Tag 6, 24.05.Wir standen morgens in Joplin auf und fuhren schnell los. Zum ersten Tagesziel hatten wir es nicht weit – zur Tornadoschneise des F5-Tornados aus dem Jahre 2011 – das lag nur 500 m vom Motel entfernt, wie wir bald feststellten. F5 ist die stärkste der Tornadokategorien und umfasst Windstärken von bis zu 500 km/h in einem Schlauch, der sich aus einem Schwergewitter absenkt und hierzulande manchmal auch leicht verharmlosend „Windhose“ genannt wird. Damals war dieser Stadtteil von Joplin in Schutt und Asche gelegt und der Tornado hatte 158 Menschen getötet. Heute war, wie wir erstaunt feststellten, davon fast gar nichts mehr zu sehen. Alles war wieder aufgebaut, und wenn überhaupt, dann sah der verwüstete Stadtteil eher aufgeräumter aus als der Rest, da man hier neu gebaut hatte. Nur die Bebauungsdichte war niedriger, und bisweilen sah man betonierte Einfahrten, die aber ins Nichts führten, da das Haus zerstört worden war. Auch manche Bäume, die beim Sturm zerfetzt und entrindet wurden, von denen aber noch der Stumpf dastand, waren bunt angemalt und mit Gegenständen behängt – die „Can Do“-Mentalität der Amerikaner, mit Katastrophen umzugehen.
Trotzdem so wenig zu sehen war, war es ein gruseliges Gefühl, im Pfad eines früheren F5-Tornados zu stehen. (Ein Video (nicht von uns, von anderen Stormchasern) zum Tornado kann man sich hier anschauen:
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Anschließend ging es weiter auf die Autobahn, und kurz darauf folgte das Oklahoma Welcome Center, wo wir anhielten und uns wie immer eine Karte besorgten. Es war ein weiterer heißer, feuchter Tag heute. Einen Kaffe und einen Smoothie nahmen wir bei einem McDonalds zu uns, der die Autobahn überspannte und früher der größte McDonalds der Welt der Welt gewesen sein soll. Das Gebäude war leider ziemlich abgeranzt – soll aber bald saniert werden, in so fern kein Wunder.
Wir tankten noch und fuhren dann weiter, als nächstes auf ein weiteres Stück der Route 66, das allerdings schlechter ausgeschildert war als die Stücke Route 66 in Missouri – laut Reiseführer deshalb, weil so viele die Schilder als Souvenir mitnehmen.
Wir kamen am großen blauen Wal vorbei, einer typischen seltsamen Route 66-Attraktion, der zunächst wohl ein Verlobungsgeschenk gewesen sein soll, später dann ein Schwimmbecken und heute nur noch ein großer blauer Wal an einem Tümpel.
Dann fuhren wir weiter Richtung Oklahoma City, vorbei an Tulsa, und in die immer flacher werdende Mitte von Oklahoma – sowieso hatte ich das Gefühl, im typisch-klischeehaften Teil der USA zu sein: es gab hier außer Gras nämlich hauptsächlich große Autobahnen, viele Fastfoodketten und irre viele Kirchen (und die entsprechenden Schilder dazu: Geht zur Armee, keine Homo-Ehe, geht beten, usw.). Als wir den Außenring von Oklahoma City befuhren, konnten wir dann die Skyline von Oklahoma City in der Ferne sehen. Dann bogen wir nach Süden Richtung Norman ab, wo das National Weather Center liegt, wo wir heute eine Tour gebucht hatten.
Wir waren schon recht spät dran und so ziemlich unglücklich darüber, kurz vor dem Ziel noch in einen Stau zu geraten. Doch als wir dann das am Rand aufgestellte Schild „No slowing through disaster area“ – kein Langsamerwerden im Krisengebiet – sahen, dämmerte uns langsam der Grund für den Stau.
Vor fünf Tagen war hier nämlich der auch F5-starke Moore-Tornado durchgezogen, von dem wir schon in Nashville gehört hatten, und der 23 Menschen getötet hatte. (ein Video (nicht von uns, von anderen Stormchasern) zum Tornado hier:
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Wir hatten im Vorfeld darüber debattiert, ob wir uns die Schäden anschauen, denn man stuft die Stärke eines Tornados im Nachhinein anhand seiner Schäden ein, da kein Windmesser den Einsatz in einem Tornado überleben würde. Und Heiko macht diese Schadenseinstufung bei vielen Tornados in Deutschland, so dass das Anschauen von F5-Schäden für ihn sehr lehrreich hätte sein können. Letztlich hatten wir uns dann dagegen entschieden, wie ein paar Gaffer ins Krisengebiet zielstrebig hineinzufahren – doch das wurde jetzt für uns entschieden. Durch den Stau und unsere Route hatten wir keine Wahl und mussten die Schäden anschauen. Zunächst ging es mit typischen kleineren Schäden los, ein paar abgeknickte Äste, wie mit einer Sprühflasche verteiltes kleingehacktes Isoliermaterial das überall verstreut lag, herumliegendes Papier, und so weiter.
Doch dann, nach einer Unterführung, erwartete uns ein Anblick, der uns völlig den Atem verschlug: Ein ganzes Stadtviertel war praktisch eingeebnet, dazwischen lagen demolierte Autos die aussahen wie aus der Schrottpresse. Laternen waren zerdreht, Werbeschilder zerstört, Stromleitungen zerrissen, und dazwischen saßen viele Menschen vor ihren halb- oder ganz zerstörten Häusern und versuchten ihr bestes, wieder aufzuräumen und aufzubauen. Hilfsorganisationen waren vor Ort, die Trümmerteile hatten aufgesprühte Kreuze, um zu markieren dass die Menschen daraus schon geborgen worden waren.
Ich begann sofort und unwillkürlich zu weinen und auch Heiko war ungewohnt still. Es war schon verstörend und irgendwie auch ein Omen, dass dieser Anblick am Beginn des Gewitterjagd-Teils unserer Reise stand, und doch rief es uns in Erinnerung, was für gefährliche Naturgewalten wir eigentlich beobachten wollten. Während der restlichen 10 Minuten Autofahrt bis zum National Weather Center versuchten wir uns dann wieder zu sammeln, denn wir hatten einen Termin dort und wollten den natürlich auch nicht verpassen.
Schließlich erreichten wir das National Weather Center (NWC) dann doch noch pünktlich und meldeten uns für unsere Tour an.
Als alle versammelt waren, ging es los. Unsere Führerin erklärte uns, dass hier nicht nur das nationale Vorhersagezentrum der USA sei, sondern auch der Studiengang Meteorologie angesiedelt sei, was umso besser für die Studenten ist, da sie dadurch gleich die Praxis mitlernen – einfach Wahnsinn (ich wollte auch mal Meteorologin werden, und das hier sind wirklich ideale Studienbedingungen). Wir wurden als erstes zu einem Aussichtsturm in der obersten Etage geführt, von dem aus man einen Rundumblick auf die Umgebung hat und während der Hausaufgaben oder in der Mittagspause hervorragend das Wetter beobachten kann.
Natürlich kam von vielen gleich die Frage: konnte man denn von hier aus den Moore-Tornado sehen? Nein, sagte sie, die Wolken haben zu tief gehangen um eine klare Sicht darauf zu haben, obwohl es nur wenige Meilen bis nach Moore sind. Sie erzählte uns auch, dass der Wetterdienst in den USA ausschließlich Warnungen für die Öffentlichkeit herausgeben kann, nicht einmal für den Flugverkehr oder Schiffsverkehr, so dass um das Zentrum drumherum lauter private Anbieter für genau solche Zwecke angesiedelt sind. Diese dürfen dann kostenlos an jeder Wetterbesprechung im NWC teilnehmen.
Anschließend ging es ins Heiligtum des Gebäudes: das Vorhersagezentrum, wo die diensthabenden Meteorologen an großen Bildschirmen und Computern sitzen, und die Wettervorhersagen sowie Vorwarnungen für das ganze Land erstellen. Gerade war dort auch die Presse mit Fernsehkameras, was seit dem Moore-Tornado zurzeit dort jeden Tag passiere.
Anschließend durften wir einen Blick in das Zentrum werfen, wo die lokalen Warnungen herausgegeben werden. Dort liefen auch viele Fernsehbildschirme, weil die Nachrichten aktuelle Wetterereignisse meist schneller mit Hubschraubern oder anderen lebensmüden Journalisten verfolgten als jeder andere, so dass man durch die Informationen aus den Nachrichten seine Wetterwarnungen genauer machen könne. Schließlich schauten wir uns noch den Fuhrpark an: Ein Wagen, der Wetterballons absetzen kann, und mindestens 8 große Autos mit mobilem Doppler-Radar und anderen mobilen Messinstrumenten, die an die Gewitter heranfahren und Daten sammeln.
Als es schließlich dann an die Fragerunde ging, waren wir eine sehr ruhige Gruppe – kein Wunder, wenn wahrscheinlich alle durch die Tornadoschneise zum NWC fahren mussten.
Auf dem Parkplatz in der Hitze ließen wir uns dann nieder, und checkten die aktuelle Wetterlage. Da wir ja jetzt den Gewitterjagd-Teil unserer Reise begonnen hatten, wollten wir wissen, wo heute im näheren Umkreis noch Gewitter zu erwarten waren. Da es für das westliche Oklahoma nicht schlecht aussah, machten wir uns dorthin auf den Weg. Auf dem Rückweg gab es glücklicherweise einen nicht so schlimmen Stau im Moore-Gebiet, so dass wir schneller durchkamen. Auf der I-40 fuhren wir dann nach Westen und setzten als erstes Ziel Clinton, wo wir die aktuelle Wettersituation neu bewerten wollten. Dahin schafften wir es jedoch gar nicht erst, denn bereits vorher war klar, dass die Gewitter schon am Horizont standen und wir sie Richtung Norden verfolgen mussten, statt weiter nach Westen zu fahren. Ein großer, beeindruckender Cumulonimbus stand am Horizont und wir wollten natürlich näher heran, um die Wolkenbasis von Nahem zu sehen.
Doch als wir dann von der Autobahn abgefahren und auf kleinen Highways unterwegs nach norden waren, kam das Gewitter uns immer mehr in die Quere und zog Richtung Nordosten auf uns zu. Doch wir konnten nicht mehr nach Norden, denn vor uns war ein Fluss, über den offenbar nur ganz selten eine Brücke gebaut worden war – so dass wir nach Westen, auf das Gewitter zu fahren mussten, in der Hoffnung, dass wir schnell genug sind und eine Straße nach Norden mit Brücke finden, bevor das Gewitter diese Straße kreuzt. Warum wir nicht ins Gewitter reinfahren wollten? Man weiß nie, was einen erwartet, ob das nun Hagel ist, der die Windschutzscheibe zertrümmert, Wind, der einen Baum auf einen stürzen lässt, oder vielleicht sogar ein Tornado. Also besser immer sicher bleiben! Wir hatten Glück und schafften es, uns vors Gewitter zu setzen, und hatten dabei einen beeindruckenden Blick in den Whale’s Mouth, den Aufwindbereich des Gewitters, von unten.
Wir fuhren nun mit 70 Meilen pro Stunde nach Norden und das Gewitter verfolgte uns mit nur 10 Meilen pro Stunde weniger. Dennoch konnten wir immer noch beeindruckende, quellende Wolken über uns sehen, so etwas habe ich noch nie in Deutschland gesehen.
Auch die Landschaft hier in Oklahoma war recht überraschend, es war hügelig, relativ grün, mit rotem Sand unter den kleinen Büschen und kargen Bäumen, und ausgetrockneten Creeks überall. Unterwegs gab es viele kleine ausgestorbene Kaffs, und in einem von ihnen mussten wir tanken. Es gab nicht wie sonst in Amerika üblich einen Kreditkartenautomaten an der Zapfsäule, sondern man musste drinnen bezahlen – und da fühlte ich mich, als käme ich als ungeladener Gast zu einer Familienfeier: fehl am Platze. Man bediente mich dennoch unter prüfenden Blicken, und das mit einer Langsamkeit…
(dabei zog uns doch draußen ein Gewitter weg!)
Am Ende der Jagd hielten wir dann an einem Feldweg an, und beobachteten wie uns auf der rechten Seite das langsam sterbende Gewitter wegzog und wunderschöne Mammatuswolken hatte, auf der linken Seite ging die rote Abendsonne unter.
Der Sheriff hielt dann noch bei uns kurz an, fragte ob alles okay sei und sagte, dass die Schwergewitterwarnung gerade aufgehoben worden sei. Wir wünschten uns gegenseitig noch einen schönen Abend und fuhren dann nach Woodward weiter, die größte Stadt im Umkreis von fast 100 Meilen – dort wird doch ein Motel zu finden sein. Das bekamen wir dann auch bei einer netten Inderin, das Zimmer war zwar muffig aber okay und günstig, nur unsere Nachbarn waren nicht okay: links halbnackte Jugendliche in Badehose und rechts zwei seltsame Typen, die Heiko sehr aufdringlich Bier anboten, und als er ablehnte und sagte „Nein danke, ich muss heute noch fahren, weil wir Essen gehen wollen“, antworteten sie: „Nicht so schlimm, kannst doch bei uns Bohnen mit Speck essen!“, was wir immer noch ablehnten.
Schnell machten wir uns also auf zu McDonalds, um dort Abendbrot zu essen, und als wir zurückkehrten, hingen sie nicht mehr auf ihrem Truck herum und tranken Bier sondern waren im Zimmer. Ich sagte noch zu Heiko „sei leise, sei leise, sonst kommen sie noch heraus wenn sie uns hören“ – und so war es dann auch.
Beim Ausräumen guckten sie dann aufdringlich zu, später hörten wir sie mit den halbnackten Jugendlichen von links draußen rumrennen. Falls unser Auto am nächsten Morgen weg sein sollte, fotografierten wir noch das Nummernschild von unseren Freunden rechts und hauten uns dann vor den Fernseher, schauten Brautsendungen auf TLC (bester Kanal in Amerika…
) und tranken amerikanisches Panschbier mit Limettengeschmack. Wo wir das her hatten? Im Kühlschrank hatte davon wohl jemand (absichtlich?) ein Sixpack vergessen. So schrecklich wie es schmeckte nahmen wir uns aber nur diese zwei Dosen und ließen den Rest für den nächsten Gast drin.