Tag 7 - Ausser Spesen nix gewesenUm 3.43 Uhr und noch bevor der Wecker loslegen sollte bin ich bereits wach. Abgesehen von meiner Hard Shell Jacke, die mich vor Regen und kalten Winden schützt, ziehe ich alles an, das ich in die Finger bekomme. Wirklich kalt ist es aber nicht, somit bin ich mit meiner langen Laufhose mehr als gut bedient und den Oberkörper wärmen drei Lagen Kleidung. Da ich mir abends zuvor schon alles zurechtgelegt und den Rucksack beinahe abmarschbreit vorbereitet habe, kann ich bereits um 4.10 Uhr den Gipfel in Angriff nehmen. Ich überlege mir noch, ob ich nicht noch ordentlich hydrieren soll, immerhin habe ich nur zwei Liter Wasser im Gepäck, letztlich bin ich aber zu faul, hinterher im Dunkeln noch frisches Wasser zu pumpen. Das Wandern mit der Stirnlampe ist schon ein seltsames Gefühl, denn abgesehen vom Weg vor den eigenen Füssen, bekommt man nichts von der Gegend mit. Streckenweise ist es schwer, dem Weg zu folgen. Ich bin froh, gestern die Route schon ein wenig erkundet zu haben, denn vor allem zu Beginn zweigen jede Menge Wege links und rechts ab, die entweder ins Nichts oder zu Aussichtspunkten führen. Da hätte ich potentiell eine Menge Zeit und vor allem Kraft vergeuden können.
Verläuft die Route zu Beginn noch einigermassen im Sinne eines Wanderweges mit nicht allzu extremen Steigungen, entwickelt sie sich langsam zu einer Bergsteigerroute. Nicht dass es sich um eine technische Route handelt, aber es wird ganz schön anstrengend. Der Untergrund wird nämlich immer loser und das Weiterkommen ähnelt immer mehr dem Erklettern eines Kieshügels. Nach fast jedem Schritt rutscht man wieder die Hälfte der Distanz nach unten. Wenn man dazu noch nicht einmal die Landschaft geniessen kann weil es einfach nur stockdunkel ist und man mit der Stirnlampe immer wieder nach dem Verlauf des Trampelpfads suchen muss, dann ist das schon sehr zermürbend. Immerhin kann ich aufgrund der nicht vorhandenen Lichtverschmutzung links des falschen Gipfels (der wahre Gipfel des Mount Shasta ist zwar nur wenige Meter höher, verbirgt sich aber komplett dahinter) die Milchstrasse ausmachen. Auch kein schlechter Anblick! Nach etwa zwei Stunden Qual im Dunkeln setzt so langsam die Blue Hour ein und die Route ist auch ohne Stirnlampe auszumachen.
Inzwischen ist es mir fast schon zu warm, und der Fleece Pulli wandert erstmal ab in den Rucksack. Was das Trinken anbelangt, halte ich mich ordentlich zurück und rationiere das Wasser, sprich ich trinke weniger, als es mein Durst verlangt. Ich denke mir, dass mir ein halber Liter Wasser gerade noch genügen dürfte, um von der Spitze zurück zum Clear Creek Camp zu kommen. Solange dieser halbe Liter nicht erreicht ist, muss ich nicht umkehren. Rechts von mir geht im Osten inzwischen die Sonne auf. Da ich keine Sonnencreme dabei habe, werde ich bald hinsichtlich eines möglichen Sonnenbrandes aufpassen müssen. Anhand des Horizonts kann man gut erkennen, wie steil es ist.
Etwas mehr als zwei Stunden nach Verlassen von Clear Creek Camp bietet sich mir folgendes Bild. Ganz rechts auf der Kuppe ist ein markanter Stein auszumachen, an dem mein Weg im Laufe des Aufstiegs vorbei führt.
Inzwischen habe ich schon ordentlich Höhenmeter gemacht deshalb bin ich guter Dinge, auch mit dem begrenzten Vorrat an Wasser die Spitze zu erreichen. Eine mögliche vorzeitige Umkehr kommt mir nicht realistisch vor. Ab einer Höhe von 3′500 m wird das Atmen jedoch immer schwerer. Man muss regelrecht jedes bisschen Sauerstoff aus der Luft saugen. Die Route ist inzwischen nur noch steil, der Untergrund gibt ständig nach, jeder Schritt mit der darauf folgenden Rutschrei ist nur noch anstrengend. Ich muss alle 30 Sekunden kurz stehen bleiben, um nach Luft zu schnappen. Irgendwie macht es den Anschein, als ob dieser angepeilte Stein einfach nicht näher kommt.
Ganz langsam quäle ich mich den Berg hinauf, immer wieder den Blick nach unten und nach oben. Immer wenn ich pausieren muss achte ich darauf, mit dem Rücken zur Sonne zu stehen, um ja keine Sonne abzubekommen. Mein Nacken wird dabei vom Rucksack geschützt. Endlich beim Stein angekommen pausiere ich erstmal länger und muss im Zuge dessen bereits mit der zweiten Flasche Wasser beginnen. Ich habe inzwischen einen enormen Durst und würde die Flasche am liebsten an Ort und Stelle austrinken. Stattdessen esse einen Apfel, um daraus ein wenig Flüssigkeit zu gewinnen. Der Blick vom Stein ist auch nicht gerade sehr aufmunternd. Eine Route gibt es schon länger nicht mehr sondern ich kämpfe mich einfach so gut es geht auf dem steinigen Untergrund vor. Die Steine sind inzwischen grösser geworden und es wird nicht nur wegen der Höhenmeter immer anstrengender. Jeder Stein gibt nach, man kann sich nirgends festhalten. Selbst die grösseren Steine geraten ins Rutschen, wenn man einen Fuss auf sie setzt. Nirgends kann man sich festhalten. Ich peile die zwei Rinnen zwischen den drei Türmen vor mir an. Inzwischen gehe ich schon auf allen Vieren. Man kann anhand des Horizonts auch gut beurteilen, wie steil die Route doch ist.
Zwischenzeitlich muss ich jeweils nach nur wenigen Schritten kurz innehalten, um nach Luft zu schnappen. Die 4′000 m sind inzwischen erreicht und nach einem Blick auf meinen Wasservorrat machen sich erste Gedanken bezüglich einer Aufgabe breit. Ein Ende dieser Steigung ist einfach nicht in Sicht und bei dem derzeitigen Tempo würde ich bestimmt mehr als eine Stunde benötigen, um ganz nach oben zu kommen. Da wäre ich aber noch nicht ganz auf dem Gipfel sondern erst noch ein paar Meter höher auf den echten Gipfel. Immerhin trifft da meine Route auf die Standardroute und ich würde wahrscheinlich auf andere Kletterer treffen, die Sonnencreme und vielleicht noch übriges Wasser haben. Nun bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob ich überhaupt richtig bin. Ich konsultiere meine Karte und anhand der sichtbaren Bäche Ash Creek und Cold Creek folgere ich, dass ich hier doch richtig bin und dass es sich beim nördlich angrenzenden Schneefeld um den Wintum Gletscher handelt, auf dem ich alleine sicher nichts verloren habe.
Ich trinke einen Schluck Wasser und stelle fest, dass nur noch 4 dl in der Flasche sind. Ich blicke nach oben, ich blicke nach unten, ich blicke auf mein GPS. Es dauert geschlagene 10 Minuten bis ich mich zur Entscheidung durchringen kann, den Aufstieg nach sechs Stunden abzubrechen, und ins Clear Creek Camp zurückzukehren. Ich bin doch schon zum Greifen nah!
Ich mache ein Foto meines GPS-Geräts, um die erreichte Höhe zu dokumentieren, lasse dann die Vernunft siegen und mache mich schweren Herzens an den Abstieg.
Zurück beim Stein sehe ich, dass es noch ein langer Weg nach unten sein wird.
Auch der Abstieg ist anstrengend, weil einfach alles nachgibt auf das man tritt. An einer Stelle stehe ich mit beiden Füssen auf einem Stein und rutsche für einige Meter das Geröll runter wie auf einem Surfbrett! Das war nicht beabsichtigt und eine relativ haarige Angelegenheit! Etwa 1 1/2 Stunden später und fast dehydriert erreiche ich endlich wieder Clear Creek Camp. Inzwischen sehe ich auch ein zweites Zelt dort stehen und werde von einem Wanderer Ende 50 gleich neugierig nach dem Zustand der Route gefragt. Ich erwidere, dass ich fast verdurstet sei und erstmals Wasser pumpen und vor allem trinken müsse. Nach Pumpen des ersten halben Liters kann ich nicht länger warten und stürze diesen sogleich hinunter. Wahrscheinlich das beste Wasser, das ich jemals getrunken habe! Nach Pumpen eines weiteren Liters habe ich Zeit und Energie für die neugierigen Fragen bezüglich der Route. Anhand der Karte beschreibe ich Verlauf und Zustand der Route und zeige, wo ich umkehren musste. Er meint, ich solle mich nicht ärgern, denn letztes Jahr habe er einen getroffen, der bereits vier erfolglose Versuche hinter sich gehabt habe und gerade beim Versuch Nummer fünf war. Nach etwa 20 Minuten mache ich mich daran, meine Habseligkeiten zusammenzupacken, um mich für den Abstieg zum Auto vorzubereiten. Sonnencreme hat der Mann leider auch keine dabei. Er warte auf seinen Sohn, der würde dann schon welche mitbringen. Toll! Ganz am Schluss der Packerei habe ich nur noch meinen Trinkbecher in der Hand, der in der einzigen von aussen zugänglichen Tasche des Rucksacks keinen Platz mehr findet. Weil ich keine Lust habe, deswegen extra den Rucksack wieder zu öffnen, möchte ich den Becher eben in die aussen angeschnallte Box mit dem Paar Steigeisen stopfen. Die ist dazu da, dass die scharfen Steigeisen nichts beschädigen können. Als ich die Box öffne, trifft mich fast der Schlag! Da liegt doch ganz stinkfrech die Sonnencreme drinnen. Ich schimpfe wie ein Rohrspatz und kann mich gar nicht entscheiden, ob ich mich darüber ärgern soll, dass ich vergessen habe, wo die Sonnencreme ist, oder ob ich mich darüber ärgern soll, dass ich, wenn ich alles durchsuche, nicht wirklich alles durchsuche. Sei’s drum, ich gönne meinem Gesicht und vor allem der Nase ein wenig Sonnencreme und mache mich dann an den Abstieg. Auf die zwei verbleibenden Biere in Bach habe ich keine Lust mehr und überlasse sie dem wissbegierigen anderen Wanderer.
Den Abstieg nehme ich gemütlich, der Ärger über den nicht erfolgreichen Aufstieg ist inzwischen fast verschwunden und bei sämtlichen entgegenkommenden Wanderern ist eine 10-minütige Zwangspause angesagt, weil die ausführlichst über die Route informiert werden möchten. Dabei erfahre ich, dass die beste Saison für eine Besteigung Ende Mai, Anfang Juni sei. Da müsse man nur die Steigeisen montieren und kann dann technisch einfach bis zum Gipfel aufsteigen. Das einzige Problem wäre das Wetter, denn das sei dann noch nicht so konstant wie Ende August / Anfang September. In meinem Kopf reift natürlich sogleich eine Tour für 2009, denn es gibt noch einige andere interessante Vulkane der Kaskaden-Kette auf meiner To-Do Liste und mit dem Mount Rainier habe ich schliesslich auch noch eine Rechnung offen.
Nach etwas mehr als einer Stunde treffe ich gegen 14.30 Uhr beim Auto ein. Dort inspiziere ich meine geschunden Füsse, schmeisse den ganzen angehäuften Müll weg und bin erstmals einfach nur platt. Mit dem Auto brauche ich dann eine ganze Stunde bis ich wieder in Mount Shasta eintreffe. Dort beschliesse ich, zurück nach Yreka zu fahren, um mir eine Dusche zu gönnen. Auf dem Weg zurück halte ich noch an, um ein paar Fotos vom Mount Shasta und der sandigen Piste zu schiessen.
Es ist drückend heiss, dass Thermometer im Auto zeigt 37° an. Zurück im Hotel steige ich unter die Dusche und faulenze ein wenig auf dem Bett herum. Dann beschliesse ich, zwei Ladungen Wäsche zu waschen. Zwischenzeitlich hole ich mir bei der Pizzeria um die Ecke eine riesige Pizza. Ein interessantes Konzept haben die da. Die Pizza wird bestellt, frisch zubereitet aber nicht in den Ofen geschoben, sondern in Klarsichtfolie gewickelt und dem Kunden so ausgehändigt. Dann kann er zu Hause die Pizza frisch zubereiten wann immer er möchte. Wer so wie ich mit einem belegten rohen Pizzateig nichts anfangen kann, muss $3 drauflegen.
Zurück im Hotel bin ich nach dem Verspeisen der meisten Pizzastücke plötzlich wirklich müde, die Wanderung heute war doch zu sehr kräftezehrend und in der Nacht zuvor habe ich auch nicht gerade wie eine Engel geschlafen. Nachdem ich meine beiden Waschladungen ins Zimmer gebracht und die Koffer wieder mehr oder minder fertig gepackt habe, sehe ich noch ein wenig fern und schlafe dann ein. Die überfälligen Berichte müssen halt einen weiteren Tag warten, ich habe ohnehin keinen Zugang ins Internet.
Gefahrene Meilen: 82.3