der blankpolierten Vorzeigestraße weg. Kleine Häuser, unebene Straßen, winzige Geschäfte in heruntergekommenen, teils baufälligen Gebäuden. Und überall diese Balkone und Hinterhöfe, praktisch jedes Gebäude zieht sich noch weit nach hinten. Die Eingangstüren stehen dabei meistens offen, man kann immer einen Blick ins Treppenhaus werfen.
Wir laufen durch die Stadt, sammeln Eindrücke ein und besichtigen die markantesten Gebäude. Auch die prachtvolle Uferpromenade ist widersprüchlich. Einerseits opulent angelegt und auf der anderen Seite das Meer, verdreckt, ölig und entsprechend riechend. Wir erleben eine Stadt, die schneller wächst als es ihr gut tut. Eine Stadt in der man Schein über Sein stellt.
Stadtmauer, Flame Towers, Maiden Tower, Fountains Square, Moscheen und Theater - der Donnerstag gibt uns einen guten Eindruck von dieser interessanten Stadt.
Insgesamt ist das meiste gut per pedes zu erreichen, wenn man nicht total unfit ist. Es gibt aber auch eine Metro mit schicken Stationen und ein Busnetz. Oder Taxen. Wobei der Verkehr auf den Straßen ein Erlebnis an sich ist. Und auch die Fahrzeuge spielen das Gefälle im Land wieder. Eine solche Menge an Luxuskarrossen deutscher Hersteller sieht man selten - unter 5 Liter geht da gar nix und am liebsten dann doch AMG - bewegen sich bunt gemischt mit klapprigen Ladas über die breiten Straßen der Stadt. Wichtigstes Instrument aller Fahrzeuge ist dabei die Hupe.
Moschee trifft Glaspalast
Regierungsgebäude
Stadtmauer Altstadt
Ein typisches Auto
Eindrücke von Baku
Eindrücke von Baku
Eindrücke von Baku
Eindrücke von Baku
Eindrücke von Baku
Das SpielBesagte Hupe erleben wir auch auf dem Weg zum Spiel. Der BVB organisiert einen Busshuttle und man könnte erwarten, dass die Busse geordnet losfahren - doch nein, für die Fahrer scheint es sich um ein Rennen zu handeln, denn alle Busse fahren gleichzeitig und stauen sich dann in einem viel zu breiten Pulk an der schmalen Ausfahrt. Im selben Stil geht es weiter, mit Hupe und Warnblinker wird im Verkehr jede noch so kleine Lücke zum Spurwechsel genutzt, gerne auch mal Sperrflächen und die Gegenfahrbahn eingezogen und beim Abbiegen ist es doch egal, ob die Kreuzung schon zu ist - man kann immer noch eine weitere Spur außen in einem noch weiteren Kreisbogen aufmachen. Ein echtes Erlebnis, aber schließlich kommen wir an. Das Stadion liegt mitten in einem heruntergekommenen Wohngebiet und man beschallt uns mit viel zu lauter orientalischer Musik.
Baku Boulevards
Gefühlt erlebe ich zwei Polizisten pro BVB-Fan und die erste Reihe ist im gesamten Stadion frei, damit dort alle sechs Plätze ein Soldat sitzen kann. Apropos Polizei: Als Mann scheint das ein beliebter Job zu sein, sicher und mit ordentlichem Einkommen, man kann seinen Schnurrbart pflegen und ab dem dritten Stern gibt es eine schicke Mütze im sowjetischen Militärstil zur passenden Uniform (General Gogol lässt grüßen) und die offizielle Erlaubnis einen Ranzen anzulegen. Mehrere Polizisten kümmern sich um die Ticketkontrolle, mehrere zeigen den Weg - aber alle sind immer freundlich, auch wenn man mit den meisten aufgrund mangelnder Englischkenntnisse kaum reden kann. Auf dem Weg zur Toilette wird man "begleitet" von einem freundlichen Polizisten, der erstmal alle Einheimischen aus der Toilette scheucht, damit der Gast aus dem Ausland in Ruhe pieseln kann. Der Umgang mit den Einheimischen ist weniger freundlich, selbst Kinder werden am Ende vom Zaun verjagt, die nur einen Blick auf die BVB Fans erhaschen wollen.
Bakcell Arena
Einschneidendes Erlebnis dann in der Halbzeit. Ich gehe nach draußen auf der Suche nach einem FK Qäbälä Schal. Im Dortmund-Trikot. Kaum bin ich draußen, kommen jede Menge Aserbaidschaner auf mich zu, fragen mich nach einem Foto oder Selfie mit ihnen. Im bruchstückhaften Englisch freuen sie sich aus tiefstem Herzen, dass ich da bin, wollen wissen wie ich Baku und ihre Mannschaft finde, möchten mein Trikot mal berühren und fragen mich, ob ich das Trikot von Marco Reus besorgen oder sie mit zu den Dortmund Ultras nehmen kann. Am Ende sind es mehr als 20 Fotos und Selfies die ich machen muss, auch der Bitte nach Videos, in denen ich etwas auf Deutsch sage, komme ich gerne nach. Das Glück und die Begeisterung ist ehrlich und beeindruckend. Einen Schal finde ich am Ende nicht. Diese "15 minutes of fame" beschäftigen mich noch lange.
Das Spiel selber - kann man auf Sportseiten nachlesen. Der BVB überlegen, knackt nach einiger Zeit den Abwehrriegel und gewinnt verdient. Die Heimfans am Anfang sehr lautstark, nach dem 0:3 verlassen sie in Scharen frühzeitig das Stadion. Übrigens: Ausschließlich Männer. Ich habe - außer im Gästeblock - keine Frau im Stadion gesehen.
Und auf der Rückfahrt in die Stadt denke ich lange darüber nach, ob ich diese "Sicherheit" im Stadion wirklich haben will, ob ich soviel Polizei brauche, die einen gleich zurechtweist, wenn man eine abfällige Handbewegung macht und einem zum Klo eskortiert. Oder will ich doch weniger staatliche Präsenz, das Recht mich auch mal aufregen zu dürfen und dafür mit der Gefahr leben auf dem Klo beim Fußball angepöbelt zu werden? Und es berührt mich mit welcher Begeisterung und Freundlichkeit wir dort empfangen wurden.