20.03. Nara: Todai-JiTempel, Kasuga-Taisha SchreinHeute klappt der Weckruf mal wieder. Pünktlich um 7:15 klingelt das Telefon. Ich nehme ab und am Ende schreit eine viel zu hohe Frauenstimme „Wake up call“. Es soll nicht das schlimmste in diesem Urlaub bleiben, was einen morgens auf die Nerven gehen kann. Um 7:30 beschließen wir dann, auch tatsächlich mal aufzustehen und erscheinen nach einem ausgiebigen Frühstück als zweitletzte gerade noch so pünktlich zur Abtrabzeit. Und wer kommt deutlich zu spät? Roland.
Er hat sich tatsächlich für den gestrigen Gruppenverlust aufraffen können, eine kleine Entschuldigung anzustimmen, aber direkt wieder der erhobene Zeigefinger, ab jetzt geht immer einer der Gruppenleiter vor der Gruppe und einer ganz am Ende. Und bei Bussen und Bahnen wird sich in zwei Reihen aufgestellt und durch gezählt und erst, wenn er „grünes Licht“ ruft, sollen wir einsteigen. Zu Befehl, Papa. Das war es jetzt also mit der locker flockigen Art.
abgestützter Baum in Nara |
Da es draußen noch immer regnet, kaufe ich mir an der Rezeption für umgerechnet etwa 5€ einen neuen Schirm und schon kann es trocken zur U-Bahn gehen. Und wie praktisch, heute werden wir wieder Kyoto für einen Tagesausflug verlassen, müssen aber nicht einmal umsteigen. Der Regionalzug nach Nara fährt mit der Kyotoer-U-Bahn durch dieselbe Röhre.
Zuerst besichtigen wir das Nationalmuseum, weil wir die Hoffnung haben, es könnte ab Mittag aufziehen und wir so nur den Morgen in geschlossenen Räumen verbringen brauchen. Glücklicherweise steht kein englischsprachiger Führer zur Verfügung, so können wir in unserem eigenen Tempo durch das Museum laufen.
Ich als anerkannter Museumsmuffel bin da schnell durch, warte noch auf Mel und schon verdrücken wir uns klamm heimlich.
Natürlich laufen wir direkt Roland in die Arme, aber statt einer Schelte, wir mögen doch bei der Gruppe bleiben, hat er wohl doch schon realisiert, dass wir beiden uns schon nicht verlaufen werden und so gibt er uns sogar noch Tipps, was wir mit unserer freien Zeit anfangen können. Am besten, wir sollen zum Kasuga-Taisha Schrein hinüber, da findet gerade eine shintoistische Hochzeit statt.
Welcher Religion gehören eigentlich die Japaner an? Fragt man so etwas einen Japaner direkt, wird man meist eine Antwort bekommen, dass sie eigentlich keiner Religion angehören, aber bestimmte Festlichkeiten nach bestimmten Ritualen feiern. So gibt es z.B. ein Pendant zu unserer Taufe, das allerdings mehrmals wiederholt wird im Alter von 1,3,5 und 7 Jahren. Geheiratet wird meist nach den Lehren des Shintoismus, denn der Shintoismus befasst sich mit einem erfüllten Leben, mit der Gegenwart. Begraben wird man allerdings meist nach Buddhistischen Ritualen, denn der Buddhismus beschäftigt sich mit dem Leben nach dem Tod. Also haben die Japaner mal wieder für alles eine praktische Lösung gefunden.
Ob ein Schrein buddhistisch oder shintoistisch ausgelegt ist, erkennt man als Laie am einfachsten am Eingangstor. Befindet sich zwischen den Säulen in der Mitte ein dritter senkrechter Balken, handelt es sich um den Buddhismus.
Laternen auf dem Weg zum Kasuga-Taisha Schrein | Laternen auf dem Weg zum Kasuga-Taisha Schrein |
Auf dem Weg zum Kasuga-Taisha Schrein passieren wir eine Allee voll mit japanischen Steinlaternen. Mir schwant, hier werden wir heute mit der Gruppe noch mal entlanglaufen, aber so lange wird sich die Hochzeitsgesellschaft sicher nicht aufhalten, also nehmen wir diese Dopplung gerne in Kauf.
Laternen auf dem Weg zum Kasuga-Taisha Schrein |
Außerdem haben wir so auch die Chance, in Ruhe alles zu fotografieren, ohne hinter der Gruppe her hechten zu müssen oder ständig zu warten, bis Reinhold endlich aus dem Bild verschwunden ist. Auch das ein Nachteil von Gruppen, dass immer einer dabei sein muss, der selber immer das optimale Motiv sucht, dafür aber zig anderen vor die Linse läuft.
Am Kasuga-Taisha Schrein müssen wir Eintritt zahlen, bekommen dafür aber auch etwas geboten. Der Schrein liegt idyllisch im Wald und ist ebenfalls mit vielen unterschiedlichen Laternen geschmückt. Hier gibt es sogar einen Baum, der quer über einen Weg gewachsen ist sowie einen anderen, der durch ein Haus führt.
Neben einem kleinen Wasserlauf finden wir dann auch schon das Brautpaar. Die Zeremonie selbst ist wohl vorüber und es werden nur noch Fotos an verschiedenen Stellen geschossen. Mit Familie, ohne Familie, mit Hirschen im Hintergrund, mit Kirschbäumen…
Shintoistische Hochzeit im Kasuga-Taisha Schrein | Shintoistische Hochzeit im Kasuga-Taisha Schrein |
Für jedes neue Motiv wird stets alles perfekt arrangiert. Zwei Helferinnen sind ständig bemüht, das Kleid der Braut korrekt zu legen, jede Falte auszubügeln und den Haarschmuck neu zusammenzustecken.
Wie war das eben? Hirsche? Zufall? Keineswegs, denn Hirsche gibt es in Nara genügend und sind sowohl eine kleine Plage als auch ein Wahrzeichen von Nara, denn man glaubt, die ersten Menschen kamen auf diesen Tieren in die Stadt geritten und seitdem sind die Tiere heilig und dürfen sich überall aufhalten, was sie natürlich schamlos ausnutzen, aber sich meist dort befinden, wo sie von Touristen gefüttert werden.
Brunnen vur dem Kasuga-Taisha Schrein |
Zurück am Nationalmuseum, sehen wir in die gelangweilten Gesichter derer, die ohne Führung mal wieder keinen Schritt vom Treffpunkt gemacht haben. Selber Schuld, müssen sie sich jetzt halt anhören, was wir so alles gesehen und erlebt haben.
Der Regen hat inzwischen auch aufgehört, also steht nichts mehr im Wege, dem Todai-ji Tempel einen Besuch abzustatten. Wir bahnen uns unseren Weg zwischen den Hirschen hindurch und verweilen vor dem großen Eingangstor, um einiges über den Tempel zu erfahren.
Hirsche in Nara begrüßen unsere Gruppe auf ihre Art |
Michaela hat inzwischen Kekse für die Hirsche gekauft, die sie nun an die Gruppe verteilen will, damit wir die Tiere füttern können. Das geht den Hirschen aber nicht schnell genug. Sie haben die Witterung schon aufgenommen. Je höher Michaela die Kekse hält, desto höher schnappen auch die Hirsche. Andere versuchen, ihre Handtasche anzuknabbern. Endlich versetzt ein Hirsch Michaela einen Schlag von hinten, sie lässt die Kekse fallen und wir sind die Tiere los.
Alle Aufmerksamkeit ist natürlich von diesem Vorfall abgelenkt, so dass wir nur mit einem Ohr mitbekommen, dass der Todai-ji Tempel das mit 48m Höhe höchste Holzhaus der Welt beherbergt, worin sich die mit 15m höchste bronzene Statue Japans befindet. Insgesamt zweimal ist das Holzhaus abgebrannt und beim letzten Mal hat man es aus Kostengründen auch kleiner als ursprünglich wieder aufgebaut, nämlich nur noch 8 Säulen breit statt anfangs 12.
Haupthaus des Todai-ji Tempel (großer Ost-Tempel) |
Im Innern thront der 15 Meter hohe Buddha, umgeben von einem Kranz kleinerer Buddhas, die alle gleich groß wirken sollen, weshalb die oberen größer ausgearbeitet wurden, um der perspektivischen Verzerrung entgegen zu wirken.
Buddhastatue im Todai-ji Tempel (großer Ost-Tempel) |
Draußen vor der Tür sitzt noch ein kleinerer Buddha, von dem man sagt, nach dem obligatorischen Obolus, einem kleinen Gebet und dann durch Berühren der Statue würde er Schmerzen lindern an der Körperstelle, die man am Buddha berührt hat. Auffallend ist hier nur, der liebe Kerl sitzt etwas erhöht und der Durchschnittsjapaner dürfte höchstens bis zum Knie reichen können, also nix mit Migränebekämpfung.
Tor des Todai-ji Tempel |
Unser heute früh eingeführtes ach so tolles Gruppenverlustverhinderungssystem schlägt schon am ersten Tag fehl, denn ich kaufe mir am Souvenirstand eine kleine Pagode und niemand bemerkt meine Abwesenheit. So kann ich locker flockig noch das Unesco-Weltkulturerbe bestaunen, danach den Touristen vor den Toren beim Plätzchenweitwurf zuschauen und allmählich zur Gruppe aufschließen, wie nicht anders zu erwarten geht es zum Kasuga-Taisha Schrein vorbei an den zahlreichen Laternen. Da wir die Gegend schon kennen, können wir uns nun Zeit nehmen, ein wenig weiter voraus zu laufen und landen „rein zufällig“ in Reinholds Bild. Ach, das tut uns jetzt aber traurig. Wie konnte das nur wieder passieren? Hach, sind wir heute wieder ungeschickt.
Laternen auf dem Weg zum Kasuga-Taisha Schrein |
Das Gruppenmitgliederantiabhängesystem verliert endgültig seine Wirksamkeit, als Roland uns gestattet, schon mal zum Kofuku-ji Tempel vorzulaufen. Wir sollen an der fünfstöckigen Pagode warten. Er hätte zumindest erwähnen können, dass uns dort die mit 50m Höhe zweithöchste Pagode erwartet, denn so etwas übersieht man nicht so leicht und so bleiben wir vor jedem Schrein fragend stehen. Weiter oder doch nicht?
Die Rückfahrt nach Kyoto mit der Bahn verschlafe ich mal wieder, weil ich mich noch immer nicht wirklich an die neue Zeit gewöhnen konnte. Um wie viel lieber sind mir da doch Reisen in Richtung USA, denn mit der Zeitumstellung Richtung Westen habe ich nicht die geringsten Probleme.
Wir erreichen den Hauptbahnhof von Kyoto, wo unser offizielles Programm endet. Wieder erstaunte Gesichter: „Und wie kommen wir zurück zum Hotel?“ Man erklärt den Weg per U-Bahn, aber ich bin sicher, viele werden einfach der Reiseleitung hinterher dackeln oder sich ein Taxi nehmen und den Abend auf dem Zimmer verbringen. Sollen sie ruhig. Mel und ich sind gepackt von Unternehmenslust.
Bahnhof von Kyoto |
Zuerst geht es noch als Gruppe hinauf zur Aussichtsplattform am Bahnhof, wo man weit oben hinter getönten Glasscheiben einen wunderschönen Ausblick auf den Bahnhof hat, wo alle paar Minuten ein Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszug ein- und ausfährt. Im Vordergrund wuseln noch viele bunte Regionalzüge herum, von hier oben wirkt alles wie auf einer Modellbahnanlage.
Bahnhof von Kyoto | Shinkansen-Begegnung am Bahnhof von Kyoto |
Der Bahnhof wurde 1994 zur 1200 Jahrfeier eröffnet, ein absolut imposantes und architektonisch interessantes Gebäude und ich frage mich die ganze Zeit nur, wieso hat es hier 1994 mitten in der Stadt ein so großes freies Areal gegeben?
Wir warten noch ein paar Shinkansen ab und fahren mit den zig Rolltreppen wieder runter zum Erdgeschoss und laufen rüber zum Kyoto-Tower. Brav warten wir an der Ampel, bis sie grün zeigt und um dies auch für Sehbehinderte kenntlich zu machen, ertönt ein Melodie, sobald man gehen darf. Kennt man ja auch aus anderen Städten der Welt, aber müssen die hier eine Art Schlaflied anstimmen? So läuft man doch nur Gefahr, dass die völlig übermüdete Bevölkerung mitten auf der Straße einpennt.
Am Kyoto Tower bezahlen wir die beiden Tickets gemeinsam, aber die Kassiererin bekommt es tatsächlich hin, von sich aus die Situation zu begreifen und getrennt Wechselgeld zu geben. Ein Wunder, sagt man den Japanern doch sonst Unflexibilität nach.
Oben an der Aussichtsplattform angekommen, muss man sich erstmal orientieren. Wo sind wir denn überhaupt? Ok, auf einem 131 Meter hohen Turm mitten in Japan, im Land der untergehenden Sonne. Das meinte ich aber nicht.
Ich glaube, da hinten ist der kaiserliche Palast, dann ist da auch unser Hotel. Das müsste Norden sein. Rechts daneben Richtung Berge das Gion Viertel, also Osten. Gegenüber im Westen müsste dann der Kinkakuji liegen. Hey, das ist ja gar nicht so schwer.
Ausblick vom Kyoto Tower Richtung Süden |
Wir machen viele Fotos und zeigen sie uns gegenseitig stolz, als wir bei McDonald’s zu Abend essen. Nach dem langen Tag bleibt es auch nicht aus, mal das stille Örtchen zu besuchen. Gar nicht so einfach, denn die Armaturen hängen ganz schön niedrig und man muss schon gut zielen können.
Und still ist das Örtchen meist auch, denn Wasserrauschen hört man höchst selten: Kaum ein Japaner wäscht sich die Hände. Igitt! Die rennen wirklich hinter mir vorbei, als ich mich am Waschbecken abkämpfe. Und nicht nur einer, sondern eine Horde. Zielen die besser und machen sich nie die Hände schmutzig? Immerhin, es ist ja auch unhöflich, sich zu Tisch die Nase zu putzen, sondern man zieht lieber hoch, also kein Kontakt der Hände mit dem Gesicht. Außerdem werden Speisen alle mit Stäbchen gegessen und sich verbeugt und nie die Hand gereicht. Gibt es hier etwa auch einen Zusammenhang?
Zum Abschluss des Tages wollen wir noch mal ins Gion Viertel. Man sagte uns, wir sollen Linie 202 oder 105 nehmen, doch der eine Bus fährt nicht am Bahnhof ab und der andere nicht mehr so spät abends. Also ist Eigeninitiative gefragt, aber inzwischen kennen wir uns ja aus. Auch die Ausstiegshaltestelle ist trotz Dunkelheit leicht gefunden, den Yasaka-Schrein kennen wir ja mittlerweile aus dem Eff-Eff. Sogar, wo genau hinter der Kreuzung der Bus halten wird.
Straße im Gion-Viertel in Kyoto |
Das Gion-Viertel hat neben der belebten Hauptstraße eine nette versteckte Altstadt zu bieten, angelegt in vielen verwinkelten Gassen. Die meisten Häuser sind im traditionellen Baustil aus Holz gefertigt, besitzen Vorhänge und Schiebetüren an den Eingängen, im Wind wedelnde Papierlaternen, Blumenschmuck und so manche schöne Verzierung.
Wir besuchen auch den Yasaka-Schrein ein zweites Mal. Diesmal erleben wir, wie der Jahrmarkt abgebaut wird, das große Gebäude vor dem Schrein im Schein von Dutzenden Laternen erstrahlt und die Anlage leer und friedlich wirkt, zum ersten Mal wie ein wirklich heiliger Ort.
Laternenhaus neben dem Yasaka Schrein in Kyoto |
Durch den Maruyama Park mit seinen angestrahlten Skulpturen erreichen wir die große Glocke des Chion-in Tempels und auch das große hölzerne Tor, doch diese sind nicht beleuchtet, aber dennoch auch im Abendschein imposant und völlig leer. Ein magischer Moment für uns alleine.
Warum sind die meisten Tore eigentlich aus Holz? Laut Rolands Aussage wegen der Erdbebensicherheit. Steine könnten herunterkullern, Holzbalken sich zwar biegen, aber bei kleineren Beben stehen bleiben.
Und Beben gibt es eine ganze Menge. Einige aus der Gruppe meinen sogar, schon während der Reise beim Gang durch verschiedene Innenstädte leichte Erdstösse gefühlt zu haben, aber ich als Eisenbahnfan meine hingegen, die Erschütterungen wären jeweils auf die U-Bahnen zurückzuführen, weil von solchen Vorkommen immer nur berichtet wurde, wenn die Straße untertunnelt war.
Zurück durch den Maruyama Park sind nun auch die Lichter der Kunstwerke erloschen. Auch der Bach fließt wieder in Frieden dahin und wird nicht durch Hunderte in Bambusröhren versenkte Teelichter beleuchtet. Was ein Aufwand, die alle abends anzuzünden. Was sind sie von Beruf? „Teelichtanzünder“.
Zurück im Hotel haben wir eine Menge Eindrücke gewonnen, die vielen aus der Gruppe verwehrt geblieben sind. Und wir haben bewiesen, man kann auch spontan kreuz und quer durch eine japanische Stadt mit dem Bus fahren, wenn man gewisse Fixpunkte einmal kennt und auch das System begriffen hat.
Übernachtung: The Palace Side Hotel - Kyoto
Bewertung: Gut!
Kommentar: geräumige Zimmer, großes Frühstücksbuffet, zentral gelegen