29.09.2012 - Tag 26 - Probiers mal mit Gemütlichkeit - Oder: Savannah? Wer braucht denn schon Savannah?Heute wollen wir Charleston sehen, stehen bezeiten auf und gönnen uns ein kleines Motel-Frühstück.
Was bietet sich für den ortsunkundigen Touri besser an als eine Kutschenfahrt mit einem erfahrenen und idealerweise super witzig-spritzigen Guide? Genau. Also: Einen Anbieter finden, der uns zusagt. Denn ich steige nicht in jede Kutsche ein, ich bin da pingelig. Wenn ich nämlich das Gefühl habe, den Tieren, die die Kutsche ziehen, gehts nicht gut, dann kann mich auch das allerschönste Charleston mal.
Wir kurven also so mit dem Auto herum und plötzlich sieht es aus, als hätten wir was gefunden. Hier sind Pferde, hier sind Kutschen...schlau kombinieren
...hier muss es somit Kutschenfahrten geben!
Wir parken und gehen uns erkundigen. Wir sind auf die Palmetto Carriage Barn gestossen und fragen im Büro nach, wann die erste Fahrt stattfindet, um neun, super, machen wir!
Die halbe Stunde Wartezeit verbringen wir mit ein paar Schritten in der Umgebung und dann in der roten Scheune, dem Wahrzeichen des Unternehmens. Ich beobachte die Pferde und Maultiere, die da auf ihren Einsatz warten, ganz genau, so bin ich einfach. Sehe mir an, wie sie im Futter stehen, ihre Hufe, Augen, Atmung, Benehmen, mir entgeht nichts. Ich finde momentan nichts auszusetzen, ich werde diese Fahrt also antreten.
Unsere Kutsche wird voll, unsere Begleiter sind Jim, der Guide, und zwei stattliche Mulis, die sich gleich als überaus gemütliche Zeitgenossen herausstellen werden.
Jim fragt uns bevor es los geht, von wo wir alle herkommen, wir zwei Swiss Girls ernten ein paar "Oh's" und "Ah's", alle anderen sind Amerikaner.
Dann erzählt er uns noch von sich aus ein bisschen was über die Pferde- und Maultierhaltung, die sie hier betreiben, da das immer ein grosses Anliegen der Touristen sei.
Mir gefällt, was ich höre, so ist Charleston z.B. die einzige Stadt, die jedem einzelnen Tier nach jeder einzelnen Fahrt einen individuellen Check zukommen lässt, wo die Werte geprüft und der Gesamtzustand beurteilt wird. Die Tiere haben jeden Monat regelmässige Auszeiten auf Weiden, feste Frei-Tage pro Woche und ab einer gewissen Lufttemperatur und -feuchtigkeit werden die Touren eingestellt, wer nach dem Check nicht zu 100% in Ordnung ist, kriegt frei für den Rest des Tages.
Eine Stunde soll unsere Tour dauern und uns den Historic District Charlestons ein bisschen näher bringen, mit all seinen wunderschönen alten Häusern.
Und kaum sind wir auf der Strasse, wird uns klar, dass dieser kleine Ausflug sowohl völlig stressfrei als auch total witzig verlaufen wird. Wir werden nämlich von Anfang an dauernd von anderen Kutschen überholt und mit frechen Sprüchen berieselt, man kennt das gemütliche Maultier-Paar, es wird gewitzelt, Jim hält schlagfertig grinsend dagegen und wir haben viel zu lachen.
Vorbei an vielen schönen Gebäuden, durch nette Strässchen führt die Fahrt.
Jim erzählt und erklärt uns viel und das auf eine informative, erfrischende und humorvolle Art. Es ist super interessant, nicht einfach nur alleine Häuser anzugucken und sie halt schön, aber sonst nichts weiter zu finden, sondern zu fast jedem Haus eine Geschichte zu hören. Jim weiss viel, er erzählt uns, wer wo gewohnt hat und warum und was die Häuser damals und heute bedeuten.
So erklärt und zeigt er uns auch den Unterschied zwischen einem typischen Südstaatenhaus, wie man es in Georgia antrifft und der Bauart, wie sie hier in Charleston stattgefunden hat.
Bei ersterem befindet sich der Eingang mittig und wird von Säulen gesäumt.
Bei der zweiten Art betritt man durch einen seitlichen Eingang einen Patio oder eine Veranda.
Manchmal muss man schon genau hinschauen, ob wir uns überhaupt noch bewegen
, so wenig stressen lassen sich unsere zwei Zugtierchen, gemächlich schlendern sie durch die Gassen und lassen sich durch nichts von ihrem Wohlfühltempo abbringen.
Plötzlich hält Jim die Kutsche an (also NOCH mehr an
), scheint in sich zu gehen, schaut dann in die Runde und sagt:
"Falls ihr euch nun etwas schwindlig und wolkig im Kopf fühlt, so kommt das daher, dass wir uns nun genau auf dem höchsten Punkt Charlestons befinden. Dieser Punkt ist 50cm höher als der Rest der Stadt, da kann einem schon mal ein bisschen leicht im Kopf werden. Nur unsere zwei Swiss Ladies dahinten, die sollten nichts spüren dürfen, die sind sich Berge ja gewöhnt!"
Allgemeines Gelächter, weiter gehts, wir haben alle Spass.
Unterwegs geraten wir mitten in einen Menschenauflauf, heute findet der "Heart Walk" statt, irgendein Lauf, bei dem für einen guten Zweck gesammelt wird.
Die Mulis bleiben ruhig und anständig, lassen sich durch nichts aus der Ruhe bringen.
Wir treffen auf seltsam anmutende Gestalten mit ihren treuen Gefährten...Ostküste trifft Karibik oder so.
Das Dock Street Theatre...sieht doch irgendwie...kubanisch aus.
Das schmalste Haus von Charleston.
Als sich unsere einstündige Rundfahrt dem Ende zuneigt, könnte ich schwören, dass wir nicht mal einen halb so grossen Radius erobert haben wie all die anderen uns überholenden Kutschen in der selben Zeit, aber das macht nichts, wir haben auch so genug gesehen, Jim war ein toller Unterhalter und Hauptsache, die Mulis fühlen sich wohl.
Nach dem Aussteigen entdecke ich am Scheunentor noch ein Plakat, wo man nachlesen kann, worauf hier bei der Tierhaltung geachtet wird.
So kann ich damit leben. Was wir z.B. in Frankreich zum Teil gesehen haben, ist pure Tierquälerei und ich würde mich da niemals in so eine Kutsche setzen.
Wir gehen zum Auto und als wir losfahren, entdecken wir diesen imposanten Burschen, der gerade eine ausgiebige Massage erhält und sie sichtlich extrem geniesst.
Ich mag Charleston nun noch mehr als gestern Abend, ich sag's ja, irgendwas liegt hier in der Luft. Geschichte, Flair, Salz, Stolz...Charleston berührt mich einfach, ich weiss nicht genau warum. Ausserdem mag ich den Klang dieses Wortes, vorallem, wenn die Einheimischen es aussprechen.
Da Charleston aber nicht unser einziger Programmpunkt ist heute, heisst es auch hier bereits: Abschied nehmen. Denn es geht nun von South Carolina weiter nach Savannah, Georgia, noch mehr Ostküste wollen wir sehen. Die Fahrt dauert ca. zwei Stunden und wir möchten irgendwann nach dem Mittag ankommen und dann was essen gehen.
Schade, können wir Charleston nicht noch etwas ausgiebiger kennenlernen...aber was nicht geht, geht halt nicht, also reissen wir uns los. Die Fahrt dauert verhältnismässig kurz und nichts Spektakuläres passiert, sieht man von dem Umzug eines längs halbierten Hauses ab, das wir unterwegs überholen. Ich will auch mal so umziehen. Einfach Haus halbieren, aufladen und los gehts.
In Savannah wissen wir nicht so recht, was wir jetzt tun sollen, was wir suchen und finden wollen. Wir verfahren uns irgendwie, respektive kreuzen in der Gegend herum, auf der Suche nach allem und nichts, es will keine rechte Euphorie aufkommen. Wir parken an einem Strassenrand, um zu überlegen, was wir eigentlich wollen, dabei entsteht das einzige Savannah-Bild.
Ja, wir wollen nochmals das Meer sehen, aber wir finden es nicht, trotz Plan. Wir kommen soeben aus Charleston, einer wunderbaren Stadt. Ihr Zauber hängt noch über uns. Was wollen wir dann in Savannah?
Leise hat sich bei uns eine Art Null-Bock-Stimmung eingeschlichen. Und wir beschliessen: Fertig Stadt, wir wollen weiter fahren, lassen Savannah aus, schliesslich haben wir eh nicht viel Zeit uns diesem Ort gebührend zu widmen, bereits morgen geht es zurück zu unserer Basisstation in Bainbridge.
Komm, wir fahren einfach weiter, sage ich, bis wir einen Ort finden, der uns gefällt, irgendwo an der Küste. Ok, das machen wir.
Vielleicht verpassen wir was, das kann sein...aber als wir losfahren, weg von Savannah, sind wir nicht wehmütig, sondern irgendwie erleichtert, wer weiss warum.
Wir fahren einfach weiter, auf der I-95 S, ich studiere die Karte, guck, Brunswick, lass uns da hin fahren und den Strand suchen!
Nach knapp zwei Stunden inklusive kleinem Essenshalt sind wir dann auch schon da, beschliessen, erst mal ein Motel zu suchen, finden eines, merken: Wir sind müde, wir verschieben den Strand auf morgen. Ich habe eh noch eine Menge am Laptop zu tun, Uschi mag relaxen und lesen.
So geht der Nachmittag auch rum, es wird Abend und wieder mal Zeit für Domino's Pizza. Uschi sagt, sie geht nur mal kurz raus, eine rauchen, und kommt dann ewig nicht mehr zurück. Nach einer Stunde wird mir mulmig zumute und ich gehe sie suchen. Finde sie vor dem Motel, rege in ein Gespräch verwickelt mit der jungen Empfangsfrau, welche im Lotussitz auf dem Asphalt hockt und den Reisegeschichten meiner Mutter lauscht. Sie selbst ist noch nie aus der Gegend um Savannah rausgekommen, kennt nichts ausser dieser Gegend hier in Georgia, träumt aber von der Welt, und saugt darum die Geschichten von rund um den Globus, die ihre Gäste hierher ins Motel tragen, wie ein Lebenselixier in sich hinein.
Ich gehe wieder rein, mir ist es hier draussen zu feucht-schwül, bis Uschi nachkommt, vergeht nochmals eine gute Stunde.
Bis wir uns schlafen legen, ist es fast schon Mitternacht. Morgen wird der letzte eigentliche Reisetag sein. Danach gehts zurück zum Anfang. Ganz schön schräg, ganz schön traurig.
Wir werden morgen dem Meer auf Wiedersehen sagen gehen.