4. April: KyotoDer Jetlag scheint überwunden, denn heute morgen wache ich um sieben auf, obwohl der Wecker erst für acht gestellt ist. Um acht bin ich schon unten in der Hotel-Lobby beim Frühstück. Das Selbstkochte von Naomis Mutter hat mich zum Frühstück dann doch nicht wirklich überzeugt, denn wie ich jetzt feststelle, ist es Fleisch mit Kartoffelbeilage. Wahrscheinlich dachte sie, ich bräuchte nach ein paar Tagen in Japan dringend deutsches Essen.
Das Frühstück in der Hotellobby ist allerdings auch nicht verlockend, und ich begnüge mich mit zwei Reisbällchen. Dafür stellt sich durch eine Nachfrage an der Rezeption heraus, dass das gestern nicht auffindbare Internetpasswort einfach nur der Name der Hotelkette ist. Wie soll man denn darauf kommen, wenn in der Beschreibung vor und hinter dem Hotelnamen alles auf japanisch steht?
Egal, jetzt klappt es ja. Um neun verlasse ich das Hotel und suche die Bushaltestelle, von der der Bus Nr. 207 abfährt. Die ist dank Lageplan auch schnell gefunden, und liegt im Bereich "E", keine hundert Meter vom Hotel entfernt. Kaum stehe ich dort, kommt auch schon der Bus. Im Innenstadtbereich von Kyoto gilt für Busse ein Einheitspreis von Y230, also einfach in der Mitte des Busses einsteigen, ein Ticket braucht man nicht. Im Bus wird angezeigt, welches die nächste Station ist, zumindest wenn es eine Linie ist, die vor allem die touristischen Ziele anfährt, und beim Aussteigen wirft man den Fahrpreis dann passend in den Münzschacht beim Fahrer. Ich fahre insgesamt sechs Stationen, und netterweise wird schon im Bus angesagt, dass man als Besucher des Kiyomizudera-Tempels hier aussteigen sollte. Von der Bushaltestelle aus sind es nur noch ein paar Minuten Fußmarsch bis zum Tempel.
Ich bin nicht die einzige, die dort hin will. Eine Reisegruppe nach der anderen schiebt sich die schmale Straße zwischen Shops und Restaurants vorbei. Dazwischen werden auch noch Hochzeitsfotos gemacht. Aber bald ist es geschafft und der Tempel erreicht.
Der Tempel, wörtlich der Tempel des reinen Wassers, wurde schon im Jahr 780 gegründet, erst einmal rund um den Otowa-Wasserfall. Heute gibt es verschiedene Gebäude, unter anderem die offene Haupthalle, die auf einem hölzernen Gerüst neben dem Wasserfall steht. Der Wasserfall ist heute noch eine der Hauptattraktionen des Tempels. Mittlerweile hat man ihn in drei kleine Wasserfälle unterteilt, und wundersamerweise soll jeder der drei Wasserfälle eine andere Wirkung haben, nämlich langes Leben, schulischen Erfolg und Glück in der Liebe.
Das Wetter zeigt sich des Monats April würdig und bietet von strahlendem Sonnenschein bis leichten Regenschauern innerhalb von Minuten alles auf was geht. Auch hier gibt es einige Kirschbäume, und falls dann doch keine Blüte mehr da ist, bringt das Pferd auf den Ema-Täfelchen ein paar neue Zweige.
Auf dem buddhistischen Tempelgelände steht – in Japan gar nicht unüblich - ein Shinto-Schrein, der Jishu-Schrein, und hier geht es auch um das Glück in der Liebe. Wer es schafft, mit geschlossenen Augen den 18 Meter langen Weg zwischen zwei Steinen zurückzulegen, soll besonderes Liebesglück finden. Heute ist es aber so voll hier, dass niemand ernsthaft sein Glück versucht. Der weißgekleidete Mann am Schrein wird übrigens nicht in einer shinoistischen Zeremonie gestört, sondern wischt gerade Staub.
Nach einem Spaziergang zu einer Pagode auf dem Hügel gegenüber führt der Rundweg dann hinunter zu den glücksverheißenden Wasserfällen. Hier stelle ich mich fünf Minuten in die Warteschlange, aber jetzt fängt es plötzlich an, heftig zu regnen, also ist mein Bedarf an Wasser von oben erst mal gedeckt und ich flüchte mich in einen kleinen Imbiss. Viertel vor elf ist zwar noch etwas früh fürs Mittagessen, aber besonders viel gabs zum Frühstück ja nicht, also gönne ich mir eine heiße Nudelsuppe.
Das Wetter bessert sich und ich ziehe weiter, die Straße hinunter und durch die Souvenirgeschäfte. Binnen Minuten habe ich zwei Tüten in der Hand, dabei wusste ich bis vorhin gar nicht, dass ich getrocknete Kirschblüten und einen Schirm in Geisha-Design brauche. Immerhin widerstehe ich dem reichhaltigen Hello-Kitty-Angebot.
Der Weg führt jetzt nach Norden durch die Sannenzaka und die Ninnenzaka, zwei pittoreske Sträßchen, vorbei an weiteren Shops und Restaurants. Zwischendurch sehe ich ab und zu "Geishas", das sind aber Touristinnen, die ein entsprechendes Paket mit Kostümierung und Spaziergang durch Higashiyama gebucht haben.
Schließlich erreiche ich – wobei ich leider mal wieder fragen muss – den Kodaiji-Tempel. Der Tempel wurde 1606 gegründet, stammt also aus der Zeit des Shoguns Tokugawa Ieyasu, der den Bau auch finanziell unterstützt hat.
Aus der Haupthalle schaut man hinunter in den Stein-Zengarten, an dessen Rand ein wunderschöner Kirschbaum steht. Unter ihm ist das Moos schon halb von Blütenblättern bedeckt, und er wirkt wie aus einer Märchenwelt. Ich finde den Baum jedenfalls zum Weinen schön und habe einen richtigen Kloß im Hals.
Auch der kleine Bambuswald, den man beim Abstieg aus den Tempelgärten durchquert, scheint aus einem Anime entsprungen zu sein.
Von Kodaiji-Tempel aus sind es nur noch ein paar Schritte in den Maruyama-Park, der berühmt ist für seine große Trauerkirsche. Die steht in voller Blüte und ist ein Traum in weiß. Im Park gibt es Essstände, die Leute sitzen auf Tatami-Matten unter den Bäumen. Es ist wie ein großes Picknick
Direkt an den Maruyama-Park grenzt der Yasaka-Schrein. Der steht so dicht am Geisha-Viertel Gion, dass er auch als Gion-Schrein bekannt ist. Die vielen Laternen, die hier hängen, tragen übrigens nicht etwa religiöse Beschriftungen, sondern werben für die örtlichen Händler, die für den Schrein gespendet haben.
Ich gehe weiter zum Chionin-Tempel mit seinem großen Eingangstor, dem Sanmon-Tor. Mehr als das Tor schaue ich mir aber nicht an, denn die Haupthalle wird derzeit renoviert, und irgendwie befällt mich gerade eine akute Tempelunlust – wofür diese Gegend nicht gerade der ideale Ort ist.
Aber einen Tempel will ich noch besuchen, den Shorenin-Tempel. Der punktet gleich mal mit tollen alten Bäumen am Zuweg, und wie ich erfreut feststelle, hängt zwar im inneren der Räume ein Schild mit einem Rauchverbot, aber nicht mit einem Fotografierverbot, also gibt es hier auch mal ein Foto aus einer der Tempelhallen. Auch der Garten ist schön angelegt. Auch hier gibt es einen kleinen Bambuswald, und als der Wind stärker wird, rauschen die Blätter und schlagen die Bambusstangen zusammen. Es klingt fast wie ein Xylophon.
Der Shorenin-Tempel ist der letzte, den ich heute besuche, aber einen Schrein habe ich mir für heute vorgenommen, der etwas außerhalb liegt, nämlich den Fushimi-Inari-Schrein. Dazu laufe ich erst mal ein Stück bis zum Bahnhof der Kintetsu-Railways. Dort kaufe ich mir ganz alleine ein Ticket, ich bin echt stolz auf mich. Ein paar Stationen mit dem Zug, dann ist auch der Bahnhof Fushimi Inari erreicht und ich steige aus. Von hier aus sind es nur noch ein paar Minuten bis zum Schrein.
Der Fuhimi Inari Schrein ist der bedeutendste von einigen tausend Schreinen in ganz Japan, die Inari geweiht sind. Inari ist der Gott des Reises, aber auch auch des wirtschaftlichen Erfolgs, und seine Boten sind besondere Füchse.
Inzwischen wechseln sich blauer Himmel und Regen wieder im Minutentakt ab, aber ab und zu beleuchtet die Sonne die Schreingebäude. Überall stehen Fuchsstatuen und schauen grimmig auf die Besucher hinab. Was einem hier blühen kann, illustriert ein Filmplakat, das netterweise auf dem Schreingelände aufgehängt ist: Besonders nach Anbruch der Dunkelheit kann es sein, dass der geheimnisvolle Fuchsgott, der in männlicher oder weiblicher Gestalt erscheinen kann und von zwei weißen Füchsen begleitet wird, den arglosen Besucher verzaubert. Die Attraktion des Schreins sind die vielen roten Torii, die vor allem am Anfang so dicht stehen, als würde man durch einen Tunnel gehen. Auch hier preisen die Inschriften nicht etwa die shintoistischen Götter, sondern bezeugen den Spendernamen.
Ich gehe noch ein Stück weiter, aber jetzt ist die Sonne völlig hinter dicken Wolken verborgen, und es wird richtig kalt. Außerdem tun mir die Füße weh, und ich will auch nicht von einer Fuchsgöttin verzaubert werden, also hinüber zur JR-Station und von hier aus in ein paar Minuten zum Hauptbahnhof in Kyoto. Dort nutze ich das Umsteigen in die U-Bahn für ein paar Fotos des modernen Gebäudes.
Beim anschließenden Ticketkauf für die U-Bahn bin ich schon völlig souverän. Erst wird der Fahrpreis rausgesucht, den ich für die Fahrt zur Station Shijo zahlen muss, das sind Y 210.
Dann wird das Geld in den Münzschacht geworfen, und ich drücke die aufleuchtende Taste mit Y 210 und ziehe das Ticket.
Ziemlich erledigt komme ich gegen fünf Uhr im Hotel an, werfe mich aufs Bett und gönne den Füßen eine zweistündige Auszeit, bevor ich mich auf den Weg zum Nijojo mache. Von gestern kenne ich den Weg ja noch, also finde ich problemlos hin. An der Burg sind schon die Tourbusse vorgefahren und die Leute stehen an der Kasse Schlange. Nach kurzem Warten bin ich aber drin: im illuminierten Park. Schon am Anfang des Rundwegs hat man sich etwas einfallen lassen, denn dort sind große Kirschblüten auf den Weg geleuchtet. Dann führt der Weg weiter zum prachtvoll angestrahlten Tor. In den Innenbereich kommt man heute abend nicht, die Route führt weiter durch den Außenpark, vorbei an vielen angestrahlten Kirschbäumen.
Leider fängt es in diesem Moment an, heftig zu regnen, aber das hält zum Glück nur kurz an. Die Runde führt weiter in Teile des Parks, die ich schon von gestern kenne.
Gegen Ende wartet noch ein besonderes Schmankerl, denn in einer Halle spielen drei Frauen das traditionelle Koto, ein zitherähnliches Instrument mit 13 Saiten.
In gelöster Stimmung beende ich die Runde durch den Park und spaziere wieder zurück zur U-Bahn. Vorhin war es mir schwergefallen, mich wieder vom Bett hochzuwuchten. Jetzt bin ich froh für dieses wunderbare Erlebnis. Vor der Reise war mir die Hanami-Besessenheit der Japaner noch irgendwie merkwürdig erschienen, aber die Kirschblüte scheint hier wie ein tagelanges Fest gefeiert zu werden. Heute abend waren alle in fröhlicher, festlicher Stimmung, und der Anblick der Menschen, vom Kind bis zum ehrwürdigen Großvater, die die schönsten Blüten suchen, fotografieren und wie eine Kostbarkeit betasten, hat etwas anrührendes.
Ausgaben des TagesBusfahrt Y 230
Kiyomizudera Y 300
Souvenirs Y 1800
Kodaiji Y 600
Shorenin-Tempel Y 500
Zugfahrt Kintetsu Railways Y 210
U-Bahnfahrten Y 630
Nijojo Y 400
Snacks und Getränke Y 1000
Beim Anblick eines Baumes beinahe weinen zu müssen: unbezahlbar