10. Tag, 29.07.2010
Longyearbyen und Skansbukta / SpitzbergenAuch heute setzen sich die zahlreichen Gletschersichtungen fort. Es ist mittlerweile teilweise etwas bewölkt, aber es fällt kein Tropfen Regen oder Schnee.
Für heute ist unsere erste Anlandung auf Spitzbergen geplant. Wir laufen einen Ort namens Longyearbyen an. Er ist mit ca. 1800-2000 Einwohnern der größte auf Spitzbergen und sozusagen die Hauptstadt der Inselgruppe. Longyearbyen wurde 1906 von einem Amerikaner namens Longyear geründet und hieß ursprünglich mal Longyearcity. Longyearbyen hat sogar einen ausreichend großen Anleger, sodass wir die Zodiacs heute früh noch nicht benötigen. Im Hafen liegt ein schönes Segelboot.
Beim Erkunden des Ortes merkt man deutlich, dass hier ganz und gar nicht nach Schönheit und erst recht nicht für touristische Zwecke gebaut wurde. Es ist alles sehr zweckmäßig und grau, ja fast schon trist. Wie die meisten Orte auf Spitzbergen wurde auch Longyearbyen als Bergarbeitersiedlung wegen der Kohlevorkommen gegründet. Die meisten Leute, die hier leben, sind wahrscheinlich sowieso nur eine begrenzte Zeit zum Arbeiten hier.
Das Klima ist hockartisch und Longyearbyen befindet sich auf so genanntem Permafrostboden, der bis zu 100 Meter tief gefroren ist und auch im Sommer taut nicht viel mehr als der oberste Meter auf. Das ist der Grund, weshalb alle Häuser auf Pfählen gebaut sind und sämtlich Wasserleitungen oberirdisch verlaufen. Die Pfähle sieht man nicht bei allen Häusern, da diese teilweise mit Brettern rundherum benagelt sind und so als Abstellkammer dienen, da kein Haus unterkellert ist. Wie man auf dem Foto sieht, sind selbst die Bushaltestellen auf Stelzen gebaut.
Es gibt sogar eine kleine Kirche in dem Städtchen. Innen ist es ganz familiär; man muss seine Straßenschuhe aus- und Hausschuhe anziehen, die am Eingang bereitstehen, wenn man den Innenraum betreten will.
Als wir weiter durch den Ort spazieren, entdecken wir doch ein paar etwas freundlicher und bunter gestaltete Häuser.
Überall auf den Wiesen wächst arktisches Wollgras. Diese Wattepuschel sehen wirklich witzig aus.
Obwohl Longyearbyen über ein vergleichsweise gut ausgebautes Straßennetz verfügen soll, stellt keine der Straßen eine Verbindung zu einem anderen Ort her. Die Leute sind ganz auf Schneemobile und Boote angewiesen. Überall stehen Warnschilder vor Schneemobilen.
Auf den Wiesen sind teilweise richtige Parkplätze voller Schneemobile angelegt. Es gibt auch eine große Werkstatt und einen Händler extra für Schneemobile. Der wird wohl so schnell nicht pleite gehen.
Am Ortsausgang hängt ein weiteres "exotisches" Verkehrsschild. Da es über 3.000 Eisbären auf Spitzbergen gibt, sind die Autofahrer angehalten, auf die Eisbären Rücksicht zu nehmen wie wir in Deutschland auf Rehe
. Der Hinweis unter dem Schild bedeutet, dass diese Eisbärwarnung für ganz Spitzbergen gilt.
Nachdem wir Longyearbyen verlassen haben, fahren wir mit dem Schiff weiter die Insel entlang nach Norden. Für heute ist eine weitere Anlandung geplant und zwar in der Skansbukta, diesmal mit Zodiac, da sich in dieser Gegend keine Ortschaft und auch kein Anleger befindet. Wir kriegen noch mal eingetrichtert, dass wir beim Ertönen des Nebelhorns des Schiffs sofort zurück zu den Zodiacs gehen müssen, da Spitzbergen ein treibeisgefährdetes Gebiet ist und daher ein frühzeitiges Auslaufen nötig sein kann. Nicht zuletzt könnte sich auch jederzeit ein Eisbär nähern, auch wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass diese sich blicken lassen.
Bis kurz vor dem Ausbooten ist unklar, ob wir überhaupt an Land gehen können, da das Wetter nicht so stabil zu sein scheint und das Meer ein wenig unruhiger wird, auch wenn es auf den Bildern gar nicht danach aussieht. Das Wetter kann sehr schnell umschlagen. Der Kapitän entscheidet sich aber doch dafür, uns ausbooten zu lassen und wir werden allesamt mit Schwimmwesten bestückt. In der Tat ist das Einsteigen in das Zodiac ganz schön wacklig und auch die Überfahrt ist leicht "feuchtfröhlich". Ich kralle mich mit beiden Händen an dem Halteseil fest. Wer ganz hinten im Zodiac sitzt, tut gut daran, wasserdichte Schuhe anzuziehen, denn da steht einiges an Wasser im Boot. Wir kommen dennoch heil an Land an.
Wir laufen die Bucht auf dem Kieselstrand entlang und entdecken ein hölzernes Schiffswrack, außerdem steht hier eine kleine verlassene Trapperhütte, die aber wohl noch ab und an benutzt wird.
Na, wer hat aufgepasst und entdeckt hier den Fehler im Bild?
Richtig, da liegt ein Baumstamm, obwohl es auf Spitzbergen keine Bäume gibt. Wir lassen uns darüber aufklären, dass hier manchmal Baumstämme aus Sibirien angeschemmt werden. Kurios.
Auf Spitzbergen ist es wegen den vielen Eisbären übrigens nicht erlaubt, außerhalb von Ortschaften ohne Waffen unterwegs zu sein. Das gilt natürlich auch für uns und deshalb haben wir noch in Norwegen extra zwei Eisbärwächter mit ihren Gewehren an Bord genommen, die von Haus aus Großwildjäger sind, und uns im Falle des Falles vor auftauchenden Eisbären schützen sollen, obwohl natürlich das oberste Ziel immer ist, sich ohne Waffeneinsatz in Sicherheit zu bringen und dem Eisbär nicht zu schaden.
Am Himmel über uns herrscht jedenfalls reges Treiben. Es müssen hunderte, wenn nicht tausende Vögel auf dem Felsen wohnen. Auf Spitzbergen gibt es insgesamt 15 Vogelschutzgebiete. Das schwarze Pünktchen auf dem Felsen ist übrigens der zweite Eisbärwächter, der mit seinem Fernglas Ausschau hält.
Nachdem wir heil, ohne Eisbärsichtung und nach einer wellenreichen Überfahrt wieder an der Alexander-von-Humboldt ankommen, haben die Helfer ganz schön Mühe und brauchen viel Kraft, um das Zodiac am Schiff einigermaßen ruhig zu halten, damit wir sicher aussteigen können. Eins der Schlauchboote braucht mehrere Anläufe um die richtige Stelle des Schiffs zu treffen.
Auf der Weiterfahrt entdecken wir wieder viele Gletscher. Einer davon ist der Nordenskiöldgletscher, der 25 km lang und 11 km breit sein soll. Kaum vorstellbar.
Wir passieren den Ort Pyramiden, ebenfalls eine Bergarbeitersiedlung, die aber mittlerweile aufgegeben wurde und verlassen ist. Zwischenzeitlich befinden wir uns im Eisfjord.
Zur Abwechslung in dieser verlassenen Gegend kommt uns sogar ein Schiff entgegen. Es handelt sich um die Polar Star, ein Eisbrecher, der aber mittlerweile auch Passagiere befördert.
Unser letztes Ziel für heute ist der Tempelfjord.
Im Tempelfjord befindet sich der gewaltige Tunagletscher. Dieser Gletscher soll innerhalb von 2 Jahren 1,5 km in den Fjord vorgedrungen sein. Wieder kann man die Größe so gar nicht einschätzen, aber die Gletscherzunge soll 5 km breit und die Abbruchkante 20-30 Meter hoch sein. Man kann sich also locker ein Hochhaus daneben denken.
Als ich am Fotografieren bin, bricht sogar genau an dieser Stelle gerade ein gewaltiges Stück des Gletschers ab bzw. eigentlich rutscht es kaum merkbar ins Meer. Man sieht auf dem Bild nur ein klein wenig, wie das Wasser schäumt.
Sehr interessant finde ich auch das Phänomen der so genannten Gletschermilch, die der Gletscher absondert. Dieses Wasser ist durch Sedimente grau gefärbt und aufgrund der unterschiedlichen Beschaffenheit gegenüber dem Meerwasser vermischen sich beide nur sehr langsam miteinander. Tatsächlich scheint die Grenze wie mit dem Lineal gezogen; links die Gletschermilch, rechts das Meerwasser:
Wieder einmal fallen wir vor so vielen Eindrücken abends totmüde in die Koje.
Gruß
Rattus