29.05.2007 - San Francisco erkundenWas hatte ich mir nicht alles für heute vorgenommen. Ich wollte früh mit der Besichtigung meiner Lieblingsstadt starten. Hatte mir echt Gedanken gemacht, wie ich zu diesem Zwecke an einen 7-Tages Pass für die berühmten Cable-Cars und der Straßenbahn kommen würde.
Das Visitor Center öffnet erst gegen 9:00, aber da wollte ich schon längst unterwegs sein. Daher hatte ich gehofft, dass ich am Vortag noch frühzeitig in San Francisco ankommen würde, damit ich diese Wege heute früh bereits erledigt haben würde. Ich hatte mir zwischenzeitlich sogar überlegt, den Pass von anderen San Francisco Besuchern mit nach Deutschland bringen zu lassen und wofür das ganze?
Durch die immense Verspätung des California Zephyr muss ich mich heute eh erst ein wenig ausschlafen. Es ist jetzt nach 10 Uhr und da hat das Visitor Center längst geöffnet. Wieder ein Beweis dafür, sich im Urlaub nicht so viele Sorgen zu machen. Es läuft alles schon irgendwie, und wenn es um die Ecke ist.
Ja, um die Ecke. Ich wollte es zuerst auch nicht glauben, als mir jemand von krummen Rolltreppen erzählt hatte, die um die Kurve führen. Bei meinem letzten Besuch in San Francisco 2002 hatte ich vom Internet und Foren noch keinen blassen Schimmer und bin folglich an allen großen Sehenswürdigkeiten und Kuriositäten vorbeigelaufen bzw. gefahren. Nun endlich, nach 5 Jahren, stehe ich doch tatsächlich wieder live und in Farbe in dieser großartigen Stadt und kann all das nachholen, was ich mir schon so lange vorgenommen habe. Und wenn es so banale kleine Dinge sind wie eben Rolltreppen, die um die Ecke fahren.
Als nächstes steht natürlich eine Fahrt mit der Cable-Car auf dem Programm - was für eine Frage. San Francisco und Cable-Cars gehören einfach zusammen und wie könnte man einen Besuch in San Francisco denn auch sonst beginnen?
Ich erinnere mich noch gerne an meine allererste Cable-Car Fahrt und den stets zu Späßen aufgelegten Fahrern, die mit frechem Mundwerk die windige Fahrt über die Hügel verkürzten.
Obwohl es eigentlich noch Nebensaison ist, stehen schon zahlreiche Menschen wartend an der Cable-Car Endstelle. Das tue ich mir nicht an. Das habe ich noch nie und das werde ich auch nie. Nachdem ich ein paar Fotos vom Wendevorgang der Cable-Car geschossen habe, bewege ich mich schleunigst zur nächsten Cable-Car Haltestelle. Erwartungsgemäß bekomme ich hier noch einen Stehplatz auf der linken Seite.
Dann kann die Fahrt ja losgehen. Wir erklimmen Nob Hill und überqueren die andere Cable-Car Linie auf der California Street. Vom Wageninneren brummt jemand „Tickets, Fares“ – das Mindestvokabular, das ein Cable-Car Schaffner beherrschen muss. Mehr ist längst nicht mehr üblich. Auch der Fahrer hält sich vornehm zurück und ruft nur noch „Chinatown“, „Cable-Car Museum“ und „Lombard Street“ aus. Ansonsten auch von ihm nur Totenstille. Ich denke, naja, das könnte ein Einzelfall gewesen sein, doch auch auf nachfolgenden Fahrten begegne ich stets dem gleichen Alltagstrott. Eine besondere Ausnahme nimmt nur ein Fahrer ein, der scheinbar einen guten Tag erwischt hat und etwas redseliger ist. Er erwähnt immerhin noch in einem Zusatz, dass es sich bei Lombard Street um die krümmste Straße der Stadt handele. Wunderbar! Ich bin ein wenig enttäuscht. 2000 hatte ich noch die besten Sprüche gesammelt und aufgeschrieben, doch dieses Jahr kann man höchstens die Schweigeminuten zählen.
Vergnüge ich mich halt mit der guten alten Straßenbahn in Form der Linie F. Aus aller Welt zusammen gekauft, verkehren hier regelmäßig vom Fisherman’s Wharf über Ferry Building und Market Street nach Castro hübsche bunte historische Straßenbahnwagen, die eigentlich nur ein Ersatz für die in den Jahren 1982-1984 generalüberholten Cable-Cars darstellten, doch dabei so beliebt wurden, dass man die Linie und den Wagenpark sogar noch erweiterte.
Als kleiner Geheimtipp meinerseits stellen die Fahrten dieser Wagen von Castro weiter zum Balboa Park dar. Diesen Streckenabschnitt bedienen die historischen Wagen nur beim Ein- bzw. Ausrücken aus dem Depot. Die Fahrten werden allerdings nach Fahrplan durchgeführt und werden im Internet öffentlich angegeben. 2002 war es auch absolut kein Problem, hier mitzufahren, doch dieses Jahr stellen sich alle Fahrer auf stur. Der Wagen fährt nur bis Castro und damit basta. Auch wenn ich mich nachher per E-Mail erfolgreich bei der Muni beschwere, so bringt mir das in diesem Moment herzlich wenig. Ich scheitere mal wieder am gelangweilten Alltagstrott der Muni-Fahrer. Drei Bahnen mit drei verschiedenen Fahrern probiere ich durch, denn es heißt doch immer, alle guten Dinge sind drei, doch immer nur dasselbe frustrierende Resultat. So langsam nervt mich die Stadt irgendwie und besonders die Muni.
Na, dann spielen wir eben wieder halbwegs ‚normaler’ Tourist und nicht Schienentransportmittelfreak. Ich widme mich dem Stadtteil Mission, den ich bisher noch gar nicht so richtig kenne. Immer nur dasselbe sehen und tun will man bei seinem vierten Besuch in San Francisco ja auch nicht.
Zuerst laufe ich von Castro rüber zur Mission Dolores, dem ältesten Gebäude der Stadt, der Keimzelle von San Francisco, wo 1776 die 6. Missionsstätte von Kalifornien geweiht wurde.
Nach einer kurzen Fahrt mit der Straßenbahnlinie J erreiche ich die 24. Straße, die einmal quer durch Mission führt und an deren Häuserfassaden die meisten, schönsten und nachdenklichsten Murals (Wandmalereien) zu finden sein sollen. Als kleiner Geheimtipp sei noch die Balmy Street empfohlen, eine unscheinbare, heruntergekommen wirkende Hinterhofstraße, in der ich mich nachts nicht so gerne aufhalten möchte. Die Anwesenheit von weiteren Touristen beruhigt aber und so traut man sich auch, ungeniert die Kamera hervor zu holen und die kleinen Kunstwerke für die Ewigkeit festzuhalten.
Die Gegend um die 24. Straße kann man bei Tageslicht unbesorgt besuchen. Es gibt eine Reihe von Geschäften und die Straßen sind sehr belebt. Doch wenn man es nicht besser wissen würde, man könnte glauben, irgendwo in Mexiko oder zumindest nahe der mexikanischen Grenze zu sein. Um einen herum wird praktisch nur spanisch gesprochen. Ich komme mir vor wie in einem Dorf fernab von San Francisco hinter den sieben Bergen bei den sieben Palmen…
Am Ende der 24. Straße habe ich genug gesehen und gehört. Ich besteige einen Bus Richtung Osten, wo ich hoffentlich auf die neu eröffnete Straßenbahnlinie T treffen werde, doch bis dahin ist noch ein weiter Weg. Wäre hier nicht alles so wunderschön im Schafbrettmuster angelegt, man könnte leicht die Orientierung verlieren, sooft wie der Bus abbiegt. Sinn und Zweck der Übung ist weniger, möglichst viele Wohngebiete anzuschließen oder armen Touristen die Orientierung zu erschweren, sondern schlichtweg die Topografie. Der Bus muss die Straßen mit den steilsten Bergen umfahren, wobei ich bei einigen Hügeln auf der Route schon meine Zweifel hatte, dass wir da mit dem sperrigen Bus überhaupt hochkommen. Der Motor jault aus dem letzten Loch, die Kiste klappert und scheppert auf den unebenen Straßen und hat mit Sicherheit auch in seinem Leben schon mal aufgesetzt, aber wir schaffen es. Die San Franciscaner sind halt erfahrene Bergsteiger.
Kurz sehe ich mir die neue Straßenbahnlinie auf der Third Street an, schon endet meine Fahrt an der Station Forest Hill, südwestlich unterhalb von Twin Peaks gelegen. Dieser Zwillingshügel ist eigentlich die einzige Sehenswürdigkeit von San Francisco, die nicht per öffentlichen Nahverkehr erreicht werden kann, denn es fährt keine Buslinie hinauf. Und aus diesem Grund war er eigentlich auch nicht Gegenstand einer Besichtigung dieses Jahr, doch da kommt mir Wolfgang’s 1924er-Projekt wieder in die Quere. Seine Abenteurer sind 1924 auch auf Twin Peaks gewesen, also sind von hier oben wie schon in Chicago wieder Vergleichaufnahmen fällig. Wirklich nur aus diesem Grund versuche ich mich jetzt noch einmal als Bergsteiger. Laut den Google-Landkarten sind es höchstens 2km von der U-Bahn bis zur Spitze. Normalerweise laufe ich diese locker innerhalb von 20 Minuten, aber bergauf dauert es doch noch etwas länger, vor allem bei Gegenwind.
Die Bebauung rechts und links nimmt ab und der Wind dafür zu. Eigentlich will ich mich ganz oben auf der Spitze, also noch oberhalb des Parkplatzes ausruhen, doch der Wind ist einfach zu kalt, so dass ich mich zum Rückzug entschließe.
Wie sagte Mark Twain doch noch einmal? Den kältesten Winter, den ich je erlebt habe, war ein Sommer in San Francisco. Ich wollte es nie glauben, weil ich Mitte Juni schon einmal heiße Kalifornische Sonne hier getankt habe. Auf dieser Basis dachte ich, das wäre Anfang Juni ebenso, doch die bittere, kalte Realität holt mich ein. Auch eine Cable-Car Fahrt am Abend, um den Tag gemütlich ausklingen zu lassen, will nicht so richtig Spaß machen, als ich die kalte Haltestange mit meinen klammen Fingern im eiskalten Wind fest umschließe. Ne ne, San Francisco, du machst dich dieses Jahr nicht gerade beliebt bei mir.
Übernachtung: Grant Plaza Hotel, San Francisco
Bewertung: durchschnittlich