24./25. Tag – 1. und 2. August 2006 – Grand Canyon / Indian GardensUuups, der Wecker klingelt um 5.00 Uhr. Trotzdem bin ich innerhalb einer Sekunde hellwach, springe in meine Hosen und dann zur Tür. Draußen ist es noch dunkel, man kann die Morgendämmerung so grade erahnen. Aber der Himmel ist wolkenfrei – herrlich. Inzwischen steht auch die beste aller Ehefrauen im Türrahmen. Wir nicken uns wortlos zu und damit ist es beschlossene Sache: Wir machen es wie der 1. FC Köln – wir steigen ab.
Die Rücksäcke hatten wir (profilaktisch) schon am Abend vorher gepackt, aber die Entscheidung, ob wir – und vor allem die Kinder – die Strapaze auf uns nehmen, wollten wir erst treffen, wenn auch das Wetter mitspielen würden. Nun war alles klar, wir duschten noch kurz, füllten die Trinkflaschen mit frischem Wasser, weckten die Kinder und frühstückten zusammen. Irgendwie waren wir alle recht aufgedreht, von Müdigkeit keine Spur. Schon vor zwei Jahren war der Abstieg nach Indian Gardens geplant, damals machte uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Diesmal aber stand dem Abenteuer „Grand Canyon“ nichts mehr im Wege.
Rund 45 Minuten später stehen wir am Kolb Studio, dem Bright Angle Trailhead. Wir helfen uns gegenseitig, die Rücksäcke zu richten. Wir haben versucht, möglichst Gewicht zu sparen. So hatte jeder nur eine Flasche Wasser am Mann, da ja an den Resthouses Trinkwasser nachgebunkert werden konnte. Einen Großteil der Fotoausrüstung (Stative und Objektive) ließen wir im Wagen. Jeder trug seinen Schlafsack, seine Isomatte und seine Verpflegung selbst. Das Zelt passte noch in meinen Rücksack.
Und schon sind wir unterwegs. Inzwischen ist es heller geworden. 950 Meter unter uns können wir schon unser Ziel sehen. Es scheint so nah. Die Stimmung im Team ist optimal. Schon nach kurzer Zeit erreichen wir den ersten Tunnel. Naja – unter Tunnel hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Und weiter geht es abwärts. Deutlich kann man die unterschiedlichen Gesteinsschichten erkennen. Hinter dem Second Tunnel werden die Serpentinen enger. Der Weg ist in einem schlechten Zustand. Es gilt über Steinen aller Größen zu balancieren. Hinzu kommen die Rillen, die das abfließende Regenwasser gegraben hat. Wir sind froh, dass wir festes Schuhwerk und unsere Wanderstöcke dabei haben. Das Mile-and-a-half-Resthouse signalisiert uns, dass wir ein Drittel der Strecke geschafft haben. Wir fühlen uns aber noch fit und haben bisher auch nur wenig Trinkwasser verbraucht. Trotz der possierlichen Hörnchen, die sich vor den Wanderern aufbauen und betteln, fällt unsere Pause nur kurz aus. Uns zieht es weiter und damit tiefer in den Canyon hinein. Die ersten Hiker kommen uns aus dem Canyon entgegen. Sie gehen langsam, schnauffend und schwitzend bergauf. Aber für ein freundliches „Hallo“ reicht die Kraft immer noch. Dann stört etwas in der Stille der Natur. Es wird lauter - immer lauter. Hinter einer weiteren Serpentine sehen wir die Ursache des Krachs. Ein Felsbrocken versperrte den Weg und zwei Arbeiter waren mit einem großen Bohrer beschäftigt, den Stein in handliche Einzelteile zu zerlegen. Wir weichen der „Baustelle“ aus und mit jedem Schritt, mit jeder Kurve wird das Geräusch wieder leiser. Unser Orientierungspunkt ist die Felsformation „The Battleship“.
Oben von der Rim konnten wir noch auf sie herabsehen, dann waren wir auf gleicher Höhe und schon bald können wir zu dem Felsen hinaufschauen. Und wieder ändert sich die Gesteinsschicht. Ob nun von der Hermit-Schicht zur Supai-Formation – ich weiß es nicht. Ich bin kein Geologe, aber es ist faszinierend anzuschaun. Inzwischen scheint die Sonne verstärkt in den Canyon hinein und auf die Wanderer. Die Wegabschnitte, die im Schatten liegen, werden kleiner. Noch immer hat uns keine der berüchtigten Maultierkarawane überholt. Offensichtlich sind wir zur richtigen Zeit unterwegs. Dann erreichen wir das Three-Mile-Resthouse, wo wir unsere Flaschen mit herrlich frischem Wasser auffüllen. Eine kurze Pause, ein knackiger Apfel und schon geht es weiter. Nach der Jacobs Ladder wird der Weg flacher, aber nicht weniger steinig. Auch wird es rechts und links des Weges langsam grüner. Das Wasser des Garden Creek unterstützt wohl die Vegetation. Als wir das hölzerne Schild mit der eingeschnitzten Schrift „Indian Gardens“ sehen, wissen wir, dass wir unser Ziel erreicht haben. Leider ist die Ranger Station nicht besetzt. Wir scheinen heute morgen die ersten hier unten zu sein – alle Parzellen des kleinen Campgrounds sind noch frei. So bleibt uns die Qual der Wahl. Wir entscheiden uns für ein schattiges Plätzchen in der Nähe vom Wasserhahn. Zur Parzelle gehört ein überdachter Tisch mit zwei Bänken und zwei stabile Metallcontainer in denen wir die Lebensmittel unterbringen sollen. Schnell ist unser Zelt aufgebaut und eingerichtet.
Dann zieht es uns an den Garden Creek, in dessen kühlen Wasser wir uns, im Schatten mächtiger Bäumen, unsere Füße erfrischen. Die Kinder bauen Dämme und stauen das Wasser. Eine wahre Idylle auch ohne Gameboy, TV oder Internet. Immer wieder kommen Wanderer vorbei – in beide Richtungen. Es ist einfach nur schön. So ähnlich stelle ich mir das Paradies vor. Ein ähnliches Gefühl hatte ich vor zwei Jahren früh morgens am Calf Creek Wasserfall. Hier wie dort würde ich am liebsten eine Hütte bauen und meinen Lebensabend verbringen.
Nach einem erholsamen Mittagschläfchen kommen Wolken auf. Wir hatten geplant, noch zum Plateau Point zu gehen, aber drohende Regen … Also machten wir uns einen schönen Nachmittag in Indian Gardens. Wir spielten Mäxchen, beobachteten die Tiere, die fast ohne Scheu bis auf ein, zwei Meter an uns heran kamen und erkundeten die nähere Umgebung.
Langsam füllten sich auch die anderen Stellplätze. Der Himmel wurde immer dunkeler und nach dem Abendbrot fing es an zu regnen. Also schnell ins Zelt und in die Schlafsäcke – immerhin wollten wir morgen wieder extrem früh aufstehen. Es regnete. Wir erzählten uns noch einige Geschichten und es regnete immer noch. Irgendwann waren die Kinder eingeschlafen und es regnete weiter. Der Regen prasselte vehement gegen die Zeltplane. Wie kann man bei dem Krach bloß schlafen. Ich glaubte im Hintergrund das Rauschen des Garden Creek zu hören. Jetzt konnte ich mir lebhaft vorstellen, warum das kleine Bächlein ein so großes Flussbett hatte. Irgendwann schmerzte mir der Rücken. Um Platz und Gewicht zu sparen hatten wir nur die dünnen 1-cm-Iso-Matten dabei. Es war eine Qual. Immer noch klatschte der Regen gegen das Zelt. Ich wollte mich auf die Seite drehen, dabei griff meine Hand ins Nasse. Ähhhhh – wie auf einer Insel lagen wir auf den Iso-Matten und rundherum machte sich das Wasser breit. Offensichtlich hatte die Bodenplane ein Loch – Shit happens. Notdürftig versuchten wir unsere Habseligkeiten zu sichern und es regnete immer weiter. Da liegt man in der Feuchtigkeit und fragt sich: Was machst Du hier überhaupt ? Nun wurde mir auch noch kalt. Die Knochen schmerzten und der Regen wollte nicht aufhören. Wenigstens schliefen die Kinder. Ich schwor mir, nie wieder zu campen. Wenigstens nicht im Zelt. Trotz allem - irgendwann muss ich eingeschlafen sein.
Dann weckte mich auch schon die beste aller Ehefrauen. Fröstelnd mit klammen Klamotten kletterten wir aus dem Zelt. Er einmal strecken. Wenigstens hatte der Regnen inzwischen aufgehört. Ein heißer Kaffee wäre jetzt genau das Richtige. Leider war klares kaltes Wasser kein vollwertiger Ersatz. In der Morgendämmerung konnten wir sehen, dass unsere Nachbarn noch auf dem Tisch schliefen – wahrscheinlich trockener als wir. Leise räumten wir unsere Sachen zusammen und bereiteten das kalte Frühstück vor. Kinder wecken, ein paar Happen essen, Zelt abbauen und mit dem ersten Tageslicht machten wir uns auf den Rückweg hoch zur Rim. Die ersten fünf Meter gingen noch ganz gut. Dann war ich richtig wach. Mein Hemd war feucht, Socken und Schuhe auch. Ich hatte Angst mir ne Blase zu laufen – hatte keine Lust mehr. Letztendlich war es die Fröhlichkeit der Kinder die mich vorantrieb. Für sie war es ein tolles Abenteuer. Und als wir dann noch eine Rehkuh (sagt man das so ??) mit ihrem Kitz sahen, waren sie (fast) wunschlos glücklich. Beim Three-Mile-Resthouse war mein Hemd immer noch nass – inzwischen war es durchgeschwitzt. Ich verordnete uns eine Pause von einer halben Stunde und legte mich lang auf die Bank. Kurz bevor wir weiter wollen, kam eine weiter Familie von unten. Sie erzählten, dass sie von der Ostküste angereist seien und konnten nicht verstehen, dass wir extra aus Deutschland kämen, um uns mit diesem Hike zu quälen. Der Ostküstenvater tat mit leid – die Familie hatte das Gepäck nicht so fair verteilt wie wir. Sein Rücksack war riesig und sicherlich sehr sehr schwer.
Nun wurde der Weg steiler. Wir gingen langsam – Schritt für Schritt – Serpentine für Serpentine – Pause für Pause. Anfangs schmeckte das klare kühle Wasser noch herrlich. Später hatte ich das Gefühl, es müsste mir an den Ohren herauslaufen. Ich hab sicherlich in meinem Leben noch nie soviel Wasser getrunken. Die ersten Wanderer kommen uns von oben entgegen und nicken uns aufmunternd zu. Dann die erste Muli-Karawane. Halb so wild. Wir machten Platz und sie konnten problemlos vorbei ziehen. Auch der Gestank der Tiere war nicht so schlimm. Wer auf dem Land lebt, hat damit sicherlich keine Schwierigkeiten. Ich überlegte, ob ich mit ihnen tauschen wollte. Nein, nicht mit den Mulis – mit den Touristen, die den Trail herunter ritten oder besser geritten wurden. Ich glaube, sich den Weg selber erarbeiten und auf eigene Faust erleben macht mehr Spass – mir jedenfalls.
Am nächsten Resthouse gibt es keine Bank. Ich zieh meine Schuhe aus und lege mich aufs Fenstersims. Die 30 Minuten müssen sein. Traubenzucker ein paar Salzkräcker und der letzte Apfel. Wenn wir wieder oben sind, werde ich in der Maswik-Cafeteria einen riesigen Teller Nudeln essen. Heiße, dampfende Nudeln mit leckerer Soße. Die halbe Stunde ist aber viel zu schnell um. Rein in die Schuhe, ächzend aufstehen und die Wasserflaschen füllen. Und weiter – Schritt für Schritt – Serpentine für Serpentine – Pause für Pause. Aufwärts. Eine Mutter mit zwei Kindern kommt uns von oben entgegen. Sie deutet auf unsere Rücksäcke und fragt ob wir im Canyon übernachtet haben. Sie kann es kaum glauben: „Really?“. Die Zeitabstände zwischen unseren Pausen werden immer kürzer. Und nicht immer sind es die Kinder, die den Zeitpunkt angeben. Ich habe das Gefühl, wir sind an der steilsten Stelle des Aufstiegs. Oder ich hab einen Durchhänger. Ich denke an die Portion Nudeln, die mich erwartet. Aber erst mal eine Pause. Ein schwergewichtiger Amerikaner in weißen Shorts und in weißen Stoffturnschuhen, fragt uns, wie weit es noch bis zum Resthouse sei. Mit der Auskunft, dass er ungefähr die Hälfte des Weges geschafft hat, ziehen er und seine Familie weiter bergab. Schon kurze Zeit später überholen sie uns wieder bergauf. Offensichtlich war es Ihnen dann doch zu weit bis zum geplanten Wendepunkt. Der Schweiß rinnt in Strömen, das Wasser schmeckt mir schon nicht mehr so gut und ich ärgere mich über amerikanische Jugendliche, die die Serpentinen abkürzen wollen, den steilen Hang hochklettern und dabei kleinere Lawinen auslösen. Stupid ! Egal, oben warten die Nudeln auf mich. Der Verkehr auf dem Bright Angel Trail wird immer stärker. Menschen in Turnschuhen, mit Badelatschen und mit riesengroßen, unhandlichen Trinkflaschen. Dann erreichen wir den Second Tunnel. Das gibt Auftrieb (In diesem Zusammenhang ein treffendes Wort). Wir wissen nun, das Ziel ist nah. Am First Tunnel treffen wir noch auf eine größere Gruppe Asiaten – wir müssen uns mit den Rücksäcken regelrecht durchdrängeln. Dann haben wir es geschafft - wir sind wieder oben an der Rim. Jetzt nur noch eine Treppe hoch bis zum Auto. Die Strapazen waren von einer auf die andere Minute vergessen. Wir haben es tatsächlich geschafft - Wir sind stolz auf uns. In der Kühlbox war noch etwas Apfelsaft – köstlich. Mal was anderes als immer nur klares Wasser.
Dann ab in die Maswik-Lodge. Hier hab ich den Fehler gemacht und eine eiskalte Cola getrunken. Da hat sich der Magen ganz schön zusammen gezogen. Aber nach den köstlichen Nudeln (Mann, waren die gut !) war alles wieder o.k.