Und weiter geht es - nach der überstandenen Anreise unser erster voller Tag in Patagonien:
28.10.2011: Petrohue - PuconWir sind früh, aber zu einer vernünftigen Zeit, wach und auch ausgeschlafen. Während einem nächtlichen Besuch auf der Toilette hat Dirk aus dem Fenster einen schönen Sternenhimmel gesehen. Nun ist der Himmel leider wieder komplett zugezogen. Immerhin regnet es aber nicht mehr. Vor dem Frühstück laufen wir wieder ein Stück entlang des Ufers vom Lago Todos los Santos. Faszinierend ist der Sand des Strandes - dieser besteht komplett aus schwarzem Lavagestein. Zwar sehen wir vom Osorno ein wenig mehr als gestern Abend, dabei handelt es sich dummerweise aber nur um die Basis des Vulkans. Der schneebedeckte Gipfel wäre uns lieber. Naja, zunächst zum Frühstück. Dieses ist der Herberge angemessen, recht edel und auch sehr lecker. Danach geht es auch schon wieder weiter. Während wir unser Gepäck zum Auto tragen, sehen wir aus dem Fenster vom Treppenhaus eine riesige Wolkenlücke, blauen Himmel und endlich auch den Osorno. Wir werfen das Gepäck ins Auto und stürmen zum Strand. Leider ist die Wolkenlücke nun nicht mehr ganz so groß wie vorher, aber immerhin sehen wir nun einen der zahlreichen Vulkane, für die das chilenische Seengebiet berühmt ist, in zumindest teilweiser Pracht vor uns stehen: die Form ungefähr genau so, wie ein Kind einen Vulkan malen würde - und bis fast ganz unten mit Schnee bedeckt. Ein prächtiger Anblick.
In Wolken gehüllter Vulkan Osorno hinter der Petrohue Lodge. Morgenstimmung am Lago Todos los Santos. Viele Wolken und der Gipfel des Osorno. Wir fahren zunächst wieder ein Stück der gestrigen Route zurück nach Ensenada. In die Gegenrichtung würde eine Weiterfahrt auch wenig Sinn machen: Über den Lago Todos los Santos führt zwar eine Fähre. Aber die Straße auf der anderen Seite des Sees endet nach ein paar Kilometern im Nichts. Stattdessen zurück zu den Saltos de Petrohue, nun mit geöffnetem Aussichtspunkt. Allerdings ist deutlich zu merken, dass wir noch in der absoluten Nebensaison unterwegs sind - es verirren sich nur wenige Leute hierher, um das gewaltige Schauspiel zu bewundern und der große Parkplatz ist auch nahezu leer. Immerhin laufen wir einer deutschsprachigen Busreisegruppe über dem Weg. Das passt gut zu einer Beobachtung, die wir im weiteren Verlauf unserer Reise häufiger machen werden: Individualreisende sind selten in Südamerika. Die meisten Europäer und Nordamerikaner sind geführt oder per Bus unterwegs. Im Rückblick können wir das kaum nachzuvollziehen, wir empfanden das individuelle Reisen in Chile und Argentinien als nicht übermäßig komplexer oder schwieriger als in den USA oder Australien. Die Wasserfälle sind wirklich beeindruckend. Vor allem der Kontrast zwischen der dunkelschwarzen Lava, dem weiß schäumenden Wasser und dem bis dicht an das Wasser reichenden Regenwald ist phantastisch. Wie toll muss das alles erst bei gutem Wetter aussehen, mit blauen Himmel und den im Hintergrund stehenden Vulkan.
An den Saltos de Petrohue. Weiter geht es zurück zum Lago Llanquihue und an dessen östlicher Seite nach Norden. Die Straße hier ist frisch asphaltiert - im Widerspruch zu allen unseren Straßenkarten. Allgemein gewinnen wir den Eindruck, dass sowohl auf chilenischer als auch auf argentinischer Seite von Patagonien momentan sehr viel am Ausbauzustand der Straßen gearbeitet wird. Hier führt die Straße ein Stück in die Höhe und eröffnet von dort immer wieder schöne Blicke auf den Lago Llanquihue. Aufgrund des nicht so tollen Wetters sparen wir uns den möglichen Abstecher zur Talstation des Osorno-Skigebiets. Stattdessen wollen wir die in der Ortschaft Las Cascadas beginnende Wanderung zum namensgebenden Wasserfall suchen. Bis auf ein paar Fotos des Wasserfalls haben wir im Internet keine Angaben zu dieser Wanderung gefunden - in unseren Reiseführern steht sowieso nichts. Im Zentrum der winzigen Ortschaft finden wir ein großes Schild mit der Beschriftung "Cascadas". Wir folgen diesem Schild über eine äußerst rumpelige Dorfstraße. Nach einiger Zeit führt diese in den Wald und wird noch rumpeliger und schmaler. Wir beginnen zu zweifeln, ob wir hier richtig sind, aber alle paar hundert Meter finden wir ein weiteres Schild in Richtung Wasserfälle. Unsere Bedenken, ob das ruppige Teil hier nicht mehr die Zufahrtstraße sondern schon der eigentliche Wanderweg ist, lösen sich in Luft auf, als wir nach einiger Zeit einen kleinen Parkplatz mit (im Moment aber geschlossenen) Kiosk erreichen.
Unterwegs am Ostufer des Lago Llanquihue. Wir schnüren unsere Wanderstiefel und brechen auf. Der Weg führt durch einen wunderschönen und urigen Regenwald, der uns sehr an Wanderungen im Süden Australiens erinnert - zum Beispiel den Tarra Bulga National Park. An mehreren Stellen müssen wir über wackelige Baumbrücken einen reißenden Bach überqueren. Der Weg führt in ein immer schmaler werdendes Tal - letztendlich befinden wir uns in einer Art breiter Schlucht. Deren Wände sind über und unter bedeckt mit Bäumen und Farnen - ein toller Anblick. Es stehen auch viele Fuchsienbüsche herum. Nach etwas mehr als einer halben Stunde hören wir ein donnerndes Geräusch. Das letzte Stück des Weges zum Wasserfall ist recht schlammig, doch es lohnt sich: Der Weg biegt nach links um eine Ecke und gibt den Blick frei auf den - grob geschätzt - 15 Meter hohen Wasserfall, über den donnernd jede Menge Wasser in die Tiefe stürzt. Es gibt eine Art Aussichtsplattform, im Grunde genommen handelt es sich dabei nur um ein kleines flaches Stück Erde. Man kann auch ein bisschen nach vorne bergab klettern, um näher an den Wasserfall zu kommen oder nach hinten, für den besseren Gesamtüberblick. Wir beschränken aufgrund des glitschigen und nassen Untergrunds unsere Kletterversuche aber auf des allernötigste. Nachdem wir den Anblick ausgiebig genossen haben, geht es zurück zum Auto und in diesem wieder recht rumpelig zurück auf die Straße Richtung Norden. Das war ein äußerst lohnenswerter Abstecher.
Der Wasserfall von La Cascadas. Faszinierender Pflanzenbewuchs entlang des Wanderwegs zum Wasserfall von La Cascadas. Es geht weiter am Lago Llanquihue entlang in Richtung der Stadt Osorno. Der namensgebende Vulkan befindet sich inzwischen hinter uns, versteckt sich aber immer noch in dichten Wolken. Die Gegend ist deutlich weniger waldig als noch direkt am Vulkan und wirkt mit ihren weiten Wiesen und Feldern sehr mitteleuropäisch. Die Straße ist gesäumt von rot blühenden Notro-Bäumen - diese knallroten Gesellen sind typisch für die gemäßigten Gegenden von Chile und Argentinien und werden uns über den gesamten weiteren Verlauf unserer Reise begleiten. Als wir uns Osorno nähern nimmt der Verkehr deutlich zu, leider aber nicht die Anzahl der Straßenschilder. Eigentlich sollten man annehmen, dass es kein Problem ist, die Auffahrt auf die Ruta 5 Richtung Norden zu finden - wir aber befinden uns auf einmal mitten in den inneren Bezirken von Osorno. Unser hastig aktiviertes Navigerät ist hier noch eine große Hilfe - später wird sich herausstellen, dass die Qualität des Kartenmaterials außerhalb der Städte oftmals mit viel Wohlwollen maximal als sehr Bescheiden zu bezeichnen ist.
Unterwegs in Richtung der Stadt Osorno. Wir folgen der Ruta 5 ungefähr 90 Kilometer durch grüne Wälder und Wiesen nach Norden und biegen dann auf die T-39 Richtung Panguipulli - gelegen am gleichnamigen See - ab. Eine nette kleine Ortschaft, die wir uns allerdings nur kurz anschauen. Aufgrund der doch recht frühen Zeit haben wir uns nämlich entschieden, noch einen bekannten Wasserfall ins Programm zu nehmen, der allerdings etwas abseits unserer Strecke liegt: Hinter Panguipulli folgen wir der Ruta 203 Richtung Conaripe. Etwa 9 Kilometer hinter der Ortschaft biegt die Straße nach rechts ab, Richtung Neltume und verläuft äußerst pittoresk am Nordufer des Lago Panguipulli. Auf allen uns vorliegenden Karten handelt es sich um Ripio, zu unserer Überraschung treffen wir auf nagelneuen Asphalt. Nach ein paar Kilometern reduziert sich die Anzahl der rechts neben der Straße gelegenen Grundstücke auf null. Da die Straße hier sehr kurvig und stetig bergauf und bergab verläuft bieten sich immer wieder atemberaubende Ausblicke auf den See, eingeschnitten zwischen bewaldeten Berghängen und mit vielen Inseln. Nach etwa 40 Kilometern, am Ende des Sees, bekommt unser Pick Up nach all dem Asphalt endgültig die erste Gelegenheit, sich auf Ripio zu beweisen: Die letzen ungefähr 16 Kilometer nach Neltume verlaufen auf einer recht guten Schotterpiste, einzig im Verlauf der gelegentlichen Bergaufstrecken gibt es etwas Waschbrett. Kurz vor Neltume geht es rechts raus und ein kurzes Stück recht rumpelig bergab zu einem Parkplatz.
Ufer des Lago Panguipulli mit interessantem Straßenverlauf. Hier beginnt die kurze Wanderung zum Salto Huilo Huilo. Der Weg führt über jede Menge Holzstufen bergab direkt zum Wasserfall, den wir nach nur wenigen Minuten erreichen. Hier fällt der stark angeschwollene Rio Fuy über eine beeindruckende Steilstufe in ein großes Becken. Wir sind wirklich zur absolut besten Zeit des Jahres, um Wasserfälle anzuschauen, hier. Auf dem Weg zum Wasserfall ist uns ein Wegweiser aufgefallen, der auf einen Pfad zum Salto Puma hinweist. Der Name dieses Wasserfalls sagt uns gar nichts und es ist auch keine Entfernung oder Gehzeit angegeben. Wir entscheiden uns, den Pfad auszuprobieren. Der Pfad führt einige Zeit relativ eben durch den Wald und dann nah an die Abbruchkante, tief unterhalb derer sich das Flussbett des Rio Fuy befindet. Das Ganze erinnert ganz entfernt an die Wanderung zu den Fitzroy Falls im Morton National Park in Australien. Nach etwas mehr als zehn Minuten Fußmarsch erreichen wir den Wasserfall - und es hat sich gelohnt: Im Grunde schaut der Salto Puma nicht viel anders aus, als der Salto Huilo Huilo, aber hier befindet sich der Aussichtspunkt um einiges höher als der Wasserfall und ermöglicht so einen tollen Blick auf die rauschenden Wassermassen. An diesem so schönen Ort erinnert aber auch eine kleine Holztafel an die Endlichkeit aller schönen Momente im Leben: In drei Sprachen wird an eine 22-jährige Israelin gedacht, die hier 2003 abgestürzt ist.
Salto Huilo Huilo. Zurück am Auto müssen wir zunächst wieder das kurze Stück Rumpelpiste hinter uns bringen, um zurück auf die Schotterstraße zu kommen. Es ist schon erstaunlich, wie schwierig hier in Südamerika - im direkten Vergleich zu den USA - die schönsten Naturwunder zu erreichen sind. Das galt für den Wasserfall bei La Cascadas heute Morgen genauso wie für den Salto Huilo Huilo. Über Schotter und Asphalt geht es zurück bis fast nach Panguipulli. Jetzt ist es schon recht spät und wir müssen schauen, noch rechtzeitig unser Tagesziel zu erreichen. Wir nehmen die Ruta 201 Richtung Conaripe, am Lago Calafquen gelegen. Die Straße ist zunächst ein kurzes Stück asphaltiert, dann öffnet sich der Blick auf den tief unterhalb gelegenen See und es geht wieder über Schotter weiter, in stetigen Kurven wild bergab. Hier sollten wir direkt vor uns einen weiteren der Bilderbuchvulkane sehen, für die das chilenische Seengebiet berühmt ist - den Villarrica. Leider ist dieser Berg aber genauso schüchtern wie der Osorno und wir sehen nur Wolken.
Blick auf den Lago Calafquen. Im Hintergrund müsste eigentlich ein Vulkan zu sehen sein. Ab Conaripe ist die Straße wieder asphaltiert. Vorbei an Lican Ray fahren wir - durch schönen Wald - Richtung Lago Villarrica und der auf den ersten Blick sehr quirligen aber nicht sonderlich hübschen Ortschaft Villarrica. Wir fahren gleich weiter Richtung Pucon. Diese Ortschaft ist hier in der Gegend das absolute touristische Zentrum, was vielleicht auch an der Lage direkt unterhalb des Vulkans Villarrica liegt. Wir haben eine Übernachtung in einer Ferienanlage einige Kilometer vor Pucon gebucht und werden uns die Ortschaft erst morgen anschauen. Die Hauptstraße verläuft fast auf Höhe des Lago Villarrica und bietet immer mal wieder kurze Blicke auf den See. Südlich des Sees steigt die Landschaft steil an und nachdem wir die winzige Abzweigung zum Club Los Ulmos gefunden haben, schraubt sich die kleine Dirt Road auch gut bergauf. Wir kommen an jeder Menge Abzweigungen vorbei und beginnen immer mal wieder zu zweifeln, ob wir hier noch richtig sind. Aber es gibt immer mal wieder Hinweisschilder und nach ein paar Kilometern kommen wir auch endlich an.
Beim Club Los Ulmos handelt es sich um eine Ansammlung von Ferienwohnungen und mehreren größeren Häusern. Mittelpunkt der Anlage ist ein Gebäude, in dem sich Küche und Speiseraum befinden. Das Ganze wurde von einem deutschen Ehepaar liebevoll aufgebaut. Kaum haben wir unseren Pick Up auf das Gelände gesteuert, werden wir auch schon herzlich von Christl, der Besitzerin und ihren beiden Hunden begrüßt. Da wir die einzigen Gäste sind, werden wir nicht in der gebuchten Cabin sondern in einer der größeren Doppelhaushälften einquartiert - diese befinden sich näher am Speiseraum. Trotz der schon vorgerückten Stunde bekommen wir ein sehr leckeres Abendessen zubereitet. Im Verlauf des Gesprächs, das wir während dem Essen mit Christl führen, kommt die Rede zwangsweise auch auf Vulkane: Auf den Puyehue, dessen Aschewolken fast unsere Anreise verhindert hätten. Und auf die weiteren Vulkane, an denen wir im weiteren Reiseverlauf vorbei kommen werden. Denn darunter befindet sich ein ziemliches Sorgenkind - und zwar der Hudson. An diesen südlich von Coyhaique einige Kilometer abseits der Carretera Austral gelegenen Vulkan werden wir zwar erst in etwas mehr als einer Woche vorbei kommen. Dennoch macht der aktuelle Zustand des Berges Sorgen: Höchste Warnstufe, kurz vor einem Ausbruch und die Carretera Austral ist auch gesperrt. Wenn sich das in den kommenden Tagen nicht ändert, müssen wir unsere Route großräumig umplanen, denn allzu viele Straßen gibt es so weit südlich nicht mehr...
Ein erfreulicheres Thema ist der direkt hinter dem Haus gelegene Vulkan Villarrica. Denn als uns Christl nach dem Abendessen vor dem Gebäude zeigen will, in welche Richtung man üblicherweise den Villarrica sehen kann, haben sich die Wolken vollkommen verzogen und ein toller Sternenhimmel ist zu sehen. Da es nun zwar dunkel ist, sind die Vorraussetzungen eigentlich nicht so gut, um Berge anzuschauen. Der Villarrica bietet aber eine Ausnahme, denn in seinen Krater brodelt Tag und Nacht die Lava. Die aus dem Vulkan entweichenden Dämpfe werden nun in der Nacht vom Leuchten der Lava rötlich angeschienen, mal heller und mal dunkler. Ein toller Anblick, der zudem Hoffnungen für morgen macht.
Vulkan Villarrica bei Nacht. Übermorgen geht es weiter...
Schöne Grüße,
Dirk