Freitag, 11.9.15: Telegraph CoveHeute ist der erste Tag des Urlaubs, an dem ich mir einen Wecker gestellt habe: Um sieben Uhr startet die Tour von Tide Rip hier in Telegraph Cove, bis 6.45 Uhr muss man einchecken, also reißt mich um sechs Uhr der Wecker aus dem Tiefschlaf.
Es ist kalt und neblig, und die Tatsache, dass jeder Kunde im kleinen Büro von Tide Rip erst mal eine Regenhose ausgehändigt bekommt, nehme ich jetzt nicht unbedingt als gutes Omen. Anscheinend hat es heute nacht schon wieder geregnet, der Board Walk ist jedenfalls nass. Ich habe das ungute Gefühl, dass ich seit 10 Tagen dem schlechten Wetter hinterher reise. Oder folgt das Wetter mir?
Pünktlich um sieben Uhr starten wir mit 2 Booten zu je 12 Gästen hinaus aus der Bucht und an Inseln vorbei Richtung Festland. Die Grizzlys gibt es im Knight Inlet zu sehen, und die Fahrt dorthin dauert über 2 Stunden. Unterwegs geben sich unsere Guides schon mal große Mühe, auch anderes Wildlife aufzuspüren. Sie entdecken am Ufer einen Schwarzbär, sehr schön. Außerdem plantscht ein Seeotter im Wasser.
Eine amerikanische Rentnerin erzählt mir auf der Weiterfahrt, wie schön sie es 1964 bis 1966 in Germany fand, als ihr Mann in Baumholder stationiert war. Deutschland in den 60ern, das ist für mich weiter weg als Neuseeland, und entsprechend kann ich wenig zum Gespräch beitragen. Überhaupt bin ich bei der Aufteilung der Gruppe in je 12 Leute irgendwie in die Rentnergruppe geraten und komme mir im Moment ein bisschen vor wie auf einer Kaffeefahrt.
Als wir in den Knight Inlet einbiegen, ist es leider immer noch dicht bewölkt. Wir steigen vom Schiff auf ein flaches Boot mit einem Aussichtssteg in der Mitte um. Diese Boote sind so gebaut, dass man damit sogar die flachen Flüsse und Buchten hinauffahren kann. Gute Voraussetzungen also, um Grizzlys zu entdecken und dicht an sie heranzufahren. Vorher soll sich noch ein Weißkopfseeadler ausgiebig von uns bewundern lassen. Der kennt aber das Drehbuch nicht und fliegt lieber weg.
Grizzlys sind auch bald gefunden, aber sie sind weit weg. Das Gras ist hoch, das Boot schwankt, die Grizzlys halten die Köpfe gesenkt. Meistens sieht man nur undefinierbare grau-braune Fellberge. Von hinten sehen sie ein wenig aus wie kleine dicke Ponies. Und dann stellt sich auch noch heraus, dass es gar nicht so einfach ist, in dieser Landschaft und bei dem trüben Wetter mit dem 600er-Tele überhaupt ein Bild zu machen. Das Schiff bewegt sich ständig, genauso wie der Bildausschnitt. Der Autofokus beißt sich lieber an hellen Grashalmen als am dunklen konturlosen Fell fest. Und weil es so düster ist, schaffe ich es kaum, an der Kamera eine zufriedenstellende Kombination aus kurzer Belichtungszeit und nicht zu hoher ISO-Zahl zu finden. Wenn dann mal ein Bär den Kopf hebt, verwackele ich hektisch das Foto.
Immerhin kommen wir noch ein wenig näher an die Bären heran, aber ungehinderte Blicke auf Bärenköpfe bleiben selten und die Fotoausbeute mager.
Na gut, ich bin von der Tour im Bute Inlet einfach verwöhnt, sage ich mir. Dort hatten wir von Anfang an Riesenglück, hier im Knight Inlet klappt es halt nicht so. Wir haben ja noch Zeit. Und unsere Guides legen sich wirklich ins Zeug, ziehen Anglerhosen an und ziehen das Boot an Seilen geräuschlos den flachen Fluss hinauf. An einer Stelle sehen wir Wolfspuren, woanders entdecken wir einen Weißkopfseeadler. Unser Captain hofft, im Fluss weitere Bären zu finden, aber wir haben Pech.
Nachdem wir im Fluss nicht fündig geworden sind, fahren wir wieder ein Stück zurück zu den ausgedehnten Wiesen. Das Wasser ist mit der auflaufenden Flut inzwischen gestiegen, man kann in flachen Kanälen in die Graslandschaft hineinfahren. Das andere Boot hat das getan und ist in der Zwischenzeit immerhin näher an eine Grizzly-Mutter herangekommen. Wir machen uns auf den Weg dorthin. Unterwegs kann man durch die Bäume noch einen Blick auf etwas Helles erhaschen. Hm, irgendwo hatte ich mal von einem weißen Grizzly gelesen, ob das wohl so einer ist?
Eigentlich will ich unsere Guides nach dem hellen Grizzly fragen, aber jetzt kommen wir näher an die anderen Bären. Und pünktlich reißen jetzt auch Wolken und Nebel auf und die Sonne kommt heraus. Plötzlich wirkt die Szene wie eine Almwiese, auf der halt keine Kühe grasen, sondern Grizzlys.
Das andere Boot hat inzwischen abgedreht, die Beobachtungszeit ist wohl schon beendet. Müssen wir etwa auch weg, gerade jetzt? Nein, wir bleiben und haben Glück, denn die Bärin mit ihren zwei Jungen kommt langsam aus dem höheren Gras heraus, durchschwimmt dann ein paar Meter Wasser und grast auf der anderen Seite weiter. Die Jungen folgen hier, und jetzt haben wir die drei plötzlich dicht vor uns. Die Sonne bringt das Fell zum Leuchten, die Grizzlys lassen sich von uns nicht stören, ach wie herrlich!
Unsere beiden Skipper drehen das Boot immer wieder in Position. Jetzt bin ich froh, dass ich hier in der Rentnergruppe unterwegs bin, denn außer mir haben sich nur zwei andere Gäste die Leiter hinauf zum "Oberdeck" getraut, und niemand macht mir den tollen Ausguck hier oben streitig. Die Bären wühlen im Boden, fressen Gras, die beiden Jungen tollen ein wenig herum, die Mutter ruft sie ab und zur Ordnung.
Irgendwann will die Mutter dann zurück und schwimmt hinter dem Boot wieder durch den schmalen Wasserlauf. Sie ruft die Jungen. Die sind erst mal alleine auf der anderen Seite geblieben und spazieren noch ein wenig herum. Dann wirft sich das erste Junge ins Wasser und kehrt zur Mutter zurück.
Das andere bleibt erst mal unbeeindruckt zurück, schaut dann aber doch: Wo sind die denn alle?
Also los in den Fluss, und hinüber auf die andere Seite, und dann ist die kleine Familie wieder vereint. Die drei Bären grasen noch eine Weile am Ufer, bevor sie langsam im Schatten der Bäume verschwinden.
Ich bin begeistert, das hätte ich nach dem zähen Start hier nicht erwartet! Wir fahren schließlich zurück zur Anlegestelle, wo die beiden Guides die Kühlbox auspacken und jeder sich Sandwichs oder Wraps zusammenstellen kann. Die Sonne scheint immer noch, es ist herrlich hier inmitten der Fjordlandschaft.
Irgendwann müssen wir dann los, die andere Gruppe ist schon vor über einer halben Stunde gestartet. Unterwegs suchen die Guides noch nach Walen. Wir sehen immer wieder in der Entfernung Buckelwale blasen und einmal auch einen abtauchenden Wal aus der Nähe, aber die erhofften Orcas zeigen sich nicht.
Richtung Vancouver Island werden die Wolken wieder dichter, die Sonne verschwindet, und als wir schließlich im Hafen einlaufen, ist es wieder kalt und grau. So ein Glück, dass wir drüben auf dem Festland ein wenig Sonne hatten!
Ich schaue mir noch das informative Whale Interpretive Center an, in dem die Skelette von verschiedenen Walen ausgestellt sind, unter anderem von einen Finnwal, der vor Jahren mit einem Kreuzfahrtschiff kollidiert war.
Es gibt auch Skelette von Buckel-, Grau- und Minkwal, natürlich ein Orca-Skelett und die Kieferknochen eines Blauwals zu sehen.
Abends kehre ich im Killer Whale Café ein, esse Tiger Prawns mit Kokos-Curry-Sauce, trinke Chardonnay und gönne mir zum Abschluss noch ein Stück Schokoladenkuchen.
Für morgen ist außer der rund dreistündigen Rückfahrt nach Courtenay noch nichts geplant. Für eine halbtägige Kajak-Tour, die ich in die engere Wahl gezogen hatte, ist mir das Wetter einfach zu schlecht. Vier Stunden bei dichten Wolken und vielleicht sogar Regen in einem nassen Kajak, nein, das reizt mich dann doch nicht. Also werde ich morgen spontan entscheiden, ob ich den Tag mit einer entspannten Fahrt nach Courtenay verbummele oder doch noch die ein oder andere Sehenswürdigkeit mitnehme.
Gute Nacht!