Samstag, 12. NovemberHeute morgen wache ich natürlich wieder pünktlich um halb sieben auf, dabei habe ich mir vorgenommen, auszuschlafen, und dann in aller Ruhe zu packen und die letzten Stunden zu vertrödeln. Andererseits stelle ich eine Stunde später, als ich mich dann doch meinem Koffer widme, fest, dass er sich in den letzten zehn Tagen in eine Rumpelkammer verwandelt hat. Ich packe erst mal alles aus und verteile es auf dem Bett, das bald aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Die Souvenirs packe ich in einen erstaunlich schwere Beutel zusammen und lege ihn zuunterst in den Koffer, und dann muss ja auch noch alles hinein, was sich in den letzten Tagen in Zweittaschen und Rucksäcken breit gemacht hat. Aber immerhin passt alles hinein, und ich bin sehr sehr froh, dass ich bei Vietnam Air 30 kg Freigepäck habe.
Nach einem letzten Frühstück spaziere ich gegen neun Uhr durch die Straßen zum Hoan-Kiem-See. Leider ist das Wetter heute morgen wieder sehr dunstig, und die Fotos vor strahlend blauem Himmel, auf die ich gehofft habe, fallen aus. Aber ein Bild vom Eingang zum Jadebergtempel gibts immerhin:
Die kleinen Parkanlagen an der Ostseite des Sees fallen mir heute auch zum ersten mal auf:
Heute morgen, am Samstag, ist der See offenbar Treffpunkte für die Hanoier, die am Wasser entlang defilieren. Ich treffe auf drei vietnamesische Mädchen, die mir verlegen kichernd erklären, sie würden eine Umfrage zu Shopping in Vietnam machen und fragen, ob sie mich interviewen dürften. Eigentlich bin ich ja bei solchen Sachen eher misstrauisch, aber die drei machen einen so aufgeregten Eindruck, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass etwas anderes dahintersteckt. Tatsächlich haben sie ein paar Fragen vorbereitet, und zwei von ihnen filmen mich, während die dritte mir Fragen dazu stellt, wie ich das Preisniveau in Vietnam finde, wo ich eingekauft habe, wie ich den Verkehr finde und ob ich Angst habe, die Straße zu überqueren. Zum Schluss will noch jede von ihnen ein Foto mit mir, dann mache ich noch ein Foto von ihnen und verabschiede mich.
Ein Stück ist ein kleiner Platz vor einem Denkmal, das den Kaiser zeigt, der Hanoi gründete. Hier sind Hanoier mit ihren Kindern unterwegs, die schön herausgeputzt herumlaufen und miteinander spielen.
Ich schaue dem Treiben noch eine Weile zu, dann kehre ich noch in mein Lieblingscafé am Hoan-Kiem-See ein und trinke dort eine letzte Kokosnuss.
Dann wird es Zeit, die Sachen zu packen und aufzubrechen. Als ich im Hotelzimmer meinen Koffer geschlossen habe und ihn mit der Kofferwaage wiege, bekomme ich einen Schreck: Jetzt wiegt er schon über 28 kg. Damit ist klar, dass es in Kambodscha kein weiteres Shopping mehr geben wird. Die 30-kg-Grenze will ich sicher nicht sprengen – und meinen Koffer auch nicht.
Weil im Hotel alle so nett waren, schreibe ich zum Dank noch ein paar Zeilen an das Hotel-Team und gebe den Umschlag mit meinem Schreiben und meinem Trinkgeld beim Auschecken an der Rezeption ab. Ein Fahrer bringt mich anschließend zum Airport, ich finde auch relativ schnell den Schalter und bin erleichtert, dass es kein Problem mit meinem schweren Gepäck gibt. Stattdessen fragt die Mitarbeiterin hinterm Schalter nur „One piece of luggage?“ Ich sage ja, und spaziere wenig später schon durch die Passkontrolle.
An der Sicherheitskontrolle bin ich zuerst auch noch entspannt. Auch als mein Rucksack beiseite genommen wird, denke ich noch, dass es wahrscheinlich an meinem Laptop liegt. Dann fragt der Mitarbeiter allerdings, ob ich ein Messer dabei hätte, und mir fällt es siedend heiß ein: Natürlich. Ich habe mein teures, mit allen Extras ausgestattetes Schweizer Taschenmesser, das ich mir erst vor ein paar Wochen gekauft habe, schon seit Tagen nicht mehr gesehen und es völlig vergessen. Es muss im Rucksack sein. Und natürlich ist es im Rucksack.
Das Personal reicht mein Messer von Hand zu Hand, natürlich kann ich es nicht mitnehmen, und dann fragt einer doch, ob ich es behalten wollte. Ich sage, natürlich, wenn das geht. Es geht, erklärt er mir. Ich soll mein Laptop und die Kamera aus dem Rucksack nehmen, nochmal zum Check-In gehen und den Rucksack als Gepäckstück aufgeben. Ich zögere und überlege, ob ich das Messer nicht doch einfach hierlassen soll, versuche es dann aber doch und bereue es schnell. Als ich durch die Passkontrolle zurückgehe, werde ich natürlich sofort gestoppt. Ich erkläre die Situation, der Sicherheitsbeamte schnappt sich meinen Pass und erklärt mir, ich solle zum Schalter gehen und bekäme den Pass erst wieder, wenn ich zurück bin. Super, jetzt laufe ich ohne Pass durch den Flughafen, hoffentlich finde ich den Beamten mit meinem Pass gleich wieder.
Am Schalter fällt mir dann auf, dass ich mein Handy nicht mehr finde. Das wird doch hoffentlich nicht bei der Sicherheitskontrolle verloren gegangen sein. Und außerdem: Ich habe weder ein Namensschild noch ein Schloss am Rucksack, das kann doch nicht gutgehen. Bevor ich am Schalter ankomme, will ich schon fast wieder umdrehen, außerdem habe ich ja schon 28,5 kilo Gepäck aufgegeben, da werden die doch nicht noch meinen Rucksack als checked baggage mitnehmen. So wichtig ist das Taschenmesser nun auch wieder nicht, dann kaufe ich halt ein neues, was soll das ganze überhaupt. Ich will jetzt lieber in Ruhe nach meinem Handy suchen.
Da bin ich aber schon am Schalter angekommen und erkläre, warum ich meinen Rucksack auch noch aufgeben will. Die Mitarbeiterin versichert mir nach kurzer Nachfrage, es sei okay, mein Rucksack bekommt einen Gepäckanhänger und verschwindet in einer Plastikbox, und ich bekomme bei der Passkontrolle auch anstandslos meinen Pass wieder zurück. Diesmal bin ich schnell durch die Sicherheitskontrolle durch. Und hinterher so fix und fertig, dass ich erst mal eine halbe Stunde ziellos durch die Shops laufe. Natürlich ist im Rucksack dann doch meine kleine Lumix zurückgeblieben, und mein Handy ist sicher geklaut worden, und dann denke ich auch noch an die netten Warnungen, mir bloß keine Drogen ins Gepäck schmuggeln zu lassen, und ein kaum befüllter Rucksack, der unverschlossen durch den Flughafen wandert ist doch sicher ganz toll geeignet, um noch ein paar Drogen hineinzupacken. Ich könnte mich schwarzärgern, ich bin doch kein Anfänger, warum habe ich meinen Rucksack nicht nochmal beim Packen ausgeräumt, ich hatte doch alle Zeit der Welt!
In einer solchen emotionalen Notfallsituation hilft natürlich nur Nervennahrung. Mit einer sündhaft teuren Tafel Rittersport setze ich mich erst mal und sortiere meine Gedanken. Ja, es war einfach nur dämlich, das Messer im Rucksack zu lassen, aber ansonsten kann ich mich nicht beschweren. Das Personal hat ja wirklich alles getan, damit ich blöde Touristen dadurch keine Nachteile habe. Das Handy wird sich nach der Ankunft sicher wieder im Rucksack finden, die kleine Lumix ist in ihrer Hülle gut verpackt, außerdem habe ich eine Fleeceweste im Rucksack, die Stürze sicher abdämpfen wird. Und warum um alles in der Welt sollte jemand im Flughafen mir Drogen ins Gepäck schmuggeln? Also versuche ich, ruhig durchzuatmen und schreibe schon mal mein Reisetagebuch weiter. Alles wird gut.
Der Flug startet dann überpünktlich, das Flugzeug ist halbleer und ich habe eine Dreier-Reihe für mich alleine. Im Flughafen habe ich mir noch schnell einen Kugelschreiber gekauft, weil mir eingefallen war, dass Arrival- und Departure-Cards und die Zollerklärung auszufüllen sind, und mein Kugelschreiber ist ja in meinem Rucksack. Der eineinhalbstündige Flug vergeht dann tatsächlich wie im Flug. Und als ob Vietnam Airlines ahnen würden, dass ich gerade eine Seelenmassage brauche, bekomme ich auf Nachfrage die kuscheligste Decke, die ich je in einem Flugzeug gesehen habe und als Snack wird ein Brötchen mit Salami serviert. Salami! Wurst! Jaaaa......
Außerdem reisst bald die Wolkendecke auf und ich kann ein paar Fotos machen.
Als wir uns dann Siem Reap nähern, bin ich erst mal geschockt. Wasser wohin man schaut. Ich habe keine Ahnung, ob das der normale Wasserstand des Tonle-Sap-Sees nach der Regenzeit ist, denn der See tritt in dieser Zeit weit über die Ufer, oder ob es sich doch um Überschwemmungen handelt.
Wir landen überpünktlich in Siem Reap, und weil ich schon im Internet ein E-Visa bekommen habe, kann ich direkt zum Officer gehen. Und dort läuft alles plötzlich sehr vertraut ab. „Four fingers right hand“, heißt es plötzlich, und ich drücke brav die Finger, den Daumen und dann die linke Hand auf das Display. Hm, haben die hier ihre Einreisekontrolle von den USA übernommen? Zum Glück wird das ganze nicht von einer peinlichen Befragung begleitet, und so kann ich zwei Minuten später schon am Gepäckband auf meinen Koffer und meinen Rucksack warten.
Und da kommt er auch schon: Mein Rucksack. Er ist hier, er ist unbeschädigt, die Lumix ist drin und beim ersten Nachschauen finde ich auch sofort mein Handy. Glück gehabt. Der Koffer kommt auch schon bald, und so passiere ich schon um fünf Uhr, fünf Minuten vor der geplanten Landezeit, den Zoll, gehe durch die Tür und sehe auch sofort ein Schild mit meinem Namen und den dazugehörenden Fahrer des Empress Angkor Hotels, wo ich die nächsten 5 Nächte residieren werde.
Ein ganzer Kleinbus nur für mich, und ein paar Minuten später kommen wir auch schon im Hotel an. Wow! Ein Palast in dunklem Holz mit Kronleuchter über der Lobby und vielen dienstbaren Geistern, die mir Erfrischungstücher und Willkommens-Drinks bringen, für mich die Eincheck-Prozedur erledigen, mich auf einen ersten Rundgang zum Hotelpool führen, mir das Zimmer erklären und schließlich den Koffer bringen. Wow.
Ich überlege, ob ich gleich mal in den Pool springe, aber es dämmert schon, und außerdem habe ich gerade beschlossen, den Rest des Tages faul zu sein. So schreibe ich ein paar E-mails nach Hause und gehe schließlich um sieben Uhr in das hoteleigene Restaurant. Auf den Schreck von heute nachmittag bin ich entschlossen, mich zu verwöhnen und viel viel Geld auszugeben. Verwöhnen kann ich mich beim Abendessen wirklich. Es gibt ein Buffet für 16 Dollar, das von leckeren Salaten und Suppen über Khmer-Gerichte, eine Pasta-Station bis hin zum Früchte- und Kuchenbüffet alles bietet. Und alles, was ich probiere, schmeckt richtig gut. Besonders das Nachtisch-Büffet hat es mir angetan. Die Kuchen und Cremes sind nicht zu süß, sondern genau mein Geschmack.
Was allerdings etwas gespenstisch ist, ist die Tatsache, dass ich etwa eine halbe Stunde lang, nachdem eine größere Gruppe das Restaurant verlassen hat, mit etwa 15 Kellnern und Köchen alleine im Restaurant bin, und immer wieder gefragt werden, ob es denn gut schmecke, und ob ich noch etwas wollte, und wo ich denn herkäme und ob ich schon gesehen habe, dass es auch noch Chicken gibt etc. Der Restaurantchef höchstselbst streut mir den Parmesan über die Pasta. Ich fühle mich ja schon fast verpflichtet, alles zu probieren, aber ich merke sowieso schon, dass ich fast platze. Als schließlich noch eine Gruppe ins Restaurant kommt, bin ich erleichtert, zahle meine 19,60 Dollar inkl. Tiger-Beer und wanke noch kurz hinaus zum Pool, bevor ich mich aufs Bett wuchte und mich frage, wie viel ich schon zugenommen habe und wie viel ich wohl noch zunehmen werde.
Vielleicht kann ich wenigstens morgen meine Kalorienbilanz etwas aufhübschen. Denn morgen wird geradelt.
Gute Nacht!