Mittwoch, 16.9.15: Vancouver – AbflugIrgendwie scheint die Sache mit dem Late Check Out nicht an das Housekeeping weitergeleitet worden zu sein, um viertel nach acht klopft es nämlich schon an meine Tür. Da bin ich gerade erst dabei, mich aus dem Bett zu schälen. Das Frühstücksfernsehen meldet für heute Sonne und Regen am Vormittag und noch mehr Regen am Nachmittag. Der Blick aus dem Fenster verrät: Es ist bewölkt, aber trocken. Also gibt’s kein Last-minute-Shopping und kein Anthropologie-Museum, sondern einen Spaziergang nach Yaletown und von dort aus am Seawall entlang. Vorher schenke ich dem Housekeeping aber noch mein Bärenspray.
Nach Yaletown sind es vom Hotel aus nur etwa zehn Minuten zu Fuß. Der Stadtteil ist nach dem Ort Yale benannt, und dieser Ort war vor dem Ausbau der Eisenbahn bis nach Vancouver die Endstation der von Osten kommenden Eisenbahnlinie. Laut Reiseführer zogen die Arbeiter beim Ausbau mit und siedelten sich in diesem Viertel an. Der Reiseführer meint auch, Yaletown sei vom Arbeiterviertel- zum In-Viertel geworden und habe „fußgängerberuhigte“ Zonen. Was das sein soll, weiß ich nicht, und wenn es verkehrsberuhigte Zonen sein sollen, kann ich sie jedenfalls nicht finden. Es ist nicht außergewöhnlich, aber nett hier.
Ein Stück weiter ist dann die erste Lok ausgestellt, die einen Passagierzug nach Vancouver brachte. Die Lok war bis in die 1930er Jahre im Dienst, zum Jubiläum Vancouvers wurde sie dann optisch wieder aufgehübscht.
Von hier aus sind es nur noch ein paar Schritte bis zum Seawall. Ab und zu kommt jetzt sogar die Sonne heraus, und ich mache mich auf den Weg, um im Uhrzeigersinn noch ein wenig den Seawall abzuwandern. Wenn man hier entlangspaziert könnte man meinen, jeder Einwohner Vancouvers habe eine eigene Jacht oder wenigstens ein kleines Boot. Auf dem Seawall selbst wird eifrig gewandert, gewalkt, gejoggt oder „gebiked“
, in einem kleinen angrenzenden Park sitzt eine Frau und übt Gitarre.
Ich wandere bis zum Fähranleger nach Granville Island und gönne mir dort auf einer Terrasse das letzte Bier in Vancouver.
Ab hier öffnet sich der Pazifik, die Bebauung wird niedriger, es gibt kleine Strände und Parkanlagen, in denen Kanadagänse grasen. Schließlich erreiche ich noch den English Bay Beach, im Sommer „der“ Strand Vancouvers. Jetzt, an einem Wochentag Mitte September ist hier nicht mehr viel los.
Ich verlasse schweren Herzens den Seawall und gehe entlang der netten Davies Street zurück zum Hotel, komme dort um kurz nach eins an, hüpfe nochmal unter die Dusche und nehme schließlich um 2 Uhr ein Taxi zum Flughafen. Der Taxifahrer bringt mich richtig in den Bereich von Condor und wünscht mir einen guten Flug. Sehr nett.
An den Schaltern von Condor haben sich jetzt, über dreieinhalb Stunden vor dem Abflug, schon gepäckbewaffnete germanische Horden zusammengerottet, die vom Flughafenpersonal mühsam aus dem Weg und in zickzackähnliche Schlangen gedrängt werden müssen. Nach zweieinhalb Wochen Wildnis und entspanntem Herumflanieren in Vancouver ist das Zusammentreffen mit so vielen deutsch sprechenden Menschen irgendwie ein Schock, obwohl ich ja zugeben muss: Ich bin jetzt auch eine von denen, die gepäckbewaffnet dreieinhalb Stunden vor dem Abflug in dieser mühsam gebändigten Schlange steht. Der Online-Check-In von gestern abend hat sich übrigens überhaupt nicht gelohnt, denn fürs Baggage-Drop ist hier kein Schalter vorgesehen. Ich bin nicht die einzige, die beim Flughafenpersonal bei der Frage nach so einem Sonderschalter auf taube Ohren stößt und streng in die Economy-Check-In-Schlange verwiesen wird.
Als ich am Schalter ankomme, erfahre ich, dass ich noch eine Nacht hier bleiben könnte, denn die Maschine ist überbucht und man fragt die Passagiere, ob sie nicht lieber morgen nach Hause fliegen wollen. Nein, irgendwie ziehts mich jetzt doch wieder zurück in die Heimat. Das Handgepäck wird beim Checkin auch gleich mitgewogen, da lasse ich lieber mal elegant das Laptop aus dem Rucksack und aus dem Sichtfeld der Mitarbeiterin gleiten, bevor ich hier die Grundsatzdiskussion beginnen muss, dass laut Homepage von Condor ein Handgepäckstück zu 6 kg plus Laptop plus kleine Handtasche erlaubt sind. Mein Rucksack bekommt eine Banderole und ist somit „approved“, ich bekomme die Bordkarte und dann darf auch das Laptop wieder zurück in sein Fach.
An der Sicherheitskontrolle muss das Laptop wieder raus aus dem Rucksack, und dann stehe ich minutenlang neben dem Band und schaue zu, wie mein Rucksack mit der Kamera samt Supertele im Röntgengerät vor und zurück und vor und zurück gefahren wird, während die Mitarbeiterin schon aussieht, als würde sie gleich Terroralarm auslösen. Dann darf ich meine wertvollen Besitztümer aber doch ohne zusätzliche Kontrolle wieder in Empfang nehmen.
Der Flughafen ist nett gemacht, sogar mit kleinem Flussbett, in dem aber um Wasser zu sparen derzeit kein Wasser fließt und einem Aquarium.
Ich gönne mir noch einen Snack, nach dem ich genau 1,55 Dollar Bargeld zurückbehalte und setze mich schließlich ans Gate. Gegen 17 Uhr landet dann der Condor-Flieger aus Deutschland, und bald darauf formiert sich die erste Vorhut der germanischen Horden auch schon zum Boarding. Nein, einfach sitzen zu bleiben, bis die eigene Sitzreihe aufgerufen wird, ist offensichtlich keine akzeptable Option. Da blockiert man lieber den Durchgang, damit auch bloß kein Boardingberechtigter durchkommt. Ach, wie entspannt war es dagegen heute mittag noch in Vancouver. Ich hätte doch die Zusatznacht wählen sollen.
Als wir schließlich mit leichter Verspätung abheben und kanadischen Boden verlassen, geht schon langsam die Sonne unter.
Das war er also, mein erster Urlaub in Kanada. Als ausgewiesene Kanada-Expertin kann ich mich nach diesem Urlaub zwar noch nicht bezeichnen, denn viel vom Festland habe ich nicht gesehen. Aber was ich bisher von Kanada mitbekommen habe, gefällt mir wirklich gut: Wildnis kombiniert mit den Segnungen moderner Zivilisation, so lässt es sich gut aushalten. Vancouver ist nach einem Eindruck entspannt und lebenswert, gerade richtig, um zum Abschluss solch einer Reise noch ein wenig Stadtluft zu schnuppern. Der Schwerpunkt der Reise sollte aber auch der Natur liegen, und das hat auf Vancouver Island wunderbar geklappt. Es gab neben vielen Höhen zwar auch einige Tiefen, aber wer sich in den Küstenregenwald begibt, der darf sich über Regen wohl nicht beklagen.
Was mir sich im Gedächtnis bleiben wird, sind die Gänsehaut-Momente auf dieser Reise. Mich überläuft es immer noch, wenn ich von dem Schwarzbär am Fluss erzähle, von den Grizzlys im Bute Inlet, von dem spielenden Orca-Kalb und dem Buckelwal direkt neben unserem Boot.
Ich danke allen, die die Reise noch einmal mit mir erlebt haben, egal ob sie hier liebe Kommentare gepostet haben oder lieber inkognito mitgereist sind!