Montag, 8. OktoberAls ich heute morgen mit der Kofferwaage das Gewicht meines Koffers checke, stelle ich erfreut fest, dass sich das Ausmisten von gestern bezahlt gemacht hat. Trotz Souvenirkäufen wiegt der Koffer 22,5 kg, auch wenn er sich doppelt so schwer anfühlt, als ich ihn schließlich ins Auto wuchte. Die reizende Hotelbetreiberin gibt mir noch den Tipp, auf dem Flug auf jeden Fall einen Fensterplatz zu nehmen und auf wilde Kamele und Flamingos zu achten und verabschiedet sich mit herzlichen Worten.
Heute fahre ich zunächst etwa eine Stunde nach Süden zum Airport ins Cairns, von wo aus ich um 11.25 Uhr nach Alice Springs fliege. Die letzten Kilometer vor dem Airport staut sich der Verkehr, aber ich komme frühzeitig an, und lege zwar eine kleine Extrarunde am Flughafen ein, finde dann aber doch relativ problemlos den Parkplatz von Avis und bugsiere den kleinen Micra in eine Parkbucht. Während ich mein Gepäck auslade, kommt schon ein Avis-Mitarbeiter, checkt Kilometerstand und Tankfüllung – zum Glück habe ich ein paar Kilometer vor dem Airport noch dran gedacht, aufzutanken – und mustert einen Riss hinten an der Stoßstange. Aber nachdem ich ihm das Formular gezeigt habe, aus dem sich die Vorschäden ergeben, werde ich in Gnaden entlassen.
Im Airport checke ich dann an einem der Kioske von Qantas ein, suche mir einen Fensterplatz aus, bekomme Bordkarte und Gepäckanhänger und begebe mich zum Bag Drop. Um kurz nach neun bin ich schließlich durch die Sicherheitskontrolle und warte noch zwei Stunden bis zum Boarding, die ich mit E-mail- und Reisebericht-Schreiben verbringe und mich durch die Shops mit Australien-Souvenirs schiebe.
Mit nur leichter Verspätung wird dann gebordet – es ist eine B717, die höchstens zur Hälfte besetzt ist. Ich sitze zwischen Flügel und Turbine und schaue sehnsüchtig hinunter auf die Küste, als das Flugzeug nach dem Start eine Schleife dreht.
Doch genug gejammert, dass die Reise durch Queensland vorbei ist, jetzt wartet das Northern Territory auf mich. Während des Fluges stelle ich schon mal meine Uhr auf die Zeit von Alice Springs um, nämlich eine halbe Stunde zurück und schaue zu, wie die Landschaft unter uns langsam trockener und roter wird. Wilde Kamele und Flamingos sind allerdings nicht zu erkennen.
Kurz vor Alice Springs wird es dann bergiger.
Unser Flugzeug fliegt so tief über diese Berge, landet dann so spät auf der Piste und rast so lange vermeintlich ungebremst weiter, dass ich für eine gute Minute der festen Überzeugung bin, dass irgendetwas schlimmes passiert ist und wir gleich über die Landebahn hinausschießen. Natürlich bremsen wir dann doch locker vor dem Ende der Landebahn ab und rollen zum Terminal. Eine Treppe wird herangeschoben, ich gehe hinaus und habe das Gefühl, geradewegs in einem riesigen Backofen gelandet zu haben. Es ist heiß und riecht irgendwie verbrannt.
Mit dem vorgebuchten Transfer komme ich etwa eine Stunde nach der Landung am Motel an. Schon auf der Fahrt dorthin bekomme ich einen ersten Eindruck von Alice Springs, und der ist nicht positiv. Oder bin ich nur besonders kritisch? In den letzten Wochen vor der Reise hatte ich ernüchternde und teils auch alarmierende Berichte über die Stadt gelesen. Die Gewaltkriminalität habe deutlich zugenommen, wurde da berichtet. In der Stadt seien viele aggressive Aborigines unterwegs, so wurde zumindest gewarnt. Nach Einbruch der Dunkelheit solle man sich besser nicht mehr zu Fuß auf die Straße wagen, lautete der Ratschlag. Obwohl das auch nichts nütze, konnte ich woanders lesen. Denn der Freund des Schwippschwagers einer Freundin (oder so ähnlich) sei neulich schon bei hellichtem Sonnenschein auf offener Straße zusammengeschlagen worden.
Ich hatte mir vorgenommen, diese Warnungen zwar im Hinterkopf zu behalten, mich aber nicht unnötig verunsichern zu lassen. Doch als ich jetzt auf dem Weg zum Motel mehrere wirklich zerlumpt gekleidete Aborigines sehe, die Alkoholverbotsschilder am Todd River lese und wir schließlich kurz vor dem Motel zwei ausgebrannte Autos passieren, wird mir mulmig. Beim Einchecken frage ich vorsichtig, ob es denn gefährlich sei, zu Fuß in die Stadt zu gehen, worauf der Motelinhaber mir wortreich erklärt, das mit den Autos, das wären ein paar verrückte Kids gewesen, und mir versichert, ich könnte durchaus in die Stadt gehen und nach Einbruch der Dunkelheit draußen bleiben. Wenn mich Aborigines ansprechen und mir ihre Bilder verkaufen wollen, solle ich einfach weitergehen.
Ich mache mich also schließlich zu Fuß auf den Weg in die Stadt, nehme mir aber vor, spätestens bei Sonnenuntergang zurück zu sein. Der Weg ist lang, der Fotorucksack ist schwer, und Alice Springs ist einfach hässlich. Ich marschiere geradewegs hindurch, bis ich am Gebäude der Flying Doctors ankomme. Dort wird mit einem Film und einem kleinen Museum die Arbeit der Fliegenden Ärzte vorgestellt. Und auf einem Bildschirm kann man sehen, wo gerade die Flugzeuge der Fliegenden Ärzte im Einsatz sind.
Auf dem Weg zurück durch Alice kaufe ich mir ein Fliegennetz und ein paar Flaschen Wasser und wandere ziellos durch die Straßen. Fotomotive? Fehlanzeige. Ein nettes Café zum Raussetzen? Nö. Irgendwann heftet sich dann ein ausgemergelt aussehender Aborigine an meine Fersen und ich bin ziemlich erleichtert, als ich zehn Meter weiter das Büro des Tourveranstalters sehe, mit dem ich morgen zum Uluru aufbrechen will und marschiere schnurstracks, den Aborigine immer noch im Schlepptau, durch die Tür, wo er von einer Mitarbeiterin freundlich wieder hinausgebeten wird. Irgendwie bin ich einerseits erleichtert und schäme mich andererseits insgeheim. In Sydney habe ich noch bei den Deadly-Awards die Preisträger beklatscht, und hier in Alice Springs bekomme ich Angst vorm „Schwarzen Mann“?
Immerhin lohnt sich der Besuch beim Tourveranstalter, denn ich bekomme noch eine Packliste mit auf den Weg, aber das ändert nichts daran, dass ich mich in ziemlich grüblerischer Stimmung auf den Weg zurück durch die Stadt mache. Egal, ob berechtigt oder nicht, ich fühle mich einfach unwohl. Dass der chinesische Takeaway, bei dem ich mir etwas kaufen wollte, just in dem Moment zumacht, als ich um die Ecke biege - nämlich um fünf Uhr nachmittags, was soll der Mist? - passt dann noch perfekt ins Bild einer Stadt, die ich nicht mag und die mich nicht mag.
Frustriert gehe ich zurück zum Hotel, und weil ich sonst nichts mehr mit mir anzufangen weiß, werfe mich in meine Badesachen und hüpfe in den Pool. Zum Glück, denn dort treffe ich erst eine nette Schweizerin und dann ein nettes französisches Paar und verbringe eine Stunde plaudernd im Wasser, bis mir schließlich kalt wird und ich ins Zimmer flüchte. Aber meine Stimmung hat sich wieder deutlich gebessert.
Morgen werde ich sehr früh zu einer dreitägigen Tour starten und muss das nicht benötigte Gepäck bis heute abend um halb acht zur Rezeption bringen, damit es bis zu meiner Rückkehr dort aufbewahrt wird. Als räume ich alles aus dem Koffer, was ich in den nächsten drei Tagen brauche und gebe ihn ab.
Den Rest des Abends verbringe ich lesend und mit Telefonaten nach Hause und mache früh das Licht aus. Morgen früh wird der Wecker um fünf Uhr klingeln.
Gute Nacht!