Gute Morgen allerseits!
Es geht weiter. Wie schon angekündigt, verlassen wir heute die letzten Ausläufer des (von der Landschaft her noch recht mitteleuropäisch wirkenden) chilenisch-argentinischen Seengebiets und fahren zu den Regenwäldern der chilenischen Fjordlandschaft. Am vergangenen Tag der Reise haben wir ja schon dicke Wolken über den Anden hängen gesehen und daher machen die Regenwälder heute leider ihrem Namen alle Ehre...
2.11.2011: Futaleufu - Caleta GonzaloNach einem sehr leckeren Frühstück verabschieden wir uns sowohl vom Wirts-Ehepaar als auch von den beiden Berlinern. Wie gestern schon von der argentinischen Seite der Anden aus befürchtet, hat uns das gute Wetter verlassen. Der Himmel ist bedeckt, aber immerhin regnet es nicht. Die Straße ist noch für ein kurzes Stück asphaltiert, dann hat uns der Schotter wieder. Die Straße führt hier durch ein enges Gebirgstal, zunächst bergauf bis zum Lago Loncon. Dies ist der höchste Punkt unserer heutigen Etappe. Von hier an geht es bergab und ab 14 Kilometern nach dem See wird die Straße begleitet vom Rio Futaleufu. Dieser fröhlich über Stromschnellen hüpfende Fluss ist bei Wildwasserfahrern äußerst beliebt. Auch wenn wir zu früh im Jahr unterwegs sind, um solche Sportler zu sehen, läst der Blick auf das brodelnde und wirbelnde Wasser erahnen, wie herausfordernd es ist, sich mit einem Kanu hier über Wasser zu halten. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Westseite der Anden wesentlich mehr Wasser abbekommt als die argentinische Seite östlich der Berge. In Argentinien waren wir in tieferen Lagen in einer trockenen Grasebene unterwegs, in den Bergen fuhren wir durch eine relativ trocken anmutende Waldgegend. Hier in Chile hat sich der Charakter des Waldes aber komplett verändert: Viel dichter und feuchter kann man ihn fast schon als Regenwald oder Urwald beschreiben.
Unterwegs auf der Ruta 231 von Futaleufu Richtung Südwesten. Brücke über den Rio Futaleufu. Der Rio Futaleufu. Wir sehen viele Tiere auf und neben der Straße: Pferde, Kühe und Schafe mit sehr jungen Lämmern. Zudem hätten wir auch die Gelegenheit gehabt, ein Huhn zu überfahren. Alle paar Kilometer sehen wir rechts und links neben der Straße Baustellenfahrzeuge und sind uns nicht sicher, ob die Straße nur ausgebessert werden soll oder auch hier tatsächlich an Asphaltierung gedacht wird. Knapp 60 Kilometer hinter Futaleufu erreichen wir zu ersten Mal das Ufer des Lago Yelcho, mit einer Oberfläche von 116 Quadratkilometern einer der größten Seen hier in der Gegend. Die tief an den Bergen hängenden Wolken über dem grauen Wasser des Sees schaffen eine düstere und verwunschene Stimmung. Nach weiteren 14 Kilometern kommen wir nach Villa Santa Lucia und erreichen hier die legendäre Carretera Austral. Diese Straße führt über 1350 Kilometer von Puerto Montt nach Villa O'Higgins. Der Bau der Straße wurde erst 1976 vom Diktator Auguste Pinochet angeordnet - vorher hielt man es wohl schlicht nicht für möglich, eine Straße durch die wilde Berg- und Fjordlandschaft des südlichen Chile zu bauen. Damals konnten zahlreiche chilenische Ortschaften südlich von Puerto Montt nur per Schiff, Flugzeug oder von der argentinischen Seite aus erreicht werden. Über weite Strecken handelt es sich bei der Carretera Austral um eine durch dichten Regenwald führende wilde Schotterpiste. An vielen Stellen, vor allem direkt südlich von Puerto Montt, war es nicht möglich, eine Straße entlang der steilen Fjordtäler zu bauen oder die Fjorde mit Brücken zu überqueren. Hier bilden Fähren einen essentiellen Bestandteil der Straße.
Abgestorbene Bäume kurz vor dem Lago Yelcho. Wir nähern uns dem Lago Yelcho. Blick vom Südufer des Lago Yelcho nach Norden. Wir hätten an der Kreuzung mit der Carretera Austral einen großen Wegweiser erwartet. Stattdessen gabelt sich die Straße einfach auf und die berühmte Carretera Austral unterscheidet sich auf den ersten Blick gesehen nicht sonderlich von der Straße, der wir von Futaleufu aus gefolgt sind. Allenfalls ist sie ein wenig breiter. Der Wald entlang der Straßenränder ist aber deutlich dichter und wilder. Auffällig sind die riesengroßen Rhabarberblätter, Pangue genannt, die hier in großen Mengen wachsen. Wir folgen der Straße zunächst nach Norden. Hier befindet sich eine längere Baustelle. Hier handelt es sich definitiv um eine größere Modernisierung, ob Asphalt mit ins Spiel kommt, können wir aber auch hier nicht erkennen. Die Straße führt fröhlich bergauf und bergab. Seitdem wir die Carretera Austral erreicht haben, hat sich das Wetter nicht wirklich verbessert. Die Straße ist feucht, was auf kürzliche stärkere Regenfälle hindeutet. Aktuell tröpfelt es, mal mehr, mal weniger.
Unterwegs auf der Carretera Austral. Nach etwa 19 Kilometern öffnet sich auf linker Seite das langgezogene Tal in dessen Ende der Ventisquero Yelcho fließt, der Yelcho-Gletscher. Diesen Gletscher kann man über eine etwa viereinhalb Kilometer lange Wanderung erreichen. Nachdem sich die Menge des momentan vom Himmel fallenden Wassers sehr in Grenzen hält und auch die Wolken so weit aufgerissen sind, dass wir den Gletscher schon von der Straße aus sehen können, entscheiden wir uns, einen Versuch zu unternehmen. Also das Auto abgestellt und los geht es, durch den dichten Wald, immer in direkter Nähe des vom Gletscherwasser gespeisten Flusses. Allerdings ist der Weg nicht sonderlich gepflegt, insbesondere in der zweiten Hälfte der Strecke. Es geht damit los, dass von rechts und links große Äste in den Weg hängen und endet damit, dass wir weite Strecken dicht gebückt zurücklegen müssen, um überhaupt durchzukommen. Im Prinzip ein großer Spaß. Aber nicht, wenn das Unterholz, durch das man sich schlägt tropfnass ist und man somit eine kostenlose Dusche von oben erhält. Zudem nimmt auch die Stärke des Regens im Laufe der Zeit wieder deutlich zu, so dass auch die Schlammpfützen auf dem Weg deutlich größer und teilweise sogar richtig unangenehm zu überqueren werden. Zum Glück haben wir halbwegs vernünftige Wanderausrüstung dabei. Zum Beispiel die robusten und alpenerprobten Wanderschuhe helfen schon sehr. Leider liegen gerade unsere nun dringend nötigen Regencapes im Auto... Wasser von oben, unten, links und rechts. Das Wort "Regenwald" beinhaltet ja einen Bestandteil, der Wasser von oben nicht unbedingt ausschließt, aber irgendwann wird es unangenehm. Allerdings wollen wir auch nicht aufgeben und erreichen somit nach 75 Minuten einen breiten Talkessel, an dem sich der Wald öffnet und den Blick auf den noch etwa 1,5 Kilometer entfernten sehr schönen Gletscher frei gibt. Wir könnten von hier aus auch noch über Geröll bis zum Gletscher weiter gehen, darauf verzichten wir aber in Anbetracht der äußeren Umstände. Auf dem Rückweg ist alles noch nasser und der Weg hat sich teilweise in einen kleinen Bach verwandelt. Letztendlich erreichen wir glücklich wieder den Parkplatz mit unserem Auto, wo es fast gar nicht mehr regnet.
Noch ist der Wanderweg recht trocken... Der Ventisquero Yelcho und jede Menge Regenwolken. Weiter geht es Richtung Norden auf der Carretera Austral. Die Heizung und Klimaanlage unseres Pick Ups laufen auf voller Power, um unsere Klamotten zu entfeuchten. Nach wenigen Kilometern erreichen wir das Westufer des Lago Yelcho. Dort überqueren wir den Rio Yelcho über eine beeindruckende Hängebrücke. Einige Kilometer weiter nördlich erreichen wir den asphaltierten Teil der Straße. Vor einigen Jahren wurde ausgehend von der Ortschaft Chaiten begonnen, die Carretera Austral Richtung Süden zu asphaltieren. Diese Bemühungen kamen allerdings zu einem jähen vorläufigen Ende, als im Mai 2008 der nur etwa zehn Kilometer von Chaiten entferne Vulkan Chaiten ausbrach und weite Teile der Stadt durch Schlammlawinen zerstört wurden. Eigentlich hatte man den relativ kleinen Chaiten für inaktiv gehalten. Die Menschen in der Ortschaft hatten viel eher mit einem Ausbruch des deutlich weiter entfernten und größeren Vulkans Michinmahuida gerechnet. Aufgrund der exponierten Lage der Ortschaft und der Gefahr eines erneuten Ausbruchs wurde von Seiten der chilenischen Regierung entschieden, Chaiten in zehn Kilometer Entfernung, an der Stelle des Hafens Santa Barbara, wieder aufzubauen. Das Errichten von Gebäuden an der Stelle der alten Ortschaft wurde verboten. Zu unserer großen Überraschung gilt dieses Verbot aber scheinbar nicht mehr, sehen wir doch zahlreiche reparierte Gebäude, Geschäfte, Restaurants und sogar eine Filiale der staatlichen Tankstellenkette Copec. Weite Bereiche von Chaiten sehen aber noch genau so aus, wie direkt nach dem Vulkanausbruch 2008: Viele Häuser sind immer noch von hellgrauem Vulkanschlamm bedeckt. Auffällig ist auch, wie weit durch die abgelagerten Schlammmassen die Küstenlinie von der Ortschaft weg in Richtung Meer verschoben wurde.
Hängebrücke am Nordufer des Lago Yelcho. Nachdem auch der Flughafen der Stadt dem Vulkanausbruch zum Opfer fiel, wurde einige Kilometer nördlich ein Behelfsflughafen errichtet. Die Landebahn dieses Flughafens verläuft direkt neben unserer Straße, Landebahn und Straße bilden quasi eine Einheit. An beiden Seiten des Flughafens gibt es eine große Schranke mit Stoppschild. Hier wird (hoffentlich) abgesperrt, bevor ein Flugzeug starten oder landen will. Ein paar Kilometer später überqueren wir den Rio Blanco, über dessen Flussbett 2008 ein gewisser Teil des Vulkanschlamms abfloss. Die Schwemmflächen links und rechts des Flusses sind äußerst breit, über und über mit Asche bzw. Schlamm bedeckt. Umgeben ist das Ganze von jeder Menge toter Bäume.
Regennasse Carretera Austral. Unser heutiges Tagesziel ist der etwa 40 Kilometer nördlich von Chaiten gelegene Parque Pumalin. Dieser Naturpark befindet sich im privaten Besitz. Eigentümer ist der amerikanische Millionär Douglas Tompkins, Gründer der Bekleidungsfirmen "The North Face" und "Esprit". 1990 verkaufte er die Anteile an seinen Firmen und verwendet seitdem sein Geld, um in Patagonien große Landflächen aufzukaufen und unter Schutz zu stellen. Der Parque Pumalin umfasst inzwischen eine Fläche von 325000 Hektar, dabei handelt es sich hauptsächlich um Regenwald. Dieser wird somit vor dem Schicksal bewahrt, den weite Flächen des Regenwalds entlang des südlichen Teils der Carretera Austral erleiden mussten: Hier wurde gnadenlos abgeholzt, um Viehwirtschaft zu betreiben. Anfangs noch belächelt, sieht sich Tompkins inzwischen einer wachsenden Gegnerschaft gegenüber, vor allem gebildet von Unternehmern, die den Regenwald ausbeuten wollen. Aber immerhin erklärte Chile im Jahr 2006 den privaten Parque Pumalin offiziell zum Schutzgebiet.
Der Lago Nero. Der Regen und die tief hängenden Wolken sorgen auch hier für eine ganz besondere Stimmung, so dass uns die Fahrt sehr gut gefällt. Im Parque Pumalin gibt es einige schöne Wanderungen. Diese müssen wir aufgrund des inzwischen wieder prasselnden Regens leider auslassen. Wir fahren durch bis Caleta Gonzalo, dem nördlichsten Ende dieses Abschnitts der Carretera Austral. Weiter in Richtung Hornopiren und damit auch in Richtung Puerto Montt geht es nur mit der Fähre. Es gibt zwar Pläne, eine Straße durch den Parque Pumalin entlang des Fjordufers zu bauen. Allerdings setzt sich Douglas Tompkins energisch gegen diese Pläne zur Wehr. Mal schauen, ob bzw. wie lange er es schafft, sich durchzusetzen. Caleta Gonzalo liegt am der Seite eines Fjordes und besteht aus einem Fähranleger, einem Gebäude der Parkverwaltung sowie einer Lodge. Da es in dieser Lodge nur relativ wenige Cabins gibt, waren wir während der Reisevorbereitung froh, hier noch buchen zu können. Letztendlich verdeutlicht es sich zum wiederholten Male, dass wir nicht zur Hauptsaison unterwegs sind: Wir sind die einzigen Gäste. Nachdem wir in unserer Cabin unsere nassen Klamotten zum Trockenen aufgehängt haben, bekommen wir im Hauptgebäude der Lodge das Abendessen serviert: von zwei Leuten, die ganz alleine für uns zuständig sind. Das ist uns fast ein wenig peinlich - aber was soll man machen. Das Essen ist sehr gut und soweit wir einschätzen können aus lokaler Produktion. Das Hauptgebäude ist schön gestaltet, mit einer offenen und hohen Holzdecke. Dekoriert ist das Ganze unter anderem mit getrockneten Pflanzen und Kräutern aus der Gegend. Aufgrund des Wetters streichen wir auch die direkt von Caleta Gonzalo aus möglichen Hikes und verbringen stattdessen den Rest des Abends in der Lodge.
Übermorgen geht es weiter...
Schöne Grüße,
Dirk