Freitag, 28. SeptemberDie Nacht war kalt. Ich lag irgendwann frierend zusammengerollt unter der Wolldecke und musste mir noch die Überdecke bis zum Kinn ziehen, um langsam wieder warm zu bekommen. Als ich um sieben Uhr aufwache, ist aber schon die Sonne aufgegangen, und beim Auschecken um halb neun halte ich es schon wieder problemlos im T-Shirt aus.
Heute morgen nehme ich noch an einer Birdwatching-Tour teil, und meine zwei Mitstreiter haben gestern auch schon die Python gesehen, sind also wildniserprobt. Der Ranger lädt uns drei in sein Auto, und dann fahren wir ein paar Stellen an, an denen wir nach Vögeln Ausschau halten.
Um es kurz zu machen: Die Vögel haben heute morgen keine rechte Lust, und dank meiner ausgesprochen Begabung, Wildtiere in den Bäumen nicht zu entdecken, bekomme ich von diesen raren Vögeln eigentlich nur diese beiden halbwegs vor die Linse:
Die Tour ist trotzdem unterhaltsam, vor allem weil sich der Tourleiter selbst als komischer Vogel entpuppt. Ein richtiger Ranger ist er irgendwie nicht, sondern Schreiner, oder zumindest war er Schreiner, ist jetzt aber in Frührente und wohnt hier in den Bergen in einer Art Künstlerkolonie und macht so was wie Kunstschreinern. So zumindest verstehe ich ihn, aber ich habe mit dem Aussie Slang ohnehin so meine Schwierigkeiten. Beispielsweise rätsele ich lange, was es mit der „cow for the chinese“ auf sich hat, über die der Ranger / Schreiner / Rentner berichtet. Zwar musste der Regenwald hier teilweise ausgedehnten Kuhweiden weichen, aber was das mit der schlimmen Bodenvergiftung zu tun hat, bleibt mir lange unklar, bis ich merke: Es ist nicht „cow“ sondern „coal“ for the chinese.
Nach der Tour steuere ich noch zwei Aussichtspunkte an, dann mache ich mich wieder an die steile kurvige Abfahrt ins Tal.
Bis nach Airlie Beach, wo ich die nächsten zwei Nächte bleiben werde, sind es fast 200 km. Das Navi kalkuliert dafür gute zweieinhalb Stunden, der Lonely Planet Reiseführer schweigt sich zu möglichen interessanten Orten auf der Strecke aus (zurecht, wie sich herausstellen wird), so dass ich froh bin, zumindest noch Bilder vom Zuckerrohr und einem der Sugar Cane Trains zu machen, mit dem die Ernte von den Feldern in die Mühlen transportiert wird.
Dann ist Kilometerfressen angesagt, und davon bietet der Bruce Highway heute etwas hundert. Es gibt viele Baustellen, überholen ist nur selten möglich, so dass ich manchmal von hinten bedrängt werde und manchmal selbst hinter einem Wohnmobil festhänge. Insgesamt fährt es sich heute aber schon viel entspannter als vorgestern, als ich mich kaum getraut hatte, auf 100 km/h zu beschleunigen.
Gegen zwei Uhr erreiche ich dann in Airlie Beach die Sunlit Waters Apartments, reiße mir die Kleider vom Leib und stürze mich erst mal in den kleinen Pool, während meine Kleider in der Waschmaschine ein kurzes Bad nehmen dürfen.
Am Nachmittag spaziere ich dann durch Airlie Beach, das einen palmengesäumten Strand und direkt dahinter eine nette künstliche Lagune zu bieten hat.
Ich schaue nach Postkarten, kaufe Briefmarken, studiere das Angebot in einem Didgeridoo-Boomerang-Opal-Laden und stelle ansonsten fest, dass Airlie Beach offenbar tatsächlich, wie im Lonely Planet beschrieben „a drinking town with a sailing problem“ ist. Die Durchgangsstraße wird jedenfalls von Etablissements geäumt, deren Hauptzweck der Alkoholausschank zu sein scheint. Ich habe jetzt auch richtig Lust auf Alkohol, und weil man laut Loney-Planet-Reiseführer auf der Terrasse des Sailing Clubs so schön sitzen kann, marschiere ich auch genau dort hin.
An der Theke werde ich dann gleich auf ziemlich stümperhafte Weise angemacht und kann dem mittelprächtig betrunkenen mittelprächtig aussehenden und leider nur mittelprächtig originellen jungen Mann auf seine Frage, wo ich gedenke, die Nacht zu verbringen, nur antworten, dass ich ziemlich genau wüsste, wo ich die Nacht
nicht verbringe.
Auf der Terrasse des Clubs ist es trotzdem schön. Ich habe zum ersten mal seit dem Abflug in Sydney wieder Handy- und Internetempfang, schreibe ein paar E-mails und melde mich telefonisch zu Hause. Auf dem Rückweg zum Apartment sehe ich dann ein paar Kakadus und Papageien in den Bäumen.
Außerdem kehre ich das erste mal in einem Bottle Shop namens „Thirsty Camel“ ein und kaufe mir ein paar Flaschen„XXXX Gold“, das ich eben schon im Segelclub probiert hatte. Später am Abend wage ich mich dann das erste mal mit dem Auto in der Dunkelheit auf die Straße und gehe in einem Supermarkt in Cannonvale einkaufen. Ein baguetteartiges Brot, Salami und Käse, dazu greife ich mir aus der Theke ein Päckchen mit tasmanischer Butter, weil ich sie so herrlich exotisch finde.
Auf dem Rückweg merke ich erst, was für einen merkwürdigen Radiosender ich vorhin eingestellt habe: Dass ein enthusiastischer Mensch die Vorzüge „seiner“ Kirche anpreist, zu der man immer kommen kann und dafür nicht mal besonders gut angezogen sein muss, hatte ich ja noch als eine merkwürdige Radiowerbung abgetan. Als aber kurze Zeit später ein Pop-Song mit dem Refrain „He gave his body and his blood“ gespielt wird, frage ich mich dann doch, ob ich hier im australischen Bible Belt gelandet bin. Trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – des Lieds über Jesus, der alle meine Sünden auf sich genommen hat, wovon hoffentlich auch die Geschwindigkeitsüberschreitung zwischen Cannonvale und Airlie Beach umfasst ist, komme ich wieder wohlbehalten am Hotel an.
Erst als ich eine Stunde später mit dem Netbook auf der Terrasse vor meinem Zimmer sitze, den Reisebericht weiterschreibe, die Speicherkarten auf das Netbook lade und mein Abendessen genieße, fällt mir ein, dass der Hauptgrund, in den Supermarkt zu fahren, die Suche nach Nähzeug für meine kaputte Wanderhose war. Daran habe ich natürlich nicht gedacht.
Aber was solls, die nächsten beiden Tage sind sowieso keine Wanderungen vorgesehen, dafür kommt endlich meine neue kleine Unterwasserkamera zum Einsatz: Morgen geht’s hinaus zu den Whitsunday Islands, zu einem der weißesten Strände der Welt.
Gute Nacht!