Guten Morgen allerseits,
nachdem wir uns zu Beginn unserer Reise das chilenisch-argentinische Seengebiet angeschaut haben und danach die Regenwälder der chilenischen Fjordlandschaft, geht es jetzt in eine komplett andere aber dennoch sehr faszinierende Landschaft. Mitten in der Einöde sehen wir dort viele Tiere (darunter übrigens auch ein Exemplar einer Meerschweinchenart...) und einen sehr interessanten Ort, der als UNESCO-Wetkuturerbe geschützt ist. Viel Spaß!
6.11.2011: Chile Chico - Cueva de las ManosWir stehen früh auf und frühstücken um acht Uhr. Das Pferd steht übrigens immer noch vor dem Fenster. Wir verabschieden uns von der Wirtin und verlassen diese schöne Unterkunft wieder. Das Wetter ist wieder recht gut, auf dem blauen Himmel zeigen sich lediglich vereinzelte Wolken. Außerhalb von Chile Chico verläuft die Straße zunächst ein kurzes Stück schnurgerade nach Osten, dann knickt sie um neunzig Grad nach Süden ab, und umfährt so das breite Delta des Rio Los Antiguos. Wir kommen zur chilenischen Grenzstation, einem nagelneuen und riesengroßen Gebäude, in dem sich außer den Grenzbeamten und uns niemand zu befinden scheint. Nach weniger als zehn Minuten sind wir auch schon aus Chile ausgereist und fahren weiter. Die Straße biegt wieder nach Osten ab, der Fluss wird überquert und weiter geht es Richtung Norden, zurück zum See und zur argentinischen Ortschaft Los Antiguos. Der See heißt hier übrigens Lago Buenos Aires, ist aber trotzdem noch der zweitgrößte See Südamerikas. Nach einigen Minuten befürchten wir schon fast, auf irgendeine verrückte Art und Weise die argentinische Grenzstation verpasst zu haben und nun in einem undefinierten Status unterwegs zu sein. Doch glücklicherweise bekommen wir doch noch Gelegenheit, uns die fehlenden Stempel abzuholen. Die Argentinier haben ihre Kontrollstation lediglich relativ nah an die Ortschaft gesetzt. Auch hier ist das Gebäude sehr neu und wir werden in Rekordzeit abgefertigt. Dieses Mal will auch niemand unser Gepäck durchwühlen. Wir bekommen keine argentinische Einreisekarte, auf explizite Nachfrage hin wird uns gesagt, diese sei nicht nötig. Wir erinnern uns, im Reiseführer davon gelesen zu haben, dass die Argentinier die Sache mit der Einreisekarte nicht ganz so streng sehen - ganz im Gegensatz übrigens zu den Chilenen. Christel, die Wirtin vom Club los Ulmos bei Pucon hat uns in düsteren Bildern ausgemalt, was passiert, wenn wir unsere chilenischen Einreisekarten verlieren. Dann hat sie ein Tesaband geholt, und unsere Karten im Pass festgeklebt, um möglichem Unheil vorzubeugen. Wir sind sehr auf die Ausreise aus Argentinien in ein paar Tagen gespannt und darauf was passiert, wenn wir mit Stempel aber ohne Einreisekarte dort auftauchen.
Los Antiguos ist ein adrettes kleines Städtchen. Waren auf chilenischer Seite die Gebäude hauptsächlich aus Holz gebaut, herrschen hier Steingebäude vor. Diese sind aber genau so schön bunt angemalt wie ihre Kollegen jenseits der Grenze. Wir suchen den örtlichen Bankautomaten und stocken unsere Vorräte an argentinischen Pesos etwas auf. Unser Auto freut sich auch, bekommt es doch ein paar Liter Diesel zum Trinken. Direkt am Ortsausgang von Los Antiguos kommen wir an einem interessanten Denkmal vorbei: Einer großen Hand, die zwei Kirschen hält. Kirschen in Patagonien? In der Tat, in dem Talbecken von Los Antiguos herrscht ein sehr mildes Mikroklima. Hier wachsen neben Kirschen auch Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren und Äpfel. Die Stadt gilt als Hauptstadt des argentinischen Kirschenanbaus. Vom Kirschdenkmal aus haben wir auch einen schönen Blick auf den Lago Buenos Aires, zum vorerst letzten Mal.
Kirschendenkmal am Ortsausgang von Los Antiguos. Was sich gestern schon angedeutet hat findet nun nämlich mit voller Gewalt statt: Der Wechsel des Landschaftstyps vom dichten Regenwald auf der chilenischen Seite der Anden zur kargen und trockenen Steppe in Argentinien. Kaum zu glauben, dass wir gestern noch an metergroßen Pangueblättern vorbei gefahren sind. Die Landschaft, durch die wir nun rollen ist zwar sehr trist aber gerade deswegen wunderschön. Es ist hügeliger als erwartet und immer mal wieder ergibt sich von einer Anhöhe doch noch ein kurzer Blick auf den Lago Buenos Aires. Kurz nach dem östlichen Ende des Sees kommen wir zur Ortschaft Perito Moreno. Die Häuser dieser Ortschaft gruppieren sich um eine große und wichtige Straßenkreuzung. Die allerwichtigste der hier zusammentreffenden Straßen ist natürlich die Ruta 40, jene legendäre Straße, die auf 5224 Kilometern Argentinien von Norden nach Süden komplett durchquert. Waren wir bisher weiter in Norden auf asphaltierten Abschnitten der Ruta 40 unterwegs gewesen, so steht nun der Ritt durch die patagonische Steppe auf dem Programm, über viel Gravel und keiner Tankstelle über viele hundert Kilometer. Unser Pick Up mit seinem Dieselmotor hat sich im bisherigen Verlauf der Reise als äußerst genügsam erwiesen. Nachdem wir in Perito Moreno direkt an einer großen Tankstelle vorbei kommen, nutzen wir diese Gelegenheit, um dennoch ein paar Tropfen nachzufüllen. Der Tankwart reagiert ob der kleinen Menge nachzufüllenden Sprit etwas verwundert, aber das soll uns egal sein.
Und auf einmal sind wir in trockener Steppe unterwegs. Argentinische Steppe, Ruta 40 und unser Pick Up. Zunächst ist die Ruta 40 noch asphaltiert und wir kommen gut voran. Wir sind nun wirklich in der Steppe angekommen. Die karge Landschaft entlang der Straße erinnert entfernt an Gegenden irgendwo in North oder South Dakota. Andererseits kommen auch andere Einflüsse mit ins Spiel: Nach einigen Kilometern sehen wir links in einiger Entfernung von der Straße interessant gefärbte Hügelstrukturen, eine Art Painted Desert, die sich so ähnlich auch irgendwo in Australien befinden könnte. Wir halten an und laufen ein wenig herum, um die Wüste und die gefärbten Dünen näher anzuschauen. Dabei stolpern wir fast über eine interessant geformte Echse, die uns neugierig anschaut. Wie wir später erfahren, handelt es sich dabei um einen Matuasto, eine hier in der Wüste heimische Echsenart.
Painted Desert in der argentinischen Steppe. Ein Matuasto. Die Anzahl der Wolken nimmt leider immer mehr zu. Nur wenige Kilometer nach unserer Begegnung mit dem Matuasto biegen wir nach links auf einen kleinen gegravelten Feldweg ab. Diesem folgen wir für etwas mehr als vier Kilometer, bis wir die Estancia Cueva de las Manos erreichen, wo wir für die kommende Nacht ein Zimmer vorgebucht haben. Wir werden herzlich von Bruno, dem Eigentümer begrüßt. Er scheint die Estancia relativ frisch übernommen zu haben. Es wird an allen Ecken und Enden frisch renoviert und gepinselt. Der erste Eindruck ist sehr positiv und deckt sich überhaupt nicht mit negativen Berichten, die wir im Internet über diese Estancia gelesen haben - damals aber wohl noch unter anderer Führung. Wir checken ein, lassen uns die Zimmer zeigen und planen dann für die zweite Hälfte des Tages: Wir wollen uns die Cueva de las Manos anschauen, Höhlen bzw. Felsnischen, in denen sich von der UNESO als Weltkulturerbe geschützte prähistorische Felsmalereien befinden. Die Cueva de las Manos lässt sich entweder von Bajo Caracoles - ein gutes Stück weiter südlich an der Ruta 40 gelegen - aus mit dem Auto erreichen. Das würde bedeuten, mehr als 40 Kilometer one way auf einer Schotterpiste direkt zu den Felsmalereien zu fahren. Diese befinden sich an der Südseite des Cañon Rio Pinturas, eines 150 Kilometer langen und tief eingeschnittenen Flusstals. Neben der offiziellen Anfahrt zu den Malereien gibt es aber noch eine zweite, erheblich interessantere Anreisevariante: Eine direkt an unserer Estancia beginnende 19 Kilometer lange Piste führt auf ein Hochplateau und direkt an die Nordseite des Cañon Rio Pinturas. Den verbleibenden Weg zur Cueva de las Manos muss man zu Fuß zurücklegen. Die Berichte, die wir im Internet zu dieser Wanderung gefunden haben, hören sich allesamt recht abenteuerlich an. Das ist doch genau das richtige für uns.
Wir lassen uns von Bruno eine genaue Wegbeschreibung geben und brechen auf. Die kleine Piste ist mit unserem Pick Up problemlos zu bewältigen. Hinter der Estancia geht es zunächst ein bisschen bergauf, bis wir die Hochebene erreichen. Hier kommen wir an diversen kleinen Salzseen vorbei, in denen wir jede Menge Flamingos sehen. Etwas später kommen wir an unseren ersten Guanacos vorbei. Diese wildlebende Kamelart mit ihrem schön rötlich-weiß gefärbten Fell ist typisch für Patagonien und ist die Urform des domestizierten Lamas. Da die Guanacos, denen wir heute begegnen, allesamt ein wenig schüchtern sind, bekommen wir ausreichend Gelegenheit, zunächst ihren typischen Blick zu studieren. Dieser lässt sich am ehesten mit einer Mischung aus neugierig und ein wenig doof beschreiben. In der Folge, wenn die Tiere nämlich vor uns Reißaus nehmen, sehen wir auch die interessante Art, mit der sich Guanacos fortbewegen. Die Schrittfolge ist irgendwie anders synchronisiert als bei den Tieren, die wir aus Europa gewohnt sind und in der Folge sieht das ganze recht staksig aus.
Salzeee mit Flamingos südlich der Estancia Cueva de las Manos. Unsere ersten Guanacos. Bevor wir die Kante des Canyons erreichen, kommen wir an jeder Menge sehr interessant aussehender Gesteinsformationen vorbei. Als wir unser Auto abgestellt haben geht unser erster Blick zu der ein wenig unterhalb von uns gelegenen Rangerstation der Cueva de las Manos auf der anderen Seite des Flusstals. Das schaut gar nicht so weit aus... Unser zweiter Blick geht Richtung Himmel. Dieser ist inzwischen dunkelgrau und es tröpfelt leicht. Sollen wir das Risiko eingehen loszuwandern? Wir entscheiden uns nach kurzer Beratung dafür. Nach der äußerst nassen Erfahrung am Ventisquero Yelcho vor vier Tagen sind wir dieses Mal aber klug genug, unsere Regencapes mit einzupacken. Ein kleines Schild weist zum über die Talkante führenden Weg. Dieser ist überraschend gut in Schuss, so dass wir schnell voran kommen. Zunächst geht es über enge Serpentinen, später direkt abfallend entlang der Kante des Hangs. So haben wir die 200 Höhenmeter bis zum Rio Pinturas in nur wenigen Minuten zurück gelegt. War die umgebende Steppe noch karg und trocken so sorgen hier das Flusswasser und der Schatten der steilen Talwände für eine gänzlich andere Vegetation: alles ist sehr grün und um den Fluss herum wächst ein lichtes Laubwäldchen. Ein wenig flussabwärts kommen wir zu einer lustigen Stahlhängebrücke über den Rio Pinturas. Danach geht es auf der anderen Talseite wieder bergauf, unterstützt durch einige Holztreppen. Wir schauen auf die Uhr und sind baff erstaunt. An den Cuevas finden stündlich Führungen statt und wir hatten eigentlich die Führung um zwei Uhr eingeplant. Nun ist es allerdings zehn Minuten vor eins. Wir beschleunigen unseren Schritt ein wenig und schaffen es tatsächlich, etwas mehr als einer Stunde nach Abmarsch am Auto an der Rangerstation einzutreffen. Es ist zwei Minuten nach eins und wir werden prompt gefragt, ob wir noch bei der Ein-Uhr-Führung mitmachen wollen. Bingo!
Blick über den Cañon Rio Pinturas auf die Rangerstation der Cueva de las Manos. Der Cañon Rio Pinturas. Außer uns sind keine Gäste da, so dass wir in den Genuss einer Privatführung kommen. Unser Guide heißt Natalia und obwohl wir uns bisher mit unseren bescheidenen Spanischkenntnissen recht gut durchgeschlagen haben, sind wir froh, dass sie englisch spricht. Begleitet werden wir außerdem von Natalias Hund, der fröhlich den Weg entlang springt, mal vor uns, mal hinter uns. Die Cuevas liegen in halber Höhe der Canyonwand in natürlichen Alkoven und sind über einen etwa einen Kilometer langen Fußweg von der Rangerstation aus zu erreichen. Von hier aus bieten sich auch schöne Blicke in das grüne Tal des Rio Pinturas. Der Weg führt über einige Holztreppen immer mal wieder ein wenig bergauf und bergab. Unter einer diese Treppen sehen wir ein buschiges graues Nagetier ohne Schwanz weghuschen. Spätere Recherche in unserem Naturführer lässt uns zu dem Schluss kommen, dass es sich dabei um ein Zwergmeerschweinchen gehandelt hat.
Historische Felsmalereien in der Cueva de las Manos. Die Handabdrücke sind erstaunlich gut erhalten. Hier wirkten die Alkoven als perfekter Schutz vor der Sonnenstrahlung und Wasser. Wie werden fast erschlagen von der Vielzahl an Händen in allen Größen und Farben. Wir sehen sogar eine Hand mit sechs Fingern. Wie schon bei Cerro Castillo gibt es positive und negative Handabdrücke. Im Vergleich zu den 3000 Jahre alten Malereien am Monumento Nacional Manos de Cerro Castillo decken die Handabdrücke hier einen viel größeren Zeitbereich ab: Die ältesten Hände sind 7000 Jahre alt, die neuesten Malereien dagegen gerade mal 1000 Jahre - dabei handelt es sich auch nicht mehr unbedingt um Hände: Natalia zeigt uns viele geometrische Muster und andere Formen. Es gibt auch einige Jagdmotive. Einige Spuren sind noch deutlich neuer als 1000 Jahre: Vandalen haben Steine mit Malereien aus der Wand gebrochen und an einer Stelle wurde mit Hilfe einer Sprühdose tatsächlich eine neuzeitliche Variante der negativen Handabdrücke angelegt.
Historische Felsmalereien in der Cueva de las Manos. Nach etwas mehr als einer Stunde sind wir wieder zurück am Eingangshäuschen, wo wir uns von Natalia verabschieden und uns zum Abschluss noch die schön gestaltete Ausstellung anschauen. Ehe wir uns auf die Rückwanderung zu unserem Auto machen, freunden wir uns noch kurz mit der Katze der Ranger an. Inzwischen sind einige andere Gäste aus Richtung Baja Caracoles mit dem Auto eingetroffen. Wir dagegen treffen auch auf dem Rückmarsch keine Menschenseele. Immerhin: Kurz nachdem wir losfahren, kommt uns auf der schmalen Piste tatsächlich ein Auto entgegen. Auf der Rückfahrt sehen wir wieder viele Flamingos und Guanacos. Auf einmal hüpft einige Meter vor uns ein kleines dunkles Wesen auf die Straße und läuft vor uns her. Da das Tier nicht auf die Idee kommt, nach links oder recht auszuweichen, tritt Dirk einmal ganz kurz auf das Gaspedal, um näherzukommen. Dann eine abrupte Bremsung, wir springen raus und schauen uns an, was da vor uns herläuft: Es handelt sich um ein Pichi, ein Zwerggürteltier. Entgegen unserer Erwartung macht das Tier keinerlei Anstalten, sich einzubuddeln oder einzurollen. Im Gegenteil: Obwohl es ohne Probleme weglaufen könnte, läuft es nur ein wenig nach links und rechts, so als ob es für uns posen wollen würde. Nach einer Weile treten wir den Rückzug zu unserem Auto an und kurz darauf verschwindet das Pichi in die Pampa.
Ein Pichi. Wir fahren zurück in die Estancia. Das Abendessen ist zwar sehr teuer aber auch dementsprechend edel. Dazu gönnen wir uns nach dem schönen Tag eine gute Flasche Weißwein.
Übermorgen geht es weiter...
Schöne Grüße,
Dirk