Montag, 7.9.15: Courtenay – Campbell RiverHeute morgen gibt es zwischen den Wolken ein paar Streifen blauen Himmels, aber als ich mich nach einem kleinen Frühstück schließlich auf den Weg nach Campbell River mache, haben sich die Wolken wieder geschlossen. Ich will heute vormittag in den Elk Falls Park fahren und ein wenig wandern, bevor um halb zwei die Whale Watching Tour startet. Zuerst fahre ich aber zur Painters Lodge, wo ich heute und morgen übernachten werde und gebe schon mal meinen Koffer dort ab, damit er nicht den ganzen Tag auf unbewachten Parkplätzen im Auto bleiben muss. Dann fahre ich zum Elk Falls Park. Heute ist Labor Day, viele Familien sind unterwegs und der Parkplatz im Park ist schon gut gefüllt. Der Park selbst ist etwas untypisch, denn der Fluss und der Park teilen sich das Gelände mit BC Hydro, die hier irgendwelche dicken Rohre durch die Landschaft führen. Hat man die hinter sich gelassen, kommt man aber bald zu den Fällen.
An dieser Stelle muss ich mal ein Lob für die Parkverwaltung aussprechen, wer immer das ist: Statt einfach nur vor gefährlichen Klippen und Abhängen zu warnen und dort unüberwindbare Zäune hinzustellen, hat man hier eine neue Aussichtsplattform direkt an den Fällen gebaut und dazu eine Hängebrücke, die über die Schlucht führt und einen tollen Blick direkt nach unten eröffnet.
Das Wasser kracht wuchtig auf die Felsen am Fuß der Fälle, und sogar ein paar arme Lachse sehe ich unten im Fluss springen, wundere mich aber schon, wie die die Wasserfälle heraufkommen wollen.
Und jetzt? Ich könnte noch ein wenig am Fluss entlang den Park erkunden. Oder doch gleich nach Campbell River. Moment, auf dem Rückweg nach Campbell River liegt die Quinsam Hatchery mehr oder weniger auf dem Weg, und laut Internetrecherchen soll es dort im Fluss derzeit auch heimkehrende Lachse geben. Also los.
In der Hatchery schaue ich mir erst mal den kleinen, aber schön gemachten Ausstellungsraum an. Unglaublich, wo die Lachse überall rumkommen.
Provisorische Schilder weisen darauf hin, dass man am Fluss derzeit Pink Salmon beobachten kann, und ich folge den Pfeilen hinter der Hatchery vorbei zum Fluss. Dort gibt es die versprochenen Lachse, und dazu ein Dutzend Möwen, die sich schon wie Raubtiere postiert haben und ab und zu stolz ein Stück Lachs aus dem Fluss fischen. Auch andere Leute sind da, schauen auf die Lachse und die Möwen und machen Fotos.
Ich bin gerade hingebungsvoll damit beschäftigt, ein schönes Möwenfoto zu bekommen, da spricht mich plötzlich eine Frau an. Sie wolle mich jetzt doch mal fragen, ob ich den Bären gesehen hätte. Huch? Wie? Was? Bär? Wo? Bär? Bär??? Wirklich??? Wo????
Ich schaue mich hektisch um und stelle fest, dass außer mir niemand mehr Möwen fotografiert. Und ja, da hinten ist ein Bär. Nicht ganz so weit hinten wie ich zuerst gedacht hätte. Eher direkt am Wehr, vielleicht zwanzig bis dreißig Meter von uns entfernt. Da steht wirklich ein Schwarzbär, fischt nach Lachsen und spaziert dann gemütlich am Wehr entlang. Ein echter Bär!
Ich kann es kaum glauben. Um mich herum stehen etwa fünfzehn fotografierende Touristen, auch Leute mit Kindern und einem Golden Retriever, der treudoof schwanzwedelnd den Bär betrachtet und bestimmt gerade beschließt, den merkwürdigen schwarzen Hund zum Spielen aufzufordern.
Und was macht man als verantwortungsbewusster Tourist in einer solchen Situation? Zieht man sich etwa behutsam rückwärts gehend zurück? Vermutlich. Dummerweise bin ich keine verantwortungsbewusste Touristin, vergessen sind Warnungen und das Bärenspray im Rucksack. Wenn die anderen hier Fotos machen, mache ich das auch, schließlich sind wir eine kleine Herde, und jetzt mal ehrlich, als erstes wird im Falle eines Falles sowieso der dämliche Golden Retriever gefressen.
Also knipse ich die Speicherkarte heiß. Der Bär steht meistens mit dem Rücken zu uns und den Pfoten und der Schnauze direkt am Wehr. Ab und zu dreht er sich aber doch um, spaziert am Wehr entlang und erwischt tatsächlich mehrere Lachse.
Die Lachse werden halb lebendig verschlungen, das Blut spritzt, das ist schon brutal.
Immer öfter schaut der Bär in unsere Richtung, es sind inzwischen noch mindestens 15 weitere Leute dazugekommen, darunter auch zwei Hunde, die etwas intelligenter als der Golden Retriever sind und aufgeregt anfangen zu bellen.
Dem Bär wird es dann wohl doch zu viel. Irgendwann fängt er an zu gähnen, und als eifrige Zuschauerin von Wildlife-Sendungen kann ich mir denken, dass er nicht müde ist, sondern unschlüssig, was er tun soll. Spätestens jetzt bin ich doch wieder eine verantwortungsbewusste Touristin und gehe lieber zurück zur Hatchery.
Innerlich schüttelt es mich. Und ich bin auch ziemlich erschrocken darüber, dass ich so dicht an einem Bär stehen konnte, ohne ihn überhaupt zu bemerken. Was wäre wohl gewesen, wenn ich allein dort gewesen wäre? Wäre der Bär nähergekommen und hätte irgendwann angefangen, an meinem Hosenbein herumzuknabbern, während ich durchs Teleobjektiv nach Möwen gesucht hätte? Ich bin schon komisch, denke ich, während ich mich im Auto kurz durch die Fotos klicke. Morgens bringe ich sicherheitsbewusst meinen Koffer zur Unterkunft, damit er bloß nicht alleine im unbewachten Auto bleiben muss, und mittags gibt’s dann quasi Picknick mit Bären.
Ich mache mich auf den Weg nach Campbell River und checke für meine Whale-Watching-Tour ein. Die startet um halb zwei, im Nieselregen gehe ich mit den anderen Passagieren aufs Schiff, und schon zu Beginn der Tour tut der Captain sein bestes, unsere Erwartungen zu dämpfen. Ja, sie hätten in den letzten Tagen Orcas gesehen, aber heute seien noch keine Sichtungen berichtet worden, es sei halt eine Safari, kein Zoo, man habe ein schnelles Boot und werde jetzt erst mal Richtung Norden fahren. Das tun wir, und kommen gleich mal an der Painters Lodge vorbei, in der schon mein Koffer steht.
An dieser Stelle kann ich schon mal verraten, dass es heute leider keine Orcas zu sehen gibt. Ich bleibe tapfer während der sechsstündigen Tour oben auf dem Oberdeck sitzen und schütze die Kamera vor den gelegentlichen Regenschauern mit einer kürzlich gekauften Plastikhülle. Immerhin gibt es ein paar Vögel zu sehen.
Gerade als ich befürchte, dass das wohl alles an Wildlife war, was die Tour heute hergibt, wird ein große Schule Delfine gesichtet. Als wir näherkommen, fangen sie an, in der Bugwelle zu springen und zu surfen, während der Rest, mindestens 100 Tiere, vor und neben uns schwimmt. Ich kann es kaum beschreiben, es ist einfach atemberaubend, sie so dicht immer wieder aus dem Wasser springen zu sehen. Das Schiff kann kaum mit ihnen mithalten.
Als unser Captain schließlich anhält, verlieren sie das Interesse an uns, drehen ab und sind schnell verschwunden. Wow, das war toll.
Der Regen lichtet sich, und ss gibt wieder herrliche Küstenlandschaft mit wabernden Wolken zu bewundern.
Danach gerät die Biologin (oder wie immer man „Naturalist“ übersetzen will) an Bord aus dem Häuschen, weil sie Dall's Porpoise sieht, Weißflankenschweinswale, und die sind, wie sie sagt, die schnellsten Schwimmer und selten zu beobachten. Immerhin schaffe ich ein Foto, und laut Ann ist das linke Tier ein Junges.
Eine Gruppe Steller-Seelöwen finden wir noch auf einem Felsen. Eigentlich könnte man sie mit verbundenen Augen finden, denn man müsste nur dem Gestank folgen.
Er hier erinnert mich sehr an den Golden Retriever von heute mittag.
Dann werden die Wolken wieder dichter und es setzt wieder der Regen ein. Alles ist nur noch grau in grau, und wir laufen schließlich abends gegen halb acht wieder in den Hafen ein, ohne weitere Tiere gesehen zu haben.
Sehr schade, dass keine Orcas dabei waren, aber die Begegnung mit dem Schwarzbär am Quinsam River überstrahlt ohnehin den ganzen Tag, und die Delfine waren auch toll. Ich fahre müde und letztlich zufrieden zum Hotel, checke ein und schaffe mein Gepäck ins Zimmer, das in einem Nebengebäude direkt am Wasser liegt. Nur noch schnell die Haare einigermaßen richten, dann kehre ich im Pub im Haupthaus ein und gönne mir einen leckeren Burger mit einheimischem Bier.
Heute abend bin ich todmüde und falle fast sofort ins Bett. Der Wetterbericht für morgen hat sich leider nicht gebessert, immer noch wird Regen für den ganzen Tag vorhergesagt. Dann werde ich morgen wohl auch noch die Regenhose aus dem Koffer holen, wenn es auf Grizzly-Tour geht.
Gute Nacht!