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Autor Thema: "Eisberg voraus!" - Mit dem Schiff ins Nordpolarmeer & nach Grönland Sommer 2010  (Gelesen 29074 mal)

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Rattus

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13. Tag, 02.08.2010
Kaiser-Franz-Joseph-Fjord / Grönland


In der Nacht sind wir wohl gut vorangekommen und auch das Packeis ist weit und breit nicht mehr zu sehen. Mit einem Tag Verspätung kommen wir nun zum Glück doch in Grönland an. Schon bevor wir den Kaiser-Franz-Joseph-Fjord erreichen, schwimmen uns erste Eisschollen und -berge entgegen. Wir haben das schönste nur vorstellbare Wetter mit strahlenstem Sonnenschein. Dick in Jacke und Pullover eingepackt lässt es sich so an Deck ganz gut aushalten. Das Meer ist so glatt, dass man sich fragt, ob das tatsächlich bewegliches Wasser sein soll oder ob da jemand eine Folie gespannt hat.


Je näher wir an den Eingang des Fjordes kommen, desto zahlreicher und größer werden die Eisberge. Bisher läuft alles gut und keiner davon versperrt uns den Weg. Um uns herum ist nur karge, graue Tundra; kein Baum, kein Strauch, keine Wiese. Das ist also Grönland, dessen Name vom Dänischen übersetzt eigentlich Grünland bedeutet. Wenn ich mich hier so umsehen, fällt mir kaum ein unpassenderer Name ein. Es heißt aber, das südliche Grönland sei im Frühjahr und Sommer wunderbar grün und voller blühender Blumen, daher kommt wohl auch der Name. Hier im rauen Ostgrönland ist davon wenig zu spüren.








Immer mehr Eisberge kommen uns entgegen und ich frage mich, wie lange es wohl noch dauert, bis einer so ungünstig liegt, dass wir nicht daran vorbei kommen. Wieder lässt sich die Größe der Eisberge kaum einschätzen, aber zur besseren Vorstellung sei gesagt, dass alle Bilder vom Oberdeck aus aufgenommen sind, welches sich alleine schon in 15 Metern Höhe befindet. Selbst die Eisberge, auf die wir hinunter sehen, können also schon mehrere Meter hoch sein. Viele würden das Schiff bei weitem überragen, wenn man näher heran fahren würde.






Nach einer Weile ruhiger Fahrt kommt das sogenannte Teufelsschloss in Sicht. Dabei handelt es sich um eine 1.340 Meter hohe markante Felsformation, die bereits 1870 bei der zweiten deutschen Polarexpedition beschrieben wurde. Ich stelle fest, dass ich mich auch bei der Einschätzung der Höhe der umliegenden Berge vertan habe. Wenn ich mir vorstelle, dass man hier 1870 mit einem klapprigen Holzschiff bei eisiger Kälte und vielleicht schlechter Sicht entlanggefahren und dann dieser Felsen aus dem Nebel aufgetaucht ist, finde ich die Namesgebung sehr treffend. Hier sieht man das Teufelsschloss links im Bild von vorne...


... und von der Seite.


Laut unserem Expeditionsleiter können wir uns glücklich schätzen, dass wir das Teufelsschloss zu Gesicht bekommen haben, denn Schiffe unserer Größe können nicht oft überhaupt so weit in den Fjord einfahren. Scheinbar hat unsere Pechsträne ein Ende.

Nun kommen vereinzelt zwischen dem grauen Steinboden grüne Stellen zum Vorschein. Hier scheint also doch etwas zu wachsen. Auf den Wiesen erkennt man mit bloßem Auge sehr, sehr weit entfernt winzige schwarze Pünktchen und dank dem Fernglas können wir diese Punkte als Moschusochsen identifizieren. Etwa die Hälfte oder sogar etwas mehr des weltweiten Moschusochsenbestandes lebt in Grönland.
Eine kleine Herde aus drei Tieren steht zunächst scheinbar regungslos da um dann wie von der Tarantel gestochen die Küste entlang zu rennen. Den Grund dafür können wir nicht erkennen, aber es ist ein tolles Schauspiel. Besonders viele Menschen haben die in ihrem Leben sicherlich noch nicht zu Gesicht bekommen - wenn überhaupt - aber wir sind viel zu weit weg als dass wir der Grund für die Flucht sein könnten.




Je mehr Eisberge wir passieren, desto interessanter werden sie. Kennt man sich wirklich damit aus, kann man einiges, auch was die Erdgeschichte betrifft, aus deren Erscheinungsbild und Beschaffenheit ablesen. Eisberge sind z.B. gar nicht immer rein weiß, viele haben schwarze Streifen von Gesteinsablagerungen, manche haben gelbliche Streifen und andere hellblaue. Letzteres kommt davon, dass Teile des Eises zeitweise zu Wasser gescholzen sind, welches anschließend wieder gefroren ist.

An der Oberfläche des Eises sieht man außerdem, ob sich der Eisberg schon gedreht hat oder ob der sozusagen noch ganz frisch herumtreibt. Die, die sich schon oft gedreht haben, wirken glatt und abgeschliffen vom Wasser, die anderen hingegen eher kantig und ungeformt. Einmal will sich ein Eisberg drehen während wir gerade vorbei fahren, überlegt es sich aber leider im letzten Moment doch anders. Diese Exemplare sind mit uns auf gleicher Höhe oder höher, ragen also über 15 Meter aus dem Wasser:






Natürlich gibt es auch hier immer wieder Gletscher zu bewundern.


Nachdem wir so schon mehrere Stunden und etwa die Hälfte durch den Fjord gefahren sind, passiert, was passieren musste. An einer Engstelle liegen zwei große Eisberge so wie es aussieht dicht beieinander und weder links noch rechts davon scheint sonderlich viel Platz zum Vorbeifahren zu sein. Zumindest nicht für ein Schiff von 21 Metern Breite. Über Lautsprecher werden wir informiert, dass der Kapitän dennoch versuchen will, irgendwie an den beiden Eisbergen vorbei zu kommen. Mir scheint fast so, als sei der Kapitän nun vom Ehrgeiz gepackt, aber die Sicherheit geht natürlich vor. Ich bin gespannt, ob wir da durchkommen. Es wäre sicher schade, wenn wir umdrehen müssten, aber ich wäre nicht ganz so enttäuscht wie gestern, da wir bereits jetzt mehr gesehen haben als erwartet.


Die Fortsetzung des heutigen Tages mit der Auflösung folgt in Kürze... :wink:

Gruß
Rattus

stephan65

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Das sieht harmlos aus, wenn man die Brocken da so liegen sieht, kaum vorstellbar, dass 90 % des Klotzes unter Wasser hängt...

RedZed

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wirklich faszinierend!
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SusanW

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Toll, fürs erste hat das daumendrücken geholfen.  :D Fantastische Eindrücke!
Liebe Grüße 
Susan

funny1a

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Hallo Rattus,

wirklich traumhaft schöne Bilder.
Lg
Markus

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usa2008

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Uuuu, so´n bisschen Angst hätte ich ja schon, wenn das Schiff
da so dicht vorbeifährt, dass der Kapitän vielleicht ein bisschen
was übersieht, von dem, was unter der Oberfläche ist :shock:

Ich find´s toll, dass ihr jetzt herrliches Wetter habt und vor allem,
dass die Einfahrt in den Fjord geklappt hat.
Geht´s in Grönland auch noch an Land? Einmal grönländischen Boden
betreten, das wär schon ein kleiner Traum.
Gaby

Angie

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Hallo Rattus,


toll, dass es heute doch geklappt hat, ich hatte schon ernsthafte Bedenken.
Hervorragend finde ich auch deine Erklärungen zu den Eisbergen, wirklich sehr interessant :daumen:

Tja, kommt ihr zwischen den beiden Eisbergen hindurch oder nicht, das ist die Frage :think: :kratzen:

Ich bin optimistisch und sage: Ihr kommt durch!

Auf die Auflösung bin ich gespannt :wink:


LG, Angie
Viele Grüße,
Angie

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Rattus

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Danke... :)

@Gaby
Ich glaube, da war mehr Abstand zwischen dem Schiff und den Eisbergen als es aussieht. Ich hatte jedenfalls deswegen zu keiner Zeit Bedenken.

Ja, es kommt auch noch ein Landgang in Grönland. :wink:

Rattus

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Fortsetzung vom 02.08.2010...

Je näher wir an die beiden Eisberge heranfahren, desto optimistischer werde ich, dass eine Durchfahrt vielleicht doch möglich ist. So dicht, wie es von Weitem aussah, scheinen die beiden gar nicht beieinander zu schwimmen. Offenbar liegen die sogar ein ganzes Stück hintereinander versetzt und der erste ziemlich weit links in Landnähe, sodass wir versuchen, uns an den beiden vorbei zu schlängeln. Wir nähern uns langsam und der erste Eisberg schwimmt an unserer Backbordseite vorbei. Wunderschönes Exemplar...




... aber der zweite Eisberg toppt diesen und alle anderen, die wir bisher gesehen haben, bei weitem. Er hat eine einzigartige Form mit zwei so großen Löchern - eigentlich sind es eher meterhohe Toreinfahrten - , dass man dort glatt mit einem kleinen Segelschiff durchfahren könnte. Unser Expeditionsleiter sagt, dass das Teil etwa 25 Meter hoch ist und es wahrscheinlich nur noch maximal wenige Tage dauert, bis er in sich zusammenbricht. Man sieht rundherum auch ganz deutlich überall Wasser herunterlaufen, er ist also schon rasant am Schmelzen.

Fotos können das sicherlich nur sehr begrenzt transportieren, aber das Teil ist gigantisch. Als wir an dem Eisberg vorbei fahren, merke ich ein paar Mal, dass ich unwillkürlich und ungläubig den Kopf schüttle und denke 'Das kann gar nicht sein, sowas Schönes gibt's gar nicht...'. Ich würde wahnsinnig gerne mal mit dem Zodiac näher ran und durch die Löcher durchfahren, aber das ist leider viel zu gefährlich, weil jederzeit Eis abbrechen oder das ganze Teil in sich zusammenbrechen kann. Der Expeditionsleiter bezeichnet das Gebilde treffenderweise als Eisschloss.










Als wir weiterfahren entdecke ich mit dem Teleobjektiv eine Möwe über dem Eisberg. Erst dann werden mir nochmals die Größenverhältnisse so richtig klar. Ich habe es mal rot eingekringelt, auch wenn man es fast gar nicht sieht, aber das weiße Pünktchen im Kringel ist die Möwe :lol:. Man muss dazu noch bedenken, dass nach der Bergmann'schen Regel Tiere immer größer werden, je kälter die Region ist, in der sie leben. Aber selbst diese Riesenmöwe wirkt winzig im Vergleich zu dem Eisberg.


Nicht nur die Eisberge sondern auch die Landschaft ist äußerst interessant. Das Gestein und der Boden sind auffällig farbenfroh, man könnte es fast schon als bunt bezeichnen. Die Berge haben richtige Streifen, die teilweise wie mit dem Lineal gezogen aussehen. Der schiffseigene Geologe erklärt auch einiges dazu, z.B. wie es dazu kommt und was man daraus ablesen kann, aber ehrlich gesagt kapiere ich 3/4 davon gar nicht erst und das restliche Viertel kann ich zumindest nicht wiedergeben. Aber schön sieht es trotzdem aus.  :lol:




Wir fahren den ganzen Tag durch den Fjord und alle Eisberge meinen es offensichtlich gut mit uns und liegen so, dass wir vorbeifahren können. Die Sonne lässt das Wasser um manche Eisberge herum richtig schön türkis leuchten.






Da wir unzählige Eisberge in den tollsten Formen gesehen haben und ich mehrere hundert Fotos gemacht habe, die zu zeigen hier eindeutig den Rahmen sprengen würden, habe ich mal eine kleine Auswahl zusammengestellt:



Hatten wir auf Spitzbergen zumindest ab und zu mal eine verlassene Trapperhütte oder ein Zelt von Abenteurern oder Forschern gesehen, sieht man in dieser Gegend rein gar nichts, was darauf schließen könnte, dass hier schon mal Menschen waren. Nicht mal ein Schiff kommt uns entgegen. Ich dachte eigentlich, ich wäre schon in einsamen Gegenden gewesen, aber das ist alles kein Vergleich zu Ostgrönland. Das einzig lebendige hier sind die Moschusochsen, Robben und ein paar Vögel.

Wieder sehen wir auch diverse vergletscherte Berge.




Nachdem wir fast den ganzen Tag bei Kälte aber wunderbarem Sonnenschein draußen an Deck gestanden und den Ausblick genossen haben, merkt man am Abend schon wieder eine leichte Dämmerung, auch wenn die Sonne noch immer nicht untergeht. Kurz vor dem Ende des Fjordes taucht vor uns dichter Nebel auf und bald beschränkt sich die Sicht auf wenige Meter. Ich bin nicht böse darum, der Tag war wunderschön und so langsam bin ich ohnehin k.o. von der frischen Luft und den vielen Eindrücken. Wir verziehen uns geschafft in unsere Kabine, guten Gewissens, dass wir aufgrund des Nebels sowieso nichts draußen verpassen.




Unser Expeditionsleiter sagt auf der Nachbereitungsveranstaltung, dass wir uns den Tag heute rot im Kalender markieren können und es will schon etwas heißen, wenn das jemand sagt, der seit Jahrzehnten regelmäßig in Arktis und Antarktis unterwegs ist. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass Tage mit solchem Wetter wie heute in dieser Gegend nur sehr spärlich vorhanden sind. Bei Nebel und 50 Meter Sicht wären wir glatt an diesen Eisbergen vorbei gefahren ohne auch nur einen einzigen zu sehen. Er erwähnt außerdem, dass seines Wissens noch nie ein so großes Schiff wie die Alexander-von-Humboldt es vorher geschafft hat, den Kaiser-Franz-Joseph-Fjord komplett zu durchfahren. Das nenne ich mal einen guten Trost über den ausgefallenen Landgang auf der Sabine Insel hinweg. :)

Gruß
Rattus

funny1a

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Die Bilder sind echt der absolute Hammer.

Vor allem der ICE ARCH sieht echt klasse aus.
Lg
Markus

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Rattus

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Hallo!

Ich merke gerade, ich habe mich mit dem Datum vertan, gestern war natürlich der 02.08.2010...

14. Tag, 03.08.2010
Ittoqqortoormiit / Grönland


Heute steht unsere erste und aufgrund des Packeises leider auch einzige Anlandung in Grönland auf dem Programm. Immer noch haben wir das tollste Wetter. Neun Monate im Jahr bleibt das Meer in dieser Region zugefroren, aber heute sind es für grönlandische Verhältnisse hochsommerliche 12°C. Wie sich das gehört für ein Schiff haben wir die Flagge des Gastlandes gehisst. Mir gefällt die grönländische Flagge total gut. Sie stellt eine über dem Meer untergehende Sonne mit einer Eisscholle davor dar.


Als wir merken, dass das Schiff ankert, gehen wir wieder an Deck. Völlig unerwartet in dieser unglaublichen Einsamkeit entdecken wir das Dörfchen Ittoqqortoormiit. Das erste menschliche Lebenszeichen seit wir in Grönland angekommen sind. Ich kann kaum glauben, dass derart isoliert und von der Außenwelt abgeschnitten Menschen leben. Die Häuser sind in den unterschiedlichsten Farben angestrichen: blau, rot, weiß, grün, gelb, ein krasser Gegensatz zu dem öden Land rundherum.


Grönland hat nur ca. 56.000 Einwohner, was einer Bevölkerungsdichte von 0,026 Einwohner pro km² entspricht. Ostgrönland ist im Vergleich zu Westgrönland wesentlich dünner besiedelt. An der grönländischen Ostküste sind auf 2700 km gerade mal zwei "Städte" zu finden; Tasiilaq im Süden und Ittoqqortoormiit im Norden. Tasiilaq ist für grönlandische Verhältnisse geradezu eine Weltmetropole mit 1.900 Einwohnern. 850 km weiter nördlich befindet sich der "Nachbarort" namens Ittoqqortoormiit, einer der abgelegensten Orte in ganz Grönland. Das Dorf liegt direkt am Eingang zum Nordost-Grönland-Nationalpark. Die Gemeindefläche von Ittoqqortoormiit entspricht etwa der Fläche von Großbritannien, wobei Ittoqqortoormiit nicht mal 500 Einwohner zählt. Kaum vorstellbar.


Aus Mangel an einem ausreichend großen Anleger müssen wir mal wieder auf die Schlauchboote zurückgreifen. Das Meer ist völlig ruhig und so ist das Ausbooten und die Überfahrt kein Problem. An Land werden wir direkt von einer Meute neugieriger Inuit-Kinder empfangen, für die unser Besuch sicherlich eine große Abwechslung in dieser Einsamkeit darstellt. Übrigens mögen es die Inuit nicht, wenn man sie als Eskimos bezeichnet, da Eskimo übersetzt Rohfleischfresser bedeutet. Inuit heißt dagegen schlicht Mensch.

Wir spazieren auf den Schotterstraßen durch den Ort. Asphaltierte Straßen gibt es hier keine. In ganz Grönland gibt es überhaupt nur wenige geteerte Straßen; die längste davon ist übersichtliche 13 km lang und befindet sich im etwas zivilisierteren Westgrönland. Es gibt auffallend wenige Autos im Ort, was allerdings auch nicht sonderlich verwundert bei diesen Straßenverhältnissen. Innerorts kann man ohnehin alles zu Fuß erreichen und außerhalb des Ortes kommt man mit dem Auto nicht weit. Man scheint hier als Fortbewegungsmittel eher das Quad zu nutzen. Passiert man die äußeren Häuser des Ortes steht man direkt in der Wildnis und nichts lässt mehr auf menschliche Zivilisation schließen. Mittelpunkt es Ortes ist eine kleine Kirche.


Die einheimischen Inuit sind freundlich und zurückhaltend, wobei ich den Eindruck habe, dass sie auch ein wenig stolz sind, dass Fremde eine so weite Reise machen, um ihr kleines Dorf zu besuchen und ihr Lebensart kennen zu lernen. Wenn Besucher ins Dorf kommen, bieten die Einheimischen immer vor dem kleinen Gemeindezentrum Moschusochsenfleisch zum Probieren an. Ich hatte mir fest vorgenommen davon zu kosten, aber als ich die schwarzen Fleischstücke in der Schüssel sehe, kann ich nicht anders und mache einen Rückzieher. Appetitlich wirkt das Fleisch leider ganz und gar nicht und bevor ich es vor den Augen einer enttäuschten Inuit-Frau wieder hervorwürge, verzichte ich lieber. Gar nicht schlecht sieht dagegen der Fisch aus, der zum Trocknen überall hängt.








Eine sich äußerlich nicht wesentlich von den restlichen Häusern unterscheidende Hütte ist mit dem Schild "Politi" gekennzeichnet, die Polizeistation. Es gibt sogar ein kleines Gefängnis. Leider ist ähnlich wie in Amerika bei den Indianern auch bei den Inuit Alkohol ein großes Problem, vor allem bei den Jugendlichen. Irgendwie kann ich das sogar nachvollziehen, so nett dieser Ort als Reiseziel ist, länger als ein paar Wochen könnte ich in dieser Abgeschiedenheit nicht aushalten, obwohl ich sehr naturverbunden bin.


Den erste Kontakt mit Europäern hatten die hier lebenden Inuit erst vor rund 100 Jahren. In Ittoqqortoormiit leben die Menschen daher noch sehr ursprünglich und hauptsächlich vom Fischfang und der Jagd auf Moschusochsen, Robben und Eisbären. Diverse zum Lüften draußen hängende Felle zeugen davon und obwohl der Anblick der Eisbärenfälle mich nicht unbedingt erheitert, fühle ich mich als deutsche Touristin, die hier mal ein paar Stunden den Ort besucht, nicht in der Position über die Eisbärenjagd der Einheimischen zu urteilen, zumindest solange die Tiere nicht völlig sinnfrei massenweise abgemetzelt werden.




Vor den Häusern und an den Wegesrändern stehen immer wieder Hundeschlitten ganz schlicht aus Holz, gar kein Vergleich zu den High-Tech-Versionen, die bei internationalen Hundeschlittenrennen verwendet werden. Die Schlitten sind derzeit nicht in Gebrauch, da wir uns gerade im Hochsommer befinden und während dieser Zeit etwa für 8 Wochen im Jahr selbst hier kein Schnee liegt. Auch ungewohnte Verkehrsschilder sind zu sehen.




Im ganzen Ort verteilt liegen überall angekettete Schlittenhunde herum, allerdings keine Huskys, wie man vielleicht erwarten könnte, sondern ausschließlich Grönlandhunde. Ittoqqortoormiit befindet sich im so genannten Hundeäquator. Der Hundeäquator ist eine überlieferte Grenze der Inuit und teilt Grönland was die Hundehaltung angeht in zwei Hälften. In der einen Hälfte ist ausschließlich die Haltung von isoliert zu anderen Hunderassen lebenden Grönlandhunden erlaubt. In der anderen Hälfte dagegen dürfen ausschließlich Haushunde gehalten werden, wobei kein Hund die Grenze überschreiten darf.
Diese Teilung dient dazu, dass sich die Grönlandhunde nicht mit schwächeren Rassen vermischen, denn die Inuit jenseits des Hundeäquators sind auch heute noch auf die Hunde als Transportmittel angewiesen. Daher hat die Erhaltung von Eigenschaften wie Robustheit, Ausdauer und Zähigkeit für den Gebrauch der Hunde in der rauen Arktis eine hohe Priorität.

Einer der Hundebesitzer bereitet gerade die Fütterung vor.


Die Besitzerin erklärt uns während alle Hunde, mit Ausnahme von einem einzigen Tier, mächtig Theater machen, dass das der Rudelchef ist und er als ranghöchstes Tier weiß, dass er keinen Aufstand machen muss, da er sowieso immer als erster gefüttert wird. Ich weiß nicht genau, was die Hunde bekommen, aber ich tippe mal auf Robbenfleisch.


Die Hunde sind gierig ohne Ende, jaulen und springen durch die Luft.


Weiter erzählt die Besitzerin, dass sie im letzten Jahr Besuch von einem Eisbären hatten, der quer über den Hundeplatz spaziert ist, aber wohl den Hunden nichts getan hat. Das hätte ich mir ja gerne mal angesehen... Laut der Frau machen sie mit den Hunden manchmal Touren von bis zu einem Monat fernab jeder Zivilisation mitten durch die arktische Wildnis. Die Hunde schlafen das ganze Jahr über im Freien, auch bei -40°C macht das denen gar nichts aus. :shock:

Grönlandhunde gibt es in allen Farben und auch dieses Rudel ist bunt gemischt. Wunderschöne Tiere wie ich finde.




Nichts desto trotz sind wir vorher auf dem Schiff ausdrücklich davor gewarnt worden, auf keinen Fall einem dieser Hunde zu nahe zu kommen und schon gar keinen davon anzufassen. Ich als Hundeliebhaberin muss mich zwar schwer beherrschen, keinen dieser Hunde durchknuddeln zu wollen, aber beim Beobachten der Tiere merkt man tatsächlich, dass diese Hunde etwas andere Kaliber sind als wir sie hierzulande kennen. Sie sind recht angriffslustig untereinander, fletschen permanent die Zähne und knurren sich gegenseitig an, was allerdings sicherlich auch an der Fütterungszeit liegt.

Die Hunde sind so angekettet, dass sie sich gerade nicht berühren können und das wohl nicht ohne Grund. Kein Wunder, die Tiere werden hier auch nicht als Haustiere sondern als Arbeitstiere gehalten. Ihrem Besitzer und auch uns aus der Ferne gegenüber sind sie allerdings völlig friedlich. Wenn er sich nähert schmeißen sie sich ihm ans Bein und wollen beschmust werden. Untereinander wirken sie dagegen eher nicht so zärtlich und auch mir steht bei diesem Anblick nicht unbedingt der Sinn danach, auszuprobieren, wie die Hunde sich fremden Menschen gegenüber verhalten. :lol:




In einem anderen Rudel gibt es gerade Welpen. Eine ältere Inuit-Frau erzählt uns stolz, dass die wunderschöne grau-weiße 4-jährige Hündin ihrer Tochter gehört und gerade vier "puppies" hat. Ich bin überrascht, dass die Inuit so gut Englisch sprechen, wenn überhaupt hätte ich das höchstens von der jüngeren Generation erwartet.




Ich kann mich nur sehr schwer von den Hunden losreißen, aber unser Zodiac wartet. Wir setzen über auf das große Schiff, beobachten wie Ittoqqortoormiit im langsam aufziehenden abendlichen Nebel verschwindet und lassen die Menschen und Hunde in ihrer Einsamkeit zurück. Unsere Fahrt setzen wir Richtung Scoresbysund-Fjord fort.

Gruß
Rattus

Angie

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Hallo Rattus,


Ich merke gerade, ich habe mich mit dem Datum vertan, gestern war natürlich der 02.08.2010...

ich hab's ausgebessert, in beiden Teilen, da der Bericht an diesem Tag zweigeteilt war.

Fasziniert habe ich eben den heutigen Tag gelesen. Ich habe ja nichts gegen Einsamkeit, aber mir ginge es so wie dir: Ein paar Tage, von mir aus auch ein paar Wochen wären ok, aber ständig in dieser Einsamkeit leben, möchte ich nicht.

Bei den Zähne fletschenden Hunden wäre ich ein paar Schritte zurück gewichen :lol: Die Fotos sind beeindruckend!


LG, Angie
Viele Grüße,
Angie

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Rattus

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ich hab's ausgebessert, in beiden Teilen, da der Bericht an diesem Tag zweigeteilt war.

Danke Dir. :)

Rattus

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15. Tag, 04.08.2010
Scoresbysund / Grönland


Der Scoresbysund steht nun auf dem Programm. Es handelt sich dabei um das größte Fjordsystem der Welt. Die Gesamtfläche beträgt etwa 38.000 km². Der Fjord wurde benannt nach William Scoresby, der 1822 die Gegend kartografiert hat. Wieder einmal hören wir über Lautsprecher die Durchsage "Eisberg voraus!", denn auch dieser Fjord ist aufgrund der vielen Gletscher im Inneren voller riesiger Eisberge.




Als wir durch den Fjord fahren tauchen mal wieder Wale vor uns auf. Uns sind schon viele Wale auf der Reise begegnet, aber oftmals recht weit weg und meist waren die Tiere auf Wanderschaft und daher schnell wieder verschwunden. Diesmal haben wir mehr Glück. Ein Buckelwal taucht dicht am Schiff auf und scheint es auch gar nicht eilig zu haben. Er dümpelt im Wasser herum und lässt sich von uns nicht stören.




Er erscheint immer wieder fast an der gleichen Stelle, wirft seine Schwanzflosse hoch und lässt sie mit einem lauten Platscher auf das Wasser klatschen. Uns wird erklärt, dass es sein kann, dass er von Seepocken an der Schwanzflosse befallen ist und versucht, die Parasiten so loszuwerden. Es ist aber genauso möglich, dass er es einfach aus Spass macht, da Buckelwale sehr verspielt sind. Das Schauspiel geht bestimmt 15 Minuten so bis der Wal sich mit seinem namensgebenden Buckel beim Abtauchen endgültig in die Tiefen des Ozeans verabschiedet.




Wie so oft, wenn wir bisher Wale gesehen haben, sind auch Delfine nicht weit. Dieses Mal kommt eine kleine Gruppe direkt seitlich auf das Schiff zu und endlich sind auch mal ein paar nicht so fotoscheue Tiere dabei. Im Gegensatz zu dem Buckelwal scheinen die Delfine aber auf Wanderschaft zu sein, sie schwimmen sehr schnell und tauchen immer nur für Sekundenbruchteile auf. Es handelt sich um Weißschnauzendelfine, die mit am nördlichsten lebende Delfinart. Diese Tiere wandern oftmals bis an den Rand des Packeises. Weißschnauzendelfine werden über 2,50 Meter lang und bis zu 350 Kilo schwer.








Ich hätte nie gedacht, dass wir auf dieser Reise so viele Wale und Delfine zu Gesicht bekommen, da wir gar nicht wie beim Whale Watching nach den Tieren suchen, sondern alles reine Zufallsbegegnungen sind. Nachdem der Buckelwal und die Delfine verschwunden sind, konzentrieren wir uns wieder auf die Eisberge. Auch hier ist das weiße Eis von hellblauen Adern durchzogen, die durch das Schmelzen und wieder Gefrieren des Eises entstanden sind.




In der Ferne taucht ein besonders großes Exemplar auf. Über Lautsprecher werden wir informiert, dass dieser Eisberg rund 40 Meter hoch ist. Er hat zwar keine so außergewöhnliche Form wie z.B. das Eisschloss von vorgestern, aber er ist der größte, den wir bisher gesehen haben - mehr als doppelt so hoch wie das Oberdeck unseres Schiffes. Umso beeindruckender ist der Eisberg, wenn man bedenkt, dass nur 10% davon aus dem Wasser ragen. Ich kann mir das kaum vorstellen, aber es lässt sich mathematisch sogar nachrechnen und beweisen. Dieses Ding geht also unter Wasser noch 360 Meter tief nach unten und ist insgesamt 400 Meter dick... Verständlicherweise hält der Kapitän einen großen Sicherheitsabstand zu diesem Monstrum ein, da man nie genau sagen kann, wie weit sich der Eisberg unter Wasser ausgebreitet hat.


Wir sehen noch viele weitere Eisberge von den unterschiedlichsten Größen von Formen. Ich schieße noch viele Fotos, wohlweislich, dass dies unsere letzten Eisberge sein werden, da wir Grönland noch heute verlassen werden.




Es ist eisig kalt an Deck; nur mit zwei Hosen, zwei Pullovern, zwei Paar Socken übereinander, Winterstiefeln, dicker Jacke, Mütze, Kaputze und Handschuhen hält man es eine Zeit lang an Deck aus bevor man halb erfroren wieder nach unten verschwinden muss. Selbst im Sommer wird es hier nicht über 5°C warm. Es weht ein eisiger Wind, der die Temperatur umso niedriger erscheinen lässt. Dennoch sieht man auch hier wieder ganz deutlich, wie das Wasser von den Eisbergen läuft und sie schmelzen. Trotzdem kann es manchmal Monate, bei den ganz großen Exemplaren sogar Jahre dauern bis sie sich völlig aufgelöst haben.












Endgültig verabschieden wir uns nun von Grönland und nehmen Kurs auf Island.

Gruß
Rattus

stephan65

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Grandios!

Wenn du es irgendwo noch einflicken magst: mich würde auch mal so das Leben an Bord interessieren, die Atmosphäre, das Essen, ist es ruhig nachts, isst man da wirklich im Schichtbetrieb etc. pipapo...

Wir haben nämlich hier schon die Hurtigruten-Kataloge liegen und wollen in den nächsten Jahren auch mal ins Polarmeer.