Hallo!
Ich merke gerade, ich habe mich mit dem Datum vertan, gestern war natürlich der 02.08.2010...
14. Tag, 03.08.2010
Ittoqqortoormiit / GrönlandHeute steht unsere erste und aufgrund des Packeises leider auch einzige Anlandung in Grönland auf dem Programm. Immer noch haben wir das tollste Wetter. Neun Monate im Jahr bleibt das Meer in dieser Region zugefroren, aber heute sind es für grönlandische Verhältnisse hochsommerliche 12°C. Wie sich das gehört für ein Schiff haben wir die Flagge des Gastlandes gehisst. Mir gefällt die grönländische Flagge total gut. Sie stellt eine über dem Meer untergehende Sonne mit einer Eisscholle davor dar.
Als wir merken, dass das Schiff ankert, gehen wir wieder an Deck. Völlig unerwartet in dieser unglaublichen Einsamkeit entdecken wir das Dörfchen Ittoqqortoormiit. Das erste menschliche Lebenszeichen seit wir in Grönland angekommen sind. Ich kann kaum glauben, dass derart isoliert und von der Außenwelt abgeschnitten Menschen leben. Die Häuser sind in den unterschiedlichsten Farben angestrichen: blau, rot, weiß, grün, gelb, ein krasser Gegensatz zu dem öden Land rundherum.
Grönland hat nur ca. 56.000 Einwohner, was einer Bevölkerungsdichte von 0,026 Einwohner pro km² entspricht. Ostgrönland ist im Vergleich zu Westgrönland wesentlich dünner besiedelt. An der grönländischen Ostküste sind auf 2700 km gerade mal zwei "Städte" zu finden; Tasiilaq im Süden und Ittoqqortoormiit im Norden. Tasiilaq ist für grönlandische Verhältnisse geradezu eine Weltmetropole mit 1.900 Einwohnern. 850 km weiter nördlich befindet sich der "Nachbarort" namens Ittoqqortoormiit, einer der abgelegensten Orte in ganz Grönland. Das Dorf liegt direkt am Eingang zum Nordost-Grönland-Nationalpark. Die Gemeindefläche von Ittoqqortoormiit entspricht etwa der Fläche von Großbritannien, wobei Ittoqqortoormiit nicht mal 500 Einwohner zählt. Kaum vorstellbar.
Aus Mangel an einem ausreichend großen Anleger müssen wir mal wieder auf die Schlauchboote zurückgreifen. Das Meer ist völlig ruhig und so ist das Ausbooten und die Überfahrt kein Problem. An Land werden wir direkt von einer Meute neugieriger Inuit-Kinder empfangen, für die unser Besuch sicherlich eine große Abwechslung in dieser Einsamkeit darstellt. Übrigens mögen es die Inuit nicht, wenn man sie als Eskimos bezeichnet, da Eskimo übersetzt Rohfleischfresser bedeutet. Inuit heißt dagegen schlicht Mensch.
Wir spazieren auf den Schotterstraßen durch den Ort. Asphaltierte Straßen gibt es hier keine. In ganz Grönland gibt es überhaupt nur wenige geteerte Straßen; die längste davon ist übersichtliche 13 km lang und befindet sich im etwas zivilisierteren Westgrönland. Es gibt auffallend wenige Autos im Ort, was allerdings auch nicht sonderlich verwundert bei diesen Straßenverhältnissen. Innerorts kann man ohnehin alles zu Fuß erreichen und außerhalb des Ortes kommt man mit dem Auto nicht weit. Man scheint hier als Fortbewegungsmittel eher das Quad zu nutzen. Passiert man die äußeren Häuser des Ortes steht man direkt in der Wildnis und nichts lässt mehr auf menschliche Zivilisation schließen. Mittelpunkt es Ortes ist eine kleine Kirche.
Die einheimischen Inuit sind freundlich und zurückhaltend, wobei ich den Eindruck habe, dass sie auch ein wenig stolz sind, dass Fremde eine so weite Reise machen, um ihr kleines Dorf zu besuchen und ihr Lebensart kennen zu lernen. Wenn Besucher ins Dorf kommen, bieten die Einheimischen immer vor dem kleinen Gemeindezentrum Moschusochsenfleisch zum Probieren an. Ich hatte mir fest vorgenommen davon zu kosten, aber als ich die schwarzen Fleischstücke in der Schüssel sehe, kann ich nicht anders und mache einen Rückzieher. Appetitlich wirkt das Fleisch leider ganz und gar nicht und bevor ich es vor den Augen einer enttäuschten Inuit-Frau wieder hervorwürge, verzichte ich lieber. Gar nicht schlecht sieht dagegen der Fisch aus, der zum Trocknen überall hängt.
Eine sich äußerlich nicht wesentlich von den restlichen Häusern unterscheidende Hütte ist mit dem Schild "Politi" gekennzeichnet, die Polizeistation. Es gibt sogar ein kleines Gefängnis. Leider ist ähnlich wie in Amerika bei den Indianern auch bei den Inuit Alkohol ein großes Problem, vor allem bei den Jugendlichen. Irgendwie kann ich das sogar nachvollziehen, so nett dieser Ort als Reiseziel ist, länger als ein paar Wochen könnte ich in dieser Abgeschiedenheit nicht aushalten, obwohl ich sehr naturverbunden bin.
Den erste Kontakt mit Europäern hatten die hier lebenden Inuit erst vor rund 100 Jahren. In Ittoqqortoormiit leben die Menschen daher noch sehr ursprünglich und hauptsächlich vom Fischfang und der Jagd auf Moschusochsen, Robben und Eisbären. Diverse zum Lüften draußen hängende Felle zeugen davon und obwohl der Anblick der Eisbärenfälle mich nicht unbedingt erheitert, fühle ich mich als deutsche Touristin, die hier mal ein paar Stunden den Ort besucht, nicht in der Position über die Eisbärenjagd der Einheimischen zu urteilen, zumindest solange die Tiere nicht völlig sinnfrei massenweise abgemetzelt werden.
Vor den Häusern und an den Wegesrändern stehen immer wieder Hundeschlitten ganz schlicht aus Holz, gar kein Vergleich zu den High-Tech-Versionen, die bei internationalen Hundeschlittenrennen verwendet werden. Die Schlitten sind derzeit nicht in Gebrauch, da wir uns gerade im Hochsommer befinden und während dieser Zeit etwa für 8 Wochen im Jahr selbst hier kein Schnee liegt. Auch ungewohnte Verkehrsschilder sind zu sehen.
Im ganzen Ort verteilt liegen überall angekettete Schlittenhunde herum, allerdings keine Huskys, wie man vielleicht erwarten könnte, sondern ausschließlich Grönlandhunde. Ittoqqortoormiit befindet sich im so genannten Hundeäquator. Der Hundeäquator ist eine überlieferte Grenze der Inuit und teilt Grönland was die Hundehaltung angeht in zwei Hälften. In der einen Hälfte ist ausschließlich die Haltung von isoliert zu anderen Hunderassen lebenden Grönlandhunden erlaubt. In der anderen Hälfte dagegen dürfen ausschließlich Haushunde gehalten werden, wobei kein Hund die Grenze überschreiten darf.
Diese Teilung dient dazu, dass sich die Grönlandhunde nicht mit schwächeren Rassen vermischen, denn die Inuit jenseits des Hundeäquators sind auch heute noch auf die Hunde als Transportmittel angewiesen. Daher hat die Erhaltung von Eigenschaften wie Robustheit, Ausdauer und Zähigkeit für den Gebrauch der Hunde in der rauen Arktis eine hohe Priorität.
Einer der Hundebesitzer bereitet gerade die Fütterung vor.
Die Besitzerin erklärt uns während alle Hunde, mit Ausnahme von einem einzigen Tier, mächtig Theater machen, dass das der Rudelchef ist und er als ranghöchstes Tier weiß, dass er keinen Aufstand machen muss, da er sowieso immer als erster gefüttert wird. Ich weiß nicht genau, was die Hunde bekommen, aber ich tippe mal auf Robbenfleisch.
Die Hunde sind gierig ohne Ende, jaulen und springen durch die Luft.
Weiter erzählt die Besitzerin, dass sie im letzten Jahr Besuch von einem Eisbären hatten, der quer über den Hundeplatz spaziert ist, aber wohl den Hunden nichts getan hat. Das hätte ich mir ja gerne mal angesehen... Laut der Frau machen sie mit den Hunden manchmal Touren von bis zu einem Monat fernab jeder Zivilisation mitten durch die arktische Wildnis. Die Hunde schlafen das ganze Jahr über im Freien, auch bei -40°C macht das denen gar nichts aus.
Grönlandhunde gibt es in allen Farben und auch dieses Rudel ist bunt gemischt. Wunderschöne Tiere wie ich finde.
Nichts desto trotz sind wir vorher auf dem Schiff ausdrücklich davor gewarnt worden, auf keinen Fall einem dieser Hunde zu nahe zu kommen und schon gar keinen davon anzufassen. Ich als Hundeliebhaberin muss mich zwar schwer beherrschen, keinen dieser Hunde durchknuddeln zu wollen, aber beim Beobachten der Tiere merkt man tatsächlich, dass diese Hunde etwas andere Kaliber sind als wir sie hierzulande kennen. Sie sind recht angriffslustig untereinander, fletschen permanent die Zähne und knurren sich gegenseitig an, was allerdings sicherlich auch an der Fütterungszeit liegt.
Die Hunde sind so angekettet, dass sie sich gerade nicht berühren können und das wohl nicht ohne Grund. Kein Wunder, die Tiere werden hier auch nicht als Haustiere sondern als Arbeitstiere gehalten. Ihrem Besitzer und auch uns aus der Ferne gegenüber sind sie allerdings völlig friedlich. Wenn er sich nähert schmeißen sie sich ihm ans Bein und wollen beschmust werden. Untereinander wirken sie dagegen eher nicht so zärtlich und auch mir steht bei diesem Anblick nicht unbedingt der Sinn danach, auszuprobieren, wie die Hunde sich fremden Menschen gegenüber verhalten.
In einem anderen Rudel gibt es gerade Welpen. Eine ältere Inuit-Frau erzählt uns stolz, dass die wunderschöne grau-weiße 4-jährige Hündin ihrer Tochter gehört und gerade vier "puppies" hat. Ich bin überrascht, dass die Inuit so gut Englisch sprechen, wenn überhaupt hätte ich das höchstens von der jüngeren Generation erwartet.
Ich kann mich nur sehr schwer von den Hunden losreißen, aber unser Zodiac wartet. Wir setzen über auf das große Schiff, beobachten wie Ittoqqortoormiit im langsam aufziehenden abendlichen Nebel verschwindet und lassen die Menschen und Hunde in ihrer Einsamkeit zurück. Unsere Fahrt setzen wir Richtung Scoresbysund-Fjord fort.
Gruß
Rattus