11. Tag, 30.07.2010
Ny-Ålesund und Magdalenenbucht / SpitzbergenFür heute steht Ny-Ålesund auf dem Programm. Der Ort hat wohl erst recht kurze Zeit eine Anlegestelle, sodass wir auf eine Zodiacfahrt verzichten müssen, was ich sehr bedauere, da das wirklich Spass macht. Auch Ny-Ålesund ist ursprünglich eine Bergarbeitersiedlung gewesen und sollte eigentlich nach Beendigung des Kohleabbaus aufgegeben werden. Schnell kamen allerdings Pläne auf, aus Ny-Ålesund eine Polarforschungsstation zu machen und so leben hier je nach Jahreszeit zwischen 30 und 120 Personen, hauptsächlich Forscher und deren Studenten. Ny-Ålesund liegt auf 78° 55' N und gilt als eine der nördlichsten Siedlungen weltweit.
Der Spaziergang durch den Ort ist wie eine kleine Reise durch die Forschungsstationen der verschiedenen Länder. Das hier ist z.B. das norwegische Polarinstitut...
... und das hier sieht zwar eher aus wie ein heruntergekommenes China-Restaurant, ist aber die chinesische Station mit dem offiziellen Namen
Polar Research Institute of China.
Auch Deutschland hat eine Station in Ny-Ålesund, ein unscheinbares kleines blaues Häuschen, das Alfred-Wegener-Institut. Selbst außerhalb der Ortschaft stehen überall Messgeräte und dergleichen für die Forschung. Leider hat sich das Wetter verschlechtert und die Sonne scheint kaum noch, aber immerhin ist es trocken und nicht komplett nebelig wie bei der Bäreninsel neulich nachts.
In dem kleinen Ort gibt es sogar ein Hotel mit dem treffenden Namen Nordpol...
... außerdem befindet sich hier das nördlichste Postamt der Welt.
Im Gegensatz zu Longyearbyen gibt es keine asphaltierten Straßen in Ny-Ålesund, dementsprechend geländegängig sind die Autos.
Noch ein paar Überreste aus den vergangenen Zeiten des Kohleabbaus sind zu finden. So steht z.B. ein kleiner Zug herum, der schlicht beim Abtransport der restlichen Utensilien vergessen wurde und deswegen heute als Museumsstück dient. Im Ort gibt es sogar Polarfüchse, einer davon soll seinen Bau unter diesem Haus haben, leider lässt er sich nicht blicken.
In Ny-Ålesund halten die Menschen gleich ein ganzes Rudel von Schlittenhunden. Ein großer Zwinger steht im Ort und außen hängt als Hundefutter Robbenfleisch zum Trocknen. Genau dieses Fleisch lockt wohl immer mal Eisbären her, wie uns eine Infotafel verrät. Der letzte Eisbärenbesuch ist zur Freude der hier lebenden Menschen aber schon etwas über ein Jahr her. Die Hunde in ihren Zwingern sind größtenteils am Dösen und machen einen recht gelangweilten, aber ausgeglichenen Eindruck. Jeder Hund hat eine kleine Holzhütte, die auch auf Stelzen steht.
Ein kleines Stück außerhalb der Ortschaft steht ein unscheinbarer Mast, der allerdings große geschichtliche Bedeutung hat. Roald Amundsen, ein norwegischer Polarforscher, der 1926 mit einem Luftschiff von Ny-Ålesund aus zu einer Nordpolexpedition aufbrach, hat diesen Mast als Ankermast für seinen Zeppelin benutzt. Seine damalige Expedition gilt als die erste erfolgreiche und belegte Fahrt von Menschen zum Nordpol in der Geschichte. Der Ankermast steht noch heute.
Bei einem Blick ins Umland entdecken wir zwei Spitzbergen-Rentiere grasen, diesmal sind es echte Wildtiere. Das Spitzbergen-Ren ist eine Unterart des Rentieres und hat sich räumlich isoliert von den Rentieren auf dem Festland entwickelt. Man erkennt äußerlich einen deutlichen Unterschied zu den Rentieren am Nordkap; das Spitzbergen-Ren ist viel kleiner und kurzbeiniger, der Körper ist stämmiger und wirkt robuster. Kein Wunder, die Tiere müssen auch mit viel extremeren Witterungsverhältnissen klar kommen.
Im ganzen Ort sind überall Weißwangengänse zu sehen, teilweise mit Nachwuchs. Im Gänsemarsch watschelt eine Gänsefamilie über die Schotterstraße.
Weitere interessante Vögel sind die Küstenseeschwalben. Ich bin total fasziniert von diesen Tieren; unglaublicherweise verbringen sie den Sommer in der Arktis und fliegen im Winter eine Strecke von bis zu 30.000 Kilometern bis in die Antarktis, um den dortigen Sommer ebenfalls auszunutzen. Die fliegen quasi von Sommer zu Sommer und erleben so kaum Dunkelheit, da in Arktis und Antarktis jeweils im Sommer die Sonne nicht untergeht. Das traut man diesem winzigen, unscheinbaren Vögelchen gar nicht zu.
Und noch etwas traut man ihnen nicht zu, wovor man uns vor dem Landgang sogar gewarnt hatte. Diese Vögel werden schnell aggressiv und scheuen auch nicht davor zurück, Menschen anzugreifen. Dazu haben sie ihre ganz eigene Abwehrmethode entwickelt, denn wenn sie sich bedroht fühlen, entleeren sie ihren Mageninhalt, der nicht gerade nach Rosen duftet, über ihrem vermeintlichen Feind, um diesen so in die Flucht zu schlagen. Tatsächlich sehen wir doch einen Mitreisenden, dessen Jacke mit einer unappetitlichen Masse eingesaut ist und der beteuert, von den Warnungen nichts mitbekommen zu haben. Na ja, kann auch nicht jeder von sich sagen, dass er mal von einer Küstenseeschwalbe angekotzt wurde. Ob man das wohl beim Waschen rausbekommt?
An den Ortsausgängen stehen auch hier überall Schilder, die darauf aufmerksam machen, dass man außerhalb der Ortschaft wegen der Eisbären eine Waffe mit sich führen muss.
Nachdem wir wieder zurück auf dem Schiff sind sehen wir auf der Weiterfahrt - wie immer - eine ganze Reihe von Gletschern.
Unser Ziel ist die Magdalenenbucht. Wir ankern und das erste Zodiac mit den Eisbärwächtern wird zu Wasser gelassen. Als diese sich an Land positioniert haben, fahren auch wir mit dem Schlauchboot hinüber. Das Meer ist wesentlich ruhiger und das Einsteigen in das Zodiac ein Kinderspiel im Vergleich zu gestern.
An Land angekommen sehen wir, dass der ganze Strand voll ist mit angeschwemmten, teilweise mannshohen Gletscherstücken. Das Eis hat teils bizarre Formen mit Löchern und ähnlichem.
Endlich können wir einen Gletscher mal von Nahem betrachten. Die im Eis eingeschlossene Luft muss Millionen von Jahre alt sein. Jedes Mal, wenn durch das Schmelzen des Eises ein Luftbläschen freigesetzt wird, gibt es ein knackendes Geräusch. Beim Spazieren gehen am Strand erleben wir das reinste Knisterkonzert. Spannend, einen Gletscher schmelzen zu hören.
Wir begegnen einer einsamen Gryllteiste, eine Vogelart aus der Familie der Alkenvögel, die sich rein gar nicht von uns stören lässt. Ab und zu taucht sie mal unter, um Nahrung zu suchen.
Uns besuchen zwei polnische Forscher mit ihrem Schlauchboot, die in der Magdalenenbucht ihr Zelt aufgeschlagen haben. Auch die haben wegen der Eisbären vorschriftsmäßig ihr Gewehr dabei und ihr Vorratszelt weit weg von ihrem Schlafzelt aufgeschlagen. Sie scheinen über ein paar neue Gesichter und etwas Abwechslung in dieser Einsamkeit erfreut zu sein.
Als die Alexander-von-Humboldt im letzten Jahr fast dieselbe Strecke gefahren ist und in der Magdalenenbucht vor Anker war, hatten die Leute mehr Glück was Eisbärsichtungen angeht. Damals lag ein angeschwemmter toter Wal in der Bucht, an dem sich ein Eisbär zu schaffen gemacht hatte. Dieses Jahr ist weder ein Wal noch ein Eisbär weit und breit in Sicht. Schade. Da wir heute noch Spitzbergen verlassen und die Chance, in Grönland Eisbären zu sehen, noch geringer ist, verabschiede ich mich langsam von dem ohnehin unwahrscheinlichen Gedanken, einen Eisbären zu Gesicht zu bekommen.
Zurück an Bord lassen sich noch ein paar schöne Aufnahmen vom gewaltigen Waggonway-Gletscher schießen, der sich am Ende der Magdalenenbucht befindet. Auch seine Abbruchkante ist viele, viele Meter hoch.
Wir verlassen Spitzbergen und nehmen Kurs auf Grönland.
Gruß
Rattus